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Schnell
musste das Album auf den
Markt, als drittes, wichtiges
Buch zum Holocaust der
jüngsten Zeit, nach dem
umstrittenen Finkelstein-Buch
Die Holocaust-Industrie
und John Sacks Auge um
Auge Opfer des Holocaust
als
Täter. | http://szonnet.diz-muenchen.de/REGIS_A13385346 Samstag, 17. November 2001Hubert
Filser Lasst
uns ihre Geschichten erzählen : Die
Namen der Nummern Über
den Umgang mit Bildern aus Auschwitz in
Das letzte Album und Vor der
Auslöschung DIE Stiefel der Soldaten auf dem Bild
sind schmutzig. Es ist Krieg. Aber die
Männer mit ihren polnischen
Freundinnen blicken entspannt, sie singen.
Viele der Soldaten tragen schwarze
Schulterklappen, einer ein Eisernes Kreuz
1. Klasse. Es ist eine von insgesamt 2400
Fotografien aus einem historisch
einzigartigen Konvolut privater
Fotografien polnischer Juden, die in
Auschwitz nach
der Befreiung des Lagers gefunden
wurden. In Ann Weiss's Bildband The
Last Album, das den Ermordeten von
Auschwitz-Birkenau gewidmet ist, ist das
Foto im Kapitel "Zionisten während
des Krieges" veröffentlicht.
Unkommentiert. Das Bild zeigt vermutlich
sogar SS-Soldaten. Das ist ein Skandal,
sagt Arno Lustiger, Publizist,
Historiker und Überlebender von
Auschwitz, der heute in Frankfurt lebt.
Ein Fach im Bücherregal, das die
ganze Breite des Zimmers ausfüllt,
enthält die eigenen Arbeiten zum
Holocaust. Das wird von mir übrig
bleiben. Auf dem Fernsehapparat liegt eine
Videokassette: La vita è
bella von Roberto Benigni. Viele
Gemälde von Frauen an der Wand. "Ich
mag Frauen," sagt Lustiger. Auf seinen
Unterarm ist die Nummer A 5922
eintätowiert, eine
Auschwitznummer. Ein Skandal -- dieses erste Urteil ist
schnell gefällt, und es kann auch gar
nicht anders lauten. Denn das Foto mit den
SS-Männern in diesem Zusammenhang
signalisiert Verächtlichkeit. Und
keiner hat es gemerkt, auch nicht der
Piper-Verlag, der gerade die
Übersetzung Das letzte Album
Familienbilder aus Auschwitz
herausgebracht hat. Lebendig
unter TotenDie amerikanische Bibliothekarin Ann
Weiss hat The Last Album -- Eyes
from the Ashes of Auschwitz-Birkenau
zunächst bei W.W. Norton in New York
veröffentlicht. Die Autorin macht
sich zur emotionalen Fürsprecherin
der Augen aus der Asche von Auschwitz.
Keine Kleinigkeit, und eine Angelegenheit,
die Sorgfalt erfordert. Sie erzählt
von ihrem Besuch in Auschwitz, 1986, als
sie als erste westliche Journalistin die
Bilder in einem abgeschlossenen Raum
entdeckte. Ein Museumsmitarbeiter habe sie
dorthin geführt, sie habe ihre Gruppe
verloren, sei völlig benommen und wie
in Panik durch das Gebäude und
über das Gelände gelaufen: "Ich
fühlte mich wie der einzige Lebende
unter all den Toten." Als Weiss mit dem Soldaten-Bild
konfrontiert wird, gibt sie sich
erschüttert. "Sie sind der erste auf
der Welt, der mir das sagt." Sie werde
sofort auf ihrer Internet-Seite einen
Hinweis bringen. Arno Lustiger aber kann
sich nicht vorstellen, dass sie das nicht
gesehen hat. Diese Geschichte erzählt etwas
über den Umgang mit Bildern, mit
Geschichte. Man darf fragen, ob
Emotionalisierung ein guter Ratgeber ist,
wenn es darum geht, Tote zum Sprechen zu
bringen, ob man dann nicht moralisch so
aufgeladen ist, dass kritische Fragen
hinter dem Auftrag zurückstehen. Die
falschen Namensschreibweisen sind hier nur
ein Indiz. Es stimmt etwas nicht, wenn
nicht nur kleine, sondern auch derart
eklatante Fehler wie das Soldatenfoto noch
in der deutschen Buchausgabe unerkannt
bleiben. Interessant macht diesen Fall
zudem, dass es ein zweites Buch gibt, das
dieselben Bilder aus Auschwitz verwendet
und in diesem Jahr als Mahnmal und
Grabstein für die Toten gefeiert
wurde: Vor der Auslöschung
. Was sind das für Bilder?
