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Posted Friday, April 23, 2010

Keitel Documents

10. 10. 45

BIOGRAPHIE
des Feldmarschalls a.D. W. K E I T E L

Ich, Wilhelm Keitel bin am 22.9.82 zu Helmscherode Kr. Gandersheim, Land Braunschweig geboren und im evang.luth. Glauben erzogen und aufgewachsen.

Mein Vater ist der im 81. Lebensjahre 1934 verstorbene Gutsbesitzer Karl Keitel; meine Mutter, geb. Vissering, stammte aus Ostfriesland als Tochter des Oekonomierats Vissering in Gut Lintel b/Norden; sie ist im jugendlichen Alter im Kindbettfieber meines Bruders durch Tuberkuloseanfall geschwächt im Februar 1889 bereits verstorben, Aus der Ehe entstammen 2 Söhne. Mein Vater entstammt einer alten hannoverschen Landwirtsfamilie, unsere Vorfahren haben über loo Jahre die Domäne Poppenburg im damaligen Königreich Hannover verwaltet.

Wir, mein Bruder Bodewin Keitel (zuletzt als General der Infanterie im amerikanischen Kriegsgefangenenlager Augsburg im Mai d.Js.) und ich entstammen somit einem alten niedersächsischen Geschlecht, das, bis auf uns beide, stets Landwirte hervorgebracht hat. Mein Vater ist niemals ernstlich krank gewesen; er hat bis kurz vor seinem Tode noch täglich geritten und seine Gutswirtschaft allein geführt. Ich bin der Erbe des Gutes in 3. Generation; meine Frau verwaltet mit meinem Schwiegersohn Illing, Ehemann meiner ältesten Tochter, den ererbten Besitz.

Ich bin zunächst im Elternhause aufgewachsen, bin durch Hauslehrer unterrichtet, habe ab Ostern 1892 in Göttingen das humanistische Gymnasium bis zum Abitur 1901 (9 Jahre) besucht und bin im März 1901 im Niedersächsischen Feldart.-Rgt. 46 als Offizieranwärter eingetreten. Am 18. August 1902 wurde ich Offizier (Leutnant). - Den 1. Weltkrieg habe ich zunächst als Regts.-Adjutant meines Regiments, später ab 1915 in verschiedenen Generalstabsstellungen, zuletzt beim Marinekorps in Flandern, mitgemacht. Ich wurde einmal im September 1914 durch Granatsplitter im rechten Unterarm verwundet, wobei die Schlagader zerrissen war, die gefährliche Blutung aber durch Abbinden noch rechtzeitig gestillt werden konnte. Ich bin außer den üblichen Kinderkrankheiten nur 2 x ernstlich krank gewesen:

a) 1907 als Reitschüler auf dem Militär-Reit-Institut Hannover durch Sturz mit dem Pferde: doppelseitiger Beckenbruch mit langjährigen Folgeerscheinungen (Nervenbeschwerden, [Ischias] und Rheuma), die sich auch heute noch gelegentlich bemerkbar machen.
b) 1932 schwere Venenentzündung im rechten Unterschenkel mit Trombose und Lungenembolie, aus der ich durch die Kraft der Ärzte nach mehrstündiger Bewußtlosigkeit errettet wurde. Die unmittelbar nachfolgende Lungenentzündung ist nach Überwinden der Krise ohne Komplikationen ausgeheilt. - Ein 3-wöchiger Winteraufenthalt zur Kur in der „Hohen Tatra" beseitigte die letzten Folgen der Überbeanspruchung von Herz und Lunge. An der Trombose leide ich noch heute infolge zunehmender Arterienverkalkung und mangelndem Blutumlauf. Ich bin jetzt 63 Jahre alt, und seit über 5 Monaten in Haft ohne ausreichende körperliche Bewegung (an Reiten und Marschieren gewöhnt).

Seit 1909 bin ich verheiratet nit Lisa Fontaine, Tochter des Gutsbesitzers Fontaine in Hannover - Wülfel; mein Schwiegervater ist 1921 fast 75 jährig verstorben; meine Schwiegermutter lebt noch in Wülfel und wird im nächsten Frühling 90 Jahre. Meine Frau stammt also auch aus einer kerngesunden Familie, ihre lebenden 3 Geschwister sind verheiratet, eine Schwester ist als Kind an Diphtherie gestorben.

