Keitel
Documents items 54 and 56. Typewritten.
10. 10. 45 Wilhelm
Keitel
Nürnberg, den 17. 9.
l946 Antworten
auf Fragebogen (Dr. M.
Löffler) I. Adolf Hitler. 1. mit welchen
geschichtlichen Persönlichkeiten
ist Adolf Hitler nach Ihrer
persönlichen Auffassung am ehesten
zu vergleichen: Alexander dem Grossen,
Dschingis Khan, Cromwell, Robespierre,
Napoleon?2. welche Veränderungen
waren im Laufe Ihrer Zusammenarbeit mit
Hitler hinsichtlich seines geistigen
Zustandes festzustellen? Ist an den
Behauptungen von sog. psychischen
Anfallen" etwas Wahres? Hatten
Sie solche Anzeichen bei ihm selbst
festgestellt?) Zu I.1) Ich würde Hitler in erster Linie
mit Cromwell, demnächst mit Napoleon
vergleichen: mit Cromwell hinsichtlich der
ursprünglichen Motive seiner
außenpolitischen Konzeption; mit
Napoleon hinsichtlich seiner
Überschätzung als strategisches
Genie. Wenn Hitler schließlich zum
brutalen Tyrannen wurde, so trafen
gewissen parallelen mit Dschingis Chan im
letzten Stadium des Krieges gegen den
Osten in Erscheinung~. Zu 1.2) Ich habe keine Veränderungen
feststellen können, außer der
Tatsache, daß er schwerstes unter
der klaren Erkenntnis des wahrscheinlichen
Zusammenbruches und der Zerstörung des Reiches ab Winter
1941/42 unausgesprochen und nach
Außen niemals erkennbar, litt,
wofür ihm seine Verantwortlichkeit
stets voll bewußt war. Hitler war
eine nervlich und seelisch höchst
empfindsame Natur, die meist wochenlang
durch Grübeln und Abwägen keine
Nachtruhe fand, bevor Entschlüsse
reiften. Er war wie er mir selbst
eingestanden hat von Jugend auf sehr
jähzornig veranlagt und behauptete,
es habe ihn schwerste Selbsterziehung
gekostet, den Fehler zu bekämpfen. Er
konnte daher in der Erregung sehr
ausfallend werden und
äußerst abstoßend wirken, hat es aber mir
gegenüber stets bereut, wenn er aus
der Rolle gefallen war. Schwere
militärische Rückschläge
trug er mit bewundernswerter Haltung,
solange nicht ein Verschulden auf eigener
Seite die Ursache war. Rasend machte ihn: - a) bewußt falsche oder
verschleierte Meldungen
- b) eigenmächtiges Handeln
gegen seine Befehle, wenn dieses
Handeln nicht erfolgreich war
- c) der offensichtliche
Ungehorsam.
Die Temperaments-Ausbrüche waren
aber keine psychischen Anfälle"
In den letzten Monaten nach dem
Attentat vom 20.7.44 war sein
grundsätzliches Mißtrauen gegen
jedermann fast zur fixen Idee geworden und
zur Verbitterung gesteigert. Er ist sich
niemals über die drohende
militärische Katastrophe klar
geworden, er trug äußerlich in
vorbildlicher Haltung schwerste
Schicksalsschläge,
Anfälle" oder
Nervenzusammenbrüche habe ich niemals
beobachtet. II. Himmler. 1. Was für eine
Persönlichkeit war Himmler privat?
(spartanisch einfach, oder prunk-
hebend, ehrgeizig,
selbstüberheblich, unnahbar?)2. Als Reichsführer SS und
Polizei-Chef: Machtmensch oder
überzeugt, einer Idee zu
dienen? 3. War Himmler nur ein Schatten
und Werkzeug Hitlers oder vertrat er
auch eigene Gedanken und Ideen? Zu II. 1) Himmler war für seine Person,
anspruchslos, fast spartanisch einfach
auch in seiner bescheidenen
Häuslichkeit. Er war ungeheuer
ehrgeizig und machthungrig. Er war ein
Durchschnittsmensch in geistiger Begabung,
dem weitgespannten Rahmen seiner Stellung
im Staate nicht gewachsen und nicht klug
genug dafür. Er
überschätzte seine
Befähigung erheblich und war der Typ
von Selbstüberheblichkeit. Unnahbar
war er dagegen keineswegs. Zu II. 2.) Himmler war besessen von der
Überzeugung einer Idee, nämlich
der Theorie von "Blut und Boden", der
Vorstellung seine historische Aufgabe sei
die Schöpfung eines
großgermanischen Siedlungsraumes,
die Rezimierung einer rein germanischen
Rasse, die Ausmerzung alles
fremdländischen Blutes bis zur
Wahnvorstellung, man müsse durch
Auslese und Begattung germanische
Urmenschen züchten. Für diese
Ziele war ihm offenbar jedes Mittel recht
und geheiligt. Für ihre Durchsetzung
diente ihm das Streben zu
unumschränkter Macht, nicht nur
über die Polizei, sondern als Endziel
auch über die Wehrmacht. Zu II. 3.) Himmler war ursprünglich nur ein
Werkzeug Hitler und Anhänger bezw.
