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Frankfurt, Thursday, January 20, 2000 Entführung ins Detail
Die Nazis und ihr Erbsenzähler: Der Irving-Prozess als Strapaze
HITLER, sagt David Irving, litt am Nixon-Komplex". Man müsse sich das so vorstellen: Er habe Himmler, Goebbels und all seinen anderen ,,Erz-Bösewichten" signalisiert: ,,Tut, was ihr wollt, aber lasst es mich nicht wissen." Zu solchen Schlussfolgerungen kommt allein, wer mit dem verkrümmten Blick eines David Irving auf die Fakten sieht. Dazu genügt ein einziges Beispiel aus der Vielzahl der Exempel, die die Verteidigung von Deborah Lipstadt und dem Penguin-Verlag zusammengetragen hat und inzwischen über Tage hinweg mit Gelassenheit dem im Kreuzverhör stehenden Irving vorhält. An irgendeiner Stelle seines viele dicke Bände füllenden Werkes verwendet Irving den in den Osten gekabelten Satz ,,Die Massenerschießungen haben sofort aufzuhören" als weiteren ,,Beweis" dafür, dass man ganz oben, also in Berlin, den Juden nichts zuleide tun wollte. Man wollte sie bloß außer Landes schaffen. Doch der zweite Teil dieses Satzes im Originaldokument lautet: "- das soll in Zukunft vorsichtiger gemacht werden". Diesen zweiten Teil hat Irving einfach weggelassen. Weder der Zeugenstand noch sein auf die Bibel geleisteter Eid ändern etwas an Irvings Leugnen, dass die Unterschlagung dieses zweiten Teils eine willkürliche Pervertierung des Dokuments in sein Gegenteil bedeutet: ,,Das ist eine Frage der Interpretation", sagt er in solchen Fällen am liebsten: ,,Die Massenerschießungen haben schließlich für Monate aufgehört". Dann verliert selbst Richter Gray seine scheinbar unerschöpfliche Geduld. Er belehrt Irving, dass ohne jeden Zweifel der Inhalt dieses Dokuments lautet: Das Morden soll nicht gestoppt, sondern vielmehr mit anderen Mitteln fortgesetzt werden. Dann bittet Gray Rampton, mit seiner nächsten Frage fortzufahren. Die größte Enttäuschung an diesem Prozess ist bisher die vorab so gerühmte Intelligenz des David Irving, die ihn angeblich so gefährlich mache. Wohl wahr, er könnte, wenn man ihn ließe, stundenlang wie ein allzeit bereiter Märchenonkel über die Nazi-Zeit schwadronieren, dabei zu jeder Schlussfolgerung eine weitere Begründung und insgesamt eine beeindruckende Menge an Namen und Daten erwähnen. Man hielte ihm etwas vor, und er würde sagen: ,,Sie müssen das vergleichen mit dem Dokument X, das im November des selben Jahres von Obersturmbannführer Y nach Z gesandt wurde und wo es heißt..." oder ,,in Himmlers Tagebuch, November 42, Seite so und so, linke Spalte unten, steht aber und so weiten Er kennt sich wirklich aus, aber alles, was er weiß, ist unübersehbar in schimmerndes Goldbraun getaucht. Wen anders sollte so einer verführen, als immer wieder die, die ohnehin nur ihm glauben? Im Gerichtssaal gibt David Irving auch gerne Deutschunterricht. So kann er zwar noch ungestraft behaupten ,,am 13. Dezember" sei ,,irreguläres Deutsch", es müsse ,,den 13. Dezember" heißen, und erstelle daher die Authentizität eines von Rampton ins Spiel gebrachten Dokuments in Frage, doch sobald er das Wort ,,Schrecken" verharmlosend mit ,,Spuk, etwas für kleine Kinder" übersetzen will, zieht Rampton gelassen einen ziegeldicken, kanarigelben Langenscheid unter dem Pult hervor und liest laut daraus vor: ,,fear, horror, terror". Man wird es leid, mitanhören zu müssen, wie Irving versucht, jedes, noch das kleinste Detail, jede Übersetzung, jedes Wort in seine Richtung zu verbiegen. Er ist dabei überhaupt nicht überzeugend, keine Sekunde lang. Der ganze Prozess bewegt sich seinetwegen wie ein Elefant auf Krücken, unter anderem, weil er keinen Rechtsanwalt hat. Deshalb wird morgens eine halbe Stunde lang erst einmal umständlich