Meine Ehefrau hat in den Jahren 1911 - 1919 fünf gesunden Kindern das Leben geschenkt: 2 Töchter und 3 Söhne. Alle 5 sind kräftige, große und stattliche Menschen geworden mit einer Ausnahme alle hellblonde Niedersachsen und groß. Nur meine 2. Tochter ist l,80m groß und brünett gewesen. Sie ist 1942 in der Schweiz gestorben als Folge einer Tuberkulose. Diese hatte ihren Ursprung in Diabetis mit ungewöhnlich hohem Blutzucker. Die Diabetis ist in ihrem 17. Lebensjahre aufgetreten im Folge eines schweren Sturzes, wobei die Bauchspeicheldrüse verletzt (gelähmt) worden war. Weder wir Eltern noch eines der übrigen Kinder hat auch nur einen Anflug von Zuckerkrankheit; die Familie ist also nicht erblich belastet (Prof. Umber).

Mein jüngster Sohn ist im Westfeldzuge erstmals schwer verwundet und als Leutnant in RUßland Juli 1941 gefallen (vor Smolensk).

Der älteste und 2. Sohn haben bis zuletzt an der Ostfront gegen Rußland gestanden, beide waren aktive Offiziere (Major) und jeder war einmal verwundet. Der jüngere ist bestimmt verschollen, er war zuletzt in Kurland und hat dort die Kapitulation an die Russen erlebt; ich rechne nicht mit seiner Heimkehr. Der älteste Sohn ist südlich Wien (Graz) wohl auch in russische Hände gefallen, wenn er nicht durch Zufall in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten sein sollte. Dieser Sohn ist verheiratet mit der jüngsten Tochter des Feldmarschalls v. Blomberg (letzter Kriegsminister). Meine Schwiegertochter, Frau Dorle Keitel, sitzt mit 4 kleinen Kindern - wahrscheinlich sind es inzwischen 5 geworden - in Bad Wiessee am Tegernsee bei einer Frau v. Röm ohne Nachricht von ihrem Mann. Ich habe keine Möglichkeiten mehr, ihr irgendwie zu helfen und für meine Enkelkinder zu sorgen. -

Meiner Frau ist durch Vermittlung der amerikanischen Offiziere hier vom Alliierten Militärgericht die Reise nach meiner Heimat Helmscherode ermöglicht worden, wofür ich zutiefst dankbar bin. Sonst ist meine stolze Familie durch diesen Krieg zerschlagen, ebenso wie mein gesamter Hausrat in Berlin durch Bombenangriff im November 1943 restlos verbrannt ist. - Auch meine Kinder sind - abgesehen von den bekannten Kinderkrankheiten immer gesund gewesen und geblieben, außer der 2. Tochter, deren unheilbare Krankheit aber die Folge eines Unfalls war.

Ich selbst habe in meinem Leben nur 2 Kurmittel in Anspruch genommen:

a) 1907 Wiesbaden wegen des doppelseitigen Beckenbruchs,
b) 1932 Hohe Tatra wegen der Lungenembolie und zur Stärkung des Herzens.

Ich habe ein außerordentlich arbeitsreiches Leben in ständiger, zäher Pflichterfüllung hinter mir. Mit ganz kurzen Unterbrechungen habe ich nach dem 1. Weitkrieg 14/18 von 1919 1938 fast nur Dienst im Kriegsministerium bzw. im Generalstabsdienst geleistet, nur 3 x unterbrochen mit im Ganzen 5 1/2 Jahren Frontdienst in der Truppe. Von 1935 bis 1938 war ich Chef des Stabes des Kriegsministers (Staatssekretär) und damaligen Oberbefehlshabers der Wehrmacht, ab 1938 in entsprechender Funktion beim Führer A. Hitler als sein Chef des Stabes d.h. also Chef des O.K.W.

In dieser dornenvollen Stellung habe ich unter Aufbietung aller Energie des Willens über 7 Jahre meine ganze und letzte Arbeitskraft - ohne jede geringste Ausspannung - in den Dienst meines Amtes als „Chef O.K.W." beim Führer Hitler stellen müssen. Als 63 jähriger Mann mit über 44 Dienstjahren kann ich nicht mehr ersetzen oder wieder gut machen, was ich in dieser Funktion und Zeit an geistiger Spannkraft und an Nerven eingebüßt habe. In dieser anerkannt undankbarsten und schwierigsten Aufgabe habe ich - unter härtester Kriegsbelastung - in äußerster Entsagung meines Amtes gewaltet. Auf jedes Eigenleben oder gar Familienleben habe ich verzichten müssen und dazu die harten Schicksalsschläge, besonders in der eigenen Familie.

