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Aargauer Zeitung 7. März 2000 Holocaust-Prozess "In Birkenau eine Art Vergasung" Holocaust-Prozess Ein Historikerstreit zwischen David Irving und Deborah Lipstadt Weil die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt ihn als "Holocaust-Lügner" bezeichnete, zog der umstrittene Historiker David Irving sie und ihren Verleger (Penguin Books) vor Gericht. Peter Isenegger, "Hätte ich, wie mir 1963 das britische Luftwaffenministerium empfahl, über die Zulu-Kriege geschrieben, dann wäre mir viel Hass erspart geblieben", sagte David Irving zu Beginn des von ihm angestrengten Prozesses. Der 62-jährige, äusserst kontroverse britische Historiker vertritt die Auffassung, das Hitlerregime habe zwar durchaus Juden umgebracht, aber nie so systematisch wie behauptet und deshalb auch nie die 6 Millionen, die den Nazis zur Last gelegt werden. In ihrem 1993 erschienenen Buch "Verleugnung des Holocaust" bezeichnet Deborah Lipstadt den britischen Historiker und Autor von verschiedenen Werken über den Zweiten Weltkrieg und Nazi-Persönlichkeiten wie Hitler und Goebbels als "einen gefährlichen Holocaust-Lügner". Dafür stehen sie und der Penguin- Buchverlag, der das Buch herausgab, jetzt in einem Verleumdungsprozess vor einem englischen Richter. Irving sieht das Buch von Lipstadt als Teil einer "gegen mich gerichteten Hasskampagne", die darauf abziele, seine Karriere zu vernichten. Dieser Prozess sei, so schrieb eine englische Zeitung, "der weit reichendste Holocaust-Prozess seit der Hinrichtung von Adolf Eichmann". Die israelische Regierung hat denn auch - auf Antrag der Lipstadt-Verteidigung - die seit 30 Jahren unter Verschluss gehaltenen Tagebücher von Adolf Eichmann freigegeben, in denen er den Holocaust als das "schlimmste Verbrechen der Geschichte" bezeichnete. Es gehe in diesem Prozess, wie Richard Rampton, der Hauptverteidiger von Deborah Lipstadt, meinte, nicht darum, ob der Holocaust stattgefunden habe oder in welchem Masse Hitler dafür persönlich verantwortlich war: "Es geht vielmehr um die Integrität und die Aufrichtigkeit des [Chronisten Irving] in dieser Sache." - "Herr Irving bezeichnet sich selber als Historiker. In Wahrheit ist er aber kein Historiker, sondern ein Geschichtsfälscher. Oder, um es unverblümt auszudrücken, ein Lügner." Ein Lügner obendrein, der sich - wie Richard Rampton meinte - verschiedenster Methoden der Geschichtsfälschung und Geschichtsklitterung bediene - in der Absicht, Hitler und Nazi-Deutschland in einem besseren Licht darzustellen. Mit äusserst kontroversen Äusserungen und Thesen machte es allerdings Irving seiner Gegenpartei leicht, den Spiess umzudrehen und ihn - wenn auch nicht offiziell - zum eigentlichen Angeklagten zu stempeln. Bereits einige Male in diesem Verfahren, in welchem Irving persönlich die Anklage vertritt, musste er zugeben, sich in wichtigen Punkten geirrt zu haben. Das allein genüge aber nicht, um ihn als Lügner darzustellen. Vielmehr müsse die Gegenpartei beweisen, dass er gegen besseres Wissen etwas Falsches behauptet habe, meinte Irving. Auf die Frage von Richter Charles Gray, ob er akzeptiere, dass es eine systematische Vergasung von Juden in den Konzentrationslagern, in Auschwitz oder sonstwo gegeben habe, meinte Irving: "Wenn wir das Wort systematisch weglassen, dann bestreite ich nicht, dass es in Birkenau eine Art von Vergasung gegeben hat. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es das gab." Später, auf die Frage, ob er akzeptiere, dass die Nazis Millionen gewaltsam getötet hätten - Millionen, die nicht durch Krankheit, Hunger oder an Erschöpfung gestorben seien -, meinte Irving, das könne er nicht bestreiten. "Allerdings", so fügte er bei, "ob es tatsächlich Millionen waren oder nicht, das zu spezifizieren, zögere ich. Vielleicht war es eine Million." Sicher aber seien es weniger als vier Millionen gewesen. Auch in Bezug auf den Einsatz von so genannten mobilen "Vergasungs-Waggons" hatte sich Irving geirrt. Früher hatte er behauptet, diese seien nur "sehr beschränkt" und in "experimenteller Form" eingesetzt worden. Mit einem Dokument konfrontiert, das die Vergasung von 97 000 Juden in drei dieser Waggons im Laufe von lediglich fünf Wochen nachweist, musste er zugeben, dass man diese Art der Vernichtung nicht mehr als "experimentell", sondern als "systematisch" bezeichnen müsse. Auch hier: Zur Zeit seiner Aussage habe er von der Existenz dieses Dokuments keine Kenntnis gehabt. . . Ungemütlich wurde es für den Kläger Irving immer dann, wenn er mit früheren eigenen Aussagen konfrontiert wurde. So warf ihm der Lipstadt-Verteidiger vor, er bestreite nicht nur den Holocaust, sondern er mache sich auch öffentlich über Holocaust-Opfer lächerlich. Als Beweis zitierte er Äusserungen, die Irving 1991 in Kanada gemacht hatte: "Ich behaupte, dass auf dem Rücksitz von Edward Kennedys Auto in Chappaquiddick mehr Frauen umgekommen sind als in den Gaskammern von Auschwitz." Er trage sich mit dem Gedanken, "eine Vereinigung der Auschwitz- Überlebenden, der Überlebenden des Holocaust und anderer Lügner zu gründen", sagte er auf der gleichen Veranstaltung. Dabei wählte er die englischen Wörter so, dass sich aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben die Abkürzung "Asshols" ("Arschlöcher") ergab. Angesichts solcher Äusserungen wäre es wirklich besser gewesen, Irving hätte sich mit den emotional weniger belasteten Zulu-Kriegen befasst. Der Prozess dauert voraussichtlich noch mehrere Wochen. Mit einem Urteil wird kaum vor diesem Spätsommer gerechnet.
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7. März 2000 |