das Tagesprogramm beraten. Irving hat, wie er sagt, aus ,,finanziellen Gründen" keinen Rechtsanwalt. Das ist nur ein wenig präziser formuliert als die Sache mit den Massenerschießungen. Das englische Recht lässt nämlich vielmehr folgende Möglichkeit zu: Wenn nach einer Verleumdungsklage wie dieser der Verlierer die Prozesskosten nicht zahlen kann - welche hier täglich mehrere tausend Pfund, also fünfstellige Mark-Summen betragen - dann kann sich der Gewinner am Anwalt schadlos halten. Man wird es auch leid mitanzusehen, wie aufgrund des Themas und der von Irving behaupteten Ungeheuerlichkeiten mit jedem Tag auch Rampton ein Stückchen zynischer wird. Irving hat, ,,um der allgemeinen Vorstellung von solchen Transporten zu widersprechen", den Transport von 944 Berliner Juden nach Riga unter Auflistung aller in diesem Zug außerdem mitgeführten Lebensmittel beschrieben: ,,3 Tonnen Brot, Cornflakes, Mehl, Erbsen, Suppenpulver, Salz" et cetera. Seinen Lesern und sich selbst suggeriert er damit wohlgenährte, zufriedene Juden, die im Osten, wie er dem Gericht versichert, ,,ein neues Leben anfangen sollten". Dass diese 944 Berliner Juden sofort nach Ankunft in Riga erschossen wurden, bestreitet nicht einmal er. Doch seien das ,,unautorisierte Handlungen krimineller Gangs" gewesen, nichts Systematisches, nicht von Hitler gewollt, im Gegenteil, siehe oben. Doch wenn all das Brot, rechnet Rampton ihm daraufhin vor, wirklich für die Juden und nicht für die SS vor Ort bestimmt gewesen wäre, hätten sie nicht bloß den dreitägigen Transport lang, sondern 24 Tage davon essen können. ,,Sehen Sie, so gut hat man vorgesorgt", sagt Irving und lächelt. ,,Und die Cornflakes?", zischt Rampton, ,,die hätte sie wohl trocken essen sollen?". ,,Ich bin sicher, auch in Riga gibt es Kühe", antwortet Irving. Man ist es wirklich leid. Man versteht schon längst, wie Irvings Weltbild zustandekommt, doch versteht man immer weniger, warum. Doch vielleicht ist es ja ganz einfach: Hier steht einer, den alle behandeln, als hätte er die Pest. Bestürzend ist, wie er versucht, mit jenen Journalisten, die er persönlich kennt, normale Gerichtspausenbeziehungen zu etablieren, und wie diese sich dabei winden. ,,Wie geht es Ihrem Husten?", fragt er freundlich den einen, ,,wie gefällt Ihnen London?", fragt er die andere. ,,Sie müssen unbedingt zum Abendessen vorbei kommen." Keiner achtet ihn, keiner glaubt ihm, keiner publiziert ihn mehr, alle gehen ihm aus den Weg. Dabei war er vor zwanzig Jahren ein bekannter Bestseller-Autor auf dem Gebiet populärwissenschaftlicher Geschichtsbücher In England wie in Deutschland wurden seine Bücher in unverdächtigen Zeitungen als Fortsetzungen abgedruckt. Heute ist er ein Unberührbarer, bloß noch Chefhistoriker einer computervernetzten ,,Gang von Neo-Nazis", wie er selbst mit einem netten Lächeln sagt. Im September ist seine älteste Tochter aus dem Fenster gesprungen, auch wenn er dem Gericht erzählt hat, sie wäre an einer psychischen Krankheit gestorben. Was bleibt ihm noch, außer seinem Faktenwissen und den krausen Theorien, die allein das Interesse an ihm wach halten? Auch als Erzfeind ist man jemand. Der Prozess wird fortgesetzt.--EVA MENASSE [Website comment: The final paragraph of this Frankfurter Allgemeine Zeitung article is particularly evil: Mr Irving's daughter as a legless cripple, and could hardly have "jumped" anywhere. We suspect that Miss Menasse has been nobbled. Her first article was well written and favourable. This one lies. See the transcript of Mr Irving's remarks as recorded by the court reporter, in the panel below.] | |
Thursday, January 20, 2000 | ||
From the transcript of Day 2 (January 12, 2000):
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