Im
Juni 1946 berichtete die New Yorker «Herald
Tribune» von einem bedeutenden Fund der
Alliierten bei der Suche nach deutschen Akten:
Mikrofilme von Unterlagen des
Reichspropagandaministeriums seien südwestlich
von Berlin in der russischen Besatzungszone
ausgegraben worden. Die Filme könnten noch als
Beweismittel im laufenden Nürnberger Prozess
zum Einsatz kommen, denn, so vermutete der
Korrespondent, die Akten enthielten «die
Innenansicht über die Naziträume von
Weltherrschaft durch Propaganda». Ohne es zu ahnen, war der Reporter an einer
grösseren «Story» vorbeigesteuert.
Das Versteck in der Nähe von Potsdam enthielt
nicht einfach nur Ministerialakten, sondern vor
allem die Sicherungskopien der Aufzeichnungen von
Joseph Goebbels, [rechts] dem
Minister für Volksaufklärung und
Propaganda. Dieser machte über 21 Jahre
hinweg, bis in die letzten Apriltage 1945 hinein,
regelmässig Notizen; bis Mitte 1941
handschriftlich, danach im täglichen Diktat.
Aus dem Zentrum der Macht heraus dokumentierte er
so den Aufstieg der Partei, die Ausschaltung der
politischen Gegner, die Unterwerfung Europas und
den militärischen und moralischen Untergang -
unempfindlich für mitverursachtes Leid, eitel
und autosuggestiv, besessen und wehleidig, in
triefender Verehrung für seinen
«Führer». Obwohl kein «journal
intime», bleiben die Niederschriften eine
zentrale Quelle für die Historiographie. Kein
anderer Politiker aus dem Führungszirkel der
Nazipartei hinterliess ein vergleichbar
umfangreiches und kontinuierliches
Selbstzeugnis. Eine
Metallkiste Ende 1944 gab Goebbels Anweisung, die
Aufzeichnungen vor den Kriegswirren zu sichern.
Seine Selbstdarstellung sollte ihn überdauern.
Ein Experte kopierte das Material nach einem damals
neuen Verfahren der Mikrofichierung auf
Glasplatten. Die Platten wurden nach Aussagen des
Stenographen vor der Eroberung Berlins in einer
Metallkiste ausserhalb der Stadt vergraben. Eine
begründete Vorsicht; mit der Besetzung der
Stadt zerstoben die papiernen Originale in alle
Winde. Bisher war man der Meinung, dass alle
Glasplatten nach Kriegsende in sowjetische
Hände gefallen seien. Wann und wo allerdings,
liess sich nicht feststellen; ebenso wenig, ob die
nach dem Krieg kolportierte Geschichte von der
Metallkiste überhaupt der Wahrheit entsprach.
Tatsache war allein, dass die Platten erhalten
geblieben sind: 1992 wurden sie in einem Moskauer
Archiv von Mitarbeitern des Münchner Instituts
für Zeitgeschichte wiederentdeckt
[SEE PANEL
BELOW]. In München arbeitet man
seit 1987 an einer Gesamtausgabe aller
verfügbaren Tageseinträge von Joseph
Goebbels. Veröffentlichungen hatten sich bis
dato nur auf Zufallsfunde stützen können
oder präsentierten lediglich Auszüge (wie
auch noch die fünf von Ralf Georg Reuth im
Piper-Verlag 1992 edierten Bände). Das
Münchner Projekt dagegen versucht,
sämtliche Fragmente zusammenzuführen und
in einer wissenschaftlichen Edition
herauszugeben. Was
1946 für jedermann zugänglich in der
«Herald Tribune» zu lesen war, hätte
Jahrzehnte später, als die Glasplatten in
Moskau wieder auftauchten, weitere Recherchen in
eine neue Richtung lenken können. Dies
wäre auch für die Anfang der neunziger
Jahre heftig geführte Debatte um die
Aussagekraft von Goebbels' Tagesaufzeichnungen von
Bedeutung gewesen. Solange die Odyssee dieser
für die Geschichte des Nationalsozialismus
wichtigen Quelle nicht geklärt sei, so eines
der damaligen Argumente, könne ihre
Authentizität nicht verbürgt werden. Eine
minuziöse Rekonstruktion der
«Quellenbiografie» wurde deshalb
wiederholt angemahnt, jedoch nie überzeugend
vorgelegt. Wettlauf um
Akten Neue Quellenfunde in französischen,
amerikanischen und britischen Archiven geben der
bisherigen Darstellung eine unerwartete Wende. Denn
die Spur führt nicht allein nach Moskau,
sondern auch in die französische Hauptstadt.
