2:
Eichmann über seine Arbeit beim
Sicherheitsdienst des
Reichsführers SS" Fortsetzung der Dokumentation seiner
Aufzeichnungen -- Zum Besuch Goebbels:
. . .Es war der Saal mit dem Sarg
und Totengerippe" Die WELT setzt heute ihre Dokumentation
der Erinnerungen Adolf Eichmanns fort.
Nachdem er seinen Weg zu NSDAP und SS
schilderte, beschreibt Eichmann jetzt
seine Tätigkeit beim
Reichsführer SS, Heinrich Himmler.
Der Text wird mit minimalen Kürzungen
(etwa bei unleserlichen Worten) und ohne
orthografische, syntaktische oder
stilistische Korrekturen abgedruckt. Am ersten Tage, der Aufnahme meiner
nunmehr beruflichen Tagesarbeit (im
Freimaurermuseum" des SD -- Anm. d.
Red.) wurde ich zwecks Vereidigung zu
meinem unmittelbaren damaligen
Vorgesetzten, einem
SS-Untersturmführer Petersen aus
Hamburg, geführt. Mit meinen Dienststiefeln hatte ich
Mühe auf dem tadellos gebohnerten
Parkettfußboden nicht auszurutschen,
besonders, wenn es um Ecken ging, wobei
bei einer solchen ein Sarg, in dem ein
menschliches Skelett lag, plötzlich
vor mir stand, sowohl der plötzlich
gesehene offene Sarg mit dem Totengerippe,
als auch das Bemühen halbwegs
ordentlich über das Parkett zu
kommen, machten mir zu schaffen. Ich wußte nicht genau, wo ich
überhaupt war, denn meine
Vorstellungen über den SD waren
bisher grundsätzlich andere gewesen.
Die Säle waren groß und ich
weiß es noch, daß mich auf
einmal eine sehr forsche Kommandostimme
irgendwie in Empfang nahm. Ich wurde
vereidigt, Treue, Gehorsam,
Verschwiegenheit. Später hatte ich
einen Revers" zu unterschreiben;
dies war die Dienstverpflichtung. Kurz vorher schon hatte ich ebenfalls
einen Fahneneid geleistet, als der
Reichspräsident v. Hindenburg starb.
Noch in derselben Nacht nach seinem Tode,
wurden wir in München an der
Feldherrenhalle, bei Fackelschein, mit
Stahlhelm ab und Schwurhand hoch zum
Nachsprechen der Eidesformel, zwecks
Vereidigung auf den Führer und
Reichskanzler", auf Volk und Vaterland,
aufgefordert. Viel Zeit irgendwelche Betrachtungen
anzustellen hatte ich nicht, denn nun kam
ich in einen großen Saal, in dem
eine ganze Menge von gleichartigen
Karteitrögen aufgestellt war. Die
Aufgabe: Einordnen der Karteikarten nach
dem Alphabet. Eine Arbeit, bei der ich
nach dem Mittagessen, in der ersten Zeit
stets in tiefsten Soldatenschlaf verfiel.
Bei der Truppe war es Befehl, sich nach
dem Mittagessen bis zum Ende der
Mittagspause um 2 h nachm. auf das Bett zu
legen und zu ruhen. Jetzt sah ich,
daß ich mit meinem Abgang von der
Truppe sicherlich einen Fehler gemacht
hatte und träumte trauernd der
schönen Kasernhofdienstzeit nach.
Denn ich befand mich zwar beim
Sicherheitsdienst des Reichsführers
SS, aber im SD-Hauptamt, und zwar in der
Freimaurerabteilung" des Amtes
I", Dem Amt Information. Amtschef
I" war ein SS-Sturmbannführer
Brand (Maximilian Brand -- Anm. d. Red.),
ein glatzköpfiger, wohlwollender Herr
und sein Stabsführer der bereits
genannte SS-Untersturmführer
Petersen, wegen seiner scharfen, kurzen
Kommandostimme damals bei uns
Karteikartensortierer weniger beliebt.
