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![]() Hamburg, November 9, 2000 [Picture added by this website]
WENN man davon absieht, dass es immer ein Fehler ist, sich selbst vor Gericht zu vertreten: Es war eindrucksvoll, den vor dem Londoner High Court immer im blauen Nadelstreifenanzug erscheinenden David Irving auftreten zu sehen; ganz alleine gegen eine Phalanx von Anwälten, Sachverständigen und Hilfskräften der Professorin Deborah Lipstadt aus Georgia und des Londoner Penguin Verlages. Da stand der Mann -- an jedem Verhandlungstag fünf Stunden -- und stellte seine in der Nacht sorgfältig vorbereiteten Fragen. Detailbesessen versuchte er die im Zeugenstand stehenden Experten mir Einzelheiten in die Ecke zu drängen, zu verunsichern und zu erschöpfen. Gutachterzeugen der Verteidigung waren in erster Linie der Cambridge-Professor Richard J. Evans, der amerikanische Historiker Christopher Browning und der deutsche Gelehrte Peter Longerich. Als Zuschauer fragte man sich: Ist Irving starrköpfig -- oder gar wahnsinnig, gegen die historische Fachwelt anzutreten? Aber es war nicht sicher, dass er seinen Prozess gegen die Historikerin Lipstadt verlieren würde. Sie hatte Irving in ihrem Buch Denying the Holocaust 1994 den prominentesten und gefährlichsten Holocaust-Leugner genannt, da er die systematische Ausrottung der Juden und deren Tod in den Gaskammern bestreitet. Irving wollte diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und klagte. Aber er musste im Laufe des Prozesses Fehler und Irrtümer einräumen, die er freilich nicht wissentlich oder gar willentlich begangen habe: Vieles sei eine Frage der Interpretation. Aber wer mochte daran glauben, wenn er zum Beispiel aus einem Berliner Befehl nach Riga nur den ersten Teil zitierte: »Die Massenerschießungen haben sofort aufzuhören" -- indes den zweiten wegließ: " -- das soll in Zukunft vorsichtigen gemacht werden"?
Frau Menasse porträtiert auch Deborah Lipstadt und ihr Buch; sie schildert die Vorgeschichte der Klage Irvings und die personelle Verþechtung der Anwälte und des Richters, und sie will das komplizierte englische Beleidigungsrecht erklären. Aber das alles wirkt schnell und angelesen, ist kaum verarbeitet und verwirrend dargestellt. Der Leser tut gut daran, sich möglichst rasch dem Kernstück des Buches zuzuwenden, den für die Buchform leicht überarbeiteten spannenden Reportagen, die Frau Menasse für ihre Zeitung schrieb, während Irving sich jeden Tag kostenlos von einem sympathisierenden Taxifahrer zum Gericht kutschieren ließ, das ihm schließlich im Urteil bescheinigte, alles, was Frau Lipstadt über ihn gesagt hatte, sei richtig. Freilich: Nicht der Holocaust stand vor Gericht, sondern
Irvings Bücher. Christopher Browning antwortete auf
Irvings Frage, wo er die Grenze ziehen wolle: Wenn es ein
kontinuierliches Muster der Verfälschung gebe, wenn die
,,Irrtümer" und "Fehler" immer in dieselbe Richtung
wiesen, wenn der Leser irregeführt werde. Aber seine
Show hat Irving acht Wochen lang gehabt -- und sieht sich
nun als Märtyrer. Soll er. HEINRICH SENFFT Eva Menasse: Der Holocaust vor Gericht -- Der Prozess um David Irving Siedler Verlag, Berlin 2000; 192 S., 29,90 DM | |||
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