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Posted Friday, August 27, 1999


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In August 1999 Die Welt (Hamburg, Germany) serialised extracts from a 1962 Eichmann manuscript. ACTION REPORT reproduces those excerpts here as a service to historians

4: „Heydrich sagte, das Protektorat sei in zwei Monaten judenfrei"

Adolf Eichmann organisiert die Deportationen nach Theresienstadt -- Fortsetzung der Dokumentation seiner Erinnerungen

Die WELT setzt heute ihre Dokumentation der Erinnerungen Adolf Eichmanns fort. Nachdem er den Druck auf die Prager Juden erhöht hat, lässt Eichmann sie deportieren. Der Text wird ohne orthografische, syntaktische oder stilistische Korrekturen abgedruckt.

AUCH hier folgte alsbald die Gründung eines „Fonds", der in Prag aber die Bezeichnung „Verwaltungs und Verwertungsstelle..--.." führte. Auch er war mit Körperschaftsrechten ausgestattet und unterlag, genau wie in Wien, daher auch der laufenden Überprüfung durch den Reichsrechnungshof.

Es waren hier sehr viele Beamte und Angestellte tätig. Die juristischen Ausarbeitungen machte hier ebenfalls Dr. Rajakowitsch und jetzt auch sein Schwager Dr. Rintelen, die in Wien beide zusammen eine Rechtsanwaltskanzlei führten, zusammen mit dem „Juristen" des Befehlshabers der Sipo und des SD-Prag einer seiner Referenten, ein Reg.Rat SS-Sturmbannführer (Anm. d. Red.: Friedrich) Suhr. Ebenfalls durch eine Verordnung des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren wurde er dekreditiert.

Ein Schwiegersohn von dem bereits genannten Generaldir. Kraus aus Wien, dessen Name ich nicht mehr weiß, leitete in den ersten Monaten die Einrichtungsarbeiten, die dann hauptamtlich ein älterer Jurist aus dem deutschböhmischen Raum, dessen Namen ich auch nicht mehr im Gedächtnis habe, führte.

Wieviel Juden über die Zentralstelle Prag auswanderten, vermag ich heute auch nicht mehr zu sagen; es können 100 000 und ebensogut 150 000 gewesen sein (Anm. d. Red.: Diese Zahlen sind absurd überhöht: Nur etwa 30 000 gelang die Auswanderung bis zum Deportationsbeginn). Jedoch sind diese Zahlen ihrer Ungenauigkeit wegen uninteressant. Vielleicht befinden sich bei der Kultusgemeinde Prag noch irgendwelche Unterlagen. Vielleicht hat Angaben darüber auch noch der Statistiker Chorherr (Anm.: Richard Korherr).

Was mit den beiden Günthers geschah, weiß ich nicht, ich habe sie seit April 1945 nicht mehr gesehen, habe auch nichts mehr über sie gehört oder gelesen.

Die jüdischen Funktionäre, auf die ich mich noch entsinnen kann, heißen Dr. Weinmann (Anm.: Dr. Frantisek Weidmann) und ein Herr Eppstein (--) (Anm.: Jakob Edelstein).

Als der Reichsprotektor Frhr. von Neurath abgelöst wurde, trat an seine Stelle (Anm.: am 24. 9. 1941) der Stellvertretende Reichsprotektor f. Böhmen und Mähren, SS-Obergruf. Heydrich, unter gleichzeitiger Beibehaltung seines Amtes als Chef der Sicherheitspolizei und des SD, in Personalunion. Kurz nach seiner Amtsübernahme rief er mich mit dem B. d. S. (besser umgekehrt) (Anm.: am 10. 10. 1941) zu sich. Es war bei ihm der Staatssekretär K. H. Frank zugegen.

Er teilte uns mit, daß er eben eine Pressekonferenz abgehalten habe und er sich dabei vergaloppiert hätte, indem er den Presseleuten sagte, daß das Protektorat in zwei Monaten „frei von Juden" sei (Anm.: Hitler hatte gewünscht, dass bis Ende 1941 „möglichst die Juden aus dem deutschen Raum herausgebracht sind".). Es sei ihm klar, daß dies praktisch kaum durchführbar wäre, aber es wäre „nun mal raus" und es müsse etwas geschehen. Ich sagte ihm auf seine Frage, ob die Auswanderung entsprechend forciert werden könne, daß dies schwer möglich sei, da es in zunehmenden Maße an Einwanderungsgenehmigungen fehle und das man froh sein müsse, wenn das jetzige Tempo noch recht lange anhalten würde. „Aber etwas muß unternommen werden", so ähnlich meinte der wie immer sehr impulsive und von einer gewissen persönlichen Eitelkeit „nicht ganz freie" Stellvertretende Reichsprotektor.

