Alphabetical site index (text) Source: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 1996-2001), Seiten 317-351 | |
Peter Longerich: Der Holocaust vor Gericht? Bericht über den Londoner Irving-Prozess"
Der Fall Im Jahre 1993 veröffentlichte Deborah Lipstadt, Professorin für Moderne Jüdische Geschichte an der Emory University in Atlanta, ein Buch unter dem Titel Denying the Holocaust.[1] Die Arbeit, die auch in deutscher Übersetzung erschien,[2] befasste sich mit dem internationalen Phänomen des Leugnens des Mordes an den europäischen Juden. In diesem Buch setzte sich Deborah Lipstadt auf insgesamt fünf Seiten mit dem britischen Schriftsteller David Irving auseinander, den sie als einen der führenden Holocaust-Leugner bezeichnete. Im September 1996 verklagte Irving Lipstadt sowie Penguin Books (den Verlag, der die amerikanische und britische Taschenbuchausgabe besorgte) wegen Verleumdung. Er behauptete, die Äußerungen Lipstadts gegen ihn seien falsch und Teil einer internationalen Kampagne, mit deren Hilfe versucht werde, seine Reputation als Autor zu zerstören. Irving zog mit Bedacht in Großbritannien vor Gericht und nicht in den Vereinigten Staaten. Er ging dabei sicherlich von der Überlegung aus, dass das britische Verleumdungsrecht, das libel law, für ihn vorteilhaft sei, da es die Beweislast der beklagten Seite zuweist. Diese britische Rechtsauffassung folgt einem einfachen Grundsatz, wie der Richter im Fall Irving/Lipstadt, Charles Gray, in seinem Urteil erläutern sollte: »Defamatory words are presumed under english Law to be untrue«.[3] Bewiesen werden muss allerdings von der beklagten Seite die »substantial truth«, wenn auch nicht jedes Detail. Verlag und Autor beschlossen, sich der Klage zu stellen und keine außergerichtliche Einigung zu suchen, wie von Irving angeboten. Sie entschlossen sich ferner zu einer umfassenden Verteidigung, d. h. eine Reihe führender Anwälte zu beauftragen und ein internationales Team von Gutachtern aufzubieten. Beide Seiten vereinbarten, ohne Jury zu verhandeln, da die Materie zu komplex erschien. Die gerichtliche Auseinandersetzung wurde daher von einem einzelnen Richter geleitet und entschieden. Verhandelt wurde vor dem High Court in London, dem höchsten englischen Zivilgericht über einen Zeitraum von drei Monaten, an insgesamt 32 Verhandlungstagen. Der Prozess endete, wie zu erwarten, mit einer vollständigen Niederlage Irvings. Seine Verleumdungsklage wurde zurückgewiesen, er hatte zudem die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Besondere an dem Prozess Irving gegen Lipstadt war die Tatsache, dass hier die Argumentation eines führenden »revisionistischen« Historikers in einem sehr gründlichen und umfassenden Verfahren Punkt für Punkt überprüft und mit dem durch eine Reihe von Experten referierten Forschungsstand konfrontiert wurde. Durch das System des wechselseitigen Kreuzverhörs, das über viele Wochen stattfand, entstanden für beide Seiten so etwas wie verschärfte Prüfungsbedingungen eine Methode der Wahrheitsfindung, die in ihrer Rigidität weit über die in den Geisteswissenschaften üblichen Praktiken hinausgeht. Fast möchte man sie auch für innerwissenschaftliche Auseinandersetzungen empfehlen. Dabei erwies es sich als vorteilhaft, das neben dem Hauptgutachten von Richard Evans, das sich mit Person und Werk Irvings befasste, vier weitere historische Spezialgutachten vorlagen, die sich nicht (oder nicht in erster Linie) auf die Argumentation von Irving einließen, sondern den Stand der Forschung referierten: Während Robert Jan van Pelt und Christopher Browning sich mit der Architekturgeschichte von Auschwitz bzw. mit der Evidenz für die Durchführung der »Endlösung« befassten, hatte der Verfasser [Peter Longerich] über den systematischen Charakter des Judenmords sowie über Hitlers Rolle hierin zu berichten. Zusätzlich lag ein Gutachten des Politikwissenschaftlers Hajo Funke über Irvings Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen in Deutschland vor. Eine der ersten Aufgaben des Richters war es festzulegen, worüber überhaupt gestritten wurde. Nach Anhörung beider Seiten formulierte er als Gegenstand des Streits:
Der Kläger David Irving, Jahrgang 1938, der nie ein Geschichtsstudium abgeschlossen hatte, aber größten Wert darauf legte, als Historiker anerkannt zu werden, ist Verfasser zahlreicher zeit geschichtlicher Bücher, die sich insbesondere mit dem nationalsozialistischen Deutschland und mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Bereits sein erstes Buch, The Destruction of Dresden (Kimber-Verlag), aus dem Jahre 1963 (in Deutschland unter dem Titel Der Untergang Dresdens 1964 bei Reinhold Mohn erlegt) erregte erhebliches Aufsehen wegen der Behauptung, der alliierte Angriff auf die Stadt habe bedeutend mehr Opfer gekostet als bis dahin angenommen. Unter den Büchern, die er in den folgenden Jahren publizierte, erregten vor allem zwei ähnliches Aufsehen: Zum einen der 1967 erschienene Titel The Destruction of Convoy PQ 17 (Cassel & Co), in dem Irving den Beweis zu führen versuchte, die Vernichtung eines britischen Konvois durch deutsche UBoote und Flugzeuge im Nordatlantik im Jahre 1942 sei maßgeblich die Schuld des Marineoffiziers gewesen, der den Verband seinerzeit führte (Die Vernichtung des Geleitzugs PQ 17, Knaus 1982). Der angegriffene Offizier verklagte jedoch Irving erfolgreich wegen Verleumdung und erstritt als Schadensleistung 40.000. Pfund -- der höchste Betrag, der bis zu diesem Zeitpunkt jemals in einem englischen Verleumdungsverfahren dem Kläger zugesprochen worden war.[5] Erhebliche Diskussionen löste Irving auch mit seinem ebenfalls 1967 erschienenen Buch Accident (Kimber) aus, in dem er die Behauptung aufgestellt hatte, der im britischen Exil lebende polnische General Sikorski sei auf Anordnung Churchills ermordet worden (deutsche Ausgabe: Mord aus Staatsräson, erschienen bei Rütten und Loening 1969). Irvings umfangreichstes Werk Hitler's War, eine um die Person Hitlers zentrierte Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs, erschien zuerst 1977 (Viking Press), 1991 noch einmal in einer textlich veränderten und erheblich erweiterten Neuauflage (Focal Point). Kritik löste vor allem Irvings Behauptung aus, Hitler habe den Mord an den europäischen Juden nicht nur nicht angeordnet, sondern er habe ausdrücklich und wiederholt die Ermordung von Juden verboten und auch erst frühestens im Oktober 1943 von der systematischen »Liquidierung« (Irvings bevorzugter Ausdruck) der europäischen Juden erfahren. Immerhin konzediert Irving in der ersten Ausgabe dieses Buches noch, dass eine solche massenweise »Liquidierung« tatsächlich stattgefunden habe. Sie sei zum einen das Ergebnis von ad hoc Maßnahmen untergeordneter Behörden im Osten gewesen, zum anderen hätte die SS-Führung eigenmächtig Hitlers Deportationsbefehle erweitert. Auch machte Irving hinsichtlich der behaupteten Unschuld Hitlers eine wesentliche Einschränkung: Hitler habe den Massenmord an den sowjetischen Zivilisten in der zweiten Jahreshälfte 1941, der unter dem Stichwort Partisanenbekämpfung durchgeführt wurde, ohne Gewissensbisse hingenommen Als Irving 14 Jahre später die zweite Auflage seines Buches publizierte, sollte er diese Einschränkung allerdings ebenso fortlassen wie seine Erklärung, die Massenmorde im Osten seien das Resultat von ad hoc Maßnahmen und Eigenmächtigkeiten der SS-Führung gewesen. Diejenigen Passagen der ersten Auflage, die sich mit dem Mord an Juden beschäftigten, schwächte er größtenteils erheblich ab oder ließ sie ganz fort. Gleichzeitig versuchte er, sein zentrales Anliegen, Hitler habe nicht die Absicht gehabt, die europäischen Juden umzubringen, weiter zu untermauern.[7] Nach Hitler's War folgten zahlreiche weitere Publikationen, unter anderem zu weiteren Größen des NS-Staates wie Göring, Goebbels, Heß und Rommel.