Vollstrecker seiner Ideen. Himmler
überbot aber Hitler, mindestens seit
Anfang des Krieges, in der absoluten
Maßlosigkeit, weil er nicht klug
genug war, die Grenzen zu erkennen, die
auch den revolutionär radikalsten
Zielen und Methoden gesetzt sind, solange
man nicht Menschen als Tiere und Objekte
für die Verwirklichung von utopischen
Theorien ansieht. III. Krieg mit
Rußland. 1. Wie erklärt sich
die Unterschätzung der
militärischen Kraft
Rußlands? Hat nicht Quisling
wichtige Nachrichten über
russische Kriegsvorbereitungen gegen
Deutschland geliefert und vor einer
Unterschätzung Rußlands
gewarnt?2. Hätte sich der Krieg mit
Rußland vermeiden lassen oder
wäre ein russischer Angriff auf
den Westen früher oder später
doch erfolgt? 3. Rechnete Hitler bei der
Besprechung mit dem Armeeführer in
der Reichskanzlei am 14.6.1941 bestimmt
mit Japans Kriegseintritt gegen
Rußland?) Zu III.1.) Es ist richtig, daß Quisling vor
Unterschätzung Rußlands - wie
viele andere, bessere Kenner - gewarnt
hat. An wichtige, für uns neue
Nachrichten durch Quisling erinnere ich
mich nicht. Über Kriegsvorbereitungen
in Rußland waren wir seit 1930 nicht
im Unklaren, da wir mit den Russen noch
bis 1933 zusammengearbeitet haben (z.B.
Entwicklung von Kampfwagen, Flugzeugen und
Kampfstoffen in Rußland). Wir hatten
weitgehende Kenntnis von dem
großzügigen Ausbau ihrer
Rüstung und deren Industrie im Donau
Gebiet am Ural und die sich jährlich
steigernden Leistungsfähigkeit. Nicht
bekannt war uns die schon 1941 erreichte
gewaltige zahlenmäßige und
materielle Stärke ihrer Panzerwaffe
und Luftwaffe, sowie genaue Unterlagen
über die Zahl ihrer Verbände
(Divisionen) und die Produktionsleistung
ihrer Rüstungsindustrie. Gerade weil Hitler die von Jahr zu Jahr
sich erheblich steigernde
militärische Kraft Rußlands
erkannte, sah er die große Gefahr,
die uns von Rußland drohte und das
umsomehr, weil unsere 5 - 7 Ostdivisionen
während des Westkrieges 1940, durch
die Russen schon 1940 mindestens das
10fache gegenüberstand und laufend
verstärkt wurde. Der deutsche Angriff
1941 hat ja bewiesen, daß die Russen
den Angriffskrieg gegen Deutschland
bereits vorbereiteten, daß also
Hitler recht hatte, wenn er zuschlug,
bevor die Russen ihre Kriegsvorbereitungen
abgeschlossen hatten. Zu III. 2.) Ich bin zutiefst davon überzeugt,
daß der Krieg mit Rußland in
der politischen Situation, in die wir
geraten waren, mit England und Amerika als
Gegner, spätestens 1943 vielleicht
schon 1942 gekommen wäre durch
Angriff Rußlands, wenn Hitler nicht
1941 zuvorgekommen wäre. Er tat dies,
weil er das weitere militärische
Erstärken, nicht nur Rußlands,
sondern auch Englands und Amerikas
voraussehen mußte und sich die
Gefahr des Erliegens für uns mit
jedem Monat des Wartens steigerte. Nur die Herbeiführung einer
weltpolitisch völlig anderen
Konstellation, z.B. England und Amerika
auf deutscher Seite oder Frieden mit den
Westgegnern um jeden Preis, hätten
das über uns hängende russische
Damokles-Schwert in der Scheide
gehalten. Zu III. 3.) Nein. Hitler rechnete noch nicht einmal
in Dezember 1941 mit Japans Eingreifen,
denn er war überrascht durch die
Tatsache des japanischen Angriffs am
7.12.1941. Das habe ich bei Eingang der
Nachricht erlebt. IV. Afrika. Warum wurden Rommel nicht
mehr Kräfte zur Verfügung
gestellt, um die Einnahme von
Alexandria zu ermöglichen? Diese
Kräfte wurden ja später doch
anläßlich der
englisch-amerikanischen Landung in
Algier nach Nordafrika geworfen. Zu IV.) Die Fortesetzung der Rommelschen
Offensive über El Alamein auf
Alexandria, ist nicht an
Kräftemangel, sondern nur an dem