Wenn mir daher bei den Vernehmungen durch die Offiziere (Richter) des all. Militärgerichts vorgeworfen wird, ich hielte bewußt die Wahrheit zurück, wider besseres Wissen, über Ereignisse oder Befehle, die in weit überwiegender Zahl 4 - 7 Jahre schon zurückliegen, so empfinde ich das als besonders bedrückend und kränkend. Mein Gedächtnis läßt mich tatsächlich und wahrhaftig einfach im Stich nach den unerhörten Erlebnissen und der zwangsläufigen Überarbeitung und bei der ungeheuren Fülle von täglich neuen Ereignissen und Schriftstücken, die durch meine Hände gegangen sind bei 6 verschiedenen Kriegsschauplätzen.

Die Umstände, unter denen wir hier leben, sind bei der Ungewißheit über das Schicksal des Volkes, der Familie und der eigenen Person, die nun schon 5 Monate andauert, wirklich nicht beneidenswert. Außer den Vernehmungen erfährt man buchstäblich nichts, was außerhalb dieses Gefängnisses in der Welt vorgeht und auch das letztere nur durch Zufall. Seit 2 Monaten dürfen wir Briefe und Karten schreiben, Antworten sind noch nicht eingetroffen.

Daß alle diese Umstände nicht ohne Rückwirkung auf Gesundheit, Nerven und Gemütsverfassung sind und bleiben können, ist selbstverständlich. Ich habe seit Mai d.Js. rund 15 kg Gewicht verloren, davon nachgewiesen 8 kg in den letzten 8 Wochen im Nürnberger Gefängnis. Jetzt habe ich nichts mehr zuzusetzen.

Die Tatsache, daß wir Soldaten hier vor dem all[iierten] Militärgericht Rechenschaft ablegen sollen und daß wir dazu in Untersuchungshaft isoliert werden, verstehe ich sehr wohl. Weit mehr aber, als die gewiß anstrengenden Verhöre, wo jede Aussage als unter Eid sorgfältig abgewogen werden muß, belastet mich die Entziehung von letzten und bescheidensten Bedürfnissen in der Gefängniszelle. Ich nenne nur folgende:

  1. Ab 17 1/2 Uhr, mit Eintritt der Dämmerung, also demnächst noch erheblich früher, sitzt man im Dunkeln und ist zum Grübeln gezwungen, weil man nach Abnahme der Brille auch beim Schimmer der Flurbeleuchtung nicht mehr lesen kann.
  2. Man hat nur Lagerstatt und kleinen Tisch, kein Bort oder Ständer. Der Brettstuhl ist auch noch fortgenommen!
  3. Es gibt nichts, um Kleider und Leibwäsche hinzulegen oder aufzuhängen; man muß es auf den Steinfußboden hinlegen und kann das Zeug nicht sauber halten.
  4. Das Fenster zum Lüften und Regulieren der Wärme kann man nicht mehr nach freiem Villen bedienen.
  5. Zeit zum Bewegen in freier Luft ist auf l0 Minuten beschränkt.

Das sind nur die wesentlichsten Einschränkungen, die über die an sich schon bescheidene Ausstattung eines Untersuchungsgefängnisses hinausgehen.

Die Folgen für die Gemütsverfassung, neben der psychischen und physischen Belastung überhaupt, sind im Laufe der Zeit und bei der Ungewißheit der Zukunft auf die Dauer lähmend.

Demgegenüber können die einwandfreie und auch reichliche Verpflegung und die hervorragende ärztliche Fürsorge keinen solchen Ausgleich schaffen, um den furchtbar fortschreitenden Verfall auf längere Sicht aufzuhalten, nach der für mich als Soldat mit 44 Dienstjahren schon vorher aufs äußerste gesteigerten Vorbelastung. Auch die vielseitig erstrebte hygienische Fürsorge (Seife, Zahnpasta, Brausebad wöchentlich) für die Körperpflege vermögen das sonst Unhygienische des Zellenlebens mit Verstauben der Lagerstatt, der Decken, Handtücher usw. nicht wieder gut zu machen.

Im Bereich seiner Befugnisse ist die Fürsorge des Gefängniskommandanten vorbildlich.

Ich betone, daß ich mit der Aufzeigung der Gründe für das unaufhaltsame Absinken von körperlicher und seelischer Spannkraft keine Beschwerde erheben will, weil ich an dem guten Willen des unmittelbaren Aufsichtsdienstes nicht zweifle und weil ich die vielseitige Hilfe der amerikanischen Militärärzte persönlich erfahren habe und sie nur mit besonderer Dankbarkeit anerkennen kann.

Die ständigen Rückenschmerzen ohne Stuhl mit Lehne sind für einen Mann über 60 Jahre aber eine körperliche Qual.


Free download of the 2010 edition of David Irving's English translation of The Memoirs of Field Marshal Wilhelm Keitel
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