[8] Irving erhebt insbesondere den Anspruch, sich in seinen Büchern auf Primärquellen zu stützen und nicht auf die Forschungen anderer Historiker zurückzugreifen, ja, er hat einen gewissen Stolz darin entwickelt, die Sekundärliteratur grundsätzlich zu ignorieren. Es ist unbestritten, dass Irvings Stärke in der Quellensuche liegt. So gelang es ihm, zahlreiche Dokumente von privater Seite, insbesondere von ehemaligen Funktionären des NS-Regimes bzw. ihren Familien, zu beschaffen. Solche Quellen hat er in der Vergangenheit in Archiven deponiert und damit auch anderen Historikern zugänglich gemacht. Gerade wegen der intensiven Quellenarbeit und wegen seines Fleißes haben Irvings Werke einiges Lob erfahren, sie sind aber insgesamt von der historischen Fachkritik überwiegend mit starken Vorbehalten bzw. ablehnend aufgenommen worden. Der Tenor dieser Kritik ist, dass Irving zwar ein erfolgreicher Rechercheur sein mag, die Qualität seiner Analyse des Materials aber unvergleichlich schwächer ist, nicht zuletzt wegen seiner Ignoranz gegenüber den Arbeiten anderer Autoren.[9] Nachdem bereits Irvings provozierende These von 1977, Hitler habe den Judenmord nicht angeordnet, bei den Historikern auf starken Widerspruch gestoßen war, sollte sein Ruf weiter beschädigt werden, als er 1988 als Sachverständiger in dem kanadischen Verfahren gegen den rechtsradikalen Aktivisten Ernst Zündel auftrat und das Gutachten eines zweifelhaften »Experten«, Fred Leuchter, für plausibel erklärte. Leuchter hatte behauptet, dass in den Trümmern der Krematorien von Auschwitz nichts auf die frühere Existenz von Gaskammern hindeutete, was er unter anderem durch einen Vergleich der Rückstände von Zyklon B in den ehemaligen Gaskammern und in einem Desinfektionsraum zu beweisen suchte. Irving publizierte das Gutachten unter seinem eigenen Imprint und schrieb ein Vorwort. Der Leuchter-Report stellte sich jedoch als völlig unhaltbar und amateurhaft heraus. Unter anderem war es Leuchter entgangen, dass man um Läuse zu vernichten, eine 22 mal größere Konzentration von Zyklon B benötigt als zur Tötung von Menschen.Während des Londoner Prozesses sollte sich Irving denn auch weitgehend von dem Leuchter-Report distanzieren.[10] Nach seinem öffentlichen Eintreten für Leuchter war Irvings Reputation bereits erheblich beschädigt. Als die Sunday Times mit ihm 1992 eine Vereinbarung schloss, um die von ihm in Moskau aufgefundenen Goebbels-Tagebücher auszugsweise zu veröffentlichen, führte dies zu einem Sturm der Entrüstung; die Zeitung kündigte schließlich die mit Irving geschlossene Vereinbarung.[11] Ebenso stellte 1996 der amerikanische Verlag St. Martin's Press unter öffentlichem Druck die Verbreitung der Goebbels-Biographie Irvings ein.[12] Obwohl Irvings Ansichten hinsichtlich der Ermordung der Juden und Hitlers Rolle in diesem Prozess in der historischen Fachwelt allgemein abgelehnt werden, wollten sich dennoch keineswegs alle Angehörigen der historischen Zunft von Werk und Person vollkommen distanzieren bzw. damit aufhören, Irving zu zitieren. So brachen etwa Irvings Kontakte mit dem Münchner Institut für Zeitgeschichte und seinen Beschäftigen trotz des Skandals um den Leuchter-Report nicht vollkommen ab.[13] Insbesondere in der britischen Historiographie zum Zweiten Weltkrieg gilt Irving nach wie vor als kenntnisreicher Militärhistoriker. So betonten etwa zwei ausgewiesene Kenner des Zweiten Weltkrieges, der emeritierte Historiker Donald Cameron Watt und der Verteidigungsexperte des Daily Telegraph, der Militärhistoriker Sir John Keegan -- von Irving unter der Drohung gerichtlichen Zwangs als Leumundszeugen geladen -- sie hielten Irvings Ansichten über den Judenmord für fundamental falsch, wollten jedoch deswegen nicht das gesamte Werk verwerfen. Beide wiederholten dieses partielle Lob unmittelbar nach der Urteilsverkündung in Zeitungskommentaren.[14] Auch der Leser der neuen Hitler-Biographie von Ian Kershaw wird feststellen dass dieser führende britische Historiker des Nationalsozialismus immer wieder Irving zitiert, vorwiegend zur militärischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, und nicht weniger als neun seiner Bücher im Literaturverzeichnis aufführt. Was den Mord an den Juden Europas angeht, so besteht Irvings Technik darin, dort anzusetzen, wo in der historiographischen Aufarbeitung Schwachstellen und Lücken vorhanden sind. Ohne Zweifel hat sich diese Technik im einigen Fällen als anregend für die Forschung erwiesen. So ist seine provozierende Behauptung, Hitler habe die Endlösung nicht nur nicht befohlen, sondern auch nicht gewollt und (bis Oktober 1943) nichts über sie gewusst, durchaus Ausgangspunkt für eine Reihe ernsthafter historischer Arbeiten gewesen. Dass es allerdings eines solchen Anstoßes von dieser Seite überhaupt bedurfte, wirft eher ein trübes Licht auf den Zustand, in dem sich die Forschung in diesem Zeitraum befand.
Das Urteil Das Urteil ist im seiner gründlichen Darstellung und Abwägung der vor Gericht vorgetragenen Argumente eine außerordentlich eindrucksvolle Lektüre. Es ist eine Lektion in historischer Aufklärung und ein wahrer Fundus für den argumentativen Umgang mit typischen Behauptungen der sogenannten Holocaust-Revisionisten. Schon wegen dieser außerordentlichen Qualität scheint es mir gerechtfertigt zu sein, das umfangreiche Urteil in seinen wesentlichen inhaltlichen zum Teil außerordentlich komplexen Punkten zu referieren, zumal die deutsche Medienberichterstattung über den Fall insgesamt gesehen weder besonders umfassend noch informativ war (mit der Ausnahme der FAZ [Frankfurter Allgemeine Zeitung], die eine eigene Korrespondentin [Eva Menasse] entsandte).[15] Ich möchte dabei im folgenden versuchen, die vor Gericht ausgetauschten historischen Argumente in ihrer juristischen Relevanz für den Fall zu präsentieren. Wichtig erscheint mir zunächst, mit einer Reihe von relativ weit verbreiteten Irrtümern über den Fall Irving gegen Lipstadt aufzuräumen. In dem Prozess ging es nicht in erster Linie um die Frage, ob die Ermordung der europäischen Juden nun stattgefunden habe oder nicht. Richter Gray betonte, es sei nicht seinen Aufgabe ,»to make findings of facts as to what did and what did not occur during the Nazi regime in Germany«. Natürlich werde es notwendig sein, sich mit historischem Material zu beschäftigen, doch ausschließlich »because I must evaluate the criticisms of or (as Irving put) the attack upon his conduct as an historian in the light of the available historical evidence. But it is not for me to form, still less to express, a judgement about what happened. That is a task for historians. «[16] Das Gericht hatte demnach nicht die Grenzen einer legitimen wissenschaftlichen Debatte zu ziehen. Vielmehr fungierte der Gerichtssaal als ein Forum, in der die Methodik professioneller Historiographie mit der Arbeitsweise des Autors Irving verglichen wurde. Zu beantworten war die Frage, ob die Kritik an Irving so weit gehen durfte, ihn der systematischen Verfälschung historischer Tatsachen zu bezichtigen. Nicht um den Holocaust ging es in erster Linie in dem Prozess, sondern um die Erhaltung der Meinungsfreiheit -- der Meinungsfreiheit der Autorin Deborah Lipstadt. Irving war es, der mit Hilfe der Justiz die Kritik von Lipstadt zum Schweigen bringen wollte. Hätte er gewonnen, hätte Lipstadt ihr Buch einstampfen lassen können und auf sie bzw. ihren Verlag wäre eine hohe Schadensersatzforderung zugekommen. Die Möglichkeiten, künftig jemanden in Großbritannien als einen »Holocaust denyer« zu bezeichnen, wären erheblich eingeschränkt worden, Irving hätte mit gutem Erfolg versuchen können, seine Auffassung über das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg als eine legitime, vom historiographischen mainstream abweichende Lesart zu verkaufen. Lipstadt zu verteidigen, bedeutete also für das Recht auf Meinungsfreiheit einzutreten. Das Urteil befasste sich im Einzelnen mit drei großen Komplexen. Zunächst ging Richter Gray auf die Einzelkritik ein, die die Verteidigung an Irvings Arbeitsweise geübt hatte. Es war ihr dabei darauf angekommen, mit Hilfe einer umfassenden und bis ins kleinste Detail gehenden Analyse deutlich zu machen, dass Irving historische Dokumente entstellte und verzerrt wiedergab, also seine Arbeitsweise nicht den Standards entsprach, die an einen professionell arbeitenden Historiker zu stellen sind. Dabei handelte es sich nicht etwa um eine zufällige Auswahl von Fehlleistungen aus dem umfangreichen Werk Irvings, sondern gerade um die Fälle, die von Irving immer wieder als Glieder einer »Beweiskette« für die von ihm behauptete Distanz Hitlers zum Holocaust angeführt worden waren.[15] Zweitens sollte das Urteil die Frage des Wissens und der Verantwortung Hitlers für den Mord an den Juden noch einmal im Kontext abhandeln und drittens schließlich setzte sich Richter Gray mit dem Komplex Auschwitz auseinander.
