| Stuttgarter Zeitgung, ... 1999?
Geheimniskrämer in Moskau Mit dem Verschluß von Akten mißachtet Rußland das Archivgesetz und behindert Historiker NUR einer wie Günther Wagenlehner wird bei der Recherche selten aufgehalten. Der Direktor des Instituts für Archivauswertung hat schon vieles gesehen, was andere Historiker nicht sehen dürfen, wenn sie nach Moskau kommen und in den staatlichen Archiven forschen wollen. Wagenlehner, ein Doyen unter den Ost-Experten, hat ausgezeichnete Kontakte, und so hat er selbst Einblick in das Geheimarchiv des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB), der Nachfolgeorganisation des KGB. Ich bin der einzige Ausländer, der da reinkommt", sagt er. Es sei alles nur eine Frage des Gewußt wie". Wagenlehner ist eine Ausnahme. Andere Forscher können sich nicht auf die persönliche Bekanntschaft mit dem russischen Geheimdienst-Chef berufen, sondern nur auf das Archivgesetz von 1993, das grundsätzlich die Freigabe von Akten nach einer Frist von 30 Jahren vorsieht. Denn obwohl Anfang der einziger Jahre der Zugang zu russischen Archiven insgesamt erleichtert wurde, beklagen deutsche Historiker, aß wichtige Forschungsarbeiten nicht vorangetrieben werden könnten, weil Rußland noch immer die alte Geheimniskrämerei betreibe. Dabei geht es insbesondere um Dokumente aus der sowjetischen Besatzungszeit in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs: Akten über die Enteignungspolitik, über die Verfolgung von deutschen Kriegsverbrechern durch sowjetische Militärgerichte, über Kriegsbeute und Reparationen. Die wichtigsten Unterlagen dazu liegen in den Archiven des Präsidenten, des zentralen Militärarchivs, des FSB, des Innenministeriums und des Staatsarchives, doch die zentralen Bestände sind nach wie vor gesperrt", sagt der Historiker Ralf Possekel. In einigen Fällen seien einfach die Sperrfristen zur Freigabe um 18 auf 48 Jahre verlängert worden; in anderen wiederum wurden Dokumente wieder als geheim erklärt, die in der Zwischenzeit bereits veröffentlicht worden waren." Selbst der russische Archivdienst habe im Moskau auf diese unbefriedigende Situation" aufmerksam gemacht und auf eine Nivellierung der Ausführungsbestimmungen gedrängt. Possekel vermutet hinter der Haltung Rußlands Angst vor weiterem Prestigeverlust und möglichen deutschen Regreßansprüchen. Lutz Niethammer, Professor für Zeitgeschichte in Jena, meint, das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland könne nur über mehr Offenheit" verbessert werden, im Sinne des Wortes. Wir müssen wissen, wie es wirklich war zwischen Russen und Deutschen während der Besatzungszeit. Wir brauchen die Akten der sowjetischen Militäradministration in Berlin, um zu erfahren, wie die Anweisungen aus Moskau umgesetzt wurden." Sollte Moskau sich und die Archive nicht öffnen, dann bestärkt dies nur die Phantasien der Deutschen, daß sich damals bei den Sowjets alles um Verbrechen drehte", sagt Niethammer. Um Rußland zur Umsetzung ihres eigenen Archivgesetzes zu bewegen und die internationale Forschung zu erleichtern, will eine Reihe deutscher Historiker an diesem Wochenende beim Berliner Geschichtsforum einen Appell an die russische Regierung verabschieden. Die Tagung wurde vom Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eröffnet, und auch er weiß, daß sich die Situation der russischen Archive nur mit ein wenig Druck aus dem Westen verbessern läßt. Den Zugang zu den Archiven zu erleichtern, sei ein wichtiges Anliegen", heißt es im Büro des Bundestagspräsidenten. Kürzlich habe man einen entsprechenden Brief an das für die Gespräche mit Rußland zuständige Bonner Innenministerium geschickt. Auch Außenminister Joschka Fischer unterstütze eine freiere Auslegung der russischen Gesetze. Wie Bonn allerdings Moskau konkret zur Freigabe geheimer Akten bewegen will, wurde nicht verraten. Frank Nienhuysen |
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