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Samstag, 18. Juli 1992, Nr. 165 / Seite 23

Drin ist drin

Zwischen Sollen und Können besteht ein seit alters bedauerter Unterschied. Meist soll man mehr, als man kann (zum Beispiel die Treue halten). Neuerdings kann der Mensch aber auch mehr, als er soll (zum Beispiel die Welt atomar vernichten). Das hat etwas mit dem Fortschritt zu tun.

Ein aktuelles Beispiel: Reisende soll man nicht aufhalten, hieß ein alteuropäisches Sprichwort. Die neue europäische Realität bezeugt etwas anderes. Reisende, sofern sie im Besitz des netten roten EG-Passes sind, kann man gar nicht mehr aufhalten. Im allgemeinen werden sie an den Grenzen nur noch durchgewinkt, und so verschlägt es auch wenig, daß gegen den britischen Historiker David Irving ein deutsches Einreiseverbot besteht.

Tatsächlich springt er munter durch die deutschen Lande und redet von der „Auschwitzlüge". Die Judenvernichtung sei eine Geschichtsfälschung. In Auschwitz habe es ,,niemals Gaskammern gegeben", die den ,,Touristen" vorgeführten Gebäude seien ,,Attrappen".

Offenbar ist es leichter, ihn darob wegen Beleidigung und Verunglimpfung Verstorbener zu einer Geldstrafe zu verurteilen (im Mai vor einem Münchener Amtsgericht), als ihn kurzerhand auszuweisen. Der illegal Eingereiste, so das bayerische Innenministerium, läßt sich legal nur noch schwer entfernen.

Auch das ist eine Folge des Fortschritts; sofern man die EG als Fortschritt rechnen will. Denn man kann zwar EG-Bürger als unerwünschte Personen deklarieren; sind sie aber einmal im Lande, dann genießen sie auch die Rechte und den Schutz von EG-Bürgern. Drin ist drin.

Da hilft nur ein polizeiliches Redeverbot, wie es der bayerische Innenminister im letzten Jahr gegen Irving verhängte. In diesem Jahr konnte Irving freilich gegen die bayerische „Unverschämtheit" ungehindert in Frankfurt protestieren (,,Ich werde einige gepfefferte Bemerkungen über Herrn Stoible zu machen haben"), weil in Hessen niemand ein Redeverbot anstrengte.

So spielt Herr Irving auf der Klaviatur des deutschen und des europäischen Föderalismus. Vor einem Monat, als ausgerechnet in Italien Sollen und Können einmal zusammenfielen und er auf dem römischen Flughafen erfolgreich an der Einreise gehindert wurde, konnte er ohne Schwierigkeiten nach Deutschland zurückkehren, weil dort Sollen und Können wieder auf die bewährt liberale Weise auseinandertraten.

Die Grenzpolizei hätte ihn schnappen sollen, aber gekonnt hat sie nicht. Doch wollen wir deshalb unseren lieben Nachtwächterstaat nicht schmähen und auch der EG, dem Föderalismus und dem politischen Fortschritt ganz allgemein nichts Böses nachsagen, denn nur wenn der autoritäre Nationalstaat noch existierte, den Irving so gerne verteidigt, könnte die polizeiliche Wurschtigkeit zuverlässig verhindert werden, von der er profitiert. JGJ

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