a) Irvings Arbeitsweise
Um das Ergebnis dieses Teils des Urteils vorwegzunehmen: Nach genauer Prüfung von insgesamt neunzehn Einzelfällen kam der Richter zu der Schlussfolgerung, dass in den meisten dieser Fälle »Irving has significantly misrepresented what the evidence, objectively examined, reveals«.[18] Um die Arbeitsweise Irvings näher kennen zu lernen, lohnt es sich, die wichtigsten dieser Punkte zu referieren. In seinem Buch Hitler's War behauptete Irving, Hitler habe während des Münchner Putsches vom 9. November 1923 eine Gruppe von Nationalsozialisten wegen der Plünderung eines jüdischen Geschäfts zur Rechenschaft gezogen.[19] Er wollte anhand dieses Beispiels seine These belegen, dass Hitlers Vorstellungen zur Behandlung der Juden auf ein »Embargo« hinausliefen, nicht jedoch auf irgendwelche Gewalttätigkeiten. Detaillierter erzählt Irving diese Geschichte in seinem Buch über Göring.[20] Danach habe Hitler den Führer einer Gruppe von Nationalsozialisten, einen ehemaligen Leutnant, wegen der Plünderung eines jüdischen Geschäfts auf der Stelle aus der NSDAP ausgeschlossen. Hier gibt Irving auch an (allerdings ohne näheren Beleg), woher er diese Geschichte hat: Aus der Aussage eines ehemaligen Polizisten namens Hofmann, der diese Episode während des Hitler-Prozesses 1924 schilderte.[21] Aus dem Protokoll des Prozesses von dem Volksgericht München geht nun eindeutig hervor, dass Hofmann, zur Zeit des Putsches nicht nur Polizist, sondern gleichzeitig Chef der Nachrichtenstelle der NSDAP war und wegen seiner engen Bindung an die NSDAP durch das Gericht als nicht besonders glaubwürdig eingestuft wurde. Die Episode, über die Hofmann berichtete, der Überfall einiger Nationalsozialisten auf ein jüdisches Lokal, hatte sich auch nicht während des Putsches ereignet, sondern einige Zeit davor.[22] Irving gab hierzu im Londoner Prozess an, sein Verleger habe ihn seinerzeit dazu gezwungen, den Fußnoten-Apparat von Göring erheblich zu kürzen; deswegen (und nicht um das Auffinden der Aussage unmöglich zu machen) habe er die Fundstelle nicht abdrucken können. Er habe aus der Aussage Hofmanns nicht erkennen können, wie seine wahre Haltung gegenüber Hitler war. Der Richter wies diese Position Irvings zurück: Irving hätte erkennen müssen, dass Hofmanns Verbindung zu Hitler seine Zeugenaussage unglaubwürdig mache. Irvings Darstellung, Hitler habe während des Putsches versucht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, sei somit falsch.[23] Ein weiterer Hauptpunkt war Hitlers Rolle während des Pogroms vom 9. und 10. November 1938. Irving hat stets behauptet, Hitler habe den Pogrom nicht nur nicht inszeniert, er habe auch bis spät in den Abend hinein keine Kenntnis von den Ereignissen gehabt und habe dann, nachdem er die Wahrheit entdeckt habe, versucht, den Pogrom zu stoppen.[24] Gegen diese Behauptung lassen sich nun eine ganze Reihe von Dokumenten ins Feld führen. Da ist zum einen Goebbels' Tagebucheintragung vom [sic. zum] 9. November 1938: »In Kassel und Dessau große Demonstrationen gegen die Juden, Synagogen in Brand gesteckt und Geschäfte demoliert. Nachmittags wird der Tod des deutschen Diplomaten vom Rath gemeldet. Nun aber ist es g(ar). Ich gehe zum Parteiempfang im Alten Rathaus. Riesenbetrieb. Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu spüren bekommen. Das ist richtig.«25 Im seiner Darstellung der Ereignisse in Goebbels paraphrasiert Irving Hitlers Anordnungen über die Demonstrationen und den Polizeieinsatz so, als ob sie sich auf die Situation in München bezögen, wo tatsächlich bis zu diesem Zeitpunk überhaupt keine antijüdischen Ausschreitungen stattgefunden hatten. Er berücksichtigt nicht den Kontext des Tagebucheintrags, aus dem sich aber ergibt, dass die »Angelegenheit«, die Goebbels mit Hitler bespricht, sich auf die Demonstrationen und Brandstiftungen in Kassel und Dessau bezieht. Hitlers Anordnung, die Polizei zurückzuziehen (von Irving falsch mit »Hold back the police« übersetzt) erscheint demnach bei ihm als rein lokale, auf München bezogene Maßnahme, während aus dem Text des Goebbels-Tagebuchs klar hervorgeht, dass es sich hier um eine allgemeine Ermächtigung Hitlers zum »weiterlaufen lassen« handelt. In der folgenden Darstellung versucht nun Irving, Goebbels, der nach dem Gespräch mit Hitler die versammelte Parteiprominenz unverblümt zum gewaltsamen Vorgehen gegen die deutschen Juden aufforderte, als den Hauptverantwortlichen für den Pogrom darzustellen. Zum Beweis für Goebbels »Alleinschuld« zitiert er den Abschlußbericht des Obersten Parteigerichts zu den Ereignissen des 9./10. November 1938, wonach der Propagandaminister »mündliche Anweisungen« erteilt habe, die von den anwesenden Parteifunktionären als deutliches Signal zur Auslösung des Pogroms verstanden wurden. Allerdings hatte Goebbels nach dem Bericht des Obersten Parteigerichts in seiner Brandrede auch folgendes gesagt: »Der Führer habe auf seinen Vortrag entschieden, dass derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien, soweit sie spontan entstünden, sei ihnen aber auch nicht entgegenzutreten.«[26] Diese Passage sucht der Leser bei Irving vergebens. Irving zitiert im seinem Goebbels-Buch des weiteren die Nachkriegsaussage von Hitlers Adjutanten Julius Schaub »Hitler sandte Schaub und seine Kameraden auf die Straße, um die Plünderungen zu stoppen.« Nun wird aber durch die entsprechenden Passagen in den Goebbels-Tagebüchern, die man im übrigen im Irvings Goebbels ebenfalls finden kann, deutlich, dass Schaub und seine alten Kameraden vom ehemaligen »Stoßtrupp Hitler« die Zerstörungen der Geschäfte in München maßgeblich organisierten: »Der Stoßtrupp Hitlers geht gleich los, um im München aufzuräumen. Das geschieht denn auch gleich. Eine Synagoge wird im Klump geschlagen (...). Wagner (bayerischer Gauleiter, P. L.) bekommt kalte Füße und zittert für seine jüdischen Geschäfte. Aber ich lasse mich nicht beirren. Unterdessen verrichtet der Stoßtrupp sein Werk. Und zwar macht er ganze Arbeit. (...) Schaub ist ganz in Fahrt. Seine alte Stoßtruppvergangenheit erwacht. «[27] Irving behauptet ferner, Heydrich habe, nachdem er über den Pogrom informiert worden sei, an alle Polizeibehörden die Anweisung telegrafiert, Gesetz und Ordnung wiederherzustellen, Juden und jüdisches Eigentum zu schützen und den laufenden Vorfällen Einhalt zu gebieten.[28] Tatsächlich ging es Heydrich in seinem Telegramm darum, die angelaufenen Gewaltmaßnahmen in die richtigen Bahnen zu lenken, wie sich anhand des Originaltexts zeigen lässt: Es sollten keine Nichtjuden und keine Ausländer behelligt werden; die Plünderung von jüdischen Geschäften und Wohnungen war untersagt, ihre Zerstörung aber ausdrücklich erlaubt; »Synagogenbrände« so heißt es hier ausdrücklich, sollten nur dann stattfinden, »wenn keine Brandgefahr für die Umgebung vorhanden ist«.[29] Diese Anweisung stimmt inhaltlich mit dem Fernschreiben überein, das Gestapo-Chef Müller kurz vor Mitternacht an die ihm unterstellten Dienststellen sandte: »Es werden in kürzester Zeit im ganz Deutschland Aktionen gegen Juden insbesondere gegen deren Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, dass Plünderungen und sonstige besondere Ausschreitungen unterbunden werden können (...) Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20-30.000 Juden im Reiche.«[30] Ähnlich versuchte der Stab des Stellvertreters des Führers kurz vor drei Uhr nachts -- unter ausdrücklicher Berufung auf eine Weisung von »allerhöchster« Stelle, also von Hitler -- die Zerstörungen im kontrollierte Bahnen zu lenken: »Auf ausdrücklichen Befehl allerhöchster Stelle dürfen Brandlegungen an jüdischen Geschäften oder dergleichen auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen erfolgen.«[31] Irving paraphrasiert dieses Telegramm mit den Worten, der Stab Heß habe hiermit versucht, »dem Wahnsinn ein Ende zu machen«, erweckt also den Eindruck, als ob die eindeutig auf eine Begrenzung der Zerstörungen gerichtete Anweisung sich auf die gesamte Aktion vom 9. und 10. November bezöge. Nach Abwägung dieser und zahlreicher weiterer Punkte kam der Richter zu der Schlussfolgerung, Irvings Darstellung der Rolle der NS-Führung bei dem Pogrom »distorts the evidence«. Insbesondere seine Behauptung, Hitler habe alles in seiner Macht stehende getan, um die Gewalt gegen Juden zu verhindern, beruhe auf »misrepresentation, misconstruction and omission of the documentary evidence.«[32] Der Richter befand des weiteren, dass Irvings Darstellung zweier Eintragungen in Himmlers Telefonkalender vom 30. November bzw. dem 1. Dezember 1941 irreführend sei.