[In
June 1924 a patriotic Munich university student
Maria R. copies to Himmler a long handwritten
description she wrote a few days afterwards of
the failed Munich putsch and her own
feelings] [source: Hoover Institution, NSDAP
Hauptarchiv] München, 18, Nov 1923
[fol.272]
L.M.! [Liebe Maria] Dieser Brief soll kein Dankbrief werden für
Herrn v. Kahr! Ich wollte Dir einen recht langen Brief
schreiben über die Ereignisse hier u. die
Stimmung hier - denn was Ihr in der Zeitungen
liest, ist ein ungeheuerer Schwindel!
"Einige Stimmen forderten den Rücktritt
Kahrs!" Na, einstimmig! Es war ein einziger
Schrei, Maria! Der mit Gummiknütteln
totgeschlagen wurde. Der Herr Diktator sitzt hinter
Maschinengewehren. - Ach Gott, ich kann noch nicht schreiben
darüber, ich brauche sehr lange, bis ich einen
Verrat überwinde, ich kann alles noch nicht
fassen. Nein, ich koche nicht vor Wut - in mir
ist's so unheimlich still u. leer! Ich wollte Dir schreiben von all dem Jubel am
Freitag früh, u. dann! Maria, das waren
furchtbare Stunden! Als man so allmählich
erfuhr, daß Kahr all die jungen Leute, uns
alle, verraten hatte. - Ihr in der Provinz, Ihr
bekamst ja erst die Nachricht, als alles
bekannt war! Aber wir hier - unsinnig vor
Glück und Jubel, kaum fähig heraus zu
gehen, lachend u. weinend vor zu gleicher Zeit,
stolz u. selig, daß endlich die Stunde, nach
der wir uns sehnen seit Jahr u. Tag, gekommen;
bereit zu jedem Opfer, unfähig zum Reden, nur
die Augen jauchzten: Heil, Heil! Wirblig und
taumelnd und doch so still; kniend vor dem
großen Glück und der seligsten Stunde,
die wir noch haben können; die Hände u.
Füße versagten den Dienst, fiebrig war
man, u. doch so ruhig und entschlossen um alles zu
geben. Da hätte es nichts gegeben, was man
nicht mit tausend Freuden der Freiheit eines Volkes
hingegeben hätte; jeder wußte, daß
nun sich die Stunde des Ernstes - weil es ums
Heiligste ging - geschlagen hatte. Ohne Frühstück fort, weil man's ja
zuhause nicht mehr aushielt; auf der Strasse all
die leuchtenden Gesichter (wir fahren zum ersten
Male wieder!); jeder geht still an die Arbeit - die
nun doppelt getan werden mußte, und alles
lacht sich an - (einen Gemüsehändler
hörte ich sagen: 'heut schimpfen d' Leut' noch
amal!'); in der Universität heißt es
nicht mehr 'guten Morgen,' sondern 'Heil!' 'Wo
meldest Du Dich v.D ...?' Keiner im Kollege; was
man hörte war, 'Gott sei Dank, daß
Ludendorff mittut!' 'Gott sei Dank, daß Kahr
mittut!' Von Hitler hört man wenig, wichtiger
waren die beiden anderen - zudem waren die Leute
Hitlers schon nicht mehr da! In der Ludwigstrasse - da werden mir die Augen
feucht: auf dem Kriegsministerium weht die
schwarz-weiß-rote Fahne! Wo am gleichen Tag
vor 5 Jahren der rote Fetzen hing - mir ist jede
Fahne heilig, deshalb nenne ich die rote 'Fetzen'.
Die schwarz-weiß-rote habe ich schon immer
still für mich gegrüßt - die Fahne
muß sogar der Kaiser grüßen,
seines Volkes heiligstes Symbol. Photo
shows Himmler, center, apparently holding the
Reichskriegsflagge, outside the
KriegsministeriumVor dem Kriegsministerium Truppen der
'Reichskriegsflagge', Heinrich Himmler vorne dran,
die Fahne im Arm, man sah's der Fahne wirklich an,
wie geborgen sie sich fühlte u. ihm, wie stolz
er darauf war. Ich gehe zu ihm hin, unfähig
eines Wortes, aber in mir da klingt's: - 'Seid stolz: ich trage die Fahne!
- 'Seid ohne Sorge: ich trage die Fahne!
