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 Posted Saturday, June 17, 2000


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Frankfurter Rundschau

Frankfurt, 14. Juni 2000


Niemand bleibt eine Insel

Hinter imperialer Fassade - das neue Holocaust-Museum in London

Von Peter Nonnenmacher

Kaum sind die Akten im David-Irving-Prozess geschlossen, kaum sind die Schlagzeilen über den "Holocaust-Leugner" verhallt, da öffnet in London eine Ausstellung ihre Tore, die sich wie eine bebilderte Antwort auf Irving, wie eine vielstimmige Reaktion auf seine Tiraden ausnimmt.

Das neue Holocaust-Museum in London, als permanente Ausstellung im Imperial War Museum, ist der materialisierte Kontrapunkt zum Chor der Geschichts-Verdreher, ein Ort intelligenter Betrachtung ebenso wie intensiver Besinnung. Mit diesem Museum schließt sich London dem Reigen der Weltstädte an, die in jüngster Zeit die Massenvernichtung der Juden durch den National--sozialismus aufzuarbeiten versucht haben. Auch an der Themse, etwas abgerückt von den Geschehnissen der Nazi-Ära, lässt sich nun studieren, was es mit dem Holocaust auf sich hatte und wie es zu ihm kam.

Natürlich hat das Fragen aufgeworfen, die den Zeitpunkt eines solchen Projekts betreffen. Folgte London, als man dieses Museum in den 90-er Jahren in den Blick fasste, nur einem modischen politischen und kulturellen Trend? Warum brauchte Britannien plötzlich ein solches Museum, nachdem es ein halbes Jahrhundert lang ohne eins ausgekommen war? "Müssen wir denn immer zurückschauen, statt in die Zukunft zu blicken?" provozierte der liberale Londoner Independent seine Leser. Und was war mit anderen Völkermorden, mit Genoziden in anderen Erdteilen, deren Aufarbeitung keine Museen gewidmet waren?

Auf letztere Frage wartet das Imperial War Museum mit einer prompten Antwort auf: Mit den Völkermorden anderswo beschäftigt sich eine weitere Ausstellung, die im kommenden Jahr eröffnet werden soll. Was aber den Holocaust angeht, so räumen die Experten gern ein, dass das öffentliche Bewusstsein in Großbritannien erst in jüngster Zeit zu einer Bereitschaft umfassender Wahrnehmung gereift sei. Mit dem Ende des Kommunismus, mit einem schärferen Blick auf die eigene Vergangenheit, mit Shoah und Schindlers Liste und dem Aufspüren der letzten NS-Kriegsverbrecher auf der Insel, mit Schweizer Bankkonten und Londoner Gold-Konferenzen und dem Streit um gestohlene Kunstwerke aus jüdischem Besitz wuchs auch im Vereinigten Königreich (wo immerhin einmal 50 000 jüdische Flüchtlinge Aufnahme fanden) der Ruf nach der Erledigung "unerledigter Geschäfte".

Dieses "Geschäfts" hat sich nun das Holocaust-Museum angenommen, das hinter der imperialen Fassade des alten Londoner Kriegs-Museums auf zwei Stockwerken zu einem Gang durch die Geschichte einlädt, von den vergleichsweise sorglosen Tagen deutsch-jüdischer Familien in den 20-er Jahren bis zur systematischen Ermordung von Millionen Juden in den 40-er Jahren. Mit architektonischer Finesse, klug konzipiertem Medien-Einsatz und einer geschickten Balance zwischen Schock und nüchterner Analyse vermittelt dieser Gang die historische Entwicklung, die zum Holocaust führte, die Gestalt, die die Massenvernichtung annahm, und die Organisation, mit der der Nazi-Wahn in Wirklichkeit umgesetzt wurde.

Keine emotionalen Tricks sind dabei im Spiel. Ruhig, geradezu freundlich beginnt der Rundgang in einem ovalen, mit hellem Holz getäfelten Raum, der den Reichtum jüdischen Lebens vor der NS-Zeit feiert, in Fotos, Liedern, Videostücken. Von hier führt der Weg in die 30-er Jahre, zur europäischen Situation nach dem Ersten Weltkrieg, zum Aufstieg Hitlers, zum religiösen Erbe der Juden, zum Rassenwahn der Nazis, der ausführlich dokumentiert ist. Am Rande erwähnt finden sich Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Gegner der Nazis, die ebenfalls in den Lagern ermordet wurden. Aber das Hauptgewicht der Ausstellung liegt auf dem Schicksal der europäischen Juden.

