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Zürich, Sonntag, 12. März 2000


 

«Götzen» im Giftschrank

Israelische Reaktionen auf die Eichmann-Memoiren

 

EichmannIn den fünf Monaten, in denen Adolf Eichmann im israelischen Gefängnis auf seine Verurteilung wartete, brachte der Bürokrat für die «Endlösung der Judenfrage» auf 1300 Seiten seine Memoiren zu Papier. Als Beweismaterial im Londoner Prozess um den Historiker David Irving, der die Realität des Holocaust bestreitet, wurden die Dokumente nun freigegeben.

Adolf Eichmann wurde im Mai 1962 von einem israelischen Gericht wegen «Verbrechen gegen die Menschheit» zum Tode verurteilt. Seine Gefängnisaufzeichnungen wurden auf Betreiben des Chefanklägers im Eichmann-Prozess, Gideon Hausner, im Giftschrank des israelischen Staatsarchivs verschlossen. Nach 38 Jahren wurden nun die Tagebücher für die Forschung freigegeben. Seit langem schon hatte einer der Söhne Eichmanns die Herausgabe gefordert, doch weigerte sich Israel, dem Wunsch nachzukommen. Zu gross war die Gefahr, dass die Memoiren kommerziell vermarktet würden und Neonazis sie als Propagandamaterial benutzen könnten. Nachdem Historiker die Tagebücher eingesehen hatten, stimmte Israel im August 2000 der Veröffentlichung zu. Diese Entscheidung war auch eine taktische, da der jüdische Staat Eichmanns Erben zuvorkommen wollte, die sonst die Herausgabe des Dokuments eingeklagt hätten.

Auf Anfrage der Anwälte der amerikanischen Historikerin Deborah Lipstadt wurde das Schriftstück nun freigegeben. Der britische Historiker David Irving hat Mitte Januar beim Royal High Court in London eine Verleumdungsklage gegen Lipstadt angestrengt, da sie ihn in ihrem Buch «Denying the Holocaust. The Growing Assault on Truth and Memory» als Holocaust-Leugner bezeichnet (siehe NZZ vom 12. 1. 00). Nach englischem Recht liegt die Beweislast bei einer Verleumdungsklage auf seiten der Beklagten. Lipstadts Anwälte müssen nun beweisen, dass die Vernichtung von Millionen europäischer Juden tatsächlich stattgefunden hat. Dabei sollen die Eichmann-Tagebücher, die den Anwälten auf Diskette zugesandt wurden, helfen.

Wider manche Erwartungen bergen die Tagebücher mit dem Titel «Götzen» keine Inhalte, auf die sich Revisionisten wie Irving berufen könnten. Die Aufzeichnungen sind in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil verteidigt und rechtfertigt sich Eichmann, im zweiten erörtert er die Frage, wer für den Holocaust verantwortlich ist, der letzte Teil enthält pseudophilosophische Reflexionen. In seinem Vorwort beschreibt Eichmann den Holocaust als «das grösste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit». Für Irving könnte die Herausgabe des Dokuments nun zum Verhängnis werden, denn Eichmann leugnet den systematischen Mord an den Juden nicht -- im Gegenteil. «Ich werde den Völkermord an den Juden schildern, wie er geschah», schreibt er. Dabei bestreitet er jedoch seinen eigenen Anteil am Massenmord. Auch Irvings Behauptung, Hitler sei nicht von der systematischen Vernichtung der Juden unterrichtet gewesen, widerlegt Eichmann mit der Formulierung, der «Genozid wurde auf ausdrücklichen Befehl Hitlers ausgeführt».

Der Mythos und der Text

In Israel überwiegt die Meinung, die Tagebücher hätten längst veröffentlicht werden sollen. Den normalen Bürger interessiert das Thema jedoch nicht sonderlich, die allgemeinen Reaktionen sind wenig aufgeregt. Zwar räumte die Tagespresse dem Thema viel Platz ein, doch wird auf der Strasse und in den Kaffeehäusern so gut wie gar nicht über die Eichmann-Tagebücher diskutiert. Das Interesse konzentriert sich auf akademische Kreise und intellektuelle Zirkel. Durch die jahrzehntelange Geheimhaltung ist ein Mythos um die Schriften entstanden, dem der Text nicht entspricht: man vermutete und fürchtete, die Schriften würden etwas enthalten, was zur Leugnung des Holocaust hätte beitragen können. Aber Historiker und Shoah-Experten sind sich einig: In den Tagebüchern steht nichts, was den Massenmord an den Juden in Frage stellen oder das Ausmass von Eichmanns Schuld schmälern könnte.