Meinen damaligen Chef, SS-Stubaf. Brand,
sah ich einige Jahre später,
anläßlich des Besuches des
Reichssicherheitshauptamtes, wie es
später hieß, wieder. Er war
inzwischen zum Polizeipräsidenten von
Graz bestallt, sowie der ehemalige
Gauleiter von Oberösterreich,
(Andreas) Bolek, Polizeipräsident von
Magdeburg wurde. In diesem Amte I, zu dem außer
der Karteikartensache noch ein Museum, dem
auch der am ersten Tage meines Dortseins
gesichtete Sarg zugehört
angegeliedert war, sowie ein Archiv und
eine gewaltige Bibliothek, lernte ich in
den ersten Tagen noch den
wissenschaftlichen Sachbearbeiter des
Amtes I, einen Prof. Schwarz-Bostounitsch
(gemeint ist Gregor Schwartz-Bostounitsch
-- Anm. d. Red.) kennen, einen
gutmütigen SS-Hauptsturmführer
mit Mephistogesicht zwar, das ihm sein
spitz zugeschnittener Knebelbart verlieh.
Er war völlig taub und man
mußte ihm alles auf einem
Wischblock" aufschreiben, (Hier
streicht Eichmann -- Anm. d. Red.) worauf
er mit seiner dröhnenden
Baßstimme mit stark russischem
Akzent antwortete. (Ende Streichung) In
früheren Jahren war er einmal
Verteidiger am Appelationsgerichtshof in
Kiew. Er selbst hatte eines oder mehrere
Bücher über Freimaurerei
geschrieben und galt als der anerkannte
Fachmann auf diesem Gebiete. Das Archiv führte um jene Zeit ein
SS-Unterscharführer Dieter Wisliceny,
ein korpulenter junger Mann, dem seine
Uniformen stets zu eng waren. Das Museum
leitete ein SS-Oberscharführer
Richter aus Berlin, der einige Semester an
einer Berliner Fakultät verbrachte,
aber seit der Machtergreifung" nicht
mehr zum Weiterstudium kam. Die Bibliothek
führte ein junger Berufsbibliothekar,
dessen Namen mir entfallen ist, der ob
seiner völligen Weltfremdheit oftmals
das Ziel mehr oder weniger harmloser
Streiche seitens seiner Kameraden war. Mein Karteikartenchef war ein
Tischlersohn aus Berlin, ein
SS-Oberscharführer Bolte oder so
ähnlich. Er kümmerte sich fast
gar nicht um uns, sondern schrieb, hinter
seinem Schreibtisch sitzend, den ganzen
Tag neue Karteikarten aus irgendwelchen
freimaur. Mitteilungsblätter, heraus.
Vierzehn Tage etwa, so habe ich es heute,
nach nur 24 Jahren, noch in Erinnerung
dauerte das Feinsortieren", da wurde
ich vom Karteisaal in das Museum gesteckt.
SS-Oberscharführer Richter, (die
folgende Passage ist gestrichen -- Anm. d.
