Berne, Switzerland, Samstag, den 24.
März, 2001
Images below:
- Demonstrationen
gegen die
«Stellvertreter»-Aufführung
in Basel 1963. (Foto P.
Armbruster, Basel)
- Rolf Hochhuth
zur Zeit der
«Stellvertreter»-Kontroverse
in den Sechzigerjahren.
Adelmann/Manfred Ehrlich
(SLA)
- Postkarte von
Rolf Hochhuth an Golo Mann aus
dem Jahre 1987 zur
Filbinger-Affäre. (SLA,
Archiv Rolf Hochhuth)
«Sie sind
ein Fanatiker der
Gerechtigkeit»
Ein
spannungsreiches Vierteljahrhundert:
Der Briefwechsel Rolf Hochhuth / Golo
Mann
T. FEITKNECHT, K. LÜSSI
WOHL
kein Schriftsteller im 20. Jahrhundert
hat eine derart starke direkte
politische Wirkung gehabt wie Rolf
Hochhuth: Mit seinem Stück
«Der Stellvertreter» (1963),
das die Haltung des Papstes
gegenüber dem Holocaust
kritisierte, erschütterte er den
Vatikan und die katholische
Kirche.
Mit dem Drama «Soldaten»,
das am Mythos des britischen
Kriegspremiers Churchill kratzt,
löste er in Grossbritannien einen
politischen Sturm aus, so dass eine
Aufführung erst nach der
Abschaffung der Theaterzensur 1968
zustande kam.
Und mit seiner Publizistik um die
Tätigkeit der deutschen Juristen
während der Nazi-Zeit bewirkte er
1978 den Rücktritt des
baden-württembergischen
Ministerpräsidenten Karl
Filbinger.
An
und von Golo Mann Hochhuth ist kein Historiker,
sondern ein Schriftsteller, der
historische Themen literarisch
gestaltet. Bei den umfangreichen
Recherchen zu seinen Werken stützt
er sich immer wieder auf die Arbeiten
von Historikern.
Einer, mit dem Hochhuth während
eines Vierteljahrhunderts in Verbindung
stand, war Golo Mann. Der
Briefwechsel zwischen dem Dramatiker
und dem Historiker ist ein Spiegel der
Auseinandersetzung mit
zeitgeschichtlichen Themen, die beide
beschäftigten.
Das Schweizerische Literaturarchiv
(SLA) in Bern betreut sowohl den
Nachlass Golo Manns als auch das Archiv
Rolf Hochhuths, so dass dieser
umfangreiche Briefwechsel
vollständig erhalten ist - vom
ersten Dankesbrief Hochhuths an Golo
Mann im Zusammenhang mit der
«Stellvertreter»-Kontroverse
1963 bis zum letzten Brief 1988, den
Golo Mann ungeöffnet
retournierte.
1963:
«Der Stellvertreter» Rolf
Hochhuth [links] war
32-jährig, als sein Stück
«Der Stellvertreter» durch
Erwin Piscator in West-Berlin
uraufgeführt wurde und sogleich
heftige Debatten auslöste.
Sein Drama stand im Kontext jenes
historischen Aufarbeitungsprozesses, in
welchem jüngere Literaten und
Historiker die nationalsozialistische
Vergangenheit aufgriffen und gegen das
Klima der Geschichtslosigkeit der
Fünfzigerjahre antraten.
Vor allem aber brach Hochhuth mit
seiner Kritik am Schweigen des Papstes
zum Judenmord im Dritten Reich das Tabu
der moralischen Integrität der
katholischen Kirche. Die Reaktionen in
der Öffentlichkeit waren
dementsprechend. Feuilletonisten,
Intellektuelle, Wissenschaftler,
Abgeordnete des Deutschen Bundestags
und sogar Papst Paul VI.
beteiligten sich an einer
literarischen, politischen,
historischen und moralischen
Kontroverse.
Diese verlief in der Schweiz nicht
minder heftig, als im September 1963
die Erstaufführung im Basler
Stadttheater anstand. Wochenlange
Debatten in verschiedenen Schweizer
Tageszeitungen waren nur ein Ausdruck
der Aufregung, die «Der
Stellvertreter» hervorrief.
