Wehrmachtsausstellung:
Zehn Prozent der Bilder zeigen
eindeutig Taten der Wehrmacht" Historiker:
Unwissenschaftlicher Umgang mit
Bildquellen g-n.
FREIBURG, 21. Oktober.
Auch die
Zeitschrift
Geschichte
in Wissenschaft und
Unterricht (GWU)
beschäftigt sich in ihrer neuesten
Ausgabe, wie die
Vierteljahrshefte
für
Zeitgeschichte
(VfZ), mit der Wanderausstellung
Vernichtungskrieg, Verbrechen der
Wehrmacht 1941 bis 1944", die
demnächst auch in amerikanischen
Städten gezeigt werden soll.
In den VfZ schrieb der polnische
Historiker Bogdan Musial, in GWU
äußert sich der ungarische
Historiker Krisztián
Ungváry, darüber hinaus
hat dort Dieter Schmidt-Neuhaus
exemplarisch den Fall Tarnopol in der
Wehrmachtsausstellung untersucht. Aus all
dem ergibt sich ein beträchtlicher
Umfang an Irrtümern und
Fehldeutungen. Ungváry
kommt zu dem Schluss, dass von 801
Bildern im Ausstellungskatalog des
,,Hamburger Instituts für
Sozialforschung" über die
Hälfte weder Verbrechen noch
Kriegshandlungen zeigen, weitere 63
lediglich Kriegshandlungen. 333 Bilder
zeigen Leichen oder Verbrechen. Unter
diesen Bildern seien 185, bei denen man
die Täter nicht kenne. 62 Bilder
seien mit fehlerhaften
Bildunterschriften versehen; bei 71
Bildern seien die Täter
nachweislich nicht Angehörige der
Wehrmacht. Von den 801 Bildern dokumentierten zehn
Prozent eindeutig Taten der Wehrmacht:
Hinrichtungen oder Erniedrigungen des
Feindes. Unter den Bildern mit Todesopfern
seien viele, bei denen die Täter zwar
Deutsche gewesen seien, aber nicht
Angehörige der Wehrmacht, sondern
deutscher Polizeieinheiten, der SS und des
SD sowie litauischer, lettischer,
ukrainischer oder russischer
Hilfswilligen-Verbände, wieder andere
waren sowjetische Täter oder
finnische, ungarische und kroatische
Soldaten. Bei über siebzig Bildern
enthielten die Unterschriften sachliche
Fehler oder stellten Aufnahmen desselben
Ereignisses mit einander widersprechenden
Orts-, Zeit- und Täterangaben dar.
Ungváry beschreibt die methodischen
Fehler anhand einiger Beispiele. Zu den
Exekutionen in Stari Becej, ungarisch
Obecse (Vojvodina), schreibt er, das
Gebiet habe zum Königreich Ungarn
gehört, zwischen 1941 und 1944 seien
dort keine deutschen Truppen gewesen. Also hätten dort auch keine
deutschen Soldaten an den in der
Bildunterschrift behaupteten
Geiselerschießungen von elf
Jugendlichen ,,zur Sühne" beteiligt
sein können. ,,Keine
der Behauptungen ist wahr. Es waren
nicht elf, sondern zwölf. Es waren
bis auf drei keine Jugendlichen. Sie
wurden nicht zur ,Sühne'
exekutiert, sondern durch ein
ungarisches Kriegsgericht wegen
Landesverrats, Mordes, unerlaubten
Waffenbesitzes, Sabotage unter anderem
zum Tode durch den Strang verurteilt
und mangels geübtem Henker
erschossen. Alle Angeklagten waren
ungarische Staatsbürger und
Mitglieder der kommunistischen Partei,
ihr Anführer hatte einen
ungarischen Gendarmen erschossen.
Ursprünglich waren 22 Personen
angeklagt, davon 16 zum Tode
verurteilt, vier aber vom ungarischen
Generalstabschef begnadigt." Ebenso falsch seien die Angaben zum
Vorfall in Senta (Zenta), wo deutsche
Wehrmachtsangehörige Juden zur
Zwangsarbeit eingeteilt haben sollen.