Red.) den wir Museumsdirektor nannten, was
er meist mit grimmiger Miene quittierte,
erzählte mir ab nun wöchentlich
mehrmals stets irgend eine seiner
Erinnerung aus seiner Studentenzeit, von
Kneipen, Kommersabenden, Landesvater,
Pauken und Mensuren; er erging sich stets
reminiszierend seiner offensichtlich viele
Semester dauernden Angehörigkeit zu
einer schlagenden Verbindung", denn
er war Waffenstudent. (Ende Streichung)
wies mich in mein neues Aufgabengebiet
ein. Ich hatte freimaurerische Münzen
und Siegeln, die in großer Menge
überall in einem heillosen
Durcheinander im Kabinet des
Museumsdirektors" herumlagen, zu ordnen,
die Siegel auf weißen Karton, den
ich dann fein säuberlich nach
Ursprung und sonstigen Daten zu
beschriften hatte, aufzukleben. Die ganze
Sache wurde dann katalogisiert, wobei mir
sehr zustatten kam, daß ich einmal
zwei Jahre Lateinunterricht hatte. Während des Herbstes und Winters
1934/35 saß ich in einem
früheren Empfangszimmer des
Hohenzollernpalais, denn um ein solches
handelte es sich, um das Haus
Wilhelmstraße 102, mit Blick auf die
Wilhelmstraße. (Beginn Streichung --
Anm. d. Red.) Das Einerlei der Arbeit
wurde nur unterbrochen, wenn ein
Vorgesetzter durch dieses Zimmer ging,
dann hatte ich, wie dies mir
selbstverständlich war, aufzustehen,
meine Arbeit unterbrechend, Haltung
anzunehmen und die Meldung
SS-Unterscharführer Eichmann
bei der Arbeit" herunter zu schnarren.
Sehr erfreuliche Unterbrechungen für
mich waren die täglichen
Reinigungsbesuche eines SS-Mannes, der mit
Besen, Staubtuch und Bohnermaschine
für Reinlichkeit und Bodenglanz zu
sorgen hatte. Da praktisch der Boden ewig
sauber und glänzend und das bis- chen
Staub kaum zu sehen war, hatte er stets
viel Zeit, das Neueste" zu
berichten. Er war früher Friseur von
Beruf. Meines unmittelbaren Vorgesetzten
Richters Besuch, waren selten und wenn
wurde das Gespräch nach kurzen
Augenblicken von ihm, auf seine
Studentenzeit gebracht. Mittags 1 Uhr zog
die Wachablöse mit Musik durch die
Wilhelmstraße am Palais vorbei.
Regelmäßig bei der Ecke
Kochstraße -- Wilhelmstraße
wirbelte der Tambourmajor seinen
Tambourstab hoch in die Luft und ich
wartete immer darauf, daß er einmal,
seinen auffangenden Händen
entgleitend, zu Boden falle. Aber er fiel
nicht. (Ende Streichung) Inzwischen füllten sich die Sie-
gelausstellungskästen und die
Münzenvitrine. Einige Male in der
Woche waren Besichtigungen angesagt; so
diese tagsüber stattfanden, hatten
wir nichts dagegen. Leider aber hatte
unser höchster Vorgesetzter der
Reichsführer SS-Himmler die
Gewohnheit, seine Gäste in der Regel
um (...) etwa 8 -- 1/2 9 abends zu
bringen. Das hieß für uns dann
so lange Dienst schieben, bis der Besuch
aus dem Hause war. Ich saß mit
meinen Münzen und Siegeln im
sogenannten Johannissaal, ich glaube, wenn
ich mich nicht irre war es wie man sagte
der III. Grad der Johannisfreimaurerei. An
einer Wand des großen und hohen,
sauberen und lichten Zimmers war
Baldachin, Stuhl, Tisch, Teppich, zwei
Säulen, das ganze mit Seidenstricken
abgesperrt, aufgestellt. Auf dem Tisch
lagen Hammer und Winkel, dekorationshalber
noch ein Freimaurerschurz und ein
Totenschädel. Eines Tages kam der Reichsminister
für Volksaufklärung und
Propaganda Goebbels zur Besichtigung, von
Himmler oder Heydrich geführt, ich
weiß es nicht mehr. Ich weiß
nur, daß er dauernd mit dem Kopf
schüttelte. Er begab sich dann in den
sogenannten Andreassaal, ähnlich wie
das Zimmer, indem ich zu arbeiten hatte,
(Beginn Streichung -- Anm. d. Red.) nur
dominierte in meinem Zimmer mehr das Blau,
während im Andreassaal das Rot
verherrschte! es war der Saal mit dem Sarg
und Totengerippe; Freimaurerschürzen
aller Art hingen in Vitrinen,
Photographien von Logen und Feldlogen;
(...) während des 1. Weltkrieges.