Die Formen des Protests reichten von
einem Aufruf zum Schweigemarsch der
«Aktion Junger Christen für
den konfessionellen Frieden» bis
hin zu einer anonymen brieflichen
Bombendrohung, die bei der Basler
Polizei einging.
Unter Intellektuellen und
Wissenschaftlern fand sich
demgegenüber eine ganze Reihe
namhafter Befürworter des
Stücks, zu denen neben Karl
Jaspers, Hannah Arendt und
Carl Amery auch Golo Mann
zählte.
«Ich will nicht beurteilen, ob
Rolf Hochhuth ein grosser Dichter ist -
die Zukunft wird es erweisen»,
schrieb Mann am 17. 9. 1963 in den
«Basler Nachrichten»
über Hochhuths Erstling, und fuhr
begeistert fort: «Aber ein Dichter
ist er; und für das, was er mit
seinem ,Stellvertreter' leistete,
empfinde ich Bewunderung.»
Hochhuth, der als erster deutscher
Dramatiker den Holocaust auf die
Bühne brachte, hatte sich seiner
Meinung nach dem Stoff gewachsen
gezeigt: «Die Macht des Wortes,
die diesem Gegenstand gegenüber
bisher immer versagen musste, hier
versagt sie nicht.»
Hochhuth erreichte durch die
dramatische Bearbeitung seines Stoffes
im «Stellvertreter» eine
gewollte Unmittelbarkeit, die dem Leser
wie dem Theaterbesucher die
Gewissensfrage stellte. Wie Golo Mann
hält auch Hochhuth am Glauben an
die Handlungsfähigkeit und
Entscheidungsmöglichkeit des
Einzelnen fest, die schuldhaftes
Handeln erst möglich machen.
Er betrachtet es als die wesentliche
Aufgabe des Dramas, darauf zu bestehen,
dass der Mensch ein verantwortliches
Wesen sei. In Schillers Tradition hat
er die «Schaubühne als
moralische Anstalt» wieder
aufleben lassen. Hier lag auch der Kern
von Manns Lob:
«Wie viel
einfühlsame Menschenkenntnis,
Phantasie und Mitleid, Kummer,
tiefer Ekel und Zorn werden hier
unter den Bann der Kunst gezwungen!
Das ist die eigentlichste Leistung.
Sie erklärt, warum das deutsche
Publikum sich von dem Drama hat
ansprechen lassen wie noch von
keinem Prozess in Nürnberg und
Jerusalem, keiner noch so
gründlichen Studie des
,Institutes für
Zeitgeschichte'. Für sie
müssen wir dem Dichter dankbar
sein.»
Der
Briefwechsel beginntAm 11. 10. 1963 bedankte sich Rolf
Hochhuth in einem zweiseitigen Brief
für Golo Manns Artikel in den
«Basler Nachrichten».
Nach der emotionsgeladenen
Kontroverse um sein historisch
recherchiertes Drama war er für
das Lob von Seiten eines reputierten
Historikers besonders
empfänglich:
«Mich persönlich
aber hat noch mehr als diese grosse
Hilfe selbst die Tatsache betroffen
gemacht, dass ein Historiker und ein
grosser Schriftsteller es war, der
da unter Einsatz seines Prestiges
für mich eintrat. [. .
.] Meine Situation ist ja so:
Die Historiker klopfen mir auf die
Schulter und finden, ich hätte
bei totaler Verzerrung der
Geschichte immerhin literarische
Verdienste. Die Literaten finden,
ich hätte wenigstens
historische.»
In seinem Brief nutzte Hochhuth auch
gleich die Gelegenheit, Golo Mann seine
Bewunderung für das Werk seines
Vaters Thomas Mann zu gestehen,
dem er «verfallen [sei] in
einem Masse, das mich in meiner
Eigenschaft als Schreibender fast
vernichtet hätte».
Aber auch Golo Manns Arbeiten
sprachen ihn an: «Meine Verehrung
für Sie - wenn ich das einmal
sagen darf - beruht vielleicht in
erster Linie auf der Sympathie, die ich
für den Künstler in Ihnen
empfinde [. . .]»