Dieser Überzeugung ist auch Avner Shalev von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem: «Eichmann behauptet weder, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe, noch dass Auschwitz nicht existierte.» Irving wird in den Tagebüchern keine einzige Textpassage finden, die den bekannten historischen Fakten widerspricht, meint Shalev. Für den Leiter von Yad Vashem, Jehuda Bauer, sind die Memoiren nicht mehr als ein eigennütziges mea culpa, «von einem Mörder verfasst, der seinen Kopf aus der Schlinge des Henkers ziehen wollte». Einzig der Dozent Moshe Zimmermann wundert sich über die Haltung derjenigen Kollegen, die dem Dokument nichts Neues abgewinnen können. Zimmermann sieht dessen enormen Wert «gerade für diejenigen, die versuchen, in die seelischen Tiefen des Nazismus vorzudringen, und verstehen wollen, wie die Uhr tickt und was in den Köpfen der Täter, der Monster vorgeht».

Die israelische Entscheidung zur wissenschaftlichen Veröffentlichung der Memoiren wurde von einem gigantischen internationalen Medienrummel begleitet.

Bei der Präsentation richteten sich Kameraobjektive und Mikrophone von Berichterstattern aus aller Welt auf Eviatar Prisal, den Staatsarchivar. Prisal erklärte, dass er den Wert des Manuskripts in der persönlichen Schilderung eines Mannes sieht, der sich für völlig normal hält und der doch an einem teuflischen Prozess beteiligt war. Eichmann war Teil einer Mordmaschinerie, die er selbst als eines der grössten Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet. In einem Interview gegenüber der Tageszeitung «Jediot Acharonot» erinnert Prisal an Eichmanns Gespräch mit dem holländischen Journalisten und ehemaligen SS-Angehörigen Willem Sassen. Das Interview fand 1957 statt, drei Jahre vor Eichmanns Entführung nach Israel. «Da redete der noch ganz anders», mahnt Prisal. Tatsächlich sagte Eichmann gegenüber Sassen, er sei froh, Juden vernichtet zu haben, und bedauere es, nicht alle vernichtet zu haben. In seinen Gefängnisaufzeichnungen bemüht er sich um Verharmlosung seiner Taten und stellt sich als völlig normalen Menschen dar, der rein zufällig in einen monströsen Prozess geraten ist.

Fragwürdige Notwendigkeit

Amos Hausner, Sohn des ehemaligen Chefanklägers im Eichmann-Prozess, verteidigte dieser Tage in einer offiziellen Stellungnahme den Wunsch seines Vaters, die Dokumente im Staatsarchiv zu verschliessen. Er finde es seltsam, meinte Hausner junior, dass ein britisches Gericht die Memoiren eines Naziverbrechers benötige, um nachzuweisen, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden habe. Sein Vater, Gideon Hausner, hatte als Ankläger viel dazu beigetragen, dass der Eichmann-Prozess als spektakulärer Schauprozess in die Geschichte einging. Er befürchtete, eine Veröffentlichung der Tagebücher könnte den politischen Einfluss des Urteils schwächen oder gar das Todesurteil in Frage stellen und so Revisionisten in die Hände spielen. Tatsächlich aber bewirken Eichmanns detailgetreue Schilderungen der Planung und Durchführung der Nazi-Vernichtungspolitik genau das Gegenteil.

