Keitel
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10. 10. 45 BIOGRAPHIE des Feldmarschalls a.D. W. K E I T E
L Ich,
Wilhelm Keitel bin am 22.9.82 zu
Helmscherode Kr. Gandersheim, Land
Braunschweig geboren und im evang.luth.
Glauben erzogen und aufgewachsen.
Mein Vater ist der im 81. Lebensjahre
1934 verstorbene Gutsbesitzer Karl Keitel;
meine Mutter, geb. Vissering, stammte aus
Ostfriesland als Tochter des Oekonomierats
Vissering in Gut Lintel b/Norden; sie ist
im jugendlichen Alter im Kindbettfieber
meines Bruders durch Tuberkuloseanfall
geschwächt im Februar 1889 bereits
verstorben, Aus der Ehe entstammen 2
Söhne. Mein Vater entstammt einer
alten hannoverschen Landwirtsfamilie,
unsere Vorfahren haben über loo Jahre
die Domäne Poppenburg im damaligen
Königreich Hannover verwaltet. Wir, mein Bruder Bodewin Keitel
(zuletzt als General der Infanterie im
amerikanischen Kriegsgefangenenlager
Augsburg im Mai d.Js.) und ich entstammen
somit einem alten niedersächsischen
Geschlecht, das, bis auf uns beide, stets
Landwirte hervorgebracht hat. Mein Vater
ist niemals ernstlich krank gewesen; er
hat bis kurz vor seinem Tode noch
täglich geritten und seine
Gutswirtschaft allein geführt. Ich
bin der Erbe des Gutes in 3. Generation;
meine Frau verwaltet mit meinem
Schwiegersohn Illing, Ehemann meiner
ältesten Tochter, den ererbten
Besitz. Ich bin zunächst im Elternhause
aufgewachsen, bin durch Hauslehrer
unterrichtet, habe ab Ostern 1892 in
Göttingen das humanistische Gymnasium
bis zum Abitur 1901 (9 Jahre) besucht und
bin im März 1901 im
Niedersächsischen Feldart.-Rgt. 46
als Offizieranwärter eingetreten. Am
18. August 1902 wurde ich Offizier
(Leutnant). - Den 1. Weltkrieg habe ich
zunächst als Regts.-Adjutant meines
Regiments, später ab 1915 in
verschiedenen Generalstabsstellungen,
zuletzt beim Marinekorps in Flandern,
mitgemacht. Ich wurde einmal im September
1914 durch Granatsplitter im rechten
Unterarm verwundet, wobei die Schlagader
zerrissen war, die gefährliche
Blutung aber durch Abbinden noch
rechtzeitig gestillt werden konnte. Ich
bin außer den üblichen
Kinderkrankheiten nur 2 x ernstlich krank
gewesen: - a) 1907 als Reitschüler auf
dem Militär-Reit-Institut Hannover
durch Sturz mit dem Pferde:
doppelseitiger Beckenbruch mit
langjährigen Folgeerscheinungen
(Nervenbeschwerden, [Ischias]
und Rheuma), die sich auch heute noch
gelegentlich bemerkbar machen.
- b) 1932 schwere
Venenentzündung im rechten
Unterschenkel mit Trombose und
Lungenembolie, aus der ich durch die
Kraft der Ärzte nach
mehrstündiger
Bewußtlosigkeit errettet wurde.
Die unmittelbar nachfolgende
Lungenentzündung ist nach
Überwinden der Krise ohne
Komplikationen ausgeheilt. - Ein
3-wöchiger Winteraufenthalt zur
Kur in der Hohen Tatra"
beseitigte die letzten Folgen der
Überbeanspruchung von Herz und
Lunge. An der Trombose leide ich noch
heute infolge zunehmender
Arterienverkalkung und mangelndem
Blutumlauf. Ich bin jetzt 63 Jahre alt,
und seit über 5 Monaten in Haft
ohne ausreichende körperliche
Bewegung (an Reiten und Marschieren
gewöhnt).
Seit 1909 bin ich verheiratet nit Lisa
Fontaine, Tochter des Gutsbesitzers
Fontaine in Hannover - Wülfel; mein
Schwiegervater ist 1921 fast 75
jährig verstorben; meine
Schwiegermutter lebt noch in Wülfel
und wird im nächsten Frühling 90
Jahre. Meine Frau stammt also auch aus
einer kerngesunden Familie, ihre lebenden
3 Geschwister sind verheiratet, eine
Schwester ist als Kind an Diphtherie
gestorben. Meine Ehefrau hat in den Jahren 1911 -
1919 fünf gesunden Kindern das Leben
geschenkt: 2 Töchter und 3
Söhne. Alle 5 sind kräftige,
große und stattliche Menschen
geworden mit einer Ausnahme alle
hellblonde Niedersachsen und groß.