[33] Diese Eintragungen dienten Irving als wichtige Belege für seine spektakuläre These, Hitler habe den Judenmord nicht gewollt. Im einzelnen geht es dabei um folgenden Sachverhalt: In Hitler's War hatte Irving geschrieben, Himmler sei am 30. November zu einer Besprechung mit Hitler in das Hauptquartier Wolfsschanze zitiert worden, auf der sicherlich über das Schicksal der Berliner Juden gesprochen worden sei. Um 1.30 Uhr sei Himmler veranlasst worden, von Hitlers Bunker aus Heydrich telefonisch den expliziten Befehl durchzugeben, Juden nicht zu liquidieren und am nächsten Tag habe Himmler den SS General Oswald Pohl angerufen, um ihm den Befehl mitzuteilen: »Juden haben zu bleiben, wo sie sind«. Aus dieser Rekonstruktion der Ereignisse zog nun Irving in der Einleitung zu dem Buch die Schlussfolgerung, Hitler habe am 30. November den Befehl gegeben, »die Juden« nicht zu liquidieren.«[34] Tatsächlich findet sich in dem betreffenden Himmler-Telefonkalender über das Gespräch mit Heydrich nur die Eintragung: »Judentransport aus Berlin. Keine Liquidierung«.35 Diese Äußerung bezieht sich auf einen Transportzug mit 1.000 Juden aus Berlin, der die Reichshauptstadt am 27. November 1941 verlassen hatte und am Morgen des 30. November im Riga eintraf. Alle Menschen aus diesem Zug wurden sofort nach der Ankunft erschossen, wie bereits in den Tagen zuvor 5.000 Juden aus dem Reichsgebiet, die ursprünglich nach Riga deportiert werden sollten, aber nach Kowno umgeleitet worden waren. Himmlers Order, die Juden aus dem Berliner Transport nicht an Ort und Stelle zu erschießen, scheint also zu spät gekommen zu sein oder sie wurde ignoriert. In der Tat befand sich Himmler am 30. November in Hitlers Hauptquartier. Es gibt aber keinerlei Hinweis darauf, dass er Himmler [sic. Hitler?] vor seiner für 14.30 Uhr angesetzten Besprechung traf, und wir wissen auch nicht, wo sich in dem weitläufigen Bunkerkomplex das Telefon befand, das Himmler benutzte. Irvings Behauptungen über eine Besprechung Hitler-Himmler um die Mittagszeit des 30. November, bei der das Schicksal der Juden behandelt worden sei, ist also ein reines Phantasieprodukt, ebenso seine Behauptung, Himmler sei veranlasst worden, aus Hitlers Bunker zu telefonieren (so heißt es noch etwas gewunden im Textteil des Buches, im der Einleitung ist dann ganz deutlich von einem Befehl Hitlers die Rede). Außerdem erweckte Irving den Eindruck, es habe sich bei dem Befehl allgemein um »Juden«(Textteil) oder um »die Juden« (Einleitung) gehandelt, während es sich doch eindeutig um einen »Judentransport aus Berlin« handelte.[36] Bei der Telefonnotiz vom 1. Dezember 1941 über das Gespräch mit Pohl ist Irving ein schwerwiegender Lesefehler unterlaufen: Dort ist nicht von Juden die Rede, sondern von »Verwaltungsführern der SS«, die zu bleiben haben, wo sie sind.[31] Irvings Darstellung der Ereignisse vom 30. November und 1. Dezember ist durch die Fachkritik seit langem als vollkommen verzerrt und haltlos bloßgestellt worden.[38] Angesichts dieser Kritik hatte Irving Mitte der achtziger Jahre damit begonnen, von seinem ursprünglichen Standpunkt abzurücken. So hatte er bereits konzediert, dass sich der angebliche Befehl Hitlers nicht auf alle Juden, sondern nur auf einen Transport aus Berlin bezogen habe. Allerdings wiederholte er im der Neuausgabe seines Buches Hitler's War von 1991 die falsche Lesart »Juden haben zu bleiben«.[39] Vor Gericht erweckte Irving den Eindruck, als wolle er sich nur teilweise von seiner Darstellung aus dem Jahre 1977 distanzieren.[40] Es konnte nicht überraschen, dass der Richter zu der Schlussfolgerung kam, dass Irvings ursprüngliche Darstellung der Ereignisse nicht haltbar war.[41] Auch der Hinweis Irvings auf neue Quellenfunde, [above] aus denen hervorgeht, dass Friedrich Jeckeln, der verantwortliche SS-Führer in Riga, wegen der Erschießungen zur Rechenschaft gezogen wurde, weil sie gegen entsprechende Richtlinien des RSHA verstießen,[42] konnte dem Richter nicht davon überzeugen, dass Hitler am 30. November 1941 den Stop der Morde am den europäischen Juden angeordnet hätte. Ferner beschäftigt sich das Urteil mit der Art und Weise, im der Irving eine Reihe von Aussagen Hitlers über die »Judenfrage« in der kritischen Phase vom Herbst 1941 bis Sommer 1912 so zu interpretieren versuchte,dass sie mit seiner These im Übereinstimmung zu bringen seien, Hitler sei bis zum Oktober 1943 nicht über die systematische Vernichtung informiert, ja geradezu ein »Freund der Juden« gewesen. Bei den Dokumenten, um die es in diesem Abschnitt des Urteils ging, handelte es sich -- neben Bemerkungen Hitlers vom 25. Oktober 1941 sowie vom 21. November des gleichen Jahres[43] -- vor allem um Hitlers Rede vor den Reichs- und Gauleitern vom 12. Dezember 1941. In dieser Rede erklärte Hitler laut Tagebuch-Eintragung Goebbels', er sei nun entschlossen, im der »Judenfrage (...) reinen Tisch zu machen. Er hat den Juden prophezeit, dass, wenn sie noch einmal einen Weltkrieg herbeiführen würden, sie dabei ihre Vernichtung erleben würden. Das ist keine Phrase gewesen. Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein. Die Frage ist ohne jede Sentimentalität zu behandeln.«[44] Sechs Tage nach dieser Rede, am 18. Dezember 1941, findet sich im Himmlers Dienstkalender folgender Eintrag über ein Treffen mit Hitler: »Judenfrage/als Partisanen auszurotten«.[45] In einem Brief Himmlers an den Chef des 55-Hauptamtes, Gottlob Berger, heißt es unter dem 28. Juli 1942: »Die besetzten Ostgebiete werden judenfrei. Die Durchführung dieses sehr schweren Befehls hat der Führer auf meine Schultern gelegt.«[46] In seiner zusammenfassenden Bewertung machte der Richter deutlich, Irvings Versuch, diese Aussagen mit seiner These von der Distanz Hitlers zum Judenmord in Übereinstimmung zu bringen, zeichne sich durch a »distinct air of unreality« aus.[47] Für einen Historiker käme es darauf an, Dokumente in ihrem historischen Kontext zu interpretieren, und die einschlägigen Hitler-Äußerungen zum Schicksal der Juden ließen sich nun einmal nicht losgelöst sehen von seinem bekannten Antisemitismus, von der Vorstellung »rassischer Reinheit«, wie sie in der NS-Ideologie vertreten werde oder von der Geschichte der antisemitischen Politik vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Es gehe auch nicht an, Hitlers Zustimmung zur Politik der Deportation und der systematischen Erschießung von jüdischen Zivilisten in der Sowjetunion außer Betracht zu lassen. Das Bild, das Irving seinen Lesern von Hitler und seiner Einstellung gegenüber den Juden gebe, so der Richter abschließend, stünde im deutlichen Widerspruch zur Beweislage.[48] Erheblichen Raum in der Verhandlung nahm die Diskussion über die Tagebucheintragung Goebbels' vom 27. März 1942 ein, die eines der wichtigsten Quellenzeugnisse für das Wissen eines der engsten Mitarbeiter Hitlers über die »Endlösung« dargestellt. Der Text lautet wie folgt: »Aus dem Generalgouvernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die Juden nach dem Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. Im Großen kann man wohl feststellen, dass 60 % davon liquidiert werden müssen, während nur noch 40% in die Arbeit eingesetzt werden können. Der ehemalige Gauleiter von Wien, der diese Aktion durchführt, tut das mit ziemlicher Umsicht und auch mit einem Verfahren, das nicht allzu auffällig wirkt. An den Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf verdient haben. Die Prophezeiung, die der Führer ihnen für die Herbeiführung eines neuen Weltkriegs mit auf den Weg gegeben hat, beginnt sich in der furchtbarsten Weise zu verwirklichen. Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalitäten obwalten lassen. Die Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen arischer Rasse und dem jüdischen Bazillus. Keine andere Regierung und kein anderes Regime könnte die Kraft aufbringen, diese Frage generell zu lösen. Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung, die nach Lage der Dinge geboten ist und deshalb unausweichlich erscheint. Gott sei Dank haben wir jetzt während des Krieges eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären. Die müssen wir ausnutzen. Die in den Städten des Generalgouvernements freiwerdenden Ghettos werden jetzt mit den aus dem Reich abgeschobenen Juden gefüllt, und hier soll sich dann nach einer gewissen Zeit der Prozess erneuern. Das Judentum hat nichts zu lachen (...).