Ich schlug dann vor, es kann aber ebenso gut K. H. Frank oder auch Dr. Stahlecker (Anm.: Walther Stahlecker war längst Chef der Einsatzgruppe A. Nachfolger als BdS Prag war Horst Böhme) gewesen sein, so genau weiß ich das nicht mehr, wenngleich ich glaube, daß ich es gewesen sein könnte, man solle ein Städtchen oder eine Stadt mit genügend großem Areal ringsherum, als Lebensbasis für die Bewohner, zur Ansiedlung von Juden aus dem Protektorat zur Verfügung stellen; zusätzlich der Auswanderungszahlen, die ja auch monatlich immerhin etliche tausend wären, wäre es schon der Anfang einer Lösung, wenngleich auch dadurch innerhalb von zwei Monaten das Problem keinesfalls gelöst sei, aber man könne ja auch auf dem Territorium bauen.

Heydrich war von diesem Plan sehr eingenommen und der Staatssekretär K. H. Frank schlug vor, die in Theresienstadt liegenden Einheiten der deutschen Wehrmacht anderwärtige Unterkünfte zuzuweisen, was über dem Militärbefehlshaber (Anm.: Generalmajor Rudolf Toussaint) durch eine Anordnung des „Stellvertr. Reichsprotektors" möglich sei, und über die czechische Protektoratsregierung sollten die dort ansässigen Czechen im übrigen böhmisch-mährischen Raum umgesiedelt werden. So geschah es auch.

In Theresienstadt wurde ein Jüdischer Ältestenrat eingesetzt und zuerst hauptsächlich von Dr. Weinmann (Anm.: Weidmann) u. Eppstein-Prag (Anm.: Edelstein) und dem Rabb. Dr. (Benjamin) Murmelstein-Wien (--) bearbeitet; nun gingen Transporte aus Böhmen + Mähren nach Theresienstadt. Czechische Gendarmerie hielt an den Gemarkungen Wache und sorgte für einen reibungslosen Verkehr auf der mitten durch Theresienstadt führenden Autostraße Dresden-Prag.

Eine Dienststelle von etwa 6-8 Mann SD-Angehöriger regelte die Verbindung zwischen Theresienstadt und Prag. Die Zentralstelle f. jüdische Auswanderung hatte während der ersten Zeit die alleinige Aufsicht; dies wurde aber bald insofern geregelt, daß als Dienstaufsichtsbehörde der Befehlshaber der Sipo u. des SD in Prag durch eine Verfügung der Behörde des „Stellvertr. Reichsprotektors" bestellt wurde. Auch dieses wurde kurze Zeit später praktisch illusorisch, da sich der Staatssekretär K. H. Frank meist bis in kleinste Kleinigkeiten selbst mit „hineinhängte" und bei ihm immer erst bezüglich irgend welcher Angelegenheiten Theresienstadt gefragt werden mußte, und später gar durfte ohne Himmler, der für Theresienstadt persönlich seine Weisungen gab, keine Anordnung getroffen werden.

Lebensmitteltransporte gingen regelmäßig nach Theresienstadt (Anm.: abertausende ghettoisierter Juden verhungerten dort) und das Territorium, welches zu der Stadt gehörte, wurde ebenfalls nutzbar gemacht, „Wehrmachtsaufträge" wurden allmählich nach Theresienstadt verlagert und es wäre eine Lösung für, sagen wir, etwa 10 000 Menschen auf einige Zeit gewesen.

Packete und Briefe konnten laufend von und nach Theresienstadt geschickt werden und die Postverwaltung gab eine eigene Briefmarke, welche in Theresienstadt ausgegeben wurde, herraus. Eine jüdische Polizei von etwa 120 Mann sorgte für die Ordnung innerhalb Theresienstadts und seinem zu ihm gehörenden Weichbild.

Aber nun wollten plötzlich alle möglichen Stellen des Reiches, die durch diese „geniale eigene Lösungsmöglichkeit des Stellvertr. Reichsprotektors", durch Heydrichs eigener Propaganda hörten, über den Reichsführer SS-Himmler, zusätzliche Juden aus ihren Bereichen nach Theresienstadt schicken. So kam es allmählich zu einer Überbelegung, die Himmler selbst durch „Auflockerungsmaßnahmen" in Form von Transporten in die K. Lager „löste".

 

„Ich trauerte erneut diesem Judenstaatsplan nach"

Die Stellen der Partei, hauptsächlich die Kreisleiter im anliegenden Sachsen, sicherlich über ihren Gauleiter (Anm. d. Red.: Martin) Mutschmann hingegen liefen laufend Sturm gegen Theresienstadt, wegen „zunehmenden Schwarzhandels und Seuchengefahr", wie es damals hieß.

