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Berlin, Germany, den 26. January 2004 $1,000 reward offer for proof Hitler knew of The Holocaust! Nicht das Gesuchte Auch ein "neugefundenes" Dokument ist nicht der direkte Hitler-Befehl zur Ausrottung der Juden von Sven Felix Kellerhoff SEIT mehr als einem halben Jahrhundert suchen Zeithistoriker in aller Welt nach einem bestimmten Dokument: dem Befehl Adolf Hitlers, Europas Juden auszurotten. Dutzende Bücher und hunderte Aufsätze kreisen um dieses Thema. Zwar steht außer Frage, dass der "Führer" den Holocaust gewollt und von ihm gewusst hat; aber hat er den Massenmord auch persönlich und gar schriftlich angeordnet? Oder überließ er das Göring, Heydrich und vor allem Himmler? In ihrer Ausgabe vom Sonnabend vermeldet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter der Überschrift "Hitlers Befehl. Ein neuer Fund im amerikanischen Nationalarchiv beweist: Es gab eine persönliche Führeranweisung, die französischen Juden zu ermorden" eine vermeintliche Neuigkeit: In Washington D.C. sei "nun" ein Dokument aufgetaucht, "das Hitler in direktem Zusammenhang mit einer Deportation und Ermordung größeren Umfangs nennt". Gemeint ist ein eigenhändig unterschriebener Aktenvermerk Heinrich Himmlers vom 10. Dezember 1942, der in der "FAZ" sogar als Faksimile abgebildet wird. Die entscheidende Passage lautet: "Der Führer hat die Anweisung gegeben, dass die Juden und sonstigen Feinde des Reiches in Frankreich verhaftet und abtransportiert werden. Dies soll jedoch erst erfolgen, wenn er mit Laval (Anmerkung: dem damaligen französischen Ministerpräsidenten) darüber gesprochen hat. Es handelt sich um 6-700 000 Juden." Das Dokument füge sich gut in die bisherigen Erkenntnisse über den Verlauf des Holocaust in Frankreich ein, heißt es weiter. Der Autor des Artikels, der Historiker und Journalist Hanns C. Löhr, schließt seinen Bericht: "Das jetzt aufgefundene Dokument wird (...) neue Akzente setzen." Das ist tatsächlich zu erwarten; allerdings ganz anders, als Löhr und die "FAZ" sich es wahrscheinlich dachten. Denn bei der angeblichen Entdeckung handelt sich nicht nur keineswegs um einen direkten Hitler-Befehl für die Ermordung französischer Juden. Viel schlimmer: Das fragliche Dokument ist nämlich keineswegs "neu". Die Holocaust-Forschung kennt es bereits seit vielen Jahren. Der Himmler-Experte Richard Breitman hat Details über die Unterredung des "Reichsführers SS" mit Hitler am 10. Dezember 1942 bereits 1985 in der Zeitschrift "Central European History" berichtet. In seiner 1991 auf Englisch und 1996 auf Deutsch erschienenen Untersuchung über den "Architekten der Endlösung" paraphrasiert der Geschichtsprofessor in Washington D.C. den Vermerk sogar. Vor allem aber ist das vermeintlich "neue" Dokument in seinem wesentlichen Teil seit 1999 in einen Standardwerk der Zeitgeschichtsforschung abgedruckt: Der "Dienstkalender 1941/42" des SS-Chefs war kurz nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1990 in Moskau aufgetaucht. Eine Gruppe jüngerer Historiker um Peter Witte edierte die 570 Blätter kommentiert und um weiteres Material ergänzt in einer zu Recht viel gelobten Ausgabe (Christians-Verlag, Hamburg. 68 Euro). Dort findet sich, genau auf der Seite 637 in Fußnote 44, die zitierte zentrale Passage in nur minimal abweichendem Wortlaut. Als Quelle geben Witte und seine Kollegen das Bundesarchiv Berlin an. Genauer: die so genannte Sammlung Schumacher, die ursprünglich im amerikanisch verwalteten Berlin Document Center entstand, aber schon seit Jahrzehnten im Bundesarchiv zugänglich ist. Am Wochenende ließ sich das zwar nicht überprüfen, aber gewöhnlich ist die Edition sorgfältig gearbeitet. Deshalb schlägt jeder seriöse Historiker, der sich mit Himmler oder dem Holocaust in den Jahren 1941/42 beschäftigt, routinemäßig in diesem "Dienstkalender" nach. Und tatsächlich finden sich dort unter dem Datum 10. Dezember 1942 neben dem bewussten Zitat aus Himmlers Vermerk eine Reihe weiterer wichtiger Materialien. In seinem Artikel verweist Löhr sogar auf Himmlers Dienstkalender. An sich wäre ein solcher Irrtum nicht weiter bemerkenswert - so peinlich er auch ist und beinahe tragisch angesichts des sensiblen Themas. Er fügt sich jedoch in eine Serie von Beispielen für den ziemlich unseriösen Umgang mit Akten aus der NS-Zeit. Seit einer guten Woche reitet zum Beispiel die "taz" eine Attacke nach der anderen gegen den CDU-Finanzexperten, Friedrich Merz. Hintergrund: Sein Großvater war SA- und NSDAP-Mitglied, und Merz hat sich in einer Stellungnahme (freundlich ausgedrückt) unglücklich dazu geäußert. Zuvor beschäftigten sich alle wichtigen Feuilletons mit dem Streit um die Parteimitgliedschaft des langjährigen Chefs des Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, und von Walter Jens. In all diesen Diskussionen spielen aus ihrem Kontext gerissene Dokumente aus der NS-Zeit eine Rolle. Die Detailversessenheit und Fußnotenverliebtheit, die deutschen Historikern gewöhnlich nachgesagt wird, scheint wie weggeblasen. Angesichts der anstehenden Historisierung der NS-Zeit, die durch das absehbare Aussterben der Zeitzeugen unausweichlich ist, gibt das Anlass zur Sorge.
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