- 'Habt mich lieb: ich trage die
Fahne!'[*]
Einen festeren Händedruck hab' ich meinem
Lebtag nicht ausgetauscht, wußte ich doch,
daß ihm war wie mir: seit Jahren nichts
anders mehr denken können, als Deutschland,
Deutschland, Deutschland. Da sehe ich ein Maschinengewehr: ,Na, Heinrich,
die Roten werden Euch heute nicht viel zu schaffen
machen!' 'Nein aber Lossow!' Maria, da habe ich mir
gedacht, dem armen Kerl hat's den Verstand
verschlagen (man schließt ja gern von sich
auf andere!) Stell Dir vor, in dieser Stimmung so
etwas zu hören! 'Ja, und Kahr, und die
Reichswehr u. Seisser?' 'Alles gegen uns!' (Das ist
vor 9 Tagen gewesen, aber heute noch freut es mich,
daß mir damals der Gedanke an Ludendorff
überhaupt nicht kam! Ich würde mich heute
noch schämen vor ihm. Und ich wußte doch
gar nichts davon, daß er überhaupt
jemals Verbindung mit den Nat. Soz. angeknüpft
hatte! Man hat doch in solchen Augenblicken
instinktiv das Gefühl für den, der einem
treu bleibt!) Da sah ich erst, wie verstört die Leute
alle aussahen - hilflos gegenüber dieser
Tatsache. Das war erst um 1/2 11h vormittags! und am
Odeonsplatz standen die Leute vor dem neuen
Anschlag, mit Tränen in den Augen,
fassungslos! Keiner hat gesprochen, jeder nur den
anderen angesehen in tiefster Verzweiflung - alles,
alles aus! Verraten und vertan! Da bin ich
heimgeschlichen - heimgeschlichen in des Wortes
vollster Bedeutung, tastend an den Häusern
entlang, ratlos so viel Gemeinheit gegenüber!
Gemeinheit, damit meinte ich den Anschlag Kahrs
(vom Preußen Ludendorff). Kahrs Vorgehen
konnte ich da immer noch nicht fassen. Wohl 20x
habe ich seinen Anschlag gelesen - aber er hat sich
nicht geändert. Tränen sind mir da keine
gekommen (in der Frühe wohl, wie sich eine
Spannung löste, die seit Nov. 1918 bestand).
Maria, und all die verzweifelnden Gesichter! Leute,
die 1919 hier erlebten, sagten, daß die
Stimmung in der Frühe gewesen sei wie damals;
jetzt, mittags, was sie schlimmer wie 1918! jeder
hatte das Gefühl: nun ist's aus für
immer! Und dann hörten wir das Schießen u.
die Maschinengewehre u. dazu, - das war vielleicht
das allerfürchterlichste - hieß es:
Ludendorff erschossen! Und als man von den Toten
vor der Residenz erfuhr, da schlug die Stimmung um;
wer den Verrat noch nicht begriffen hatte, der
begriff, daß das Blut von unserem Blute war
--- Und as Blut, das schrie und schrie die Stunden
durch bis heute - und unsres schreit noch heute
mit. ---
[seven months later:] Meinem Freunde Heinrich diesen Brief. Es soll
ihm sein ein kleines Zeichen heißen Dankes
und treuen Gedenkens für jene Tat, die einem
Stunden gab, in denen man wieder hoffen lernte. Der
Brief ist geschrieben in Stunden tiefster Qual und
stummer Verzweifelung,, die darauf folgten. Heute sind wir alle hinausgewachsen über
jene Zeit, wir sind härter geworden. Nur eines
blieb sich gleich: der eiserne Wille für die
Zukunft, die Treue für die Toten seit 1914 und
die zornige Liebe für ein land, das diese
Liebe von sich stößt, wie kein anderes,
und das sie doch braucht, wie kein anderes. Vom Verrate wollen wir nicht sprechen, weil es
uns heute allen noch in der Seele brennt, nicht
vielleicht wie jener erste von 1918. Wir sehen
heute klarer, wie am 18. Nov. [d.h. am Datum
des Schreibens], in all die Wirrnisse jener
Zeit, heute würde ich vielleicht manchen Satz
anders formulieren, aber der Brief ist euch
vielleicht ein Dokument, wie wir Mar..(?) damals
gedacht haben. Der Treue Heil! Maria R.Am 20. Juni 1924, dem 5. Gedenktag von Scapa
Flow.
*
Rainer Maria Rilkes Jugenddichtung Die Weise
von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" aus
dem Jahre 1899 war zwischen 1912 und 1945 eine der
in Deutschland meistgelesenen Dichtungen. Es ist
Heldenliteratur in Reinkultur: - "Meine
gute Mutter,
- seid
stolz: Ich trage die Fahne,
- seid
ohne Sorge: Ich trage die Fahne,
- habt
mich lieb: Ich trage die Fahne -"
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Heinrich Himmler
dossier
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