Dr. Stahlecker selbst war weder enragierter Antisemit noch „Judenfresser" (Anm.: Als Chef der Einsatzgruppe A hatte Stahlecker zwischen Juni 1941 und Februar 1942 durch seine Einheiten rund 229 000 Juden ermorden lassen), auch ich war es nicht, gemäß meiner ganzen elterlichen Erziehung. Aber auch für ihn waren Befehle heilig.

Um jene Zeit war, von wo weiß ich nicht mehr, ein SS-Ostuf. Tröstel, Träger des goldenen Ehrenzeichens der NSDAP und Blutordensträger zur Zentralstelle f. j. A. Prag gekommen. Eines Tages hörte ich, daß dieser sich damit vergnügt hat, einige Juden, die ihre Auswanderungsangelegenheiten bei der Zentralstelle zu erledigen, zu verprügeln.

Der Vorgang wurde sofort Dr. Stahlecker (Anm.: Verwechslung mit BdS Böhme) gemeldet, der die augenblickliche Ablösung verfügte und, da es sich um einen Träger der höchsten Parteidekorationen handelte und Stahlecker daher selbst in diesem Fall persönlich nichts mehr machen konnte, den Vorgang an seinen Vorgesetzten weiter gab.

Dieser Mann wurde degradiert, aus der SS ausgestoßen. In der Partei mußte er als Träger solch hoher Orden verbleiben. Später hörte ich, daß er irgendwo im Einsatz einen Kopfschuß erhalten hat.

Kaum war der Polenfeldzug im September 1939 vorbei, als uns beiden der Gedanke kam, es ist sicherlich so gewesen, daß ich ihm meinen Plan erzählte, denn ich kam mit Dr. Stahlecker auch persönlich sehr gut aus und wir waren sehr oft privat beisammen, im Osten (also Polen) müßte doch das sein, was bisher immer fehlte: nämlich gewaltige Ländereien mit einigen Städten und Dörfern, so groß wie Ober-Österreich oder halb Bayern, welches irgendwie zu einem autonomen Judenstaat proklamiert werden könnte und damit wäre die Lösung wenigstens für lange Zeit gefunden. Unter dem Protektorat des Deutschen Reiches, ein jüdischer Staat mit einer regulären jüdischen Regierung, wie etwa die Slowakei, weniger wie das Protektorat Böhmen und Mähren, da dies zuviel eigene Verwaltungskräfte verschlungen hätte.

Gesagt, getan; Dr. Stahlecker und ich fuhren eines Tages, einmal erst rekognoszierend, in den polnischen Raum. Wir fuhren die Quer und Kreuz, kamen sogar bis zur russ.-deutschen Demarkationslinie und ließen uns, begleitet von sowjetrussischen NKWD-Offizieren durch den Korridor geleiten. Uns schien später der spätere deutsche Gouverneurbereich Radom als in jeder Hinsicht geeignet.

Wir fuhren nach Prag zurück und der B. d. S. trug die Angelegenheit Heydrich vor. Er war begeistert. Diese Begeisterung ging bis zu Himmler, bei dem Heydrich sie als seine persönliche Idee vortrug, darauf konnte man wetten. Nachdem die Zustimmung der höchsten eigenen Stellen gegeben war, wurden (Anm.: Mitte Oktober 1939) als Vorauskommando 1000 oder 2000 Handwerker aus dem Raum von Mährisch-Ostrau (Anm.: insgesamt 4760 jüdische Männer aus Mährisch-Ostrau, Kattowitz und Wien) nach Nisko a/ San gefahren und mit ihn Transporte mit Holz, Barracken, Lebensmittel usf.

Rabb. Dr. Murmelstein hatte das Gesamtkommando und ein Stab von Technikern, Baumeistern, Ingenieure, sogar ein Tierarzt war mit dabei, der über die Pferde zu wachen hatte, war tätig. Mir schwebte vor, von hier aus eine „Ausstrahlung" zum gesamten Distrikt.

Jüdische Erkundungstrupps wurden von Dr. Murmelstein zwecks genauer Erkundung des Geländes, der Ortschaften und Städte losgeschickt. Der Krieg hatte viel zerstört und man war auf seine eigenen Füße und Pferde angewiesen. Selbst Dr. Murmelstein sah ich einmal reitend zu Pferde, und er war ziemlich korpulent.