Nur meine 2. Tochter ist l,80m groß
und brünett gewesen. Sie ist 1942 in
der Schweiz gestorben als Folge einer
Tuberkulose. Diese hatte ihren Ursprung in
Diabetis mit ungewöhnlich hohem
Blutzucker. Die Diabetis ist in ihrem 17.
Lebensjahre aufgetreten im Folge eines
schweren Sturzes, wobei die
Bauchspeicheldrüse verletzt
(gelähmt) worden war. Weder wir
Eltern noch eines der übrigen Kinder
hat auch nur einen Anflug von
Zuckerkrankheit; die Familie ist also
nicht erblich belastet (Prof. Umber). Mein jüngster Sohn ist im
Westfeldzuge erstmals schwer verwundet und
als Leutnant in RUßland Juli 1941
gefallen (vor Smolensk). Der älteste und 2. Sohn haben bis
zuletzt an der Ostfront gegen
Rußland gestanden, beide waren
aktive Offiziere (Major) und jeder war
einmal verwundet. Der jüngere ist
bestimmt verschollen, er war zuletzt in
Kurland und hat dort die Kapitulation an
die Russen erlebt; ich rechne nicht mit
seiner Heimkehr. Der älteste Sohn ist
südlich Wien (Graz) wohl auch in
russische Hände gefallen, wenn er
nicht durch Zufall in amerikanische
Kriegsgefangenschaft geraten sein sollte.
Dieser Sohn ist verheiratet mit der
jüngsten Tochter des Feldmarschalls
v. Blomberg (letzter Kriegsminister).
Meine Schwiegertochter, Frau Dorle Keitel,
sitzt mit 4 kleinen Kindern -
wahrscheinlich sind es inzwischen 5
geworden - in Bad Wiessee am Tegernsee bei
einer Frau v. Röm ohne Nachricht von
ihrem Mann. Ich habe keine
Möglichkeiten mehr, ihr irgendwie zu
helfen und für meine Enkelkinder zu
sorgen. - Meiner Frau ist durch Vermittlung der
amerikanischen Offiziere hier vom
Alliierten Militärgericht die Reise
nach meiner Heimat Helmscherode
ermöglicht worden, wofür ich
zutiefst dankbar bin. Sonst ist meine
stolze Familie durch diesen Krieg
zerschlagen, ebenso wie mein gesamter
Hausrat in Berlin durch Bombenangriff im
November 1943 restlos verbrannt ist. -
Auch meine Kinder sind - abgesehen von den
bekannten Kinderkrankheiten immer gesund
gewesen und geblieben, außer der 2.
Tochter, deren unheilbare Krankheit aber
die Folge eines Unfalls war. Ich selbst habe in meinem Leben nur 2
Kurmittel in Anspruch genommen: - a) 1907 Wiesbaden wegen des
doppelseitigen Beckenbruchs,
- b) 1932 Hohe Tatra wegen der
Lungenembolie und zur Stärkung des
Herzens.
Ich habe ein außerordentlich
arbeitsreiches Leben in ständiger,
zäher Pflichterfüllung hinter
mir. Mit ganz kurzen Unterbrechungen habe
ich nach dem 1. Weitkrieg 14/18 von 1919
1938 fast nur Dienst im Kriegsministerium
bzw. im Generalstabsdienst geleistet, nur
3 x unterbrochen mit im Ganzen 5 1/2
Jahren Frontdienst in der Truppe. Von 1935
bis 1938 war ich Chef des Stabes des
Kriegsministers (Staatssekretär) und
damaligen Oberbefehlshabers der Wehrmacht,
ab 1938 in entsprechender Funktion beim
Führer A. Hitler als sein Chef des
Stabes d.h. also Chef des O.K.W. In dieser dornenvollen Stellung habe
ich unter Aufbietung aller Energie des
Willens über 7 Jahre meine ganze und
letzte Arbeitskraft - ohne jede geringste
Ausspannung - in den Dienst meines Amtes
als Chef O.K.W." beim Führer
Hitler stellen müssen. Als 63
jähriger Mann mit über 44
Dienstjahren kann ich nicht mehr ersetzen
oder wieder gut machen, was ich in dieser
Funktion und Zeit an geistiger Spannkraft
und an Nerven eingebüßt habe.
In dieser anerkannt undankbarsten und
schwierigsten Aufgabe habe ich - unter
härtester Kriegsbelastung - in
äußerster Entsagung meines
Amtes gewaltet. Auf jedes Eigenleben oder
gar Familienleben habe ich verzichten
müssen und dazu die harten
Schicksalsschläge, besonders in der
eigenen Familie. Wenn mir daher bei den Vernehmungen
durch die Offiziere (Richter) des all.