Die Hochachtung des Autodidakten
Hochhuth vor den schriftstellerischen
Leistungen von Vater und Sohn Mann war
tief und blieb auch in Krisenzeiten und
über den Bruch mit Golo Mann
hinaus bestehen. Kein Wunder, dass er
seinen Brief mit der Bitte um eine
persönliche Begegnung abschloss:
«Nochmals meinen herzlichsten
Dank, verehrter Professor Mann. Darf
ich Sie einmal aufsuchen?»
1965:
«Die
Soldaten»Es dauerte dann allerdings fast zwei
Jahre, bis ein erstes Treffen zustande
kam. Am 8. 7. 1965 notierte sich Golo
Mann in sein Tagebuch, das er
abwechselnd deutsch, französisch,
englisch oder spanisch verfasste:
«Lundi, Rolf Hochhuth
prit le lunch avec moi et Maman. Un
jeune homme modeste, sérieux
et intelligent. On a parlé
sur le projet du drame auquel il
travaille.»
Dieses Stück hiess
«Soldaten», und Hochhuth
brachte darin den britischen
Kriegspremier Winston Churchill auf die
Bühne. Der Autor, über sein
gewagtes Vorhaben selber ein wenig
verunsichert, fragte am 21. 3. 1967
Golo Mann an, ob er ihm wie versprochen
das Stück «zur
Begutachtung» schicken dürfe,
und gab als Grund eine wachsende
Unsicherheit gegenüber der
Möglichkeit, Geschichte exakt zu
berichten, an.
«Bei Ihnen erhoffe ich
mir Verständnis dafür,
weil Sie ja Ihre Geschichte als
Erzählung bezeichnen und auch
in Essays mehrfach ausgesprochen
haben, wie problematisch der
Wissenschaftsanspruch der Historiker
ist.»
Mann willigte ein. Wenige Tage
später antwortete er Hochhuth in
einem dreiseitigen, eng beschriebenen
Brief, dem er ein vierseitiges
«Merkblatt» mit
Korrekturvorschlägen beilegte.
Der Historiker beurteilte das neue
Stück positiv, wenn auch die
Begeisterung fehlte, die er beim
«Stellvertreter» gezeigt
hatte: «Ihr Buch las ich in zwei
Tagen und Abenden, was wohl ein wenig
zu schnell war. Ein schönes Buch
ist es, und hat den ganzen Ernst, den
Sie ehedem schon bewiesen. Den ganzen
künstlerischen Ehrgeiz auch und
viel von dem Saft.»
Das
Churchill-BildDreh-
und Angelpunkt von Manns Kritik war die
Gestaltung der Hauptperson des
Stückes, Winston Churchill. Golo
Mann bekundete Mühe mit dem
Gesamteindruck, den
«Soldaten» vom britischen
Premier vermittelte.
Eine historisch falsche Zeichnung
konnte und wollte er Hochhuth
allerdings nicht zur Last legen,
konzedierte ihm im Gegenteil eine sehr
ausgewogene Darstellung. Golo Mann war
zu sehr Historiker, als dass er sich
einem verklärten Bild Churchills
verschrieben hätte. Dennoch
wünschte er sich die Hauptfigur
des Stückes heldenhafter.
Mann hatte, wie aus seinem Brief
hervorgeht, den britischen Staatsmann
während des Krieges als
charismatische Persönlichkeit und
Hoffnungsträger auf einen Sieg
über den Nationalsozialismus
erlebt. Diese Erfahrung erwies sich vor
dem Hintergrund eines Geschichtsbildes,
das dem grossen Mann eine zentrale
Rolle in der Geschichte einräumte,
als nachhaltig prägend.
Seine leise Verärgerung, dass
es aus diesem Dilemma kein Entrinnen
gab, übertrug er schliesslich auf
Hochhuth. Er hielt fest, dass Churchill
allmählich seinen Hass auf
Hitler auf das ganze deutsche
Volk übertragen habe, und fuhr
fort: «Das zeigen Sie. Sie zeigen
ja die Ursachen wohl auch, Sie wollen
gerecht sein, Sie sind ein Fanatiker
der Gerechtigkeit.»