Die Eisenbahnbrücke über den San, bei Nisko, hing zerstört im Fluß. Ich war begeistert von diesem Plan. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, daß es nie zu dem gekommen wäre, zu dem es später dann kommen sollte, wäre dieser Plan perfektioniert worden. Man sage nicht, die Kriegsereignisse hätten diesen Plan doch zerstört. Ich bin heute der Meinung, daß der Krieg einen anderen Verlauf genommen hätte, ich meine keinen solch „totalen" Verlauf genommen hätte. Nicht hüben und nicht drüben. Denn was fehlte denn, wenn schon „gelöst" werden sollte unddies durch Auswanderung, infolge des Krieges, nicht mehr möglich war. Doch nur soviel Raum, Land, um einigen Millionen Juden eine Eigenstaatlichkeit zugeben. Damit gab es dann vorläufig keine Probleme mehr. Höchstens Verwaltungs- und staatsrechtliche und solche gab es und gibt es überall.

Aber leider begann jetzt ein Kampf des Generalgouverneurs (Hans) Frank, des Polenfrank, wie er genannt wurde, gegen die Sicherheitspolizei. Er wollte seine Judenfrage selbst lösen und schon gar nicht noch weitere Juden in seinen Hoheitsbereich dazu bekommen. Er war ein ausgesprochener Querschädel. Er lief Sturm. Er hatte Unterstützung bei der Kanzlei des Stellvertreters des Führers und sicher bei Hitler selbst, denn auch Himmler mußte damals vor Frank kapitulieren und solches konnte nur heißen, daß Hitler selbst und persönlich anders, also ün Sinne Franks befahl.

Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD beim Höheren SS und Polizeiführer in Krakau, sagte mir lächelnd, daß Polenfrank, der Generalgouverneur also, Befehl gegeben hat, mich bei meiner nächsten Anwesenheit im Generalgouvernement zu verhaften und nach dem Reichsgebiet abzuschieben. Er muß vor Zorn offenbar den Verstand verloren haben, denn er hätte wissen müssen, daß mich der Befehlshaber ohne Einverständnis des Chefs der Sicherheitspolizei gar nicht verhaften konnte, weil ich ja auf Befehl desselben im Generalgouvernement-Bereiches tätig war, um diesen Judenstaatsplan einleitend zu verwirklichen. Es nützte nichts, ich mußte ebenfalls abziehen. Anläßlich des Prozesses, der ihm vor einigen Zeiten in Krakau gemacht wurde, mußte ich leider an diese ganze Sache wieder zurückdenken und trauerte diesem Plan erneut nach.

Der B. d. S. u. d. SD in Krakau war der SS Brigadeführer (Anm.: Bruno) Streckenbach, sein höherer SS- Pol. Führer der SS-Oberguppenführer u. General der Polizei (Anm.: Friedrich Wilhelm) Krüger.

Um dieselbe Zeit bekam ich Befehl, mich unverzüglich beim Amtschef IV des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Brigadeführer Heinrich Müller zu melden. Denselben Befehl bekam SS-Hptstf. Rolf Günther, welcher in Wien die Zentralstelle für jüdische Auswanderung im Auftrage des I. d. S. u. d. SD-Wien führte.

Von irgendwo hieß es, ich solle dem Reichsmarschall Goering Vortrag über Judenauswanderung halten. Aber dies war eine der zahlreichen „Parolen", welche in irgendeiner Form immer herumschwirrten. In Wahrheit wurde uns kurz bedeutet, daß wir beide nach Berlin versetzt wären und eine Zentralstelle für Jüdische Auswanderung nach Wiener u. Prager Muster aufziehen sollten. Wir beide versuchten durch glaubhafte Gründe, uns dieser uns gar nicht zusagenden neuen Tätigkeit zu entziehen, denn einmal waren wir beide das Leben in der „Provinz" gewöhnt und wollen es nicht mit Berlin vertauschen, und zum anderen hoffte ich ich immer noch etwas in Polen erreichen zu können.

Müller sagte nichts dazu, wir kannten ihn nicht und sahen ihn zum ersten mal und schon glaubten wir, „noch einmal davon gekommen zu sein", als kurze Zeit später jedem von uns der von Heydrich unterschriebene Versetzungsbefehl ereilte. Nun der Befehl da war, hatte es gar keinen Zweck über ein „Wenn" und „Aber" nachzudenken, sondern es hieß Übergabe des Bisherigen und Abmarsch.

Von Czeslaw Madajczyk

Es wäre eine Niederlage für die Geschichtsschreibung, würde man Zeitdokumente, die von Kriegsverbrechern verfasst wurden, aus Aångst vor der politischen Resonanz nicht veröffentlichen.