Zenta war ebenfalls ungarisch. Ungarn
hätten jüdische Landsleute zum
Arbeitseinsatz zusammengetrieben, ohne
Hilfe oder Instruktionen der Wehrmacht.
Entsprechende Fehler weist der ungarische
Historiker auch den Bildern aus Zombor
(Sombor) in der Vojvodina nach, auch
für die Ermordung von Polen und
Ungarn in Zloczów bei Lemberg, die
der NKDW, die sowjetische Geheimpolizei,
vor dem Einmarsch der Wehrmacht begangen
habe. Um die Verbrechen der 6. Armee, die in
Stalingrad unterging, zu beweisen, zeige
die Ausstellung, wie Dieter
Schmidt-Neuhaus darlegt, vier Bilder
von Kriegsverbrechen in Tarnopol, von
denen drei dem NKWD zuzuschreiben sind,
keines aber der 6. Armee, die nie
näher als 100 Kilometer an Tarnopol
herankam. Das gleiche gelte für
Bilder aus Minsk, mit denen die Aussteller
die 6. Armee verbinden. Das Bild eines
Erhängten (Nr. 76 im Katalog)
trägt die Unterschrift ,,Unbekannter
Ort, UdSSR oder Polen". Ungváry
weist nach, dass dasselbe Bild das erste
Mal im Jahre 1964 veröffentlicht
wurde. Auf diesem
Foto trägt der Erhängte ein
Schild mit der Aufschrift ,,Ich bin ein
Feigling". Es zeigt demnach einen
deutschen Deserteur. Auf dem Foto der
Ausstellung ist der Text auf dem Schild
wegretuschiert. In elf Fällen weist Ungváry
den Autoren des Katalogs nach, dass sie
verschiedene Bilder von denselben
Vorgängen auf verschiedenen Seiten so
präsentierten, als dokumentierten sie
unterschiedliche Ereignisse. Er bemerkt
zahlreiche Ungenauigkeiten, falsche
Zuordnungen, unzulängliche
Erforschung der Herkunft der Bilder,
mangelnde Vorsicht gegenüber
Fälschungen durch örtliche
Behörden bei der Vorbereitung von
Schauprozessen, verzerrte oder
unzureichende und darum irreführende
Begleittexte. Er stieß auf 37 Fälle, in
denen der Katalog Berichte, Befehle und
Verbrechen der SS, des SD und auch der
Waffen-SS zitiert und als
Wehrmachtsverbrechen behandelt, da die
Wehrmacht in einem indirekten Zusammenhang
damit stand. Die spätere Behauptung
der Aussteller, sie hätten damit nur
den ,,Kontext" der Verbrechen darstellen
wollen, könne nicht akzeptiert
werden, schreibt Ungváry, weil mit
solchen unsystematischen Kontexten die
Relation zwischen Verbrechen der Wehrmacht
und Verbrechen der SS, des SD, von
Verbündeten und Gegnern gerade nicht
dargestellt werde.
AM 24. Juni
[1941], zwei Tage nach dem
deutschen Angriff, erteilte der
NKWD-Minister [Lawrenti]
Berija den Geheimbefehl, alle
konterrevolutionären Elemente"
unter den Häftlingen zu
erschießen. In den meisten
Gefängnissen kam es danach, wie
Musial schreibt, zu grauenvollen
Massakern. In Grenznähe blieb den
Tätern kaum Zeit, die Tat
auszuführen oder um die Leichen noch
zu verscharren, doch in den weiter
östlich liegenden Gefängnissen
kam es zu umfassenden systematischen
Vernichtungsaktionen. Die vorrückenden deutschen
Soldaten und die Einheimischen fanden nun
in den Gefängnissen, teils noch in
den Zellen, Leichenberge vor. Die Zahl der
Opfer habe zwischen mehreren hundert und
mehreren tausend gelegen. In
Weißrussland seien Tausende von
Häftlingen auf so genannten
Todesmärschen ermordet worden. Auch
hier wurden die Leichen entweder
verscharrt oder einfach liegen gelassen.
