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Berlin, Saturday, February 26, 2000


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Geschichte verlangt nach Revision - und nach Wahrheit

 

Aus amerikanischen Zeitschriften: Don D. Guttenplan analysiert die Hintergründe des Prozesses um die dubiosen Holocaust-Thesen des David Irving

 

Von Thomas Kielinger, London

 

Wer wissen möchte, worum es bei jener Verleumdungsklage geht, die, 1996 eingereicht, erst am 11. Januar 2000 prozessreif wurde, der kommt an der Februar-Ausgabe der US-Zeitrschrift "The Atlantic Monthly" nicht vorbei. In ihr hat ein in London lebender amerikanischer Journalist, D. (Don) D. Guttenplan, die ebenso komplexe wie schmerzhafte Materie "David Irving versus Deborah Lipstadt & Penguin Books" seziert, die Hintergründe zu dem Prozess, der in diesen Wochen im Saal 73 des Londoner High Court abläuft.

 

  

Irving, ebenso anerkannt für seinen Archivalien-Fleiss wie verdammt für die Schlüsse, zu denen er kommt, hat bekanntlich den Spieß umgedreht

"The Holocaust on Trial" ("Der Holocaust vor Gericht") heisst die in Taschenbuchlänge erzählte Untersuchung. Sie übertrifft an Einsicht alles, was zum Thema Irving und Holocaust-Revisionismus bisher geschrieben wurde. Denn Guttenplan gibt unerschrocken auch die Shoah-Debatten in jüdischen Kreisen Amerikas und weltweit wieder. Er will Irving im Kontext erfassen. Man schaut dabei in Abgründe, in die mit solch vorbehaltloser Scharfsicht kein nicht-jüdischer Autor (schon gar nicht ein deutscher) hätte blicken können.

Ohne Ängstlichkeit vor dem Beifall von der falschen Seite begibt sich Guttenplan sogar auf das Terrain der schon jetzt so genannten "Holocaust-Industrie". Dabei weiß er nur zu genau, dass Irving und seine Sympathisanten diese Auseinandersetzungen mit besonderem Interesse verfolgen. Hoffen sie doch darauf, dass auch andere als Irving - ein Raul Hilberg etwa oder ein Norman Finkelstein - den Zorn der politisch Korrekten auf sich ziehen, wenn sie vor der Ikonisierung der Shoah warnen, vor den Versuchen, vor der historischen Befragung des Völkermordes an den Juden ein Stoppschild aufzubauen.

Guttenplan beschreibt, wie die Holocaust-Tabuisierung aus einem Forschungsgegenstand ein Kult-Objekt machen kann, mit dem sich unterschiedliche Interessen bedienen lassen, die Bewahrung der jüdischen Identität in der Diaspora, die Abwehr jeder Assimilation, die Unbefangenheit der Forschung. Und doch konzediert er keinen Millimeter dem mit dubiosen Methoden und Motiven arbeitenden Irving.

Eine unüberbrückbare Kluft liegt zwischen dem Leugner der Gasöfen von Auschwitz, Irving, und einem Buch wie "Why Did the Heavens Not Darken" (1988, "Warum hat sich der Himmel nicht verdunkelt?"), in dem der in Princeton lehrende Arno Mayer dem "Kult der Erinnerung" den wuchtigen Satz entgegenstellt: "Geschichte verlangt nach Revision." Zwar will auch Irving diesen Begriff für sich reklamieren - zugleich aber will er ihn um seiner eigenen Verbohrtheit willen aller Signifikanz entkleiden.

Guttenplans Meisterschaft ist eine unauffällig pädagogische: Ganz ohne Belehrung, mit der Objektivität des hinter die Materie Zurücktretenden, führt er in die Tiefendimension der Argumente ein, dem Leser selber die Schlussfolgerungen überlassend. Er hat seine Quellen nicht nur studiert, sondern die wichtigsten Personen des Dramas auch besucht, auch David Irving, und ihnen lebensnahe Porträts gewidmet. Man weiss nicht, was man an seinem Text mehr bewundern soll - das mündliche Zeugnis der von ihm Befragten, die treffenden Zitate aus der schier uferlosen Literatur oder die verbindenden Überlegungen, auch gelegentlichen Selbstbefragungen, an denen uns der Autor auf seiner Wanderschaft teilnehmen lässt.

