Der Holocaust als moralische Waffe Norman Finkelstein über seine Thesen und eine "antisemitische Wirklichkeit" Standard: Herr Finkelstein, es sieht aus, als würden Sie einen neuen Historikerstreit vom Zaun brechen wollen. War Auschwitz doch kein einzigartiges Verbrechen? Finkelstein: Es gibt zwei Ebenen für einen Vergleich: die historische und die moralische. Bedauerlicherweise geht die Holocaust-Industrie von einer gegenteiligen Prämisse aus: Niemals vergleichen! Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass ich mich immer mit dem Leiden anderer Menschen zu identifizieren versuche, und ich käme nie auf den Gedanken, dass das Leiden eines anderen weniger wert wäre als meines. Standard: Sprechen Sie da nicht aus der Sicht eines wohlfeilen linken Universalismus? Finkelstein: Der fundamentale Unterschied besteht zwischen denjenigen, die um die moralische Reinheit des Leidens der jüdischen Menschen und um die Integrität der historischen Überlieferung besorgt sind, und einer Bande von Krämern und Schwindlern, die das Gedenken der jüdischen Bevölkerung ausbeuten. Ich möchte darauf hinaus, dass diese Individuen bloßgestellt, zurückgewiesen und aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Sie sind nämlich der Hauptgrund für den heutigen Antisemitismus. Standard: Sie nennen den Anwalt Israel Singer einen hoch bezahlten Zyniker und werfen Elie Wiesel seine Honorare für Vorträge und Lesungen vor. Ist das nicht klassisches Ressentiment? Finkelstein: Das ist sehr wohl von Belang. Die Holocaust-Industrie ist mittlerweile gründlich korrumpiert durch Geld. Wenn Wissenschafter für ihre Gutachten enorme Beträge kassieren und wenn Deborah Lipstadt sechs Millionen Dollar erhält, vorwiegend von Edgar Bronfman, Steven Spielberg und dem American Jewish Commitee, um gegen David Irving auszusagen, dann korrumpiert das sogar die Justiz. Standard: Aber Frau Lipstadt war doch von David Irving geklagt worden. (Keine Antwort) Standard: Ich hätte erwartet, dass Sie für die deutsche Ausgabe auch auf den Historikerstreit der Achtzigerjahre eingehen. Das fanden Sie nicht notwendig? Finkelstein: Ich habe verschiedene Bücher darüber gelesen. Als Amerikaner sehe ich diese Debatte aber aus einem anderen Blickwinkel. Es geht in erster Linie darum, für die Verbrechen des eigenen Staates Verantwortung zu übernehmen. Aus Sicht der Deutschen ist das kolossalste Verbrechen der modernen Welt der Holocaust der Nazis. Auf der anderen Seite ist es eine totale Flucht aus der moralischen Verantwortung, wenn Amerikaner oder Briten oder Franzosen auf der Einmaligkeit des Holocaust herumreiten. Er wird dadurch zu einer moralischen Waffe, um die Verbrechen des eigenen Staates abzumildern. Jede Kritik, die man gegen Ernst Nolte vorbringt, ist tausendmal mehr gegen die USA angebracht. Nolte rechnete den Holocaust gegen Stalins Verbrechen auf, aber er gab immerhin zu, dass Deutschland ein kolossales Verbrechen begangen hatte. Standard: Mit welchem Gefühl kommen Sie nach Deutschland und Österreich? Finkelstein: Ich bin sehr angespannt. Nehmen Sie die Absetzung von Tina Mendelssohns Dokumentation über meine Thesen in der ARD vom vergangenen Montag: Ich betrachte das als einen antisemitischen Akt. Man sprach davon, die Wirklichkeit in diesem Film wäre zu hässlich, um sie zu zeigen. Was bedeutet das? Dass die Wirklichkeit eine antisemitische ist! Ich hingegen glaube das nicht, sondern denke, dass der Holocaust von einer Handvoll Menschen buchstäblich als Geisel genommen wurde. Standard: Begreifen Sie sich noch als Jude? Finkelstein: Ich bin leidenschaftlich nichtreligiös. Ich bin der Sohn meiner Eltern, und darüber hinaus ein Individuum, so komplex wie alle anderen. Ich betrachte es als eine unmenschliche Reduktion, zu glauben, es gebe in meinem Leben eine Tatsache, die von größerer Bedeutung ist als eine andere. Interview: Bert Rebhandl © DER STANDARD, 7. Februar 2001 Finkelstein Index |