Waren die Gefängnisse weit genug von
der Grenze entfernt, wurden die
Vernichtungsaktionen abgeschlossen und die
Leichen in Massengräbern
verscharrt. Musial bezeichnet in seiner Darstellung
stets die entsprechenden Orte. Die
Gesamtzahl der NKWD-Opfer lasse sich noch
nicht genau bestimmen, Musials Darstellung
nach muss sie aber in die Zehntausende
gehen. Zu den Verbrechen an
Gefängnisinsassen kamen noch
Mordtaten an Zivilisten, worüber es
bisher jedoch keine wissenschaftlichen
Untersuchungen gibt. Nach dem Einmarsch
der deutschen Truppen wurden
Massengräber geöffnet und die
Leichen öffentlich niedergelegt, zur
Dokumentation der Verbrechen, zur
Identifizierung der Opfer, zu
Propagandazwecken. Zu den
Ausgrabungsarbeiten wurden in der
Regel, so Musial, einheimische Juden
gezwungen. Die Morde des NKWD
dienten oft als Vorwand für die
sich anschließenden deutschen
(und ukrainischen)
Vernichtungsaktionen." Die Nachricht von den Massenmorden der
Sowjets habe sich in der deutschen Truppe
schnell verbreitet, schreibt Musial.
Tausende von deutschen Soldaten
hätten sich zu den Mordstätten
begeben, um die Verbrechen mit eigenen
Augen zu sehen. Nicht wenige hätten die
Leichenberge auch fotografiert, wie
Augenzeugen noch heute berichteten. Die
Fotos seien zum Teil nach Hause gesandt
worden, zum Teil, wenn deutsche Soldaten
auf dem Rückzug fielen oder in
Gefangenschaft gerieten, in sowjetische
Hände gelangt und über kurz oder
lang bei der Außerordentlichen
Staatskommission für die Feststellung
und Untersuchungs der Verbrechen der
deutschen faschistischen Eindringlinge"
(ASK) gelangt, deren deutsches
Gegenstück die
Wehrmacht-Untersuchungsstelle war. Die ASK
wurde vom NKWD beherrscht. Sie war auch eine Brutstätte
für Desinformationskampagnen (so
etwa, als sie die systematische Ermordung
polnischer Kriegsgefangener den Deutschen
anlasten wollte). Nach Auflösung der
Kommission gelangten die Fotos in
sowjetische Archive. Der Umgang mit
solchem Material, insbesondere mit den
Quellenvermerken, erheischt besondere
Gründlichkeit. Musial wirft nun den
Hamburger Sozialforschern vor, sie
wären bei der Suche nach
Bilddokumenten für die Verbrechen der
Wehrmacht einfach nach folgenden
Prinzipien verfahren: Aufnahmen,
die auf ein mögliches Verbrechen
hindeuten (Leichenmassen,
Erhängte, brennende Häuser
usw.), wurden ohne nähere
Prüfung der Wehrmacht als
Täterorganisation zugeordnet.
Insbesondere dann, wenn auf diesen
Fotos Soldaten zu sehen waren oder wenn
diese Fotos von gefallenen oder
gefangen genommenen Soldaten stammten.
Dass deutsche Soldaten auch sowjetische
Verbrechen oder Verbrechen anderer
Organisationen, auf der eigenen wie auf
der gegnerischen Seite, fotografiert
haben könnten, wurde dabei
offenkundig nicht in Betracht gezogen."
Da viele Fotos aus den nachsowjetischen
Archiven keine oder falsche Angaben
enthielten, hätten die Aussteller
geglaubt, dass man ihren
tatsächlichen Inhalt nicht mehr
ermitteln könne. Doch sei das
durchaus möglich. Heer erwiderte in
seiner Stellungnahme, die Ausstellung
werde seit 1995 gezeigt, sie gebe im
Wesentlichen den Forschungsstand und das
Archivwissen von damals"
wieder. |