Mit übersichtlichen Schautafeln, in die Bildschirme eingelassen sind, mit einer Mischung aus Informationen, Augenzeugenberichten, Ausschnitten von Dokumentarfilmen, mit Zitaten und Postern zerlegt die Ausstellung die Ereignisse in begreifliche Kapitel -- hier der Rassenhass, dort die Ausgestoßenen, da die Berliner Olympiade von 1936, daneben das Wachstum des Hitler-Reiches, der Strom der Flüchtlinge, die Pogromnacht. Goebbels Organ schallt durch die Korridore, in seinem rhythmischen Bestehen auf dem Vorrang deutscher Kultur, während in den Nischen des Museumgangs in Video-Aufnahmen Überlebende der Nazi-Ära mit gedämpfter Stimme Auskunft über die Realitäten der Zeit geben.

Diskret, aber klug durchdacht lässt der Gang den Besucher die Atmosphäre der Zeit erfahrbar werden. In irregulären Windungen zwischen braunen Terracotta-Platten, mit kleinen Erkern durchsetzt, bahnt man sich einen Weg durch die 30-er Jahre, bis man am Kriegsbeginn 1939 angelangt ist.

Treppe in die Tiefe

Von hier führt eine Treppe in die Tiefe. Das untere Stockwerk, überwiegend schwarz gehalten und dennoch weiträumig und wenig klaustrophobisch, ist simpler ausgelegt, folgt der bitteren Logik des Weges in die Konzentrationslager. Hier sind die Nazi-Eroberungen verzeichnet, die Ghettos, die Mordkommandos, der Transport in die Lager, die Todesrate, das Dilemma der jüdischen Organisationen, der Beginn massenhafter Liquidation. Vier Info-Kästen dokumentieren, an verschiedenen Stationen, präzis den Wissensstand des Vereinigten Königreichs: "News reaches Britain", die Nachrichten vom europäischen Kontinent erreichen die Insel - diese war recht gut und früh über die Vorgänge jenseits des Ärmelkanals informiert. Zwei Räume auf diesem Stockwerk prägen sich besonders ein. Der eine ist ein dunkler, quadratischer Spiegelraum, auf dessen Wände die Hierarchie der "Endlösung", die Bürokratie des Mordens, in Form eines gigantischen Organisationsplanes verzeichnet ist.

Der andere ist ein lang gestreckter Raum, in dem ein grell von oben beleuchtetes Auschwitz-Modell, ganz in gespenstisches Weiß getaucht, die Ankunft eines Transports, den Aufmarsch Tausender von Opfern wiedergibt. 800 Schuhe, auf zehn Jahre ausgeliehen aus den riesigen Beständen des Majdanek-Staats-Museums, bilden den Hintergrund zu dieser Szene. Nicht weit entfernt sind eine Büchse mit Zyklon-B-Gas-Kügelchen ausgestellt und eine Knochen-Zerkleinerungs-Maschine zur Gewinnung von Dünger aus KZ-Knochen-Material. Rund um die Ausstellungsstücke bleibt Raum zum Fragen. Wer waren die Täter? Scheinwerferlicht auf viele leere Plätze. Wer waren die Retter?

Schindler, gewiss, aber unter vielen anderen. Was wurde aus den Opfern? Im letzten Raum, wieder ein holzwarmes, lichtes Oval, die Urteile der Augenzeugen auf Monitoren, persönliche Bekenntnisse, durchaus auch widersprüchliche Schlussfolgerungen. Man kann sich setzen, atmen, das Gesehene überdenken. Edmund Burkes Diktum, zum Triumph des Bösen brauche es nur "gute Leute, die die Hände in den Schoß legen".

Vielleicht, meint die in London lebende jüdische Schriftstellerin Lisa Appignanesi, sei es ja an der Zeit, dass Erinnerung an den Holocaust durch "Lernen vom Holocaust" ersetzt werde: Das David-Irving-Spektakel vom Frühjahr hat dem Londoner Holocaust-Museum zusätzliche Legitimation verschafft. Immerhin, meint die Autorin, signalisiere die Ausstellung im Imperial War Museum auch neues britisches Interesse an Europa: "Einer der Gründe, warum Britannien gerade jetzt des Holocausts gedenkt, ist doch der, dass es sich endlich bereit findet, ein bisschen von seinem Insel-Status aufzugeben und seine Geschichte mit der Geschichte Europas zu verbinden." Auch in diesem Sinne sei die Museumseröffnung jedenfalls "ein gutes Zeichen".

 

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