June 2001,No. 23/2001, page 58
FOCUS: Ein anderes Thema: Ein Historiker hat behauptet, der Einsatz von Gas bei der Ermoderung der Juden sei, anders als weithin angenommen ein "nebensächliches Phänomen" gewesen. Die "Leistungsfähigkeit" der Gaskammern werde "starke übertrieben". Hat der Mann Recht? [Prof. Dr Horst] MÖLLER [leitet das Münchner Institut für Zeitgeschichte]: Das würde ich nicht sagen. Die systematische Vergasung in eigens dafür errichteten Vernichtungslagern ist das Kriterium, das die Singularität des Massenmords an den Juden oder an einem Teil der Juden -- ein großer Teil ist ja auch erchossen -- ausmacht. Insofern halte ich die Bezeichnung "nebensächliches Phänomen" für völlig unangemessen. FOCUS: Das steht in Daniel Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker". MÖLLER: Ich bin keine Anhänger des Goldhagen-Buchs. Der Massenmord is auf dreierlei Weise erfolgt: erstens die Morde vor allem durch Einsatzgruppen, SS-Divisionen oder Polizeibataillone, in geringerem Umfang auch einzelne Wehrmachteinheiten, also Massenhafte Erschießungen. Zweitens die durchaus gezielte, aber indirekte Tötung durch Krankheiten, mangelhafte Ernährung, Schwerstarbeit unter extrem Bedingungen. Drittens der Massenmord mit Hilfe der Gaskammern. Das sind die Hauptformen. Ich würde keine davon als nebensächlich bezeichnen. FOCUS: Finden Sie es merkwürdig, daß diese Sätze in der wilden Diskussion des Goldhagen-Buchs völlig unbeachtet blieben? MÖLLER: Es gibt viele solche unbeachteten Sätze. Das beginnt damit, daß etwa Hannah Arendt vom Klassenmord der Bolschewiki und vom Rassenmord der Nationalsozialisten sprach, also durchaus eine Parallelisierung vornahm. Bei Sebastian Haffner kann man manche ähnliche Formulierungen wie bie Ernst Nolte lesen. Bestimmte Äußerungen bleiben in der öffentlichen Reaktion bei uns unbeachtet oder unkritisiert, wenn sie von bestimmten Leuten stammen. [...]. | |