In einem Pariser Archiv fanden sich sogar vier
Schachteln mit Glasplatten, die in der Moskauer
Sammlung fehlen. Sie enthalten Kopien von
Konferenzprotokollen, Korrespondenz, Erlasse und
eben Tagesnotate aus dem Sommer 1941, deren Inhalt
aus anderer Provenienz bereits bekannt ist. Wie die
Glasplatten allerdings nach Paris kamen, das ist
eine interalliierte Nachkriegsposse. Spätestens mit dem Überschreiten der
Reichsgrenze Ende 1944 begann zwischen den
Alliierten ein Wettlauf um Akten der obersten
Reichsbehörden, Wehrmacht, Partei und
Nazigrössen. Die Franzosen gingen dabei
weitgehend leer aus. Der Fund der Glasplatten
bildete die Ausnahme von dieser Regel. Im Herbst
1945 gab ein Ex- Mitarbeiter des
Propagandaministeriums dem französischen
militärischen Nachrichtendienst in Berlin
einen Hinweis auf das Versteck einer Metallkiste
mit wichtigen Dokumenten. Das Versteck lag bei
Michendorf, südlich von Potsdam, also in
sowjetischem Besatzungsgebiet. Ein Offizier des
französischen Dienstes nahm daraufhin mit
einem amerikanischen Kollegen Kontakt auf.
Gemeinsam fuhren sie Ende November 1945 dorthin,
kehrten aber unverrichteter Dinge zurück, denn
ohne einen Metalldetektor liess sich die Kiste
nicht lokalisieren. Auch war es zu riskant, ein
weiteres Mal ohne Wissen der Sowjets in ihr
Territorium einzudringen. Man kam überein, die
sowjetische Kommandantur in Karlshorst einzubinden.
Dass die Amerikaner ebenfalls involviert waren,
sollten die Russen jedoch vorerst nicht
erfahren. Bergung
Um aber nicht leer
auszugehen, verlangten die Amerikaner Sicherheiten:
Die französischen Kollegen sollten sich vom
zuständigen russischen Geheimdienstoffizier,
Oberst Dubrowsky, schriftlich garantieren
lassen, dass der Fund allen Alliierten zur
Verfügung stehen werde. David
Irving comments: AS IS WELL known,
thanks to a tip given to me by researcher
Dr Elke Fröhlich of the
Institut für Zeitgeschichte in Munich
on May 9, 1992, I travelled to Moscow
twice, in June and July 1992, and I was
the first historian able to read, copy,
and exploit the hundreds of microfiches of
the Goebbels diaries archived there. In
fact I was the first person to unwrap the
boxes in which they had been stored since
1945. (Notwithstanding which, Professor
Ian "Pinocchio" Kershaw has several times
blithely proclaimed that his recent Hitler
biography is the first book to have
exploited the diaries: not so). My "scoop"
resulted in demonstrations and near riots
in London, as the Jewish community
furiously demanded that The
Sunday Times not publish the
articles based on these diaries or
extracts from them, so long as I had
anything to do with them, as I "could not
be trusted".
When the newspaper nonetheless
published them, the same community then
demanded, successfully, that the newspaper
welsh on its contractual obligations to
pay me. (Der Spiegel, which also
published them, noted in an editorial that
they had compared my transcripts with the
original images and could confirm that I
had faithfully transcribed them: of
course). The French archive set
of Goebbels diaries has been available on
microfilm from the US National Archives
for about forty years; but it was a "late"
acquisition, and not archived in the same
T84 series, which is why it perhaps
escaped the attention of other writers
including it seems the wizards of Munich's
Institut für Zeitgeschichte. When I found it, it
baffled me that the French had managed to
obtain copies of the April 1943 diaries
and other key documents, like Goebbels'
famous "Total War" memorandum to Hitler of
July 1944, which is filmed only in French,
and many of his ministerial
conferences. I wrote in the 1960s to
the French Government asking for access to
whatever Goebbels materials they had, but
they never replied -- which was a puzzle,
as they had provided other documents to me
from French foreign ministry archives.
