Auf
Befehl des "Führers" Historiker
Peter Witte kommentiert den Beginn des
Judenmords in Polen Von Peter Witte EICHMANN
machte zahlreiche Aussagen über
Heydrichs Weitergabe des
Führerbefehls" zur
physischen Vernichtung der Juden".
Sie standen immer im Zusammenhang mit
Eichmanns Inspektionsfahrt nach Belzec,
dem ersten im Generalgouvernement
errichteten Vernichtungslager. Einerseits
stimmen die überlieferten Aussagen in
den meisten Details überein.
Andererseits ist Eichmann unsicher in der
Bezeichnung des Ortes (alle Hinweise
passen nur auf Belzec), und er weicht
stark in seinen Zeitangaben ab. Die
historische Analyse ermöglicht eine
genauere Datierung. Von historischer Bedeutung sind
Eichmanns Ausführungen über zwei
getrennt verlaufene Befehlswege des
Führerbefehls". Vorausgeschickt
sei, dass Eichmann nur von dem Befehl
spricht, den er persönlich erhalten
haben will. Es gab jedoch eine ganze Kette
von Entscheidungen und Befehlen zur
Judenvernichtung. Noch in den Sassen-Interviews
gab Eichmann Heydrichs Worte so wieder:
Ich komme vom Reichsführer, der
Führer hat nunmehr die physische
Vernichtung der Juden angeordnet." Die
eine Befehlskette dürfte also von
Hitler über Himmler und Heydrich zu
Eichmann verlaufen sein, da verschiedene
Vernichtungsmaßnahmen von Himmler in
den Führervorträgen"
angesprochen und von Hitler genehmigt
wurden, wie neuere Forschungen
nachgewiesen haben. Demnach hätte
Eichmann vom Führerbefehl"
über den regulären
Dienstweg" erfahren. Weiter teilte Heydrich Eichmann mit,
Himmler habe dem SS- und
Polizeiführer des Distrikts Lublin,
Odilo Globocnik, den Befehl gegeben, die
Juden in einem neuen Lager zu vernichten.
Dieser Sonderbefehl Himmlers ist durch
Quellen gesichert: Die Ermordung der Juden
des Generalgouvernements erscheint unter
dem Codenamen Sonderauftrag
Reinhardt" in Globocniks
Personalunterlagen. Danach erteilte
Himmler Globocnik am 13. Oktober 1941 den
Auftrag zum Aufbau von Belzec. Himmler
hatte mit Sicherheit zuvor die Genehmigung
Hitlers eingeholt. So ergibt sich eine
zweite Befehlskette von Hitler über
Himmler zu Globocnik (offensichtlich an
Heydrich vorbei) und dessen Leiter
der Hauptabteilung Einsatz Reinhardt", dem
von Eichmann stets namentlich genannten,
aber fast unbekannten Hermann
Höfle. Nach Zeugenaussagen begannen polnische
Arbeiter am 1. November 1941 mit dem Bau
des Lagers Belzec. Kurz vor Weihnachten
standen die Lagerbaracken und, fast
vollendet, die Vergasungsbaracke. Das
erste Massengrab war ausgehoben, die
Arbeiter wurden entlassen. Hierauf
übergab Globocniks Bauführer
Thomalla das fast fertige
Vernichtungslager Belzec an den ersten
Kommandanten, den von Eichmann stets
richtig als Hauptmann der Ordnungspolizei
beschriebenen Christian Wirth. Wirth wurde
eindeutig von ehemaligem Lagerpersonal und
polnischen Anwohnern identifiziert. Eichmann erinnerte sich nicht (siehe
Dokumentation in der
WELT am Samstag),
in Belzec außer Wirth weitere
Personen beziehungsweise den
Vergasungsmotor gesehen zu haben. So
erhalten wir einen weiteren
Datierungshinweis: Das von der
Kanzlei des Führers" nach
Belzec abgeordnete Stammpersonal, wie die
80 ukrainischen Wachmänner trafen
erst ab Mitte Februar dort ein. Sie nahmen
den Einbau des gewaltigen Benzinmotors und
die Tarnung der Mordanlage durch
Brauseköpfe" vor. Noch in Freiheit nannte Eichmann einmal
die Jahreswende 1941/42" als
Zeitpunkt für den
Führerbefehl". Eichmann spricht
wiederholt von einem um diese Zeit
erlassenen Auswanderungsverbot für
Juden: das Referat IV B 4 gab am 3. Januar
1942 einen entsprechenden Runderlass
heraus. Zusammengefasst: Eichmann konnte den
Führerbefehl" frühestens
kurz vor Weihnachten erhalten haben, etwa
zeitgleich mit dem Eintreffen Wirths.