Hier arbeitete ein Kamerad von mir, ein
unverfälschter Münchner, dessen
einziges Bestreben es war, irgendwie
wieder nach München zu kommen. (Ende
Streichung) An einen anderen prominenten Besuch
entsinne ich mich noch; es war der
Reichsmarschall Goering. Ebenfalls
geführt von Himmler oder Heydrich.
Erst saß er mit einer
Gesäßhälfte auf einem Eck
meines Schreibtisches, sodann legte er
seine Zigarre in meinen Aschenbecher und
begab sich auf den Stuhl hinter dem Tisch,
nahm den Hammer und schlug einige Male
laut und mächtig damit auf den Tisch.
Er war fröhlicher Laune, und seine
hohe Umgebung strahlte ebenfalls nur
Freude und Sonnenschein aus. (Beginn
Streichung -- Anm. d. Red.) Bei seinem
Abgang zum Andreassaal vergaß er
seine Zigarre, die ich -- obwohl kein
Zigarrenraucher -- mir selbst einmal
vorknöpfte und probierte welches
Kraut wohl der Reichsmarschall sich
genehmigte. (Ende Streichung) Eines Abends kam von Heydrich
geführt Julius Streicher, der
Frankenführer", zur
Besichtigung. Im Karteisaal meinte er
wohlgelaunt so etwa ähnliches wie
wollen wir doch mal sehen, ob Sie
Freimaurer waren". Der Angesprochene
gehörte zu seiner Begleitung. Ein
Name fiel und irgendjemand zog eine
Karteikarte. Er war Freimaurer. Die
Besichtigung war zu Ende, wir konnten die
Säle verlassen und bemühten uns
(...) schleunigst in einen Bierkeller der
um die Ecke in der Anhalterstraße
lag, wo der Teller Erbswurstsuppe 35
Pfennig, die dazu verzehrten Brötchen
nichts und jeder 1/2 Liter Bier 45 Pfennig
kostete. (Beginn Streichung -- Anm. d.
Red.) Der Kellner war Angehöriger der
allgemeinen SS und packte uns beim
Aufbruch jeden noch eine Tüte
knuspriger Brötchen ein, die ohnedies
nichts kosteten. (Ende Streichung) Wehrmachtsangehörige, meist
irgendwelche Stäbe,
Hoheitsträger der Partei,
SA-Führer, Hitler-Jugend und MdM
wechselten ab in den Besichtigungen. Diese
wurden geführt von SS-Hptstuf. Prof.
Schwarz-Bostounitsch, der dann in seinem
gewaltigen, urigen Baß,
Aufklärung über die Freimaurerei
gab. (Beginn Streichung -- Anm. d. Red.)
Wobei niemals gewissermaßen als
Höhepunkt fehlen durfte, daß
die Verderblichkeit am besten damit
dementiert werden könne, das
Goethe, das rote Bändchen der franz.