Zunächst einmal 2400 zufällig in
Auschwitz- Birkenau gefundene
Schnappschüsse, Hochzeitsfotos,
Gruppenaufnahmen, aus der Kindheit, aus
der Familie. Sie gehörten Juden
überwiegend aus dem polnischen Bedzin
und Sosnowiec, die nach Auschwitz
deportiert wurden. Bedzin hatte damals knapp 50.000
Einwohner, Sosnowiec fast 110.000; die
Städte im Schwerindustrie- und
Kohlebergbaugebiet östlich von
Kattowitz, rund 40 Kilometer nordwestlich
von Auschwitz, waren so nahe zusammen wie
Frankfurt und Offenbach, mit einer
Straßenbahn verbunden. 1943 gab es einen Transport nach
Auschwitz. Wir vermuten, dass die Menschen
nicht wussten, dass sie in Lager und damit
in den Tod fuhren. Wir vermuten, dass sie
Pässe aus Lateinamerika dabeihatten,
die ihnen Sicherheit garantierten. Weil
sie dachten, sie würden in die
Freiheit reisen, hatten sie so viele
persönliche Fotografien dabei, sagt
Hanno Loewy vom
Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt, der sechs
Jahre lang zusammen mit Mitarbeitern des
Holocaust-Museums in Auschwitz versuchte,
die Bilder zuzuordnen, den Menschen darauf
einen Namen zurückzugeben. Vermutlich wurden die meisten in den
Baracken des so genannten Kanada-Baus
gefunden. Dort wurde den Deportierten ihre
Habe abgenommen, die Sachen wurden
sortiert in das, was verbrannt, und das,
was gesammelt und ins Reich geschickt
wurde. Häftlinge des Kanada-Kommandos
haben die Fotos nicht in die dafür
bestimmten Öfen geworfen. Mit Emotionen beladen sind die
Fotografien. Wie aber sind diese
Gefühle freizulegen und zu welchen
Bedingungen? Man kann hier den Vergleich
ziehen zu den Bildern der Wehrmachtsausstellung.
Da gab es von Anfang an kontroverse
Diskussionen darüber, was die Bilder
wirklich zeigen. Ehemalige deutsche
Soldaten reagierten heftig darauf, es gab
Diskussionen wie selten bei einer
deutschen Ausstellung. Auch hier war
Sorgfalt angebracht, mussten Fehler
korrigiert werden. Die gesamte Ausstellung
wurde überarbeitet, etwas, das man
nun dem Piper-Verlag nur empfehlen kann.
Es gibt tatsächlich viele Fehler,
manche hat Weiss mittlerweile selbst in
einer Liste im Internet korrigiert, mit
dem Hinweis, bei einer Neuauflage
würden diese nicht mehr erscheinen.