fehlenden Nachschub an Treibstoff,
Munition und Versorgung, auch der
deutschen Luftwaffe in Nordafrika,
gescheitert. Da die Italiener die
Nachführung der notwendigen
Versorgungsgüter über das
Mittelmeer nicht fertig brachten, mithin
also schon die in Nordafrika vorhandenen
Truppen nicht kampffähig erhalten
werden konnten, hätte die
Zuführung weiterer Kräfte die
Versorgung mit Kampfmitteln nur noch viel
mehr in Frage gestellt. Die Truppen in
Nordafrika hatten einen durchschnittlichen
Monatsbedarf an Nachschubgut von ca. 70-80
tausend Tonnen im Kampf. Geleistet wurde
von der italienischen Nachschubflotte aber
nur 30- 40 000 Tonnen, also weniger als
die Hälfte. Es waren also für
die Nachschubmäßige Versorgung
zuviel Truppen in Nordafrika. Mit weniger,
aber laufend vorsorgten Truppen wäre
Rommel nicht liegengeblieben. Wenn später über Tunis
weitere Kräfte nach Nordafrika
geworfen wurden, so waren die
Versorgungswege über See (Sizilien)
kürzer und gesicherter als die nach
Tripolis, Bengasi und Tobruk. V. Versagen des Nachrichtenwesens.
Warum wurde der deutschen
Führung der Beginn der Invasion
und ihre beabsichtigte Ausführung
weder in Nordafrika noch in
Nordfrankreich rechtzeitig bekannt? Zu V.) Invasion Nordafrika war nicht gemeldet
worden. Der Nachrichtendienst hat hier
versagt, obwohl eine Reihe Meldungen in
fragwürdigster Form entsprechende
Möglichkeiten angedeutet haben. Invasion Nordfrankreich wurde seit
Frühling 1944 bei jeder nur
einigermaßen für die Landung
günstiger Wetterlage erwartet und
vielfach auch gemeldet. Als die Meldungen
die tatsächliche Landungsabsicht am
6. Juni ankündigten - sie ist also
vorher rechtzeitig gemeldet worden - hat
man zwar den üblichen Alarmzustand -
wie schon unzählige male vordem
vergeblich angeordnet, der in seinen
verschiedenen Abstufungen zur Gewohnheit
für die Truppe geworden war. Je
häufiger etwas derartiges geschieht,
um so leichter nützt es sich ab. Es
war zwar nicht höchste Alarmstufe
angeordnet, aber die Truppe war in
Bereitschaft, als die Landung
tatsächlich erfolgte und dieses Mal
keine Täuschung war. VI. Strategie. Wer waren nach Ihrer
persönlichen Ansicht unsere besten
Strategen im vergangenen Krieg? Zu VI.) Für den strategischen Begabtesten
und fähigsten Offizier habe ich den
Fm. v. Manstein gehalten. Demnächst möchte ich Fm. v.
Rundstedt nennen. Als Dritten nenne ich
&en Generalobersten Jodl. Der am
meisten gefeierte Feldherr Rommel war kein
Stratege, sondern ein besonders tapferer
Führer, ein Seydlitz der Panzerwaffe.
Seine Grenze war erreicht, wenn er seine
Truppen nicht mehr im Gelände
übersehen konnte. VII. Heimat und Front. Hat irgendein Teil von
Heimat oder Front in diesem Krieg so
versagt, daß dadurch der
Kriegsausgang entscheidend
beeinflußt wurde, oder hat sich
in diesem Krieg auf unserer Seite eine
Sabotage ausgewirkt, auf die unsere
Niederlage zurückzuführen
ist? Zu VII.) Weder die Front noch die Heimat hat
versagt, ihre Haltung waren bis zum
Schluß über alles erhaben. Versagt hat die militärische
Abwehr der unvorstellbar überlegenen
Luftwaffe unserer Westgegner. Dieser
Umstand in seiner vielseitigen Einwirkung
auf Front, Heimat, Verkehr und Produktion
der Rüstung, einschließlich
Treibstoffe, hat die Niederlage
herbeigeführt. Nicht ohne Einfluß war die
Sabotage des Hochverrats, der den Feinden
bekannt war, und seinen Zuversichten auf
den Sieg moralisch stärkte in dem
Masse, als der Glaube in den eigenen
führenden Kreisen seit Stalingrad im
Schwinden war. W. Keitel .
Free
download of the 2010 edition of David
Irving's English translation of The
Memoirs of Field Marshal Wilhelm
Keitel
|