Ehrenlegion im Knopfloch, seinem Sohn Karl
August den Eintritt in das Lützowsche
Jägercorps verbot." Ich hörte
diesen Satz dutzendemale, als er aber von
mir, heute nach soviel Jahren noch ganz
richtig wiedergegeben wurde, weiß
ich nicht genau, aber es wird wie wir
damals sagten in etwa hinhauen". Eine
Weihnachtsfeier mit Himmler Fortsetzung der Dokumentation der
Erinnerungen Adolf Eichmanns (Teil 5) Die WELT setzt heute ihre Dokumentation
der Erinnerungen Adolf Eichmanns fort. Er
beschreibt eine Weihnachtsfeier mit
Himmler und Heydrich und seinen Wechsel in
das Referat Judentum". Der Text wird
ohne orthografische, syntaktische oder
stilistische Korrekturen abgedruckt. Auch SS-Oberscharf. Richter führte
ab und zu; und wenn er führte, bekam
er vor Aufregung knallrote Wangen, auf
denen sich alsbald noch rötere, ins
Dunkel gehende Pickelchen bildeten. Er war
in solchen Augenblicken mit seinen
Untergebenen, zu denen auch ich
gehörte, über die Maaßen
ungnädig und militärisch kurz
angebunden, sehr den hohen Vorgesetzten
hervorkehrend, obwohl er noch nirgendwo
bislang auch nur eine einzige Stunde in
irgend einer Kaserne verbracht hatte. Anfänglich ärgerte ich mich,
dann war es mir gleich; zumal seine
Führungen ohnedies jeweils nur kurze
Zeit dauerten, sehr im Gegensatz zu denen
von Schwarz-Borstounitsch, der von sich
aus nie ein Ende fand und wenn er nicht
von einem seiner Vorgesetzten einige Male
den Bremsschuh angelegt bekommen
hätte, er hätte auf alle
Fälle so lange gesprochen, bis der
letzte Besucher von selbst fortgegangen
wäre. Taub war er und, wenn er
sprach, dann hielt er seinen
mächtigen Kopf so weit nach
rückwärts gebogen, daß
sein Bart parallel zur Zimmerdecke oder
wenn man will zum Fußboden lag.
Dabei schloß er die Augen. Also sah
er auch nichts mehr. Nur sprechen
hörte man ihn und sah ihn mit seinen
gewaltigen Armen in der Luft herumrudern.
Als vorgesetzter SS-Führer war er
für uns höchst harmlos, der in
keinster Weise zu fürchten war und
dem es ganz gleich zu sein schien, ob wir
ihm irgend einen der ihm zustehenden
militär. Respekte zukommen
ließen oder nicht. Danach sah er
auch aus, wenn er Uniform trug; ob sein
Koppel schief saß, oder Knöpfe
des Rockes nicht zugeknöpft waren,
interessierte ihn nicht. Einmal kam er von
seiner Wohnung sogar ohne das Koppel
umgeschnallt zu haben zum Dienst. Er war
von uns kleinen Leuten wohl stets
gelitten. (Ende der Streichung im
Manuskript) Den Höhepunkt meiner damaligen
Museumstätigkeit bildete das
Weihnachtsfest 1934 im SD-Hauptamt,
Julfest genannt. Himmler selbst lud die etwa 100
Angehörigen des damaligen
SD-Hauptamtes dazu ein. Stundenlang vorher
räumten wir den Karteisaal aus,
brachten Tische, die wir mit sauberen
Leintüchern unserer Betten bedeckten,
andere schmückten den Julbaum,
Rotweinflaschen und Gläser, sowie
Backwerk wurden auf die Tische gestellt
und dann wurde gewartet. (Beginn
Streichung, d. Red.) Die Hälfte
seines Lebens wartet der Soldat vergebens
sagten wir uns und machten uns schon
über die Weinflaschen her. (Ende
Streichung) Mit einigen Stunden
Verspätung kam dann auch die hohe
Führerschaft. Es kam Himmler mit
seiner Ehefrau, der frühere
Bauernführer und jetzige
Reichsernährungsminister Walter
Darré, sowie eine große Suite
von hohen SS Führern und unser
damaliger unmittelbar höchste
Vorgesetzte Heydrich. (Beginn Streichung,
d. Red.) Manche Rotweinflecke auf dem
weißen Leinen zeigte, daß
Voreilige zu denen auch ich gehörte
den Anfang nicht erwarten konnten, doch
ging wieder einmal alles gut ab. (Ende
Streichung) Wir erhielten ein
Buchgeschenk. Ich bekam die Rote
Beeke" von Hermann Löns, dem
Heidedichter, in welches ich mir im Laufe
des Abends von Reichsminister Walter
Darré eine Widmung schreiben
ließ. Frau Himmler sah ich zum
ersten und gleichzeitig zum letzten Male.