Einen
gewichtigeren Einwand machte Golo Mann
an anderer Stelle geltend. Hochhuth
vertrat in seinem Stück die
hochbrisante These, Wladyslaw
Sikorski, Ministerpräsident
der polnischen Exilregierung in London,
sei auf Veranlassung Churchills hin vom
britischen Geheimdienst ermordet
worden
[Auf Meeresboden
liegendes Sikorski-Flugzeug,
links].
Gemäss Hochhuth lag in der
Haltung Sikorskis gegenüber der
Sowjetunion ein Konfliktpotenzial, das
die Gefahr eines Separatfriedens
zwischen Hitler und Stalin in
sich trug. Vor dieses Problem gestellt,
reagierte der britische Premier in
«Soldaten» mit der
Beseitigung Sikorskis mittels eines
inszenierten Flugzeugabsturzes.
Hochhuth konnte seine These nur auf
Indizien stützen, einen Beweis
vermochte er bis heute nicht zu
erbringen. Golo Mann schien sie wenig
glaubhaft:
«Sie deuten hier an, und Sie
werden häufig andeuten und die
Leser oder Zuschauer müssen
glauben, dass Sie es glauben, dass
Sikorski ermordet wurde und dass
Churchill von dem Mordplan gewusst hat.
Diese Behauptung, verehrter Herr, ist
eine sehr schwerwiegende. So, wie ich
Churchill kenne, kommt sie mir nicht
wahrscheinlich vor. [. . .] Das
müssen Sie auf Ihre Kappe nehmen.
Ich kann es nicht.»
Ein Kronzeuge für Hochhuths
These war der britische Historiker
David Irving, dem der Dramatiker
freundschaftlich verbunden war. Diese
Beziehung sollte in der Folge das
Verhältnis zwischen Mann und
Hochhuth stark belasten. Denn dass sich
Hochhuth mit diesem revisionistischen
Geschichtsschreiber einliess, konnte
ihm Golo Mann bis an sein Lebensende
nicht verzeihen.
Boykott
in EnglandMit dem Drama «Soldaten»,
das in England als Besudelung eines
Nationaldenkmals empfunden wurde,
provozierte Hochhuth erneut einen
Theaterskandal. In den Medien
entbrannte ein aufgeregter Streit um
die Sikorski-These, und die britische
Zensur verhinderte während mehr
als einem Jahr eine Aufführung auf
englischem Boden.
Nachdem der tschechische Pilot der
abgestürzten Maschine gegen den
Autor auch noch eine Verleumdungsklage
anstrengte, hatte Hochhuth vorerst
genug von der Zeitgeschichte. Seine
nächsten Theaterstücke
«Guerillas», «Die
Hebamme» und «Lysistrate und
die Nato» verzichteten auf
historische Rückgriffe.
Ein
«furchtbarer
Jurist»Im Zusammenhang mit seinem
Prosa-Stück «Eine Liebe in
Deutschland» kam Hochhuth jedoch
erneut folgenreich auf die Geschichte
zurück. Er erzählte darin die
tragische Liebesgeschichte zwischen
einer Deutschen und einem polnischen
Kriegsgefangenen, die dem
nationalsozialistischen Rassenwahn zum
Opfer fiel.
Ein Vorabdruck in der
«Zeit» vom 17. 2. 1978
enthielt einen kurzen Passus, in dem
der baden-württembergische
Ministerpräsident und
NS-Marinerichter Karl Filbinger
als «furchtbarer ,Jurist'»
bezeichnet wurde,
«der, wie man vermuten
muss, nur auf freiem Fuss ist dank
dem Schweigen jener, die ihn
kannten».
Da der CDU-Politiker Filbinger
Hochhuth unverzüglich in einen
Prozess verwickelte, zog der Fall in
der Öffentlichkeit immer weitere
Kreise und förderte verschiedene
Male neue Enthüllungen zu
Filbingers Rolle als Marinerichter
zutage.
Was als Halbsatz in der
«Zeit» begann, wuchs sich
schnell zur politischen Affäre
aus, die den Ministerpräsidenten
im August 1978 den Kopf kostete. Dies
war jedoch weniger eine Folge der ihm
zur Last gelegten Taten, als vielmehr
seines uneinsichtigen und menschlich
schwer verständlichen Verhaltens
während der Affäre.
