First posted, Sunday, August 15, 2010 Auszüge aus
Privatbriefen des Oberstleutnant i.G. Nikolaus von
Vormann an seine Frau, 1939. 25. August 1939 Berlin. Heute vorm. war ich beim Chef des
Generalstabes und beim Oberbefehlshaber. Beide
haben versucht, mir meine Tätigkeit zu
schildern. Bei den letzten Unternehmungen waren auf
m. Posten teils der Chef des Generalstabes
persönlich oder der Oberquartiermeister 1. Das
wollen dieses Mal beide nicht wieder, um nicht zu
konkreten, ihren Stellungen angemessenen und
entsprechenden bindenden Operationsvorschlägen
Hitlers persönlich gegenüber gezwungen
werden zu können, die dann dem
Oberbefehlshaber die Freiheit des Handelns nehmen.
Das soll ich durch m. Gegenwart verhindern.* -
Genau so gewunden und kompliziert wie der vorige
Satz ist mein Auftrag. Hoffentlich kann ich ihn
erfüllen. Bei der persönlich ganz
großen Hochachtung, die ich Brauchitsch und
Halder gegenüber hege, will ich mir jedenfalls
alle nur denkbare Mühe geben... 26. August: [betr. Tätigkeit am 25.
August:] 12,50 Meldung bei Hitler. - Starke Spannung,
da bis 14 Uhr der Befehl für Fall
Weiß" gegeben sein muß. Ob.d.H.
erklärt sich einverstanden, wenn der Befehl
erst 15 Uhr rausgeht. 13,15 Frühstück im engsten Kreis.
Sehr schnell, hastig, Hitler sehr nervös.
Steht nach 10 Minuten auf, um Henderson, englischen
Botschafter zu empfangen. Gespräch dauert bis
14,40. Inzwischen kommt der italienische
Botschafter, um Antwort auf das lange Telegramm an Mussolini
vom Vormittag zu bringen. -- Viele
Rücksprachen mit Ribbentrop. Dazwischen
französischer Botschafter. 15,02 befiehlt Hitler: Fall Weiß.
Gegen 16 Uhr wird bekannt, daß England
Polenvertrag ratifiert hat. - Große Erregung.
Klar: England marschiert, Frankreich dto. Italien
macht nicht mit. Brauchitsch schickt mich zu C.d.G.
Halder: Kein Beginn der Feindseligkeiten.* 27. August: Wie weit die Gerüchte, die die Presse
über das Angebot Hitlers an Henderson bringt,
zutreffend sind, weiß ich nicht, da ich vor
der Tür saß. Z[ur]
Z[ei]t warten wir auf die Rückkehr des
englischen Botschafters. 28. August: [. . .] Hitler glänzender
Laune, hofft zuversichtlich, England so weit zu
bringen, daß wir mit Polen allein zu tun
haben. Großes Rätselraten, was Henderson
-- Abflug London 16,50 -- mitbringt. Bisher nichts
durchgesickert. 29. August: Henderson hat nicht das gebraucht, was
erwartet wurde, so sagt man wenigstens. Was nun
kommt, liegt in der Zukunft dunklen
Schoße. 30. August: Die Dinge spitzen sich immer mehr zu, und
drängen zum Ende. 31. August: [. . . ] Wenn Du den Brief bekommst,
ist Krieg. Mir persönlich will der Gedanke
noch kaum in den Kopf. 0,30 hatte Hitler seinen
Entschluß gefaßt. Um 5 Uhr bin ich nach
Benachrichtigung des Oberkommandos tiefsinnend ins
Hotel gegangen. - Hitler glaubt fest, daß Frankreich und
England nur so machen werden, als ob sie Krieg
führen wollen. 1. September: Natürlich ist noch nicht alles klar.
Die große Frage: wird England wirklich zu
Polen stehen, ist ganz offen. [. . . ]
Jetzt, 18 Uhr, tagt das Parlament
[s. Bild] und
soeben haben sich nacheinander der englische und
der französische Botschafter
angemeldet. 3. September: Hochstimmung gestern Abend, daß es
gelingen würde, England und Frankreich zu
einer zum mindesten zweifelhaften Haltung zu
bringen. -- Und nun ist es heute doch geschehen! Um 9
Uhr erschien der Engländer mit dem Ultimatum
bis 11 Uhr, und um 11 Uhr der Franzose mit dem
Ultimatum bis 17 Uhr. [. . . ] Ich mache
nicht mies und sehe nicht schwarz, aber sehe sehr
ernst in die Zukunft. Das wollten wir nicht. Bis
heute früh herrschte der Glaube, irgendwie
Zeit gewinnen und die Entscheidung hinziehen zu
können. Hitler glaubt auch heute noch,
daß die Westmächte den Krieg sozusagen
nur andeuten werden. Deshalb habe ich 15,50 dem
Heer den Befehl übermitteln müssen, die
Feindseligkeiten nicht von unserer Seite zu
beginnen. [. . . ] Ich kann diesen Glauben
nicht teilen. Das ist eine Verkennung der
englischen und französischen Psyche. - Da ich
heute weiß was Krieg ist, stehe ich den
Ereignissen anders gegenüber als 1914.