Sie war eine über alle Maaßen
einfach gekleidete, sehr natürliche
und sympathische Frau, so zwischen 40 und
50 schätze ich und eher als Ehefrau
eines begüterten Bauern
erscheinungsbildlich aussehend. Es ging sehr ungezwungen, ja man
könnte sagen kameradschaftlich zu,
doch hüteten wir niederen Dienstgrade
uns, unseren Mund aufzumachen, es sei
denn, man zog uns gnädig ins
Gespräch. Und dann war auch dieser
Abend vorbei. Anfang 1935 war dann eines Tages ein
SS-Untersturmführer von Mildenstein
in meinen Johannissaal gekommen, in
Begleitung eines Zivilisten, den ich nicht
kannte. Mildenstein kannte ich vom sehen
aus, er war in irgend einer anderen
Abteilung tätig. Er frug mich dies
und jenes und so gut und schlecht ich
konnte, gab ich ihm Auskunft, die
natürlich zur Gänze aus dem,
anläßlich der vielen
Besichtigungen von mir Aufgeschnappten,
bestand. Plötzlich sagte er mir, daß
er im SD-Hauptamt ein neues Referat
Judentum aufgezogen habe, er sei Referent
und ob ich nicht Lust hätte zu ihm
als Sachbearbeiter zu kommen. Froh, der
ewigen Münzen und Siegelsortiererei
entrinnen zu können sagte ich zu.
Richter, der SS-Oberscharführer, mein
vorgesetzter Museumsdirektor, tobte mit
mir, als ich es ihm meldete, aber es war
geschehen und eines Tages wurde ich
formlos versetzt, es war ja nur eine
Versetzung von einer Abteilung des SD
Hauptamtes der ich in untergeordneter
Tätigkeit angehörte, in eine
andere, in der ich ebenfalls nur als
Sachbearbeiter tätig zu sein
hatte. Eines Tages morgens um 1/2 9 h
früh meldete ich mich dann zum Dienst
beim Referenten II 112,
SS-Untersturmführer von Mildenstein.
Er war Österreicher, irgendwo aus der
mährischen Ecke während der
alten k.u.k. Monarchiezeit gebürtig,
und im Zivilberuf Diplom-Ingenieur. Ein
Mann, dem jedes militärische
Auftreten fehlte, der mit leiser,
sympatischer Stimme gleichförmig
dahinfließend sprach, was er von
sich zu geben hatte und der fast den
ganzen Tag mit dem Zeichnen von
graphischen Darstellungen über den
Aufbau des internationalen Judentums in
organisatorischer Hinsicht, den Aufbau der
zionist. Weltorganisation, der asimilator.
Richtung des Judentums, soweit diese
überhaupt organisatorisch in
irgendwelchen kleinen Grüppchen als
solche erkannt werden konnte, und
dergleichen Zeichnungen mehr
beschäftigt war. Teils hingen solche
schon, auf Pappe aufgezogen an den
Wänden, teils waren sie noch in
Arbeit und sollten dann den Wandschmuck
ergänzen. Ein Zeichner namens Paul Dormann, ein
älterer mit Zahnlücken
versehener SS-Unterscharführer aus
dem Brandeburgischen, wenn ich mich noch
recht entsinne, zeichnete dann das von
Mildenstein Entworfene fein
säuberlich ab. Ein sehr junger Mann,
ebenfalls SS-Unterscharführer um jene
Zeit, war gewissermaßen die
rechte Hand" des Referenten von
Mildenstein, er hieß (Kuno)
Schröder. Zwei SS-Männer, sowie
eine männliche Schreibmaschinenkraft,
ebenfalls ein SS-Mann, vervollkommten die
damalige Belegschaft des im Aufbau"
begriffenen Referate. Die beiden
SS-Männer waren Hamburger, der
Schreibmaschinenschreiber Pfälzer.