Damit rückt der Zeitpunkt der
Bekanntgabe des Vernichtungsbefehls"
Hitlers an alle Reichs- und Gauleiter auf
den Zeitpunkt der Tagung am 12.
Dezember 1941, wie von Christian
Gerlach dokumentiert. Am 16. Dezember
informierte Generalgouverneur Frank
entsprechend die gesamte
Verwaltungsspitze. Heydrich wusste bei der Befehlsausgabe
an Eichmann über die in Belzec
angewandte Mordmethode noch nicht
Bescheid. Er ging davon aus, dass die
Juden in dem heute noch sichtbaren
Panzergraben direkt am Lager erschossen
werden sollten (so Eichmann in mehreren
Aussagen). Umso größer war
Eichmanns Verblüffung, dass Christian
Wirth von den mitgegebenen Plänen
Heydrichs erheblich abwich. Wirth sah den
Gebrauch von Kohlenmonoxyd (das
Tötungsmittel der Kanzlei des
Führers" in der
Euthanasie-Aktion", die Wirth zuvor
als Inspekteur geleitet hatte) zur
Ermordung der Juden vor. Eichmann muss
Heydrich über diese einschneidende
Planungsänderung Bericht erstattet
haben. Denn zum Zeitpunkt der Wannsee-Konferenz
am 20. Januar 1942 war Heydrich
informiert: Laut Konferenzprotokoll und
Eichmanns eigener Aussage wurden zum
Abschluss der Konferenz die
verschiedenen Arten der
Lösungsmöglichkeiten", das
heißt die verschiedenen
Mordmethoden, besprochen. Auf einen Zeitpunkt der
Belzec-Inspektion unmittelbar vor der
Wannsee-Konferenz verweist auch ein Indiz
aus Eichmanns Aufzeichnungen".
Beiläufig erwähnte er, er habe
die Rückfahrt von Belzec nach Berlin
über Prag geführt.
Quellenmäßig ist belegt: Am 19.
Januar 1942, einen Tag vor der
Wannsee-Konferenz, an der Eichmann
bekanntlich teilnahm, inspizierte er das
Ghetto Theresienstadt. Theresienstadt
liegt an der ehemaligen Hauptstraße
Prag--Dresden--Berlin. In den Aufzeichnungen"
erwähnt Eichmann nicht die ihn stark
belastende Tatsache, Globocnik in Lublin
einen von ihm oder Heydrich
unterzeichneten Befehl überbracht zu
haben, vorerst 250 000 Juden der
Endlösung zuzuführen". In der
Regel trennte Eichmann diesen Befehl zum
Massenmord von seiner Inspektion in Belzec
und erklärte ihn zu einer
rückwirkenden
Ermächtigung" Globocniks. Einmal aber
scheint er sich verplappert zu haben und
nennt die Inspektion und die
Überbringung des Befehls an Globocnik
in einem Atemzug. Im Übrigen sind
starke Zweifel an dem Sinn einer angeblich
rückwirkenden
Ermächtigung" angebracht.
Wahrscheinlicher ist also, dass Eichmann
den Vernichtungsbefehl für 250 000
Juden unmittelbar vor der
Wannsee-Konferenz zum Zeitpunkt der
Fertigstellung von Belzec Globocnik
überbracht hat. Jedenfalls gab
Eichmann am 31. Januar 1942 den
grundlegenden Runderlass an alle
Gestapostellen für die nächste
Deportationswelle im Distrikt Lublin
heraus. Am 17. März 1942 nahm die
Mordfabrik Belzec ihren Betrieb" mit
der Vergasung von rund 2500 jüdischen
Männern, Frauen und Kindern aus
Lublin und Lemberg auf. Der Historiker
Peter Witte ist Mitherausgeber des
Dienstkalenders
Heinrich Himmlers
1941/1942"
(Christians, 1999) [Eichmann
dossier index]
[Index
to this serial] |