«[49] In der 1977er Ausgabe von Hitler's War referiert Irving diesen Eintrag im einem Halbsatz, ohne jedoch auf Einzelheiten einzugehen. Er behauptet sodann, Goebbels habe Hitler über sein Wissen im unklaren gehalten, denn zwei Tage später, so Irving, habe sich Goebbels über ein Treffen mit Hitler lediglich dessen Bemerkung notiert: »Die Juden müssen aus Europa heraus, wenn nötig unter Anwendung brutalster Mittel.«[50] Diese Darstellung wurde durch den Richter, der hier wiederum dem Gutachter Evans folgte, als irreführend und durch die begleitenden Umstände nicht gedeckt bezeichnet.[51] Dass die entscheidende Initiative von Hitler ausging, und nicht von Goebbels, macht sowohl die Bemerkung des Propagandaministers vom 27. März über Hitler als »unentwegter Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung« deutlich, aber auch der von Goebbels hergestellte Bezug zu seiner »Prophezeiung« vom 30. Januar 1939 [s. VB 31.1.1939 rechts]. Die Darstellung von Irving war auch schon deswegen nicht haltbar, da das Treffen Goebbels' mit Hitler nicht, wie Irving behauptete, am 29. März stattfand, sondern bereits am 19. März, also vor der entscheidenden Tagebucheintragung von Goebbels. Nach Auffassung des Richters war es gerade Irvings Behandlung des sogenannten »Schlegelberger-Dokuments« -- von ihm stets als ein Schlüsseldokument für die These von der Unschuld Hitlers am Judenmord dargestellt -- die ein »important light on the quality of his historiography« warf.[52] In dieser Notiz hat vermutlich ein Beamter des Justizministeriums vermerkt, möglicherweise der Staatssekretär Franz Schlegelberger selbst, der Chef der Reichskanzlei, [Reichsminister Dr Hans] Lammers habe zu ihm gesagt, »der Führer habe ihm gegenüber wiederholt mitgeteilt, dass er die Lösung der Judenfrage bis nach dem Kriege zurückgestellt wissen wolle. Demgemäß haben die gegenwärtigen Erörterungen nach Meinung von Herrn Reichsminister Lammers lediglich theoretischen Wert. Er werde aber auf alle Fälle dafür besorgt sein, dass nicht durch einen überraschenden Vortrag von anderer Seite ohne sein Wissen grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden.[53] Die Notiz ist undatiert und nicht unterschrieben, Datierung und Autorenschaft sind auch nicht annähernd zweifelsfrei zu bestimmen. Es kann vom Frühjahr 1942 stammen, wie Irving vorschlägt, aber auch früheren Datums sein, möglicherweise aus dem Jahre 1941. Das Schriftstück gibt den Informationsstand von Lammers wieder, es wird aber nicht gesagt, wann dieser die entsprechende Information von Hitler erhalten habe (und man kann natürlich auch die Möglichkeit nicht ausschließen, das Lammers den Autor der Notiz falsch informiert hat). Datiert das Schriftstück aus dem Zeitraum vor der Wannseekonferenz (20. Januar 1942), dann hat die Information, Hitler wolle die »Lösung der Judenfrage« auf das Kriegsende verschieben, keine besondere Bedeutung. Datiert man es aber tatsächlich auf den Zeitraum Februar bis April 1942 und nimmt an, dass es sich um den aktuellen und akkurat wiedergegebenen Informationsstand von Lammers handelt, dann stellt sich die Frage, was die Bedeutung der Formulierung »Lösung der Judenfrage« sein könnte. Es spricht einiges dafür, dass damit die Frage der »jüdischen Mischlinge« gemeint sein könnte, die ja auch nach der Wannseekonferenz noch nicht entschieden war und Gegenstand der Beratungen zwischen den zuständigen Ministerien (einschließlich das der Justiz) bildete. Wenn man sich aber der Interpretation Irvings anschließt, dass damit die »Endlösung« der gesamten »Judenfrage« gemeint war, dann besteht ein offener Widerspruch zum Protokoll der Wannseekonferenz Denn hierin bekundete Heydrich zwar implizit, dass sich das gesamteuropäische Deportationsprogramm vollständig erst in der Zeit nach Kriegsende durchführen lasse, es brachte aber gleichzeitig zum Ausdruck, wann dieses Programm beginnen sollte: Sobald die militärische Situation es erlaube, das heißt also voraussichtlich im kommenden Frühjahr. Ebenso aber müsste Irving angesichts seiner Deutung des Dokuments erklären, wie diese angebliche Aussage Hitlers sich zu der Tatsache verhält, dass im Mai, Juni und Juli die Massenmorde auf ganz Polen, die Slowakei, das Reichsgebiet und Westeuropa ausgedehnt wurden, die Ermordung der Juden also nun in vollem Umfang einsetzte.[54] In jedem Fall lässt das Dokument breiten Interpretationsspielraum. Was der Richter aber kritisierte, war die Entschiedenheit, mit der Irving auf seiner Interpretation beharrte und alle anderen Deutungen vernachlässigte; ferner seine Weigerung, den Kontext zu den wenige Monate später beginnenden europaweiten Deportationen herzustellen.[55] Ein weiteres Dokument, dass im Prozess eine erhebliche Rolle spielte, war ein Protokoll eines Treffens zwischen Hitler, dem Reichsaußenminister Ribbentrop und dem ungarischen Staatschef Horthy am 17. April 1943 auf Schloss Kleßheim, bei dem die beiden deutschen Politiker eindeutige antisemitische Erklärungen abgaben: »Auf die Gegenfrage Horthys, was er denn mit den Juden machen sollte, nachdem er ihnen so ziemlich alle Lebensmöglichkeiten genommen habe -- erschlagen könne er sie doch nicht -- erklärte der Reichsaußenminister, dass die Juden entweder vernichtet oder in Konzentrationslager gebracht werden müssten. Eine andere Möglichkeit gäbe es nicht.« Unmittelbar nach diesem Statement seines Außenministers brach Hitler in eine antisemitische Hasstirade aus: »Wo die Juden sich selbst überlassen wären, wie z. B. in Polen, herrsche grausames Elend und Verkommenheit. Sie seien eben reine Parasiten. Mit diesen Zuständen habe man in Polen gründlich aufgeräumt. Wenn die Juden dort nicht arbeiten wollen, würden sie erschossen. Wenn sie nicht arbeiten könnten, müssten sie verkommen. Sie wären wie Tuberkilbazillen zu behandeln, an denen sich ein gesunder Körper anstecken könne. Das wäre nicht grausam, wenn man bedenke, dass sogar unschuldige Naturgeschöpfe wie Hasen und Rehe getötet werden müssten, damit kein Schaden entstehe. Weshalb sollte man die Bestien, die uns den Bolschewismus bringen wollten, mehr schonen? Völker, die sich der Juden nicht erwehren, verkämen.« In seiner Darstellung dieses bemerkenswerten diplomatischen Gesprächs verfuhr Irving in Hitlers' War wie folgt: Zunächst verbannte er die Äußerung Ribbentrops in eine Fußnote und unterbrach damit den sehr entlarvenden Fluss des Protokolls. Den Ausbruch Hitlers rahmte Irving mit einem Kommentar ein, der erklären sollte, dass Hitlers Wut auf die polnischen Juden erklärbar sei: Sie verübten Morde und Sabotage und wären in Warschau dabei, einen bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Allerdings findet sich in Hitlers Äußerung gegenüber Horthy nichts von dem; was nicht verwunderlich ist, denn der Warschauer-Ghetto-Aufstand begann auch erst zwei Tage nach dem Gespräch, am 19. April. Dem fügte Irving, ohne dies kenntlich zu machen, eine Passage aus dem Gespräch Hitlers mit Horthy vom Vortag an. In der 1991er Ausgabe seines Buches änderte Irving diese Passage. Er gab nun an, dass der Hassausbruch Hitlers vor dem Hintergrund der sowjetischen Morde von Katyn und dem alliierten Bombenkrieg gegen Deutschland zu verstehen sei. Der Richter kam zu der Schlussfolgerung, dass Irvings Darstellung, insbesondere seine Vermischung der beiden Protokolle, eine pervertierte Wiedergabe des Gespräches sei. Ferner standen im Verfahren drei Reden zur Debatte, in denen sich Himmler im Zeitraum Herbst 1943 bis Frühjahr 1944 vor einem großen Zuhörerkreis offen zur Ermordung der Juden und zur Verantwortung für dieses Verbrechen äußerte.[56] So sagte er in einer Rede vor den Reichs- und Gauleitern vom 6. Oktober 1943 unter anderem: »Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? -- Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten -- sprich also, umzubringen oder umbringen zu lassen und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es musste der schwere Entschluss gefasst werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag durchführen musste, war es der schwerste, den wir bisher hatten.