Viel Arbeit schien es nicht zu geben und
jeder war offensichtlich froh, wenn die
unendlich lange dauernden täglichen
acht Stunden Dienstzeit vorbei waren. Mir
drückte der Referent von Mildenstein
ein dickes Buch Der Judenstaat" von
(Adolf) Böhm in die Hand, zum
Studium und zum Zusammenfassen des
Wesentlichen, in Extraktform". Dieses
Wesentliche sollte dann in einem
sogenannten SS-Leitheft Niederschlag
finden. Es muß um die selbe Zeit eine
Reorganisation im damaligen SD-Hauptamt
vor sich gegangen sein, denn ein neuer
Amtschef, ein SS-Standartenführer Dr.
(Hermann) Behrends, war nun auf einmal
Amtschef I des SD-Hauptamtes, dessen Chef
SS-Gruf. Heydrich war. Der
Stabsführer des Amtschefs I war ein
Jurist, ein SS-Hauptstuf. Hartmann. Diesem
Amt gehörten die Referate
Kirchen" mit dem Referenten
SS-Ustuf. (Albert) Hartl, einem ehemaligen
röm. kathol. Priester, sowie
Kommunisten", dem ein ehemaliger
Lehrer und nunmehriger SS-Ustuf. Wolf als
Referent vorstand. Erstmals
in meinem Leben hörte ich von einem
Judenstaat" Adolf Eichmann beschäftigt sich
mit dem Judentum -- Fortsetzung der
Dokumentation seiner Erinnerungen Eichmanns Aufzeichnungen - Die WELT
setzt heute ihre Dokumentation der
Erinnerungen Adolf Eichmanns fort. Er
beschreibt seine Arbeit im Referat
Judentum", wo Eichmann erstmals von
den Bemühungen Theodor Herzels
erfährt, einen Judenstaat zu
gründen. Der Text wird ohne
orthografische, syntaktische oder
stilistische Korrekturen abgedruckt. Um diese Zeit herum muß ich wohl
auch zum ersten mal im SD-Hauptamt
rangmäßig befördert worden
sein und zwar zum nächsten Rang. Es
gesellte sich zu dem Stern auf dem
Kragenspiegel ein silberdurchwirkter
Balken; nachdem die SS-Ränge denen
des Heeres bzw. der Wehrmacht angeglichen
waren, wäre mein Rang nunmehr der
eines Feldwebels gewesen. Der
Kragenspiegel mit dem SS 1 verschwand
auch, dafür trug der
SD-Angehörige einen solchen ohne jede
Initiale bezw. Distingtion, jedoch am
linken Ärmelaufschlag ein Band mit
der Aufschrift SD-Hauptamt" und
darüber die SD-Raute. Ich machte also während des
Dienstes nunmehr meinen befohlenen Auszug
und unterschied, wie dies ja das Buch es
selbst auch tat, zwischen der
Zionistischen Weltorganisation" und
der Neuzionistischen", samt ihren
Organisationen und Fonds. Erstmals
überhaupt in meinem Leben laß
und hörte ich derartiges. Die
Bemühungen des Judentums, bzw. deren
Führer wie Theodor Herzl, Wladimir
Jabotinsky usf. zur Erlangung einer
jüdischen Heimstätte, zur
Erlangung eigenen Bodens, kurz zur
Wiedererlangung eines eigenen Raumes. Sehr zu statten in meinen Arbeiten, die
mir aufgetragen waren, war der
häufige Besuch eines Zivilisten, den
ich alsbald als einen Freund meines
Referenten, als einen Herrn Ernst von
Bolschwingh (richtig: Otto-Albrecht v.