Piper kennt diese Liste offenbar
nicht. Das
Buch beginnt mit einem Gedicht von Elie
Wiesel (rechts): Lasst uns Geschichten
erzählen alles übrige muss
warten. / Lasst uns Geschichten
erzählen; das ist unsere oberste
Pflicht. / Kommentare müssen
zurückstehen, damit sie nicht
verdrängen oder verschleiern, was
sie enthüllen wollen ... Nach dem Vorwort von Leon
Wieseltier und der Einführung von
James Young schildert Ann Weiss
ihre Geschichte der Bilder. Bücher
werden normalerweise von den Lebendigen
geschrieben. Dieses Buch ist anders. In
ihm erheben vor allem die Toten ihre
Stimme. Doch sie sind nicht tot... noch
nicht, schreibt Weiss. Loewy spricht
davon, dass die Tochter polnischer
Holocaust-Überlebender an die Stelle
der Toten treten wolle: Sie gibt vor,
selbst nur der Bote zu sein, der den Fotos
und den Menschen eine Öffentlichkeit
verschafft, will aber immer das letzte
Wort haben. Ann Weiss sieht sich als
Stellvertreterin der Leidenden. So hat
auch der Moment, als sie die Bilder
entdeckt, die Aura einer Erscheinung: Es
war eine Epiphanie, als mich diese
Gesichter aus den Alben anblickten. Ihre
Form der Geschichtsbetrachtung bekommt den
Anschein eines quasi-religiösen
Auftrags, als müsse man vor sich
moralische Geschütze auffahren, um
paradoxerweise die toten Opfer noch einmal
zu schützen. Die Wahrheitssuche folgt der Emotion,
Weiss trifft zufällig den
Auschwitzbefreier, einen russischen Juden,
der darauf bestanden habe Jiddisch zu
sprechen. Dabei war der Befreier von
Auschwitz gar kein Jude, sondern der
sowjetische General Wassili
Petrenko. So schiebt sich zwischen die schwer zu
rekonstruierende, noch schwerer zu
begreifende Vergangenheit ein fiktives
Element. Es gibt keinen Grund, der fremden
Befindlichkeit zu folgen, wenn man nun,
wie bei diesem einzigartigen Konvolut,
endlich etwas vor sich hat, das für
sich sprechen kann: still, nicht
sentimental, nicht weinerlich. Ist es
nicht schwer genug, jüdische
Dokumente vom Ballast der Gefühle zu
befreien und unverstellt auf das hier sich
sammelnde Leben zu blicken? Ist es nicht
toll, dass die Bilder einfach nur banal
sind, eben nicht ergreifend? Befreit von
der Bürde, die ihnen die Geschichte
auferlegt hat? Als
sie noch nicht Opfer warenWeiss zitiert die Geschichte eines
Zeugen, eines Überlebenden von
Auschwitz. Sein Name wird nicht genannt.
Er erzählt, wie möglicherweise
die Bilder gerettet wurden (was bis heute
nicht geklärt ist); er berichtet,
dass sie bei einem sehr tapferen
Führer im Untergrund landeten mit dem
Namen David Schmulevsky. Arno
Lustiger schüttelt bei dieser Episode
nur ungläubig den Kopf: "Abgesehen
davon, dass der Name falsch geschrieben
ist; er war ein wichtiger Zeuge im
Frankfurter Auschwitz-Prozess", ist der
Bericht eine erfundene Geschichte. Weshalb
nennt Ann Weiss nicht den Namen des
Überlebenden? Lustiger hat Menschen auf den Bildern
identifiziert, zusammen mit anderen
Auschwitz-Häftlingen wie Siegmund
Pluznik. Er hängt an diesen
Bildern, weil sie die jüdische
Mittelschicht Polens zeigen, die sich von
der Tradition ihrer Vorväter schon
mehr oder weniger entfernt hatte. Für
mich zeigen sie die Normalität, eben
nicht orthodoxe Juden mit exotischen
Locken. Die jüdische Welt im 20.
Jahrhundert hat sich gewandelt. Ann Weiss zeigt das ebenfalls trotz der
vielen Fehler in der Schreibweise der
Namen, trotz falscher Bildlegen. Und
leichter zugänglich als der Band
Vor der Auslöschung. Hanno
Loewy betont ebenso wie die Münchner
Verlegerin Gina Kehayoff, dass sie
keine Auswahl aus den 2400 Bildern treffen
wollten. Er spricht von einer zweiten
Selektion, schreibt davon, dass den
gefundenen Bildern kein Narrativ mehr zur
Seite stünde. Die Bilder, die uns die
in Birkenau vergasten und verbrannten
Menschen hinterlassen haben, sind
abgeschnitten von ihrer eigenen Zeit und
dem Leben, das sie hervorbrachte. Der
Wunsch nach Kontinuität und
Sinnerfüllung, mit dem wir sie
betrachten und hoffen, dass den Namenlosen
Namen gegeben werden, dass wenigstens ein
paar der Verstummten ihre Sprache wieder
finden und erzählen, was ihnen
geschah, ist so unstillbar wie
ohnmächtig. Entstanden ist ein vier Kilogramm
schweres Dokument, das die Toten ehrt. Das
den Nummern von Auschwitz ihre Namen
zurückgibt. Der Begleitband wird zur
Grabinschrift. Dabei hat es der Betrachter
schwer mit dem Gewicht, den spröden
Farben, dem Format; man braucht einen
Tisch, um die nach Bild und Text
getrennten Bände durchzuarbeiten. Sie
versperren sich dem schnellen Gefühl.