Der SPD-Politiker Erhard
Eppler prägte in diesem
Zusammenhang die prägnante Formel
vom «pathologisch guten
Gewissen» Filbingers. Und sein
Parteigenosse Egon Bahr stellte
am Fernsehen die Frage, «wie viele
Todesurteile ein Mensch fällen
muss, damit er sich an eins nicht mehr
erinnert». Fünfzehn Jahre
nach dem «Stellvertreter»
initiierte Hochhuth damit erneut eine
Debatte zur
Vergangenheitsbewältigung.
Das
Problem IrvingWährend
der Filbinger-Affäre standen Golo
Mann und Rolf Hochhuth in keinem
schriftlichen Kontakt. Je stärker
sich Mann im Laufe der Siebzigerjahre
an konservativen Positionen
orientierte, desto mehr verringerte
sich auch die Korrespondenz mit
Hochhuth.
Für die Zeit vom November 1976
bis zum August 1978 besteht
überhaupt eine Lücke im
Briefwechsel. Erst nach dem
Rücktritt Filbingers meldete sich
am 21. 8. 1978 ein höchst
verärgerter Hochhuth bei Golo
Mann.
Er habe vernommen, dass Mann ihn im
Zusammenhang mit der
Filbinger-Affäre als
«Jäger» bezeichnet habe.
Weiter habe er vom Feuilleton-Chef der
«Zeit», Fritz J.
Raddatz, erfahren, dass Golo Mann
ihn nicht mehr für
glaubwürdig halte, solange er mit
David Irving befreundet sei.
Dessen
Publikationen nahmen in den
Siebzigerjahren immer deutlicher
revisionistische Züge an. 1977
veröffentlichte Irving seine
Hitler-Biografie, in welcher er zu
belegen versuchte, dass Hitler bis etwa
im Oktober 1943 nichts von der
«Endlösung» gewusst
habe.
Auf dieses Werk nahm Hochhuth Bezug,
als er in seinem Brief mit unbeholfenen
Worten für seinen britischen
Freund warb. Er führte an, dass er
bereits 1977 der von Irving vertretenen
These öffentlich entgegengetreten
sei. Aber:
«Dennoch bleibt es
dabei, dass Irving mein Freund ist,
nur nehme ich ihn in diesem Punkt
nicht ernst und sage ihm das ins
Gesicht und öffentlich. Aber da
seine Mutter eine geborene Dollmann
ist, was nicht sehr englisch klingt;
und da Irving zu Tode verlegen war,
als meine Frau ihm rüde ins
Gesicht sagte: "David, du bist wohl
Halbjude, da du ja nicht idiotisch
bist, aber trotzdem diesen
krankhaften Hass gegen die Juden
hast . . .", deshalb bitte ich auch
Sie, lieber Herr Professor, um Milde
für Irving in diesem einen
Punkt, wo er tatsächlich nicht
normal ist . . .»
Der Dramatiker unterschied strikt
zwischen Werk und Person Irvings. Mit
dem lebendigen Widerspruch zwischen
einem absoluten Gerechtigkeitsanspruch,
der ihn dazu bewog, einen ehemaligen
Mitläufer mit seinem Verhalten im
Dritten Reich zu konfrontieren, und
seiner Freundschaft zu einem
Revisionisten konnte er offenbar gut
leben.
Für den Historiker Golo Mann,
der trotz seinem Rechtsrutsch in den
Siebzigerjahren auf festem
demokratischem Boden stand, stellte
sich das Problem anders. Es lag auf der
Hand, dass er Hochhuths Erklärung
schwerlich akzeptieren würde.
Ein
AbschiedsbriefIn seinem Antwortbrief vom 22. 9.
1978 betonte Golo Mann, er wolle
Hochhuth seine Freunde nicht
vorschreiben, fand jedoch, Irving
übe einen schlechten Einfluss auf
ihn aus.
In der Tat hielt er Hochhuth in der
Affäre Filbinger nicht für
glaubwürdig. Manns eigene Position
hatte zwei Schwerpunkte. Zum einen
hielt er es als Historiker für
wenig fair, einen unter
Hunderttausenden, die in das
nationalsozialistische Regime
verstrickt waren, dreissig Jahre
später herauszugreifen und
exemplarisch büssen zu lassen.