- 4. September: Komme soeben von der Weichsel -- Culm
gegenüber --zurück. Leistung von
Führung und Truppe in jeder Weise nur
anzuerkennen. -- Im Westen ist inzwischen ein
Propagandakrieg ausgebrochen. Sollte Hitler doch
recht behalten? -- Bei Saarbrücken sollen die
Franzosen ein Schild gezeigt haben: Von uns
fällt der erste Schuß nicht." Da wir
befohlen haben, auf keinen Fall die
Feindseligkeiten zu eröffnen, bin ich
gespannt, wie's weitergeht. 6. September: Hitler ist mit allen anderen fort gefahren
zur Front. Ich sitze allein mit ein paar Leuten im
Zuge auf dem Bahnhof eines kleinen pommerschen
Nestes und stehe trotzdem in Verbindung mit der
ganzen großen Welt. [. . .] Wie das
ganze Getriebe hier überhaupt in die
große Politik hinüberwechselt. Was
paßt so gar nicht zu den dürren Kiefern
und zu den Baracken, auf die ich aus den
großen Fenstern unseres Kartenwagens
hinaussehe. -- Es ist so ja ganz interessant und
trotzdem möchte ich eigentlich gerne weg
irgendwohin an die Front, wo ich eigene
Verantwortung hätte. Natürlich ist das
ungerecht, aber ich passe so gar nicht in einen
derartig großen Betrieb von ein paar hundert
Menschen, der so ausschließlich auf einen
einzigen Mann zugeschnitten ist, und außerdem
ist mir das Ganze zu fern von der Front. Die
Leistungen der Truppe sind sehr ordentlich. Nach 6
Tagen Krieg stehen wir überall gut 150 km in
Feindesland. Der Heeresbericht, der hier jeden
Morgen in dem Wagen, in dem ich sitze, entsteht,
ist 100%ig richtig. [. . . ] Der komische
Krieg im Westen geht weiter. Bisher ist noch kein
Schuß an der Westfront gefallen. Es stehen
sich auf beiden Seiten nur große Lautsprecher
gegenüber, mit deren Hilfe jede Partei der
anderen klar zu machen versucht, wie unmöglich
ihr Verhalten ist und wie blödsinnig ihre
Regierungen. -- Morgen wollen Brauchitsch und
Raeder hier erscheinen. Abends wird's dann wohl wo
hingehen. --Polens Lage ist mehr als
verzweifelt. 9. September: [. . .] In dem Bemühen, nichts
zu übertreiben, bin ich mit meinen
Prophezeiungen immer sehr umsichtig gewesen. Meist
hat die Truppe in fabelhafter Leistung es immer
noch früher geschafft. Der Krieg in Polen ist
aus. -- Im Westen geht der Kartoffelkrieg weiter.
Mir persönlich wäre es ja doch das
liebste, wenn nach dem Verschwinden des einen
Vertragspartners der offizielle Kriegsgrund
für England und Frankreich entfällt. -
Die Zukunftspläne, die immer wieder von Hitler
in langen Gesprächen erörtert werden,
sind interessant, aber kaum geeignet zum
schriftlichen Festlegen. 11. September: Militärisch steht die Sache
glänzend. Heut und morgen entscheidet sich das
Schicksal der polnischen Armee wie wir es erhofften
noch westlich der Weichsel. Spätestens
übermorgen kommt in die Zeitung die
Schilderung der Großen Schlacht in
Polen".[. . .] Im Westen bleibt die Sache
verwunderlich. Die Franzosen geben Heeresberichte
heraus, die geradezu phantastisch sind. Sie
sprechen von Operationen, züm mindesten von
den Einleitungskämpfen dazu, obwohl tiefer
Friede herrscht. 13. September: Über das Leben und Treiben hier im
Hauptquartier ist shcriftlich schwer, was von sich
zu geben. Das muß ich mündlich
berichten. -- Wir kommen gerade von der Front
zurück. Im Westen bleibt die Sache weiter
dunkel. Es ist ein Krieg mit heftigem'
Bemühen, dem anderen nicht weh zu
tun.' 15. September: Hitler ist mit großer Begleitung
wieder zur Front. Ich habe Dienst und sitze
infolgedessen im Zuge am Telefon. Zu tun ist wenig.