Im Falle des Joseph Goebbels, jenes genialen Propagandisten im Dienste des Bösen, haben die Tagebücher weder das Bild seiner Person noch seiner Rolle im Dritten Reich verändert. Aber sie haben es ermöglicht, den Mechanismus der Nazi-Propaganda besser kennen zu lernen. Was noch wichtiger ist: Mit ihrer Hilfe ließ sich die Rolle Hitlers als des Entscheidungsträgers beim Mord an den Juden ermitteln.

Von den Gefängnisaufzeichnungen Adolf Eichmanns sind große Neuigkeiten nicht zu erwarten. Aber sie könnten helfen, einige Details im Vernichtungsmechanismus genauer zu bestimmen. Nach der Lektüre der bereits in der WELT veröffentlichten Teile der Rohfassung sehe ich einen Versuch Eichmanns, sich vor der Geschichte zu rechtfertigen.

Ein ähnlicher Versuch ist in den Gefängnisreflexionen des Generalgouverneurs im besetzten Polen, Hans Frank, zu beobachten („Im Angesicht des Galgens", Gräfelfing 1963). Eichmanns Aufzeichnungen sind als historisches Zeugnis wichtig in einem Land, dessen Kanzler Befehlsverweigerung und Eidbruch der Verschwörer des 20. Juli 1944 vor den Soldaten der Bundeswehr ausdrücklich gelobt hat.

Der Warschauer Historiker Czeslaw Madajczyk gilt in Polen als bester Kenner der deutschen Besatzungspolitik. Von ihm sind in Deutschland mehrere Bücher erschienen, darunter „Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939--1945"

 

„Die Bevölkerung Madagaskars sollte umgesiedelt werden"

In Prag war von April 1939 bis Sept. 1939 der SS-Obersturmführer (Anm. d. Red.: Hans) Günther mein ständiger Vertreter gewesen; er übernahm jetzt als Referent des B.d.S.u.d.SD mi Prag die Zentralstelle und Theresienstadt, wo er zwar genau so wie ich nichts ändern konnte, ohne detaillierte Weisungen von „oben".

In Theresienstadt war mit einigen Männern SS-Ostuf. Burger, später SS-Ostuf. Dr. (Anm.: Siegfried) Seidl, beide aus Wien. Durch den Ausfall von SS-Hptstuf. Rolf Günther wurde in Wien SS-Ostuf. Alois Brunner als Referent des I.d.S.u.d.SD Wien mit der Leitung der Zentralstelle f.j.A. Wien betraut.

In Berlin wurde uns (Anm.: Sitz der Reichszentrale für jüdische „Auswanderung", deren Geschäftsführung Eichmann im Oktober 1939 übernahm) das Gebäude in der Kurfürstenstr. 116 zugewiesen.

Es wurde nun zwischen dem Referat Judentum im Amt IV, daß ein Reg.Rat (Anm.: Kurt) Lischka führte, und der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, sowie den anderen Reichszentralinstanzen das „Verordnungsmäßige" in die Wege geleitet und diesmal, wenn ich mich recht entsinne, vom Beauftragten für den Fünfjahresplan, Reichsmarschall Goering, dekretitiert. Chef der Zentralstelle war der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, der das Amt IV als Dienstaufsichtsbehörde bestimmte. Amtschef IV -- damals SS-Brigf. Müller -- beauftragte mich mit der praktischen Aufziehung und Führung und setzte SS-Hptstuf. (Anm.: Rolf) Günther zu meinem ständigen Vertreter ein.

Inzwischen hatte ich es beförderungsmäßig zum SS-Hauptsturmführer (Anm.: am 30. 1. 1939) oder SS-Sturmbannführer (Anm.: am 1. 8. 1940 -- Eichmann hatte ein schlechtes Zeitgedächtnis) gebracht; genau weiß ich es nicht mehr. Der Herbst und Winter 1939/40 gingen dahin, die Auswanderung ging entsprechend der Kriegslage langsamer und umständlicher vonstatten, aus Wien und Prag wurde Personal nach Berlin nachgezogen.

Die SS-Führer Novak, Stuschka, Burger, Hrosineck (Anm.: Karl Hrosinek) wurden nach Berlin als Sachbearbeiter versetzt. Als Hauswache bekamen wir etwa 6 Mann „Volksdeutsche" -- SS-Männer. Der damals noch als SS-Oberscharführer im Berliner Reichssicherheitshauptamt (SD) diensttuende Rudolf Jänisch bezog den Posten „Vorzimmer" und hatte den Aktenumlauf über, ein SS-Oberscharführer (Anm.: Friedrich) Martin aus Wien die Registratur.