«[57] Während Himmler hier den Eindruck erweckt, die Entscheidung, Frauen und Kinder umzubringen, sei maßgeblich durch ihn erfolgt (er bezog sich hier offensichtlich auf den Spätsommer und Herbst 1941, als die Erschießungen in den besetzten sowjetischen Gebieten auf Juden beiderlei Geschlechts und jeden Alters ausgedehnt wurden), spricht er am Ende dieses Absatzes von einem »Auftrag«, den »wir«, also die SS, zu erfüllen hatte. Da Himmler als Reichsführer SS nur einen Vorgesetzten hatte, Adolf Hitler, ist für seine Zuhörer klar, dass sein Vorgehen durch die höchste Autorität im NS-Staat gedeckt war. Noch deutlicher wurde Himmler bei zwei weiteren Reden, die er am 5. und am 24. Mai 1944 im Rahmen eines weltanschaulichen Schulungskursus vor hohen Offizieren der Wehrmacht hielt. .Nun sprach er von einem Befehl, den er und die SS auszuführen hatten: »Die Judenfrage ist in Deutschland und im allgemeinen in den von Deutschland besetzten Ländern gelöst. Sie wurde entsprechend dem Lebenskampf unseres Volkes, der um die Existenz unseres Blutes geht, kompromisslos gelöst (...). Sie mögen mir nachfühlen, wie schwer die Erfüllung dieses mir gegebenen soldatischen Befehls war, den ich befolgt und durchgeführt habe aus Gehorsam und vollster Überzeugung. Wenn Sie sagen: 'Bei den Männern sehen wir das ein, nicht aber bei Kindern', dann darf ich an das erinnern, was ich in meinen ersten Ausführungen sagte.«[58] Und in der Rede vom 24. Mai 1944 heisst es: »Eine andere Frage, die maßgeblich für die innere Sicherheit des Reiches und Europa war, ist die Judenfrage gewesen. Sie wurde nach Befehl und verstandesmäßiger Erkenntnis kompromisslos gelöst.« Himmler fuhr fort: »Ich habe mich nicht für berechtigt gehalten -- das betrifft nämlich die jüdischen Familien und Kinder -- in den Kindern die Rächer groß werden zu lassen, die dann unsere Väter und Enkel umbringen. Das hätte ich für feige gehalten. Folglich wurde die Frage kompromisslos gelöst.«[59] In dieser Passage bekannte Himmler aber erneut, wie in der Rede vom 6. Oktober, dass die Entscheidung zur Ermordung von Frauen und Kindern auf seine eigene Initiative zurückging, aber selbstverständlich im Rahmen einer umfassenden Aufgabenstellung, die ihm von höchster Stelle erteilt worden war. Man könnte im übrigen noch eine weitere ähnliche Äußerung Himmlers vom 21. Juni 1944 anfügen, die er ebenfalls im Rahmen eines weltanschaulichen Schulungskurses machte: »Es war die furchtbarste Aufgabe und der furchtbarste Auftrag, den eine Organisation bekommen konnte: der Auftrag, die Judenfrage zu lösen.«[60] Irving versuchte, diese eindeutigen Aussagen zu umgehen, indem er in der ersten Auflage von Hitler's War die Behauptung aufstellte, die inkriminierende Passage vom 5. Mai sei in dem Redemanuskript, das Himmler Hitler vorlegte, möglicherweise nicht enthalten gewesen.[61] Himmler, der eigentliche Verantwortliche für die Morde, habe also die Schuld auf Hitler abgeladen, ihn also hintergangen -- und dies vor Dutzenden von hochrangigen Zeugen! In der späteren Auflage des Buches erwähnt Irving die Äußerungen Himmlers vom 5. Mai ganz einfach nicht mehr. Was die beiden Reden vom 6. Oktober und vom 24. Mai anbelangt, so versucht er den Eindruck zu erwecken, Himmler habe die Gesamtverantwortung für die Morde übernommen. Der Richter kam hier zu der eindeutigen Schlussfolgerung, dass Irvings Umgang mit der sich aus diesen Reden ergebenden Evidenz weder fair noch objektiv sei. Die Behauptung Irvings, die einschlägige Manuskriptseite der Ansprache vom 5. Mai sei ausgewechselt worden, wies er als »phantasiereich« zurück; das Fehlen der Rede vom 5. Mai 1944 sei eine »schuldhafte Auslassung«.[62] Aus alledem zog der Richter am Endes dieses Abschnitts des Urteils folgende Schlussfolgerung: »Irving treated the historical evidence in a manner which fell far short of the standard to be expected o fa conscientious historian. Irving in those respects misrepresents and distorted the evidence which was availabe to him.«[63]
b) Hitlers Rolle Im nächsten Abschnitt des Urteils hatte der Richter die Frage zu beantworten, wie Hitlers Haltung gegenüber den Juden einzuschätzen und wie sein Wissen und seine Verantwortung für die Politik der Vernichtung zu bewerten sei. Zunächst befasste sich der Richter mit der Frage nach dem Antisemitismus Hitlers. Irving hatte während des Verfahrens eingestanden, dass Hitler vor 1933 ein rabiater Antisemit gewesen sei, jedoch dabei in erster Linie taktische Motive verfolgt habe; nach 1933 habe er jedoch das Interesse an dem Thema verloren, vom den er sich keine weiteren Vorteile mehr versprach.[64] Diese Argumentation, so der Richter, sei angesichts der in dem Gutachten über Hitlers Rolle im Rahme der Judenverfolgung aufgeführten Belege »hopeless«, auf eine weitere Erörterung dieses Punktes verzichtete er.[65] Im Anschluss hieran wandte sich der Richter dem entscheidenden Punkt zu, wie Hitlers Haltung gegenüber den Juden im Zeitraum nach 1941 zu bewerten sei. Da Irving im Zuge der Verhandlung im Kern die Aussagen der Gutachter Browning und Longerich über das Ausmaß und die Systematik der Erschießungen von jüdischen Zivilisten in der Sowjetunion akzeptiert und konzediert hatte, die Zahl der Opfer könnte bis 1,5 Millionen betragen, konzentrierte sich die gesamte weitere Diskussion auf Hitlers Wissen um diese Vorgänge.[66] Diese konnten aber dokumentarisch eindeutig nachgewiesen werden,[67] so dass Irving schließlich auch in diesem Punkt einräumen musste, dass Hitler die Massenmorde von Juden im Osten sanktioniert habe, wie der Richter eindeutig feststellte.[68] Damit kam der Richter zu der klaren Schlussfolgerung, Irvings wiederholte öffentliche Darstellung, die Erschießungen in der Sowjetunion seien zufällig, nicht autorisiert und auf Initiative einzelner Kommandeure oder Einheiten zustande gekommen, als »misrepresenting the historical evidence«.[69] Ebenso konzedierte Irving angesichts der vorgelegten Beweise die Tatsache, dass Juden ab Ende 1941 in großer Zahl (auch wenn er sich hier nicht präzise festlegen lassen wollte) in Gaswagen ermordet wurden.[70] Er bestritt auch nicht die Existenz des Vernichtungslagers Chelmno, einer Gaswagenstation.[71] Der nächste zu klärende Hauptpunkt waren die Vorgänge in den Vernichtungslagern, wobei die Prozessparteien sich einig waren, den Komplex Auschwitz zunächst zurückzustellen. Der Richter kam zu der Schlussfolgerung, dass die historischen Beweise für die Ermordung von Hunderttausenden von Menschen in den Lagern Chelmno, Belzec, Sobibor und Treblinka sowie in Semlin (bei Belgrad) überwältigend seien.[72] Der Richter unterzog sich der Mühe, diese Beweise dokumentarischer und demographischer Natur sowie Augenzeugenberichte in insgesamt 31 Punkten zusammenfassend zu referieren.[73] Irving unternahm nicht einmal besondere Anstrengungen, um diesen Teil der Geschichte der Ermordung der europäischen Juden in Frage zustellen. Im Prinzip gestand er zu, dass in den Vernichtungslagern in großem Umfang und systematisch mit Hilfe von Gas gemordet worden war.[74] Irvings »Zweifel« bezogen sich indessen auf das Ausmaß der Morde und insbesondere auf die Frage der Rolle und Verantwortung Hitlers. Seine Position wurde durch die Tatsache, dass er nach dem Eindruck des Richters in der Verhandlung bereits Hitlers zentrale Rolle für die systematischen Erschießungen im Osten konzediert hatte, nicht gerade erleichtert.[75] Andererseits hatte Irving stets behauptet, dass Hitler bis zum Oktober 1943 über das gesamte Ausmaß des europaweiten Mordens, insbesondere über die Vernichtungslager, nicht informiert gewesen sei; der Genozid sei hinter seinem Rücken geplant und durchgeführt worden.[76] Irvings Argumentation beruhte zu einem erheblichen Teil darauf, dass ein schriftlicher Befehl Hitlers zur systematischen Ermordung der europäischen Juden nicht vorliegt. Der Richter wandte jedoch ein, dass man angesichts der großen Geheimhaltung des gesamten Mordprogramms auch nicht erwarten könne, ein solches Dokument zu finden.[77] Auch die Tatsache, dass Hitler nach Beginn des Mordprogramms immer noch von der Absicht gesprochen habe, die Juden nach Madagaskar oder an einen anderen Ort außerhalb Europas zu deportieren, beeindruckte den Richter nicht sonderlich, da das Prinzip der Geheimhaltung nun einmal eine Tarnsprache notwendig mache.[78] Wiederum breitete der Richter über zahlreiche Seiten eine Zusammenfassung des ihm vorliegenden historischen Materials aus,[79] um dann zu der Schlussfolgerung zu kommen, es gebe substantielle, wenn nicht vollkommen unwiderlegbare Beweise dafür, dass Hitler nicht nur über die Morde in den Vernichtungslagern unterrichtet war, sondern dass er hierzu befragt worden sei und den Massenmord gutgeheißen habe.[80] Neben einzelnen Quellenaussagen stutzt sich der Richter dabei auf die Überlegung, dass es einfach irreal wäre sich vorzustellen, Himmler habe eine Operation diesen Ausmaßes ohne die Zustimmung Hitlers begonnen. Diese Überlegung werde durch verschiedene Eintragungen in Himmlers Dienstkalender gestützt, die zeigten, dass die »Judenfrage« bei den häufigen Treffen der beiden Männer eine Rolle spielte.[81]
c) Auschwitz