Bolschwing), kennen lernte. Er arbeitete
sich damals in das hinein, was er dann
noch viele Jahre sein sollte, als einen
sogenannten ehrenamtlichen
Mitarbeiter des SD-Hauptamtes". Als
solcher konnte er kommen und gehen, nach
freiem Belieben. Von ihm bezog ich alles wissenswerte,
das mir zur Vergrößerung meines
diesbezüglichen sachlichen Horizontes
schien, sofern ich es nicht durch von
Mildenstein durch Frage und Antwort
übermittelt bekam. Von Bolschwingh war um jene Zeit eben
von einer offensichtlich längeren
Tätigkeit in Palästina nach
Deutschland zurückgekehrt. Mit einem
gewissen Bormann, den ich einige Jahre
später in Kairo kennenlernte, hatte
er sich offensichtlich wirtschaftlicher
Tätigkeit gewidmet. Er konnte mit
Hilfe seines Freundes von Mildenstein vor
allem das Neueste auf dem Gebiet der rein
politischen Tätigkeit der
verschiedenen Zionistischen Parteien, von
-- wie er sagte -- der
äußersten Linken bis zur
äußersten Rechten, samt dem
zion. Gewerkschaftsleben usf.
berichten. Davon, daß das Judentum, genau so
wie andere Völker, sich auch in die
verschiedensten Parteien aller
Farbschattierungen teilte, davon
hörte nicht nur ich das erstemal, was
ja insoferne kein Wunder war, weil ich bis
dahin mir über solches nicht ein
einziges mal Gedanken machte, sondern
allgemein war jedenfalls wohl bei den
meisten Deutschen jener Zeit die Meinung
vertreten, daß das Weltjudentum ein
völlig homogener Block wäre, der
von einigen wenigen, unbekannten
Führern gelenkt und
planmäßig geleitet wurde. Dies war also -- und das war die These
meines Referenten von Mildenstein -- nicht
so und daher übernahm auch ich, als
sein Untergebener, als sein Schüler
diese Meinung. Das SS-Leitheft, welches das
wesentlichste über das bereits
geschilderte aufnehmen sollte, war nach
einigen hin und zurück, zwischen
Stabsführer -- der auch seine Meinung
irgendwie berücksichtigt haben wollte
-- und von Mildenstein, der sachlich
nichts nachgab, endlich fertig und wurde
zwecks Schulungsmaterial an die
SS-Abschnitte und SS-Oberabschnitte der
allgemeinen SS sowie an die SD-Abschnitte
und Oberabschnitte gesandt. Es war dies
keinesfalls das erste solcher Hefte und
sicherlich auch nicht das letzte. Von Mildenstein verließ uns eines
Tages, um in Nordamerika Autobahnen zu
studieren. Einen diesbezüglichen
Auftrag bekam er durch die Dienststelle
Todt, ich nehme an, mit Genehmigung seiner
SD-Vorgesetzten. Wie er dies allerdings
zuwege brachte, blieb mir auch später
rätselhaft. Seine bisherige rechte Hand"
(Kuno Schröder), dessen Vater ich
bald hätte sein können,
übernahm als Referent das Referat II
112. Aber nur kurze Zeit währte seine
Herrlichkeit, da rief ihn ein
Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, warum
nicht zur Waffen SS weiß ich nicht.
Er hatte jedenfalls noch nicht gedient und
mußte fort. Etwa gleichezeitig mit seinem Fortgang
zog das Referat II 112 auch innerhalb der
Wilhelmstr. 102 räumlich um und zum
neuen Referenten wurde SS-Scharführer
oder Oberscharführer Dieter Wisliceny
bestellt. Gleichzeitig, so glaube ich, kam
um jene Zeit als weiterer Sachbearbeiter,
ein ebenfalls
SS-Dienstgradmäßig in unserer
Größenordnung stehender Theodor
Dannecker, aus Tübingen. Seine Eltern
oder ein Elternteil hatten dort, wie er
sagte, ein Handschuhgeschäft. [Eichmann
dossier index]
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