Es mag etwa Frühjahr 1940 gewesen sein, da wurde mir das Referat IV B 4 (Anm.: Eichmanns im Januar 1940 errichtetes Referat IV D 4 „Räumungsangelegeneheiten" wurde im März 1941 in IV B 4 „Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenheiten" umbenannt) des Amtes IV, daß bis dahin ein SS-Stubaf. Reg.Rat Lischka innehatte, durch eine Verfügung des Amtschefs IV übertragen, mit SS-Hptstuf. Rolf Günther als ständigen Vertreter. Aus Gründen die ihre Ursache im Raummangel hatten, wurde das Referat, wie einige andere Referate des Amtes IV auch, außerhalb untergebracht und zwar in die Kurfürstenstraße 116.

Neben Mobilar kamen die bis dahin unter Lischka diensttuenden Beamten: Regierungsamtmann Woern (Anm.: Fritz Wöhrn) , Polizeioberinspektor (Anm.: Ernst) Moes, 2 Polizeiinspektoren (--), 1 Kriminalsekretär (--), einige Polizeiangestellte für Schreibarbeit und Registratur.

Später kamen noch hinzu SS-Stubaf. Reg.Rat (Anm.: Friedrich) Suhr, Reg.Ass. Huntsche (Anm.: Otto Hunsche) (er kam von der Justiz) und Reg.Ass. (Anm.: Friedrich) Boßhammer.

Sie führten, wie gewohnt, ihre normalen Staatspolizeilichen Arbeiten wie bisher weiter. Eine Tätigkeit, die sowohl Günther als auch mir bisdahin fremd war. Aber es waren alles eingearbeitete Beamte, die ihre Vorschriften genau kannten, Vorschriften (Weisungen, Befehle, Gesetze, Verordnungen, Erlaße), in die Günther und ich mich nun auch „hineinknien" mußten und studierten.

Dr. Rajakowitsch, der sich beim Ausbruch des Krieges 1939 freiwillig meldete, kam auch nach Berlin; er war wie stets ein außerordentlich gemäßigter und kluger Jurist, auf dessen Hilfe ich desswegen nicht gerne verzichtete, weil er die lebendige praktische Juristik und nicht die trockene Behördenjuristerei verkörperte.

Mit ihm besprach ich lange und eingehend den Madagaskarplan, den ich, nun mir der Generalgouvernement-Plan so verdorben war, durch. Bekannt gemacht wurde ich mit solch einer Möglichkeit schon vor Jahren, als ich Böhm's „Judenstaat" gelesen hatte.

Und diesmal, gewitzigt durch die Erfahrungen szt. im Gen. Gouv. wollte ich ganz vorsichtig und ganz behutsam und mich nach allen Seiten sichernd vorgehen. Amtschef IV, nunmehr SS-Gruppenführer, Reichskriminalpolizeidirektor (Anm.: Kriminaldirektor) Müller erwirkte das Einverständnis Heydrichs. Sicherlich holte dieser sich seinerseits dazu die Zustimmng Himmlers.

Die Insel Madagaskar szt. noch in französ. Besitz, sollte nach dem Kriege anläßlich des Friedensvertrages von Frankreich herausgehandelt werden, so überlegte ich, und den Juden als bleibende Heimstätte unter deutschem Protektorat übergeben werden. Dieser Plan begeisterte mich noch mehr, als der sztige (Anm.: seinerzeitige) Polenplan, da ich an den Sieg damals glaubte und Schwierigkeiten nur noch in den eigenen deutschen Zentralinstanzen und der NSDAP befürchtete. Aber Heydrich war dafür und das andere wollte ich mit Dr. Rajakowitsch, der inzwischen auch schon SS-Untersturmführer war, zusammen erledigen.

Die anderen Juristen wie Suhr, Huntsche (Anm.: Hunsche) und Boßhammer zog ich nicht mit heran, weil mir Dr. Rajakowitsch bedeutend Verhandlungsgewandter schien, als alle 3 übrigen zusammen.

Wir erkundigten uns beim Reichsinnenministerium (Beratungsstelle für das Auswanderungswesen) nach den geographischen, bevölkerungspolitischen, landschaftlich strukturellen Gegebenheiten, diese Insel betreffend; fuhren nach Hamburg, um im tropenhygienischen Institut unser Wissen um diese Insel zu erweitern und hatten endlich einen umfassenden Bericht darüber fertig. Energiegewmnung und Industrie sollten mit Landwirtschaft eine gemischte Lebensbasis bilden. Die dort ansäßige bisherige Bevölkerung sollte Zug um Zug mit der Einwanderung anderwärtig umgesiedelt werden. Nur ein Reichsgesetz konnte diese ganze Angelegenheit, mit einer Anzahl von Durchführungsverordnungen, welche nach einem Friedensvertrag erlaßen hätten werden sollen, regeln. Mit Rücksicht auf zu erwartende Widerstände, die ich insonderheit seitens des A.A. (Anm.: Auswärtiges Amt), der Kanzlei des stellvertr. des Führers (also der Partei) und -- ich war mir hier dessen zwar nicht ganz sicher -- auch des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda befürchtete, hatte Dr. Rajakowitsch eine Anzahl solche Gesetzesentwürfe im Konzept vorbereitet, welche mit weniger universeller Autonomie und solche mit völliger Eigenstaatlichkeit. Gegen letzteres befürchtete ich in Sonderheit das Veto des Auswärtigen Amtes und der Partei.