Während Irving zu Prozeßbeginn in seinem witness statement[82] nicht von seinen früheren Aussagen abrückte, es habe in Auschwitz keine Gaskammern gegeben habe, modifizierte er seine Position während des Prozesses: Danach habe in Auschwitz eine Gaskammer existiert, allerdings lediglich für die Entwesung von Kleidung. Er räumte allerdings auch ein, dass im Lager auch Juden »on some scale« durch Gas ermordet worden seien.[83] Nach Würdigung der durch den Gutachter van Pelt vorgetragenen Argumente kam der Richter zu der Schlussfolgerung, dass die »Konvergenz« der vorgelegten Beweisstücke eindeutig zeigte, dass Hunderttausende von Menschen in Auschwitz durch Zyklon B getötet wurden. Zwar seien einige der von Irving vorgebrachten Zweifel an bestimmten Zeugenaussagen und Dokumenten nicht vollkommen von der Hand zu weisen,[84] doch sei der »kumulative Effekt« der verschiedenen Kategorien von Beweisen erheblich.[85] Der Richter würdigte dabei insbesondere folgende Dokumente:
Der Richter beschäftigte sich sodann eingehend mit den Zweifeln von Irving an diesen in eindeutiger Weise »konvergierenden« Beweisen. Irving selbst hatte in seinem Kreuzverhör zugegeben, dass der von ihm zu einem früheren Zeitpunkt gelobte »Leuchter Report« fundamentale Fehler aufweise.[95] Ohne Kommentar: Unter dem »Trummerhaufen«: Krema II Irving hatte daher im Prozess versucht, an einer anderen angeblichen Schwachstelle in der Auschwitz-Forschung einzuhaken: Die Tatsache nämlich, dass die Löcher, durch die die Kanister mit dem tödlichen Zyklon B durch die Decke des Krematoriums II in die Gaskammer geworfen wurden, heute nicht mehr eindeutig nachweisbar sind:[96] Auf den Luftaufnahmen, die die amerikanische Luftwaffe während des Kriegesmachte, sind zwar einige Punkte auf dem Dach des Krematoriums II zu sehen, die aber nicht vollkommen eindeutig zu interpretieren sind; in dem Trümmerhaufen, den das 1944 gesprengte Krematorium II heute darstellt, sind sie erst recht nicht mehr zu erkennen. Niemand weiß, ob die Löcher, die ein besonderes und verräterisches Charakteristikum des Gebäudes darstellten, nicht vor der Sprengung zubetoniert wurden. Ein solches Verfahren würde jedenfalls zu der Politik der SS passen, sämtliche Spuren des Vernichtungsprozesses nach Möglichkeit zu tilgen. Die Argumentation Irvings, die Löcher seien nie vorhanden gewesen, ist schon auf den ersten Blick recht eigenartig. Denn erstens schob er die Entdeckung der fehlenden Löcher erst 1998 nach, also lange nachdem er damit begonnen hatte, die Existenz von Gaskammern in Auschwitz in Abrede zu stellen. Außerdem erweckte er während des Prozesses zeitweise den Anschein, als ob er die Existenz einer Kammer zur Entwesung von Kleidung mit Hilfe von Zyklon B zugäbe (so jedenfalls der Eindruck des Richters[97]). Vor allem aber verfolgte Irving im Prozess die Taktik, sich ganz auf die angeblich nie vorhandene Gaskammer in Krematorium II einzuschießen, während er die von van Pelt in seinem Gutachten breit dargestellte Baugeschichte der Gaskammern in den Krematorien I, III, IV und V sowie in den beiden provisorischen »Bunkern« weitgehend vernachlässigte. Da diese Argumentation prozesstaktisch sinnlos war, muss man wohl zu der Schlussfolgerung kommen, dass es Irving hier ganz darauf ankam, im Kreuzverhör van Pelts bestimmte publikumswirksame Effekte zu erzielen -- was ihm tatsächlich nicht gelingen sollte. Im Gegenteil, die Argumentation Irvings wurde in diesem Punkte besonders gut durchschaubar: Keine sichtbaren Löcher -- also hat es die Löcher nicht gegeben; wenn es die Löcher nicht gab, gab es in Krematorium II keine Gaskammer; wenn es im Krematorium II keine Gaskammer gab, gab es auch im gesamten Auschwitz-Komplex keine solche Anlagen; ohne die Todesfabrik Auschwitz kein Holocaust. Nach sorgfältiger Abwägung aller Beweise kam Richter Gray jedoch zu der eindeutigen Schlussfolgerung, dass der »kumulative Effekt« der ihm vorgelegten Beweise, d. h. in erster Linie die im Kern übereinstimmenden Augenzeugenberichte, für die Existenz von Einwurflöchern in der Decke von Krematorium II sprechen würde.[98] Ebenso wies der Richter das Argument von Irving zurück, das Krematorium II hätte eventuell als Luftschutzkeller gedient.[99] Der Richter weigerte sich auch, Irvings Berechnung einer gewaltigen und nirgendwo nachweisbaren Koksmenge für Auschwitz nachzuvollziehen. Er ließ sich stattdessen von van Pelt überzeugen, dass bei kontinuierlichem Betrieb lediglich 10% der Menge Koks verbraucht werde, die die in einem Krematorium normal übliche Einzelverbrennung einer Leiche erfordere.[100]
Der Spruch des Richters
Schließlich hatte der Richter die entscheidende Frage zu beantworten, ob man Irving als »Holocaust denyer« bezeichnen könne, wobei er die von Evans eingeführte Definition (die Irving nicht bestritten hatte) zugrunde legte.[101] Danach ist also ein »Holocaust denyer«, wer mehrere der folgenden Behauptungen verbreitete:
Zur Beantwortung der Frage nach Irvings Haltung zur Ermordung der europäischen Juden hatte der Richter eine größere Anzahl von Statements Irvings, die dieser bei seinen öffentlichen Auftritten in den USA, Kanada, Australien, Deutschland und anderswo abgegeben hatte, zusammengetragen und nach den vier genannten Kategorien (Gaskammern, systematischer Charakter der NS-Politik, Zahl der Opfer, Erfindungen der Alliierten) geordnet.[103] Bei der Aneinanderreihung dieser Zitate zeigte sich, dass Irving sich bei seinen öffentlichen Auftritten vor meist rechtsradikalem Publikum weitaus drastischer und unverblümter geäußert hatte, als in seinen Büchern. Eine Kostprobe aus diesem Zitatenschatz erübrigt sich daher auch. Der Richter stellte sodann klar, dass jemand, der nur bestimmte Aspekte des Holocaust leugne, deswegen nicht einfach ein »Holocaust denyer« sei. Auch habe er die Tatsache zu berücksichtigen, dass Irving bei seinen öffentlichen Ansprachen sich eines »vivid und colourful style« bediene.[104] Aber auch wenn man alles dies berücksichtige, so sei doch das Ergebnis vollkommen eindeutig: »Irving qualifies as a Holocaust denyer«[105] Insbesondere habe Irving immer wieder die Existenz von Gaskammern geleugnet, und zwar in denkbar anstößiger Weise.[106] Aber auch seine Äußerungen über die Erschießungen von jüdischen Zivilisten, seine Versuche, die Opferzahlen herunterzurechnen und seine Behauptung, die Gaskammern seien eine britische Propagandalüge, seien als Anstrengungen zu werten, den Holocaust zu verharmlosen.[107] Aus dem bisher gesagten folgere aber nun, dass diese Äußerungen Irvings sachlich nicht fundiert, ja eindeutig falsch seien. Aus den dem Gericht vorliegenden Äußerungen Irvings[108] ergebe sich außerdem eindeutig, dass Irving Antisemit sei: Seine Äußerungen richteten sich »against Jews, either individually or collectively, in the sense that they are by turns hostile, critical, offensive and derisory in their references to semitic people«. Der Richter setzte sich sodann mit verschiedenen Erklärungen auseinander, die Irving für seine antijüdischen Äußerungen angeboten hatte: Er habe nur die Ursachen des Antisemitismus erklären wollen bzw. er sei selbst Angriffen von jüdische Seite ausgesetzt gewesen.[109] Der Richter machte klar, dass er diese »Erklärungen« nicht akzeptieren könne; die Stoßrichtung der entsprechenden Äußerungen Irvings sei zu eindeutig. Der Richter ließ auch keinen Zweifel daran, dass Irving aufgrund verschiedener Äußerungen als Rassist bezeichnet werden könne.[110] Sodann ging der Richter näher auf Irvings Verbindungen mit Personen und Organisationen der rechtsradikalen Szene ein, vor allem in Deutschland und den Vereinigten Staaten,[111] so insbesondere auf Irvings wiederholte Auftritte bei Veranstaltungen der NPD und der DVU, seine langjährige Beziehung zu dem »revisionistischen« »Institute of Historical Review« sowie seine Kontakte zur amerikanischen »National Alliance«, einer neonazistischen Organisation. Aus Irvings einschlägigen Kontakten mit dieser Szene zog der Richter die Schlussfolgerung, er sei »a right-wing pro-Nazi polemicist«.112 Schließlich befasste sich der Richter noch mit Irvings Darstellung der Zerstörung Dresdens. Nach einer sorgfältigen Abwägung der vorgetragenen Dokumente und Beweise kam er zu der Bewertung, dass Irvings noch in den neunziger Jahren wiederholt aufgestellte Behauptung, die Zahl der Toten habe über 100.000 gelegen, »lacked any evidential basis and were such as no responsible historian would have made.