Guttenplan macht deutlich, welche intellektuellen und ethischen Fragen der Londoner Prozess aufwirft und was auf dem Spiel steht mit dem Richterspruch, der noch leicht zwei Monate auf sich warten lassen kann. Irving, ebenso anerkannt für seinen Archivalien-Fleiss wie verdammt für die Schlüsse, zu denen er kommt, hat bekanntlich den Spieß umgedreht und selber einen der ihn Attackierenden verklagt, die amerikanische Forscherin Deborah Lipstadt. In ihrem Buch "Die Verneinung des Holocaust - der wachsende Angriff auf die Wahrheit und die Erinnerung" (1993) behauptet sie, der Autor von "Hitlers Krieg" sei "einer der gefährlichsten Sprecher für die Verneinung des Holocaust". Das muss sie nach britischem Recht beweisen können, mit den Mitteln der Forschung. Kein Wunder, das die Verteidigung Jahre der Vorbereitung gebraucht hat.

Denn den Anwälten der Beklagten und ihres Verlages, Penguin Books, kann es nicht genügen, schon vorhandene Geschichtswerke gegen den Kläger einfach in Stellung zu bringen. Vielmehr wurden neue Untersuchungen bei renommierten Fachleuten eingeholt, um Irvings Thesen zum Einsturz bringen zu können: Dass in Auschwitz keine Vergasungen stattgefunden haben sollen; dass Hitler keinen "Einsatzbefehl" zur Liquidation der Juden gegeben habe; und dass der Völkermord keiner systematischen Planung auf Seiten der Nationalsozialisten entsprungen sei.

Unter den neuen Expertisen, bei Guttenplan nachgezeichnet, finden sich Beiträge von Christopher Browning oder Peter Longerich, auch mehrere Studien über die Beziehungen Irvings zur Neo-Nazi-Szene. Am meisten beeindrucken die 726 Seiten des Cambridger Historikers Richard Evans, auf denen Irvings Umgang mit Fakten und Dokumenten belegt werden, wobei Evans, wie er schreibt, "über die schiere Tiefe der Falschmünzerei" erschrecken musste, mit der Irving in seinen Büchern alle Holocaust-relevanten Zeugnisse behandelt.

Doch dieser beansprucht für sich nichts weniger als einen Platz in der heiligen Halle streitbarer, legitimer Forschung. Er ist schließlich oft genug von großen Namen für seine Akribie gerühmt worden, so von Gordon Craig, Hugh Trevor-Roper, John Keegan, auch wenn diese seine Konklusionen, etwa Hitlers angebliche "Unbeteiligung" an der Endlösung, als Chimäre zurückgewiesen haben.

Guttenplan erinnert aber auch daran, wie schlecht es Irving der Zunft lohnt, dass sie ihn noch 1996 in einem berühmten Streitfall um die Freiheit der Forschung und des Publizierens verteidigt hatte. Damals zog sich die St. Martin's Press von Irvings bereits angenommener Goebbels-Biographie nach weltweiten Protesten zurück. Da hatte der Autor, von Noam Chomsky bis Pierre Vidal-Nacquet, die Aufklärer auf seiner Seite, mochten sie sich mit seinem Werk auch nicht identifizieren.

Diese Freiheit will Irving nun aber seiner Kontrahentin Deborah Lipstadt per Gerichtsbeschluss nehmen lassen. Er wird inzwischen von der internationalen Verlagswelt boykottiert und sieht seine wirtschaftliche Basis in Gefahr. Da hört jede Höflichkeit auf. D. D. Guttenplan dagegen bleibt höflich und argumentiert sachlich, auch zur Rettung Irvings vor sich selber (das Porträt des Umstrittenen ist mit besonderer Einfühlung geschrieben). Seine Untersuchung trifft den Leser zeitweilig wie ein schmerzhaftes Licht. Dem wird sich kein Student der Zeitgeschichte entziehen wollen.

Guttenplan im Internet: www.theatlantic.com

Unser Buchtipp dazu: "Das Reich hört mit" von Irving, David versandkostenfrei bestellen bei bol.de


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Berlin, Saturday, February 26, 2000

 

Courtesy links: Professor Evans' witness report • click to download download

 

Dr Longerich's witness report • click to download download

 

Prof van Pelt's witness report • click to download download

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