Daher wollten wir -- ohndies handelte es sich vorerst ja nur um Konzepte -- ganz behutsam und allmählich vorgehen. Viele Sitzungen und Verhandlungen, viel Lauferei und Besuche waren notwendig, bis erst überhaupt einmal die grundsätzliche Bedenkenlosigkeit von allen eigenen Zentralinstanzen endlich erreicht werden konnte. Himmler bzw. Heydrich hatte zwar befohlen, aber außer der SS und Sicherheitspolizei und dem SD hatten beide nichts zu befehlen. Und als dieses endlich erreicht war, jenes grundsätzliches Einverständnis, dem nun das Aushandeln aller Einzelangelegenheiten hätte nachfolgen müßen, da schrieben wir etwa Ende 1940 oder noch später. Und da war es für Madagaskar aber auch schon zu spät, d.h. es hätte sowieso durch die um diese Zeit veränderte Kriegslage (Französ. Flotte, De Gaule) (Anm.: General Charles de Gaulle) vorerst auf diesem Sektor keine Hoffnungen mehr gegeben, deren allfällig noch vorhandenen Schimmer aber durch den in Bälde beginnenden Krieg „Deutschland -- Sowjet Union" gänzlich dahin schwanden.

Wieder hatte ich Pech, wieder ging alles daneben.

 

Hitler ordnet die Vernichtung an

Der zweite Teil: Mitte 1941 stand vor der Türe oder war schon da, da wurde im Kinosaal der Prinz-Albrechtstraße 8 ein Treffen aller Referenten des RSHA, der Stapo(leit)stellenleiter, der B.d.S., der I.d.S., der SD-OA (A) Führer befohlen. Grund: Bekanntgabe des „Unternehmens Barbarossa".

Auf diesem Treffen gab der Chef des Personalamtes (ich glaube, es war der frühere B.d.S. von Krakau) SS-Brigf. (Anm. d. Red.: Bruno) Streckenbach die Namen der Einsatzgruppenchefs und deren Kommandos für die besetzten russischen Gebiete bekannt. Ich war nicht darunter. Richtlinien oder sonstige nähere Kommandozusammensetzungen erfolgten auf diesem Treffen nicht, es wurde glaublich der Grund auseinandergesetzt, warum der Krieg unvermeidlich wäre und warum es besser wäre, jetzt -- da er uns von seiten Rußlands auf alle Fälle zu einem Zeitpunkt aufgezwungen werden würde, der aber dann nicht unbedingt der Deutschen Führung passen müßte, ja sicherlich sogar zu einem für die deutsche Führung ungünstigen Zeitpunkt.

Mein ständiger Vertreter Rolf Günther und ich waren damals sehr gegen diesen Kriegseintritt, obgleich unser „Dagegensein" einer „Biertischstrategie" gleichkam, weil wir ja als „kleine Würstchen" ohndies gleich null waren. Aber wir erinnerten uns, daß Hitler selbst den Wahnsinn der „Zweifrontenkriegsführung" in seinen Reden oftmals geißelte und nun diesen Zweifrontenkrieg selber entfachte. Aber wie gesagt, es war unsere private Meinung und wir hüteten uns jemanden hierüber etwas verlauten zu lassen; denn mit Defaitisten wurde um jene Zeit schnell aufgeräumt.

Der erste Teil des Rußlandkrieges ging „zügig voran", wie es hieß, und die deutsche Wehrmacht gewann laut Wehrmachtsberichten und in der Tat Boden. Mit Beginn des Rußlandkrieges hatte Himmler jede Auswanderung von Juden striktest verboten (Amn.: ein generelles Auswanderungsverbot wurde erst am 23.10.1941 erlassen).