Militärgerichts vorgeworfen wird, ich
hielte bewußt die Wahrheit
zurück, wider besseres Wissen,
über Ereignisse oder Befehle, die in
weit überwiegender Zahl 4 - 7 Jahre
schon zurückliegen, so empfinde ich
das als besonders bedrückend und
kränkend. Mein Gedächtnis
läßt mich tatsächlich und
wahrhaftig einfach im Stich nach den
unerhörten Erlebnissen und der
zwangsläufigen Überarbeitung und
bei der ungeheuren Fülle von
täglich neuen Ereignissen und
Schriftstücken, die durch meine
Hände gegangen sind bei 6
verschiedenen Kriegsschauplätzen. Die Umstände, unter denen wir hier
leben, sind bei der Ungewißheit
über das Schicksal des Volkes, der
Familie und der eigenen Person, die nun
schon 5 Monate andauert, wirklich nicht
beneidenswert. Außer den
Vernehmungen erfährt man
buchstäblich nichts, was
außerhalb dieses Gefängnisses
in der Welt vorgeht und auch das letztere
nur durch Zufall. Seit 2 Monaten
dürfen wir Briefe und Karten
schreiben, Antworten sind noch nicht
eingetroffen. Daß alle diese Umstände
nicht ohne Rückwirkung auf
Gesundheit, Nerven und
Gemütsverfassung sind und bleiben
können, ist selbstverständlich.
Ich habe seit Mai d.Js. rund 15 kg Gewicht
verloren, davon nachgewiesen 8 kg in den
letzten 8 Wochen im Nürnberger
Gefängnis. Jetzt habe ich nichts mehr
zuzusetzen. Die Tatsache, daß wir Soldaten
hier vor dem all[iierten]
Militärgericht Rechenschaft ablegen
sollen und daß wir dazu in
Untersuchungshaft isoliert werden,
verstehe ich sehr wohl. Weit mehr aber,
als die gewiß anstrengenden
Verhöre, wo jede Aussage als unter
Eid sorgfältig abgewogen werden
muß, belastet mich die Entziehung
von letzten und bescheidensten
Bedürfnissen in der
Gefängniszelle. Ich nenne nur
folgende: - Ab 17 1/2 Uhr, mit Eintritt der
Dämmerung, also demnächst
noch erheblich früher, sitzt man
im Dunkeln und ist zum Grübeln
gezwungen, weil man nach Abnahme der
Brille auch beim Schimmer der
Flurbeleuchtung nicht mehr lesen
kann.
- Man hat nur Lagerstatt und kleinen
Tisch, kein Bort oder Ständer. Der
Brettstuhl ist auch noch
fortgenommen!
- Es gibt nichts, um Kleider und
Leibwäsche hinzulegen oder
aufzuhängen; man muß es auf
den Steinfußboden hinlegen und
kann das Zeug nicht sauber halten.
- Das Fenster zum Lüften und
Regulieren der Wärme kann man
nicht mehr nach freiem Villen
bedienen.
- Zeit zum Bewegen in freier Luft ist
auf l0 Minuten beschränkt.
Das sind nur die wesentlichsten
Einschränkungen, die über die an
sich schon bescheidene Ausstattung eines
Untersuchungsgefängnisses
hinausgehen. Die Folgen für die
Gemütsverfassung, neben der
psychischen und physischen Belastung
überhaupt, sind im Laufe der Zeit und
bei der Ungewißheit der Zukunft auf
die Dauer lähmend. Demgegenüber können die
einwandfreie und auch reichliche
Verpflegung und die hervorragende
ärztliche Fürsorge keinen
solchen Ausgleich schaffen, um den
furchtbar fortschreitenden Verfall auf
längere Sicht aufzuhalten, nach der
für mich als Soldat mit 44
Dienstjahren schon vorher aufs
äußerste gesteigerten
Vorbelastung. Auch die vielseitig
erstrebte hygienische Fürsorge
(Seife, Zahnpasta, Brausebad
wöchentlich) für die
Körperpflege vermögen das sonst
Unhygienische des Zellenlebens mit
Verstauben der Lagerstatt, der Decken,
Handtücher usw. nicht wieder gut zu
machen. Im Bereich seiner Befugnisse ist die
Fürsorge des
Gefängniskommandanten
vorbildlich. Ich betone, daß ich mit der
Aufzeigung der Gründe für das
unaufhaltsame Absinken von
körperlicher und seelischer
Spannkraft keine Beschwerde erheben will,
weil ich an dem guten Willen des
unmittelbaren Aufsichtsdienstes nicht
zweifle und weil ich die vielseitige Hilfe
der amerikanischen Militärärzte
persönlich erfahren habe und sie nur
mit besonderer Dankbarkeit anerkennen
kann. Die ständigen Rückenschmerzen
ohne Stuhl mit Lehne sind für einen
Mann über 60 Jahre aber eine
körperliche Qual.
Free
download of the 2010 edition of David
Irving's English translation of The
Memoirs of Field Marshal Wilhelm
Keitel
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