So wandelt sich dieses Buch zu einem
Bilddenkmal, das man lesen wollen muss.
Und die Bilder darin erhalten ihr privates
Innenleben zurück. Zweierlei
AndenkenZwei Bücher, zwei Arten, zu
gedenken, zwei Zugänge zur
Geschichte. Weiss' Buch zerfällt
dabei in zwei Teile, in die Geschichte
ihrer persönliche Betroffenheit und
in die lebendige Schilderung der
Familiensituation, die auch Lustiger
für gelungen hält. Sie hat mehr
als elf Jahre Menschen gesucht, die ihr
von ihrem Schicksal und dem der anderen
erzählten. Die Bedingung dabei war,
dass immer sie selbst
Projektionsfläche dieses Leidens sein
würde, Stellvertreterin. Ihr das
vorzuwerfen, führt nirgendwo hin,
denn der persönliche Einsatz dieser
Frau war sicher enorm. Doch Weiss' Selbstschau und der Mangel
an Sorgfalt mindern die Kraft der
Auschwitz-Bilder. Schon in der
Verlagsankündigung nimmt man es nicht
genau: Ann Weiss hat im Auschwitz-Archiv
einen bewegenden Fund gemacht:
Familienalben von Opfern des Holocaust ..
. Sie hat Fotoalben gesammelt und
aufbereitet, die jüdische Familien
mit nach Auschwitz genommen haben. Dass
Weiss keine Familienalben gefunden hat,
die Bilder in Alben eingeklebt waren von
Mitarbeitern des Museums, dass sie keine
Fotoalben gesammelt, sondern lediglich
Bilder in jahrelanger Arbeit
abfotografiert hat, stört niemanden.
Niemand aus dem Verlag habe mit ihr jemals
Kontakt aufgenommen, sagt Ann Weiss. Schnell
musste das Album auf den Markt, als
drittes, wichtiges Buch zum Holocaust der
jüngsten Zeit, nach dem umstrittenen
Finkelstein-Buch
Die Holocaust-Industrie und John
Sacks (rechts) Auge um Auge Opfer
des Holocaust als Täter. Hanno Loewy
wertet das als Versuch des Verlags, zu
beweisen, dass man nicht gegen
Aufarbeitung ist, sondern nur gegen die
Holocaust-Industrie. Dass kein deutscher
Lektor offensichtliche Fehler im Band
entdeckt hat, schadet dem Andenken der
Toten. Dabei wäre sie zu korrigieren
auch ohne Fachkenntnisse möglich
gewesen. Wenn zum Beispiel dieselbe Frau
in der Bildlegende einmal als Ada
Neufeld, dann als Ada Noichel
bezeichnet wird. Jeder Mensch, sagt Arno
Lustiger, hat einen Namen, den soll man in
Ehren halten, da muss man sich Mühe
geben. Deutsche Soldaten in Polen zeigt das
obere Foto, das in dem Bildband The
Last Album über die Opfer von
Auschwitz-Birkenau ausgerechnet das
Kapitel "Zionisten im Krieg illustriert."
Nicht die einzige Ungenauigkeit in dem
jetzt auch deutsch erschienenen Buch mit
Fotos, die nach der Befreiung des Lagers
gefunden wurden. Es sind Bilder, die die
Opfer nicht als Opfer zeigen, sondern
davon erzählen, wie diese Menschen
gelebt haben. Fotos aus dem Familienalbum,
wie das links von Vater und Sohn, in dem
als Bild im Bild auch noch die Generation
der Großeltern präsent ist.
Oder das offensichtlich beim Fotografen
gestellte Familienfoto, das in einem
Absatz versteckt, im Saum der Jacke
verborgen zerknickt und zerrissen
ist. Fotos: W. W. Norton Related
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