Finding that same "Total War" memorandum
on glass plates in the KGB "trophy"
archives in Moscow only deepened the
mystery: what kind of deal had De Gaulle's
historians been able to strike with the
KGB? I was baffled too that
the lazy German Historikerschaft
had made no attempt to follow that
trail. As for the 1941-1943
Goebbels diaries that the Americans -- the
Herbert Hoover Mission to Berlin of 1945
-- obtained, there has always been an air
of mystery of the actual details of the
deal that was struck. When Louis Lochner
published his excellent abridged edition
of them in the 1950s, Washington made a
prolonged attempt to seize the
royalties. | Oberst Dubrowsky dachte aber gar nicht daran. Und
so endete eine zweite Expedition in die sowjetische
Zone am 12. März 1946 ebenfalls ergebnislos:
Ohne schriftliche Garantie von sowjetischer Seite
gaben die Franzosen die Koordinaten des Verstecks
nicht preis. Sie schickten schliesslich einen
Offizier von gleichem Rang in die Verhandlungen mit
Dubrowsky. Zwar hat Oberst Régis
Eugène Serre die russische Zusage
wahrscheinlich auch nie bekommen. Dennoch sicherte
er den Amerikanern kurzerhand Kopien des Fundes zu,
um die verfahrene Situation wieder in Bewegung zu
bringen. Damit machte er den Weg frei für
einen französisch-russischen Suchtrupp, der am
25. März 1946 nach gut fünfstündiger
Suche und mit Hilfe eines amerikanischen
Metalldetektors die ominöse Kiste barg. Einem
zeitgenössischen Bericht gemäss lagerten
darin «Mikroplatten (kein Film) von 35
mm». Was diese enthielten, war mit blossem
Auge nicht lesbar. Die Kiste wurde umgehend in das
sowjetische Hauptquartier transportiert.Oberst Serre forderte am nächsten Tag
Zugang zu dem Fund. Tatsächlich erhielt er in
Karlshorst einige Schachteln mit Glasplatten zur
Auswertung. Es entwickelte sich ein reges
Tauschgeschäft: Sobald seine Mitarbeiter das
geliehene Material bearbeitet hatten, gab Serre die
Schachteln zurück und erhielt im Gegenzug
weitere Glasplatten. Insgesamt gingen aber nur 32
von 77 Schachteln durch seine Dienststelle. Der
Austausch muss zu einem nicht mehr feststellbaren
Zeitpunkt abgebrochen worden sein. Dabei blieb
jener Teil der Platten, der sich gerade bei Serre
befand, zurück und riss so eine Lücke in
die Überlieferung auf sowjetischer Seite.
Deshalb befinden sich heute vier Schachteln mit
Glasplatten im Archiv des Quai d'Orsay in
Paris. Amerikaner
gehen leer aus Trotz der Absprache gingen die Amerikaner leer
aus: Serre liess ihnen im Juli 1946 lediglich ein
vorläufiges Inventar zukommen, Kopien der
Goebbels-Notate erhielten sie nicht. Auf Druck des
State Department in Washington versuchte das
französische Aussenministerium, den
widerspenstigen Oberst zur Zusammenarbeit zu
bewegen. Erst auf Intervention des
französischen Oberbefehlshabers, General
Koenig, liess Serre sich herbei, das Material
im Juli 1948 auszuhändigen. Zwei französische Archivare unterzogen die
Glasplatten einer genauen Prüfung - mit
enttäuschendem Resultat: Die Sichtung war
unkoordiniert, geradezu schlampig verlaufen. Die
kopierten Seiten der Goebbels-Diktate waren noch
nicht einmal grundsätzlich alle
rückvergrössert, sondern nur eine von
momentanen Bedürfnissen diktierte Auswahl war
getroffen worden. Oft wurde nur der Lagebericht des Oberkommandos
der Wehrmacht reproduziert, den Goebbels seinen
täglichen Aufzeichnungen während des
Krieges voranstellte. Für die Rekonstruktion
des Fundes war es zudem fatal, dass schon die
Sowjets das Ordnungssystem der Glasplatten in der
Metallkiste zerstörten, indem sie sie anders
sortierten und neu nummerierten. Angesichts des
unbefriedigenden Ergebnisses zogen es die Franzosen
vor, die Unterlagen nach Paris zu schicken, und
liessen alle weiteren amerikanischen Anfragen nach
dem Verbleib der «Goebbels-Papers»
unbeantwortet. Und Oberst Serre? Seine
Nachrichtendienstkarriere kam wegen seiner Sturheit
zu einem abrupten Ende: Er wurde am 28. Juli 1948
nach Algerien versetzt, seine Dienststelle
aufgelöst. Mit ihm ging auch das Wissen um
weitere Hintergründe des erstaunlichen
Tauschgeschäfts mit den Russen. Astrid M. Eckert, Stefan
Martens Dr. Stefan Martens
ist stellvertretender Direktor des Deutschen
Historischen Instituts in Paris, Dr. Astrid M.
Eckert wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Deutschen Historischen Institut in Washington.
Ein dokumentierter Artikel zum Thema erscheint
in der neusten Ausgabe der
«Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte». |