Da ließ mich der Chef der Sicherheitspolizei und des SD -- SS-Obergruppenführer Heydrich kommen und teilte mir in seiner typisch abgehackten Sprechweise mit: „Der Führer hat die physische Vernichtung der Juden (oder aller Juden) im deutschen Machtbereich angeordnet. Es ist ein vom internationalen Judentum dem Deutschen Volk aufgezwungener Krieg" usw., kurz einige Übergangssätze, um mir dann abrupt den Befehl zu erteilen: „Fahren Sie nach Lublin zu Globocnigg (Anm.: SS- und Polizeiführer Lublin SS-Brigadeführer Odilo Globocnik). Der Reichsführer (Anm.: Himmler) hat ihm befohlen, in den Panzerabwehrgräben, die dort ausgehoben wurden (Anm.: Die nördliche Begrenzung des Vernichtungslagers Belzec bildete ein mächtiger Panzergraben, der genau parallel zur ehemaligen deutsch-sowjetischen Demarkationslinie vom Herbst 1939 verlief), die Juden zu vernichten. Sehen Sie sich das an und sagen Sie mir, wie weit er gekommen ist."

Ich meldete mich beim Amtschef IV, SS-Gruf. Müller, teilte ihm den Befehl Heydrichs mit, den er mit unbewegtem Gesicht, ohne ein Wort dazu zu sagen, von mir entgegennahm, so daß ich nie gewußt habe, war Müller schon im Bilde oder wußte er bis dahin noch nichts von solch einer Wendung. Ich meldete mich bei ihm zur befohlenen Reise ab. In der Kurfürstenstraße angekommen, zog ich Rolf Günther ins Vertrauen. Er hatte dazu genau so wenig Worte, als auch ich. Es war ein Befehl, der uns erst langsam zum Bewustsein kommen ließ, was damit überhaupt gemeint war, denn bisher hatte wohl keiner von uns jemals an solch eine „Lösungsform" gedacht (Anm.: Eichmann unterschlägt, daß er seit dem 24.7.1941 die fast täglich erscheinenden „Ereignismeldungen UdSSR" erhielt, in denen fortlaufend über den Massenmord an den sowjetischen Juden berichtet wurde). Und ich war froh, daß ich Günther in's Vertrauen gezogen hatte, zu zweit trug sich ein solches Wissen leichter, zumal mir mein Vorgesetzter Müller mit keiner Miene seine Meinung hierüber verriet. Eher glaube ich, daß Müller -- so wie ich ihn zu kennen glaubte, obwohl es schwer sein mußte, Müller wirklich zu kennen -- diese Art keinesfalls gutgeheißen hat. Für sich, versteht sich, denn gegen einen Führerbefehl wagte auch er sich nicht aufzulehnen; genau so wenig ich, genau so wenig Günther, genauso wenig Millionen anderer.

Auf meiner Durchfahrt nach Prag habe ich Hans Günther ebenfalls davon berichtet -- er war entgeistert. Obwohl ich durch diese Mitteilung an zwei vertraute Kameraden persönlich irgendwie erleichtert war, fuhr ich mit Grauen Lublin entgegen und hoffte, die Fahrt möge recht lange dauern. Bei dem SS- u. Polizeiführer des Distriktes Lublin SS-Gruppenführer Globocnigg (Anm.: SS-Brigadeführer Globocnik) meldete ich mich und teilte ihm meinen Auftrag, den ich hatte, mit.

Ich blieb dort über Nacht und am nächsten Morgen fuhr ich -- einer seiner SS-Führer begleitete mich in seinem Auftrage, da ich allein den Weg schwerlich, selbst nach Karte, gefunden hätte. Es war ein SS-Sturmbannführer (Anm.: SS-Hauptsturmführer Hermann) Höfle (--). Ich habe in Erinnerung, daß die Fahrt etwa 2 Stunden gedauert haben könnte, da stand an der rechten Straßenseite eine Art Holz- oder Holzblockhaus, indem ein Hauptmann der Ordnungspolizei (Anm.: Christian Wirth -- erster Kommandant von Belzec), dessen Name ich heute nicht mehr weiß, in Hemdsärmeln sich betätigte. Es war seine Unterkunft, die er sicherlich mit seinen Männern teilte, obzwar ich mich heute nicht erinnern kann auch nur eine Person außer dem Hauptmann gesehen zu haben, ist es natürlich klar, daß er dort nicht alleine gearbeitet hat.

Er führte uns, nachdem Höfle, der offenbar ihm das Nähere gesagt hat über die Straße in einen Wald. In meiner Phantasie war ich während der ganzen Fahrt von Berlin her mit den fürchterlichsten Bildern, die sich mir darbieten würden, beschäftigt und als wir nun in den Wald gingen, beschlich mich ein Grauen, eine Angst vor meinem Auftrag, denn ich sollte ja sehen, wie weit Globocnigg gekommen sei. Ich stellte mir damals darunter alles möglich vor und nachdem Globocnigg mir auch nichts hatte sagen können in Lublin, war es mir mehr als miserabel zu Mute.

[Eichmann dossier index] [Index to this serial]
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