In der israelischen Berichterstattung um die Eichmann-Tagebücher und den Prozess gegen Irving spielt Tom Segev, Reporter der Tageszeitung «Haaretz», eine herausragende Rolle. Als einzigem israelischem Journalisten gelang es ihm, persönlich in die Höhle des Löwen vorzudringen. Er besuchte Irving in seinem Londoner Zuhause und erzählt diese teils skurrile Begegnung in einem langen Artikel. Der Journalist schildert, wie Irving seiner kleinen Tochter Jessica mit einem Fingerzeig auf Segevs schütteres Haar erklärt, dass Haarausfall charakteristisch für Juden sei, oder wie Irving -- in der falschen Annahme, Segev verstehe kein Deutsch -- am Telefon jemandem mitteilte, «er spreche gerade mit dem Feind». Seit langem hatte sich Segev um eine Einsicht in die von vielen längst vergessenen Tagebücher bemüht; deren Geheimhaltung war seiner Meinung nach schon insofern ein Fehler, als «Israel schlecht von Schweizer Banken die Offenlegung ihrer Archive verlangen kann, wenn es selbst historische Dokumente zurückhält».

Derweil bedienen die drei grössten Tageszeitungen Neugierige mit Auszügen aus den Tagebüchern. «Maariv» und die linksliberale «Haaretz» druckten einzelne Passagen ab, die sich inhaltlich wiederholen: Eichmanns Beteuerung, er sei kein Antisemit; die Schilderung, wie er seine jüdische Halbkusine küsste, und seine Bemerkung, «in Auschwitz blühten Blumen». Das Massenblatt «Jediot Acharonot» legte seinen Lesern gleich eine 16 Seiten dicke Sonderbeilage mit dem Titel «Zeugenaussage des Satans» bei. Da berichtet Eichmann über seinen Beitritt zur SS, seine geheime Reise nach Palästina im Jahre 1937, seine Mitwirkung an den Deportationen polnischer und ungarischer Juden und seine Besuche in den Vernichtungslagern. Im Januar 1942 reiste Eichmann ins polnische Chelmno, um Heydrich über die ersten Vergasungen zu berichten. Eichmann beschreibt, wie er nackte Juden und Jüdinnen sah, die in einen Bus ohne Fenster stiegen, wie die Türen hermetisch verschlossen wurden und Gas in den Bus strömte. Dabei habe er die «Fassung verloren» und «vergessen, auf die Stoppuhr zu drücken», um die Zeit der Vergasung zu messen.

Ist das Böse banal?

Eichmann, 1963Als die Philosophin Hannah Arendt 1960 im Auftrag der Zeitschrift «The New Yorker» als Berichterstatterin zum Eichmann-Prozess nach Jerusalem reiste, begegnete sie im Gerichtssaal dem Mann, der im Reichssicherheitshauptamt die Deportationen der Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte. Da hockte ein bebrillter Mittfünfziger in einem kugelsicheren Glaskasten, eine unscheinbare Gestalt im grauen Anzug. Keine Bestie in Menschengestalt. Doch genau dieser farblose Mann war es, der den Mord an Hunderttausenden Juden verantwortete. In ihrem Bericht kam Arendt zu ihrer These von der «Banalität des Bösen» und löste mit dieser Deutung weltweit einen Sturm der Entrüstung aus. Die Politikwissenschafterin wurde angegriffen, als ob sie Eichmann verteidigt hätte.

Dabei stellt sie nur fest, was viele nicht auszusprechen wagten: «Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.» Aber war Eichmann denn wirklich subjektiv unschuldig, da er nach eigener Aussage eigenhändig zwar keinen Menschen getötet hatte, aber ohne Skrupel einen legalisierten Massenmord auf staatlichen Befehl durchführen konnte? War er wirklich ein Durchschnittsmensch, einer von vielen, für die das Böse zwangsläufig zur Banalität geworden war? In seinen Memoiren bezeichnet sich Eichmann immer wieder als «kleines Schräubchen in der riesigen Vernichtungsmaschine» der Nazis, ist bemüht zu zeigen, dass er nur treu seiner Pflicht nachkam. Das Böse war alltäglich geworden, und Eichmann war ein banaler Repräsentant dieses Bösen. Und genau jenes Missverhältnis zwischen der Gewöhnlichkeit des Angeklagten und der Ungeheuerlichkeit seiner Taten unterstreichen die Eichmann-Tagebücher.

Naomi Bubis

© AG für die Neue Zürcher Zeitung NZZ 2000


Sonntag, 12. März 2000

 

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