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Linksliberaler Kronzeuge für Holocaust-Leugner Der Fall des angesehenen Journalisten Fritjof Meyer Von Sven Felix Kellerhoff DIE Holocaust-Leugner und Auschwitz-Relativierer haben einen neuen Kronzeugen. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, handelte es sich nicht um einen angesehenen linksliberalen Journalisten: Fritjof Meyer, (rechts), Leitender Redakteur und Außenpolitik-Experte beim "Spiegel". Meyer hat in der Mai-Nummer der renommierten Zeitschrift "Osteuropa" einen Aufsatz mit dem Titel "Die Opfer von Auschwitz. Neue Erkenntnisse durch neue Archivfunde" veröffentlicht, den ausgerechnet die rechtsextreme "Nationalzeitung" Mitte Juni zustimmend referierte. Inzwischen sickert die Botschaft, ein "Spiegel"-Redakteur habe sich auf die Seite der Holocaust-Relativierer geschlagen, immer stärker in die rechtsradikale Szene ein. Manche Neonazis rufen bereits in den Redaktionen seriöser Zeitungen an, um mit stolzgeschwellter Stimme von ihrem "Sieg" zu berichten. Nun ist niemand vor Beifall von der falschen Seite gefeit - besonders gilt das für politische Publizisten, die sich abseits der ausgetretenen Wege der Political Correctness bewegen. Man kann es den Ewiggestrigen und den Neonazis allerdings schwerer machen - oder leichter. Fritjof Meyer, der alles andere als ein Holocaust-Leugner ist, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den Vergangenheitsverfälschern leichtfertig Vorlagen zu liefern. Dabei hat der erfahrene Journalist eigentlich zu Recht ein schwelendes Problem angegangen. Noch immer nämlich wirkt in der Öffentlichkeit nach, was eine sowjetische Untersuchungskommission 1945 konstatierte und was jahrzehntelang auf der Gedenktafel (links) in Birkenau stand: Vier Millionen Menschen seien in dieser Hölle ermordet worden - außer Juden auch christliche Polen, sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma. Schon seit Jahrzehnten ist in der Forschung unbestritten, dass diese Zahl zu hoch ist, was allerdings nichts an der Gesamtzahl der Opfer des Holocausts und der anderen NS-Verbrechen ändert. Nach der gründlichsten Untersuchung von Wolfgang Benz sind mindestens 5,29 Millionen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung dem Rassenwahn Adolf Hitlers zum Opfer gefallen, wahrscheinlich aber noch mehr, nämlich 6,1 Millionen. Fast die Hälfte aller ermordeten Juden starb in den vier Vernichtungslagern Chelmno, Belzec, Sobibor und Treblinka. Viele Hunderttausend wurden von Einsatzgruppen und - vor allem auf dem Balkan - auch von Wehrmachtseinheiten erschossen. Im größten aller KZs, in Auschwitz, verloren rund eine Million Menschen ihr Leben, zum überwiegenden Teil Juden. Um so erstaunlicher sind die Berechnungen, die Meyer in "Osteuropa" vorgelegt hat. Er kommt nämlich auf "nur" 510 000 Tote in Auschwitz, davon 356.000 vergaste Menschen. Der gelernte Politologe stützt seine Schätzung einerseits auf die Angaben von Danuta Czech, einer Historikerin der Gedenkstätte Auschwitz, über die Zahl der nach Birkenau deportierten und der dort als KZ-Häftlinge registrierten Menschen. Allerdings sind Czechs Zahlen unvollständig. Andererseits führt ihn seine Berechnung der "Leistung" der vier großen Krematorien zu dieser Opferzahl. Nach Meyer konnten diese einzig zur Menschenverbrennung konstruierten Bauwerke maximal 313 866 Tote einäschern. Die Grundlage dieser Rechnung ist allerdings zweifelhaft - Meyer setzt sowohl "Kapazität" wie Betriebsdauer zu gering an. Zumal so exakte Zahlen eine Genauigkeit vortäuschen, die beim Menschheitsverbrechen Holocaust nicht zu erzielen ist. Bis hierhin sind Meyers Erörterungen zweifelhaft, aber nicht unbedingt störend. Anders ist das bei drei weiteren Punkten. So bezieht der "Spiegel"-Journalist in seinem Aufsatz eher schwammig, auf Nachfrage aber klar Position bei der umstrittenen Frage, ob in den Gaskammern der vier Krematorien massenhaft gemordet worden sei: "Die Gaskammern der Birkenauer Krematorien I und II waren außer in der Experimentierphase offenbar kaum in Betrieb, III oder IV hauptsächlich nur wohl in dem furchtbarsten Monat Oktober 1944." Damit widerspricht Meyer nicht nur Dutzenden von Zeitzeugenberichten, die alle im Kern übereinstimmend über die "Mordfabriken" in den vier Krematorien berichten. Auch die Bauakten der SS geben keinen Hinweis darauf, dass die zweifelsohne geplanten und eingebauten Gaskammern nicht funktioniert hätten. Meyer stellt zwar fest, dass es sehr wohl Gaskammern in Birkenau gegeben habe, nämlich zwei umgebaute kleine Bauernhäuser. Aber weil sie nur eine begrenzte "Kapazität" gehabt hätten, so sein Zirkelschluss, müsste die Zahl der Opfer deutlich niedriger sein als - wie gemeinhin angenommen - 700.000 bis 950.000. Charakteristisch für Holocaust-Leugner ist ihre selektive Wahrnehmung. Sie lesen stets nur jene Belege, die in ihr Weltbild passen: Von Meyers Erörterungen nehmen sie vor allem wahr, dass die Gaskammern in den Krematorien nicht benutzt worden seien. Oder dass es sich bei dem bislang als echt geltenden Brief des SS-Bauleiters Bischoff über die "Leistung" der Krematorien um eine "Fälschung" handele, wie Meyer behauptet, ohne Gründe anzugeben, wird für die Ewiggestrigen zum Beleg für die absurde These, alle Dokumente über den Holocaust seien Produkte einer seit 1945 arbeitenden "Fälschungsfabrik". Oder dass ein "Spiegel"-Redakteur den bekennenden und verurteilten Auschwitz-Leugner David Irving für einen "erfolgreichen Rechercheur" hält - in Wirklichkeit hat erst kürzlich der britische Historiker Richard Evans (rechts) nachgewiesen, dass Irving seit seinen ersten beiden Büchern über den anglo-amerikanischen Bombenkrieg gegen deutsche Städte Quellen vorsätzlich fehlinterpretiert und verfälscht. Fritjof Meyer ist ein ehrenwerter Mann. Allerdings hat er den rechtsradikalen "Geschichtsrevisionisten" unbeabsichtigt den kleinen Finger gereicht - und nun vereinnahmen sie ihn. Da hilft es auch nicht, dass sein Aufsatz an sich gut gemeint war.
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