FOCUS: Herr Wick, die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Vorsitzenden der französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, der auf einer Pressekonferenz in München die Gaskammern als Detail" der Geschichte des Zweiten Weltkriegs bezeichnet hat. Ist das der Vorwurf? Wick: Das ist der Vorwurf, und das war auch der Grund, weshalb wir die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Herrn Le Pen beantragt haben. Aus dieser Äußerung ergibt sich der Verdacht, daß eine Straftat gemäß Paragraph 130, Absatz 3, Strafgesetzbuch gegeben ist. Seit der Gesetzesänderung von 1994 ist nicht nur die Leugnung des Massenmordes an den Juden, sondern auch dessen Verharmlosung unter Strafe gestellt.
FOCUS: Inzwischen hat das Europäische Parlament Le Pens Immunität aufgehoben. Wie geht es weiter?
Wick: Wenn mir die Entscheidung des Parlaments auf dem offiziellen Weg zugeleitet worden ist, werden wir das Ermittlungsverfahren gegen Herrn Le Pen wegen des Verdachts der Volksverhetzung einleiten. Erst am Ende des Verfahrens, nach Zeugenvernehmung und auch der Beschuldigtenvernehmung des Herrn Le Pen, wird von uns entschieden werden können, ob wir Anklage erheben oder das Verfahren einzustellen ist.
FOCUS: Waren die Gaskammern kein Detail des Zweiten Weltkriegs?
Wick: Die von Herrn Le Pen gewählte Formulierung ist geeignet, die ganze Dimension der systematischen Vernichtung eines Bevölkerungsteils so zu verharmlosen und zu verniedlichen, daß es an Verfälschung grenzt. Detail des Weltkriegs waren die Gaskammern sicher nicht, sondern ein ganz integraler Bestandteil der Naziideologie und gezielter Völkermord.
FOCUS: Detail bedeutet: Teil eines Ganzen.
Wick: Ich werde mich zu diesem Punkt, nachdem er wesentlicher Aspekt des Ermittlungsverfahrens ist, vor dessen Abschluß nicht äußern. Wir werden im Verfahren auch prüfen, in welchem Kontext diese Äußerung gefallen ist, und da kann uns eventuell auch die Beschuldigtenvernehmung von Herrn Le Pen, sofern er sich äußert, gewisse Aufschlüsse geben.
FOCUS: Historiker, die den Zweiten Weltkrieg zum Gegenstand haben, widmen in ihren Werken den Gaskammern immer nur wenige Seiten, behandeln sie also als Detail - auch ein Grund, Ermittlungsverfahren einzuleiten?
Wick: Es kommt immer auf den Einzelfall - auf die Formulierung - an.
FOCUS: Wenn ein Historiker schriebe, daß die Kapazität der Gaskammern "stark übertrieben" wird, wäre das ein möglicher Straftatbestand?
Wick: Je nachdem, in welchem Zusammenhang diese Äußerung fällt. Es wäre auf jeden Fall zu prüfen, wenn durch die Äußerung die Ermordung der Juden durch die NS-Diktatur verharmlost wird.
FOCUS: Dieser Satz steht in der Einleitung von Daniel Goldhagens Buch Hitlers willige Völlstrecker. Werden Sie gegen Goldhagen ermitteln?
Wick: Ich kenne den Satz und den Zusammenhang, in dem er steht, nicht, und möchte mich dazu auch nicht äußern.
Interview: Michael Klonovsky