Die Operationen verlaufen planmäßig wie
ein Uhrwerk. - Unsere Bemühungen gehen jetzt
mit Macht dahin, Rußland zu veranlassen
mitzumachen. Nicht, weil wir allein nicht fertig
werden, sondern um zu bewirken, daß England
und Frankreich dann auf Grund ihres
Bündnispaktes auch Rußland den Krieg
erklären müssen. Die daraus dann sich
notwendigerweise ergebenden Konsequenzen sind gar
nicht abzusehen. England wird es wohl deshalb nicht
machen und dann entfällt wiederum der
offizielle Grund, warum es uns den Krieg
erklärt hat. - Was aus diesem Durcheinander
wird, müssen wir .abwarten. 17. September: Heute morgen 4 Uhr sind die Russen nun doch
endlich marschiert. Die offizielle Erklärung
lautet: zum Schutz der Ukrainer' wind
Weißrussen unter voller Wahrung der
Neutralität in dem bestehenden Konflikt und
weil keine polnische Regierung mehr vorhanden ist;
die russische Regierung demnach also an den
russisch-polnisch. Nichtangriffspakt nicht mehr
gebunden ist. In Wirklichkeit ist die Sache noch
viel komplizierter und mit Klärung dieser
Fragen und mit Festlegung einer Demarkationslinie
haben wir die heutige Nacht verbracht. Hoffentlich
sind die Befehle noch durchgekommen [. .
.] Wir wollen heute wieder Standortwechsel
machen. Hitler will gern bevor der amerikanische
Kongreß zusammentritt (21.9.) in Danzig eine
große Rede reden. Also demnach
spätestens am 20. 18. September: [. . .] Hitler will morgen in Danzig
seine große Rede halten. - Eigentlich war
vorgesehen, daß ich einen Abstecher in die
hohe Diplomatie machen sollte. Als Vertreter der
Wehrmacht sollte ich heute per Flugzeug nach
Bialystok zu einer längeren Konferenz mit
russischen Offizieren über Demarkationslinie
usw. Väterchen Stalin hat aber in letzter
Minute heute Nacht abgelehnt und will die Sache
selbst von Moskau aus machen. Ich bin teils froh,
teils traurig, aber eigentlich mehr froh als
traurig, denn ich hätte Vollmacht gehabt, die
Russen aber keine, sodaß doch nur leeres
Stroh gedroschen worden wäre. - Der Tag
gestern war reichlich aufregend. Neben dem
Russeneinmarsch hatte auch Warschau um
Verhandlungen gebeten. 21. September: Vorgestern war der feierlicher Einzug in
Danzig, und gestern haben uns die Russen zuviel
Schererei gemacht. Der Einzug vorgestern in Danzig
war fabelhaft. Die schöne Stadt feierlich
geschmückt und die Bevölkerung wie
verrückt. Ich habe bisher so etwas noch nicht
mitgemacht. Die Rede hast Du ja gehört. Hitler
glaubte sein Friedensangebot an Frankreich offener
nicht abgeben zu können, ohne daß es ihm
als Schwäche ausgelegt werden könnte.
--Die Verhandlungen mit Rußland sind nicht
ganz einfach. All dag, was ich von den
Schwierigkeiten und den Reibungen eines
Koalitionskrieges bisher nur theoretisch
gewußt habe, tritt in Erscheinung trotz
besten Willens und größten
Entgegenkommens von beiden Seiten. Die Russen waren
suspiciös und hatten wohl Befürchtungen,
ob ein siegreiches Heer auch wirklich freiwillig
erobertes Gebiet wieder räumt. Nachdem sie
jetzt gesehen haben, daß wir es wirklich tun,
ist alles in Butter. Behalten wollen wir das Land
nicht. Über die endgültigen Grenzen
schwanken die Ansichten täglich, beinah sogar
stündlich. Ebenso darüber, ob und in
welcher Form ein polnischer Staat bestehen bleibt.
- Heute vormittags waren wir in Gdingen. [. .
.] 25. September: [. . .] Heute hier wieder
Besprechungen aller Art. Wann wir wieder nach
Berlin kommen ist unbestimmt. Ebenso unbestimmt ist
auch, was aus mir wird. Das Leben ist ja so ganz
interessant, aber nichts für die Dauer
für mich. Ich habe Brauchitsch schon um andere
Verwendung bitten lassen. Über die
Fortentwicklung um Westen ist kein klares Bild zu
gewinnen. Bisher ist jedenfalls noch nichts
passiert, was nicht zu reparieren wäre. Lust
hat keiner, das ist schon ein großes Plus
für den Frieden. | ||||||||||||||||||||||