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Berlin, Dienstag, 14. März 2000


[Verbatim trial transcripts | David Irving's "Radical's Diary" für Jan.: 28 | 31 | Feb: 1 | 2 | 3 | 5 | 7 | 8 | 10 | 15 | 16 | 17 | 20 | 24 | 28 | Mar: 1 | 2 | 6 | 15]

 

Vorhang auf für die Schlussrunde

Heute beginnen die Plädoyers im Irving-Prozess - allen Beteiligten fällt der Überlick langsam schwer

Von Thomas Kielinger

Im Londoner High Court, wo seit dem 11. Januar der britische Autor David Irving um seine Ehrenrettung als Historiker ficht und angefochten wird, folgt heute - nach einer Woche Pause - High Noon (Die WELT berichtete zuletzt am 26. 2.). Es beginnen die Plädoyers, die Protagonisten gehen in Anschlag. Am 2. März war die Beweisaufnahme abgeschlossen worden. Man stutzt bei der Formulierung: Kann es angesichts der Materie, um die es hier geht, dem Völkermord an den Juden im Zweiten Weltkrieg, so etwas wie einen "Schlusstag der Beweisaufnahme" geben?

Aber Richter Charles Gray ist an das Korsett irdischer Gerechtsame gebunden. Und die muss ihr Ende finden. Schließlich will Irving selber es am dringendsten wissen. Er ist der Kläger, er beschuldigt die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und ihren Verlag, Penguin Books [Bild links: die beiden Angeklagten] ihn in seinem Ruf und damit auch kommerziell geschädigt zu haben. In ihrem Buch "Die Veneinung des Holocaust. Der wachsende Angriff auf die Wahrheit und die Erinnerung" (1993) hat Lipstadt Irving "einen der gefährlichsten Vertreter der Holocaust-Verneinung" genannt. "Vertraut mit dem historischen Material", so schreibt sie, "biegt er es so weit um, bis es mit seinen ideologischen Neigungen und mit seiner politischen Agenda konform ist."

Dieser Generalvorwurf bezieht sich auf Irvings drei Grundthesen, um deren historische Zulässigkeit - oder nicht - sich letztlich dieser Prozess dreht: Hitler habe keinen belegbaren Befehl zur Vernichtung der Juden erteilt; in Auschwitz hätten keine Vergasungen stattgefunden; dem Holocaust habe keine planmäßige Systematik zugrunde gelegen.

Britische Rechtssprechung wälzt in Verleumdungsprozessen alle Beweislast auf die Beklagten ab: Sie sind es, die präzise ihre Vorwürfe belegen können müssen, der Kläger braucht sich nur auf eine Defensivstrategie zurückzuziehen. Die hatte in Irvings Fall drei Komponenten: Entweder leugnete er die Relevanz ihm vorgelegter Beweisdokumente, oder er wollte sie (trotz seiner viel gerühmten Vertrautheit mit den entlegensten Archivalien) nicht gekannt haben. Oder aber er reklamierte einfach einen ehrlichen Lapsus mit Daten oder Namen. Alles keine Gründe, ihn so zu verunglimpfen, sagt Irving.

Zwei Monate lang hat er versucht, den malträtierten Unschuldigen zu spielen und selbst noch seine rassistischen Tagebucheintragungen als nicht ernst gemeint darzustellen. Die Beschuldigungen der Deborah Lipstadt täten der Seriosität seiner Forschungen unrecht. Demgegenüber zielte die Taktik der Verteidigung darauf ab, genau diese Unschuld als gespielt, als Verschleierung der rechtsradikalen Voreingenommenheit des Umstrittenen zu entlarven. Von da zog sie eine gerade Linie zu Irvings dubiosen Forschungstechniken und -zielen.

"Mehr Menschen starben auf dem Rücksitz von Senator Kennedys Auto in Chappaquidick als in den Gaskammern von Auschwitz', das haben Sie doch 1991 auf einem Vortrag in Calgary gesagt, oder nicht, Mr. Irving?", hatte Verteidiger Richard Rampton den Autor an einem der letzten Beweisaufnahmetage angeherrscht. "In den Gaskammern von Auschwitz, die man den Touristen zeigt", so schoss Irving zurück - in Bezug auf die von Polen nach dem Krieg rekonstruierten Vernichtungsöfen. "Das füge ich jedes Mal hinzu. Ich sage immer nur dasselbe." Darauf lässt der Anwalt einen Tonbandmitschnitt besagter Rede in Kanada abspielen. Kein Nachsatz der von Irving behaupteten Art ist zu hören. Rampton, nachstoßend: "Ihre Aussage, ,Ich sage immer nur dasselbe', war also eine Falschaussage, oder etwa nicht?"

"Umbiegung des historischen Materials", hatte Deborah Lipstadt Irving vorgeworfen. Quod est demonstrandum, war die Aufgabe der Verteidigung, an Hand Irvings Oeuvre nicht anders als bei dessen öffentlichen Auftritten oder in seinen privaten Aufzeichnungen.

Und der Richter? Auf ihn, der ohne Geschworene fungiert, kommt eine Entscheidung von unabsehbaren Konsequenzen zu. Vor Beginn des Prozesses hatte Judge Gray noch gemeint, eigentlich seien Richter "keine Historiker". Da dürfte er inzwischen einiges hinzugelernt haben - und noch mehr hinzulernen. Denn gegen Ende der Beweisaufnahme wurden von der israelischen Justiz das Konvolut der 1300 Seiten handschriftlicher Eichmann-Notizen an beide Parteien ausgehändigt - natürlich vor allem zur Stützung der Verteidigung. Dieses Dokument wird Anwalt Rampton an prominenter Stelle seines Schlussplädoyers heute einbauen. Die Geschichtsstunde geht weiter: für Judge Gray und die Weltöffentlichkeit.

Das britische Fernsehen möchte aus der Spannung des Geschehens im Saal 73 Kapital schlagen. Jedenfalls hat der kommerzielle "Channel 4" bereits mit der Verfilmung des Irving-Prozesses begonnen, die sofort nach der für April erwarteten Urteilsverkündung ins Programm gehen soll. Der Geschichts-Hunger und Verzehr ist gnadenlos: auch eine Todesfuge.

Fake

Unser Buchtipp dazu: "Denying The Holocaust" von Lipstadt, Deborah versandkostenfrei bestellen bei bol.de [Abbildung: A "reconstruction" of the Lipstadt book].

 


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Berlin, 14. März 2000

 

Courtesy links: Professor Evans' witness report • click to download download

 

Dr Longerich's witness report • click to download download

 

Prof van Pelt's witness report • click to download download

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