«[113] In einigen untergeordneten Punkten gab der Richter Lipstadt nicht recht: Die angebliche Entwendung von Originalen der Goebbels-Tagebücher aus einem Moskauer Archiv war nicht zu beweisen. Ebenso hatte die Verteidigung Lipstadts von vorneherein darauf verzichtet, den Nachweis zu führen, Irving sei 1992 als Sprecher einer anti-zionistischen Konferenz in Schweden vorgesehen gewesen. Die Verteidigung hatte auch nicht versucht, Lipstadts Behauptung zu untermauern, Irving habe ein Selbstporträt Hitlers über seinem Schreibtisch hängen. Allerdings stellte der Richter klar, dass diese Punkte für die Beurteilung der Frage, ob Lipstadt die Reputation Irvings als Historiker beschädigt habe, irrelevant seien.[114] Schließlich und endlich hatte der Richter zu entscheiden, ob die Behauptung Lipstadts zuträfe, Irving habe die nun zur Genüge bewiesenen Verfälschungen und Verzerrungen aus ideologischen Motiven absichtlich begangen, weil er ein Verteidiger bzw. Parteigänger von Hitler sei, und weil er versucht habe, diesen zu entlasten. Dieser Punkt war für das Ergebnis des Prozesses entscheidend. Wäre der Richter zu der Schlussfolgerung gekommen, Irvings »Irrtümer« seien »unschuldig« gewesen, also einfache Fehler oder Missverständnisse, hätte er die Aussagen Lipstadts als verleumdend zurückweisen, also der Klage Irvings stattgeben müssen.[115] Indem er noch einmal eine kurze Zusammenschau der vor Gericht nachgewiesenen Fehlleistungen Irvings bot, stellte der Richter fest, dass alle diese Fehler in die gleiche Richtung wiesen: Sie dienten dazu, Hitler zu entlasten und sie reflektierten Irvings Parteilichkeit.[116] Es sei offensichtlich, dass Irving das historische Beweismaterial so manipuliere bzw. falsch wiedergebe, dass es zu seinen eigenen vorgefassten Meinungen passe.[117] Es sei ferner offenkundig, dass Irving bei der Bewertung des historischen Materials doppelte Standards anlege, also die Authentizität unwillkommener Dokumente und Zeugenaussagen (insbesondere von Überlebenden) infrage stelle, jedoch fragwürdige Quellen und persönliche Berichte dann leichtfertig akzeptiere, wenn sie seine Sichtweise unterstützten.[118] Aus alledem folgte der Urteilsspruch: Der beklagten Seite war Recht zu geben.[119]
Nach dem Prozess Ein Mammutprozess wie das Londoner Verfahren, ein Großereignis im komplizierten Dreiecksverhältnis von Jurisprudenz, Geschichtswissenschaft und publizierter Meinung, lädt ein zum Nachdenken über eine ganze Reihe von Punkten. Dazu gehört natürlich insbesondere die Frage, was die Konsequenzen des Urteils in Bezug auf die sogenannten »Revisionisten« und den Umgang mit ihnen sein werden. Für Irving jedenfalls bedeutet das Urteil (abgesehen von der Tatsache, dass er im Prinzip die Kosten der Gegenseite zu tragen hat) einen drastischen Verlust an Reputation. Der Vorwurf unredlicher Arbeitsweise trifft einen Autor, der einst davon lebte, in breiten Schichten historisch interessierter Leser Anerkennung zu genießen. Das Urteil ist nicht, wie Irving glauben machen will, der Höhepunkt einer internationalen Kampagne sinistrer Kräfte gegen ihn, sondern das vorläufige Ende einer sich über zwei Jahre hinziehenden Selbstdemontage, ein langwieriger Prozess, dessen wichtigste Stationen sein Versuch einer Exkulpation Hitlers in seiner Biographie aus dem Jahre 1977 und seine Anerkennung des »Leuchter-Reports« im Jahre 1988 bildeten. Der Verlust an Reputation mag für Irving in gewisser Weise durch die erhebliche Publicity aufgewogen werden, die ihm der Fall bescherte. Sein Kalkül, möglichst während jedes Verhandlungstages eine schlagzeilenreife Zeile über den Holocaust zu servieren, die so ungeheuerlich war, dass sie das Interesse der Pressebank erregen musste, erwies sich dabei zunächst als erfolgreich -- bis dann die Journalisten das Interesse nach und nach verloren. Kompensieren konnte er dies zum Teil durch seine gut gemachte Internet-Seite, in die er zahlreiche Prozessdokumente einstellte und die so für viele, die den Prozess verfolgten, eine unersetzbares Informationsquelle schuf. Zu verhindern war diese Publicity nicht. Sie wäre auch dann eingetreten, wenn Lipstadts Verteidigung weniger aufwendig erfolgt wäre und sie wäre erst recht hereingebrochen, wenn man sich außergerichtlich geeinigt hätte und Irving somit die Gelegenheit gegeben hätte, über den Rückzug der Gegenseite zu triumphieren. Publicity ist seit fast vier Jahrzehnten der Motor des Einmann-Unternehmens David Irving, der sich von einer Sensation zu nächsten hangelt und dabei auch in Kauf nimmt, empfindliche Niederlagen zu erleiden. Ob der Gewinn an Publicity den Reputationsverlust aufwiegen kann, ob der drohende endgültige Verlust an Respekt beim breiten Leserpublikum durch die hohe Präsenz im Sensationsjournalismus und durch eine Märtyrerrolle innerhalb der extremen Rechten aufgewogen werden kann, erscheint fraglich. Immerhin wurde Irving, sicherlich der intelligenteste und kenntnisreichste Autor im Lager der »Revisionisten«, während des Prozesses gezwungen, so erhebliche inhaltliche Konzessionen zu machen, die ihn nun eigentlich wiederum vom Lager der wirklich rabiaten Holocaust-Leugner trennen müssten. In der öffentlichen Meinung Großbritanniens herrscht nach dem Prozess Übereinstimmung darüber, dass damit zugleich jeder weiteren Diskussion um die Einführung einer Rechtsvorschrift gegen das Leugnen des Holocaust der Boden entzogen ist. Das britische Verfahren, mit dieser Problematik fertig zu werden, hat sich ganz offensichtlich als überlegen erwiesen: Formal bleibt der gesamte Komplex der öffentlichen Meinungsbildung überlassen, dem revisionistischen Diskutanten jedoch wurde der juristische Ehrenschutz verweigert, und zwar mit einer expliziten Begründung, die seine Position vollkommen ramponiert hat. Diese Haltung gegenüber dem Phänomen des Holocaust-Leugnens steht im deutlichen Gegensatz zu der auf Repression, auf Verbote und Strafen setzenden deutschen Politik, und es erscheint gerade im Lichte verstärkter deutscher Anstrengungen zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus in Deutschland reizvoll, die Rechtskultur und die politische Kultur beider Länder miteinander zu vergleichen. Für die Historiografie, die sich mit dem Holocaust beschäftigt, bedeutet der Prozess wohl keine Zäsur. Zwar trug das Londoner Verfahren dazu bei, eine Reihe von Buchprojekten auf den Weg zu bringen, doch die beteiligten Historiker waren ja nicht gefordert, Grundlagenforschung zu betreiben, sondern hatten in erster Linie den an sich bekannten Forschungsstand vor Gericht auszubreiten. Für den Historiker war es faszinierend zu sehen, dass die Debatten im Gerichtssaal sich immer wieder bestimmten Schlüsseldokumenten zuwandten: In stundenlangen Diskussionen ging es, teilweise fast in der Art eines quellenkritischen Seminars, um Auswahl, Authentizität, Datierung, Urheberschaft, Übersetzung und Auslegung der einschlägigen Quellen. Im Hintergrund der Debatte standen deutlich sichtbar Grundfragen der Historiographie: Etwa das Verhältnis von Fakten und Interpretation, die Herstellung von Kausalitäten, die Angemessenheit sprachlicher Darstellungen und nicht zuletzt der Anspruch der Historiker, in ihren Texten ein wahrheitsgetreues Abbild vergangener Ereignisse zu liefern. Dass dieser Wahrheitsanspruch keineswegs unterschiedliche Interpretationen ausschließt, wurde ebenfalls deutlich: Die Gutachter waren sich durchaus nicht in allen Fragen vollkommen einig, sie stellten aber klar, dass solche Interpretationsunterschiede Teil eines nachvollziehbaren argumentativen Prozesses sind. Deutlich wurde im Prozess vor allem, dass historiographische Darstellungen -- im Unterschied zu fiktionalen Texten -- nicht beliebige Narrationen sind, in erster Linie bestimmt durch den Einfallsreichtum des Autors, dem es freisteht, die reichlich vorhandenen Quellen wie einen Steinbruch zu benutzten, um den einmal festgelegten Plot seiner Geschichte zu illustrieren. Dargelegt werden konnte vielmehr, dass sich ein historiographischer Text vor allem durch eine Reihe von Merkmalen auszeichnet, die die Geschichtsschreibung als Genre konstituiert und die Professionalität des Historikers ausmacht: Die Aussagen historiographischer Texte beruhen stets auf Dokumenten, deren Auswertung muss aber unter strikter Beachtung einer Reihe von Grundregeln erfolgen (wie etwa Vollständigkeit, Rekonstruktion des historischen Kontextes, Einheitlichkeit der Bewertungsmaßstäbe etc.); die Geschichte, die erzählt wird, muss kohärent sein, und sie muss so transparent dargelegt werden, dass sie einer intersubjektiven Überprüfung standhalten kann. Die Arbeit des Klägers an diesen professionellen Maßstäben zu messen -- dies war der Kern des Londoner Verfahrens.
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