In
der ungefähr zur selben Zeit
stattfindenden Debatte zur
Verjährung nationalsozialistischer
Verbrechen stellte er sich auf den
Standpunkt, man hätte die
Verfolgung in den Fünfzigerjahren
heftiger betreiben sollen, nun sei es
dafür zu spät.
Zum andern war Manns Position von
klaren politischen Interessen bestimmt.
In den späten Siebzigerjahren
begann er in der Hoffnung auf einen
baldigen konservativen Wechsel in der
Bundesregierung mit der
Unterstützung der CSU. Das
emotional stark befrachtete Thema der
Vergangenheitsbewältigung wollte
er nicht der Linken
überlassen.
Infolgedessen stellte Mann in seinem
Brief nicht in erster Linie Hochhuths
moralische Integrität in Frage,
sondern seine politische:
«Für einen
Kommunisten habe ich Sie nicht
gehalten, jedenfalls nicht für
einen im gängigen Sinn des
Wortes. Was mich seit langem
nachdenklich gemacht hat, ist, dass
die Stosskraft ihrer Dramen und
Schauspiele regelmässig in eine
Richtung ging, die den Kommunisten
zumindest nicht unangenehm zu sein
brauchte; ich nehme dabei den
,Stellvertreter' aus, den ich
für Ihr Meisterwerk halte.
[. . .] Was danach kam? Mehr
und mehr Verwirrung. Was habe ich
mich bemüht, Ihnen die
Sikorski-Idee auszureden! Nebenbei
bemerkt: Waren Sie denn da nicht
,Jäger' und wieviel Jahre lang,
wenn auch auf einer, meiner
Überzeugung nach, absurden
Spur!? Konnte, musste mir nicht der
Verdacht kommen, Sie seien
Jäger auch neuerdings
gewesen?»
An Hochhuths Beteuerungen, die
meisten der Filbinger belastenden
Gerichtsakten seien erst während
des Prozesses gefunden worden, mochte
er nicht glauben. Bei alldem ging es
Golo Mann nicht um Filbinger selbst,
der ihm unsympathisch war, wie er in
seinem Brief betonte.
«Trotzdem tat er
[Filbinger] mir leid, und es
bleibt meine Überzeugung, dass
ihm Unrecht getan wurde. Das haben
Sie, zufällig oder
unzufällig, angefangen; danach
war es ,Kettenreaktion'. Aber es
geht halt doch immer nur gegen die
,Konservativen'.»
Im polarisierten Klima der
späten Siebzigerjahre standen
für Golo Mann klar die politischen
Aspekte der Affäre im Vordergrund.
Seiner Meinung nach war Filbinger Opfer
einer politischen Kampagne geworden,
die unter dem moralischen
Deckmäntelchen der
Vergangenheitsbewältigung linke
Interessen verfolgte.
Seinem Wesen nach handelte es sich
bei Golo Manns Brief vom 22. 9. 1978 um
einen Abschiedsbrief. Sätze aus
spitzer Feder illustrieren, wie tief
der Riss in der Beziehung bereits
war:
«Für was ich Sie
halte: für einen
überqueren, stark fanatischen
Idealisten; zugleich sehend und
verblendet; zugleich geschickt im
Themengriff und in die Irre
gehend.»
Neuer
AnlaufDies war jedoch noch nicht das Ende
ihrer Beziehung. Ebenfalls 1978
veröffentlichte der Historiker
Hellmut Diwald seine
«Geschichte der Deutschen»,
einen Vorläufer der Forderung nach
einem neuen Nationalbewusstsein, wie
sie im «Historikerstreit» der
Achtzigerjahre von verschiedenen
konservativen Historikern erhoben
wurde.
Empörung löste in Diwalds
Werk vor allem die ausgiebige
Thematisierung der gewaltsamen
Vertreibung der deutschstämmigen
Bevölkerung aus dem Osten bei
gerade zwei Seiten zum Holocaust aus.
Um die «Geschichte der
Deutschen» entbrannte eine
Kontroverse, an der sich auch Golo Mann
mit einer vernichtenden Kritik des
Werkes beteiligte.
Nach der Lektüre von Manns
Artikel im «Spiegel» wandte
sich Hochhuth am 4. 12. 1978 per Brief
mit der Frage an Golo Mann, ob es denn
zwischen ihnen nicht doch mehr
Verbindendes als Trennendes gebe. Nach
einer entsprechenden Handreichung Golo
Manns schienen die früheren
Beziehungen wiederhergestellt.
Doch trotz eifrigem Bemühen des
Dramatikers wollte sich die Toleranz
und streckenweise auch spürbare
Wärme, die ihre Korrespondenz in
den ersten Jahren geprägt hatte,
nicht wieder einstellen. Immer wieder
wurde die Freundschaft mit Irving zum
Stein des Anstosses für Golo
Mann.
Da half es auch nur
vorübergehend, dass Hochhuth am
21. 5. 1984 mit mehreren
Zeitungsartikeln belegen konnte, dass
er Irvings verqueren Thesen längst
bei verschiedenen Gelegenheiten
öffentlich entgegengetreten
war.
1987:
Endgültiger BruchZum endgültigen Bruch kam es
wiederum über Filbinger. 1987
publizierte dieser seine
autobiografische Schrift «Die
geschmähte Generation».
Dieses apologetische und mit reichlich
Polemik gegen links ausgestattete Werk
besprach Golo Mann am 26. 7. 1987 in
der «Welt am Sonntag»
weitgehend positiv.
Im Zusammenhang mit der Affäre,
die im Buch ebenso ausführlich wie
einseitig beschrieben wird, wiederholte
Golo Mann nun öffentlich seine
Vorwürfe an die Adresse Hochhuths
und sprach polemisch von einer
«meisterhaft konzertierten
Hetze».
Dies rief Hochhuth auf den Plan, der
nun seinerseits Manns Integrität
in Zweifel zog und sich am 16. 8. 1987
am selben Ort in einem offenen Brief
fragte, ob Golo Mann nun zu den neuen
deutschen Patrioten vom Schlage
Ernst Noltes zu zählen
sei.
Fünf, sechs verschiedene
Fassungen dieses Textes finden sich im
Archiv Hochhuths. Mit jeder
Korrekturrunde schwächte er die
Angriffe auf den verehrten Historiker
ab. Trotzdem: Eine gewaltige Portion
Entrüstung blieb übrig, und
schon nach wenigen Sätzen wird
klar, hier rechnete einer mit einem
einstigen Vorbild ab.
Golo Mann antwortete am 19. 9. 1987
in der «Basler Zeitung». Er
wies Hochhuths Vorwurf dezidiert
zurück und erklärte
ausführlich, weshalb er sich nicht
am «Historikerstreit»
beteiligt habe. Der Bruch war nun
unvermeidlich. Die Zeitspanne eines
guten Einvernehmens zwischen Golo Mann
und Rolf Hochhuth hatte im Grunde nur
einige Jahre umfasst.
In den Siebzigerjahren erwies sich
Manns Rechtsrutsch für die
Beziehung als ebenso belastend wie
Hochhuths widersprüchlicher
moralischer Rigorismus. In ihren Dialog
schlich sich eine zunehmende Distanz
ein, die nur dann und wann von
herzlicheren Perioden abgelöst
wurde.
Den letzten Brief Hochhuths, der am
24. 4. 1988 nochmals den Versuch
machte, den Kontakt wieder aufzunehmen,
mochte Golo Mann gar nicht mehr lesen -
er retournierte ihn
ungeöffnet.
Eine
Veranstaltung: Unter dem Titel
«Geschichte und Theater: Rolf
Hochhuths Briefwechsel mit Golo
Mann» findet am Dienstag, 15.
Mai 2001, 20.00 Uhr, im Stadttheater
Bern eine Soiree statt, an der
ausgewählte Briefe aus dieser
Korrespondenz vorgetragen
werden.
Dr.
Thomas Feitknecht ist Leiter des
Schweizerischen Literaturarchivs in
Bern. Lic. phil. Kathrin Lüssi ist
frei schaffende Historikerin und lebt
in Zürich.
© 2001 /
Der Bund Verlag AG, Bern & Autoren
/ www.eBund.ch