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Posted Friday, August 27, 1999


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In August 1999 Die Welt (Hamburg, Germany) serialised extracts from a 1962 Eichmann manuscript. ACTION REPORT reproduces those excerpts here as a service to historians

"Ein Leben, bestimmt durch Befehle"

Adolf Eichmann über seine Jugend und Erziehung -- Erster Teil der bisher unveröffentlichten Erinnerungen

Heute beginnt die WELT mit dem Abdruck der Rohfassung der Erinnerungen Adolf Eichmanns, deren Manuskript der Redaktion vorliegt. Der Text wurde weder sprachlich noch orthografisch bearbeitet.


Meine Memoiren

Einleitender Vermerk

HEUTE, 15 Jahre und einen Tag nach dem 8. Mai 1945, beginne ich meine Gedanken zurückzuführen, bis zu jenem 19. März des Jahres 1906, als ich in Solingen, Rheinland, um 5 Uhr morgens, in das irdische Leben, als Erscheinungsform Mensch, eintrat. Schwerlich hätten sich meine Eltern so über alle Maßen über dieses Ereignis gefreut -- wie dies üblicherweise bei der Ankunft des Erstgeborenen der Fall zu sein pflegt --, hätten sie damals, in meiner Geburtsstunde, all die Kummer- und Leidfäden jener Unglücksnorne sehen können, die sie, der Glücksnorne zum Trotz, in mein Leben wob. Nur ein gütiger, undurchsichtiger Schleier des Schicksals verwehrte meinen Eltern ihre Blicke in die Zukunft.

Irgend etwas aber muß es doch gewesen sein, daß es meinen seligen Vater schon in meiner frühesten Jugend dazu bewogen haben muß, trotz liebevollster Zuneigung und Freude an mir, gerade mich besonders streng zu erziehen, eine Strenge, wie sie meine Geschwister nie in diesem Umfange zu verspüren bekommen hatten. Und dabei soll ich keinesfalls etwa ein schwer erziehbares Kind gewesen sein, sondern das gerade Gegenteil daran; leicht lenkbar und folgsam.

Von der Kinderstube angefangen also, war bei mir der Gehorsam etwas Unumstößliches, etwas nicht „ausderweltzuschaffendes". Als ich dann später, sehr viel später, genau 27 Jahre später, ich meine nach meiner Geburt, zur Truppe kam, fiel mir das Gehorchen nun keinen Deut schwerer als das Gehorchen in der Kinderstube, als das Gehorchen in den zwischen Kinderstube und Truppendienst liegenden Schulausbildungs- und Berufsjahren.

Ich anerkannte meinen Vater als absolute Autorität, ebenso meine leider früh verstorbene Mutter; ich erkannte meine Lehrer und beruflichen Vorgesetzten als Autorität an und ebenso später meine militärischen und dienstlichen Vorgesetzten.

Es wäre denkbar gewesen, daß das berühmte Kamel durch das Nadelöhr geht, aber undenkbar wäre es gewesen, daß ich nicht mir gegebenen Befehlen gehorcht hätte.

Heute, 15 Jahre nach dem 8. Mai 1945, weiß ich, und dieses Wissen erhielt ich ziemlich genau um den 8. Mai 1945 herum, daß ein solches Leben, eingespannt in Gehorsam und geführt und bestimmt durch Befehle, Verordnungen, Erlasse und Weisungen, ein sehr bequemes Leben ist, in dem eigene schöpferische Gedankentätigkeit auf ein Mindestmaß reduziert war.

Ich selbst spürte es bereits am 8. Mai 1945, daß ich nunmehr ein führungsloses und schweres Eigenleben zu leben habe, da ich mir an keiner Stelle irgendwelche Richtlinien geben lassen konnte, von keiner Stelle Befehle oder Weisungen kamen, keinerlei einschlägige Verordnungen heranzuziehen waren, kurz, ein mir bisher nicht gekanntes Leben sich auftat; es war ein Leben, indem ich mich eigentlich auch gar nicht mehr zurechtfand. Weltuntergangsstimmung, geistiger Schock, sich treiben lassen wechselten miteinander.

Und so man in den nun folgenden Gefangenenlagern einmal einen sogenannten guten Tag hatte, doktorte und philosophierte man um eine der Kardinalfragen jener Tage herum, welchen höheren Sinn das menschliche Leben denn eigentlich habe.

Bis dahin kam mir das nie in den Kopf, daß es überhaupt eine solche Frage gäbe, geschweige denn der Gedanke, hierüber gar nachdenkend zu grübeln.

War ja auch garnicht notwendig, denn das Eigenleben verlief in genau geregelten Bahnen. Ich wußte, was mir erlaubt war und was mir verboten ist. Dazwischen, inmitten dieser Grenzen, konnte ich frei leben. Darüber stand die SS-Polizeigerichtsbarkeit und wachte.

Ich ging nun sowohl das organische Leben als vorsichtshalber auch das anorganische Leben durch, vergleichend, prüfend, auf Ursprünge und Ursächliches zurücksinnierend, und vermochte wohl ein sinnvolles Ganzes, eine sinnvolle Richtung und die ethischen Werte einer menschlichen Eingliederung in das Ganze nicht zu verkennen, aber -- und ich fiel nur einmal in jenen führungslosen Zeiten sogleich in das Extremste dieser Fragen -- einen höheren Sinn konnte ich für das gesamte irdische, organische wie anorganische Leben nicht finden. Auch andere Lagergefährten, mit denen ich mich angelegentlich deshalb unterhielt, vermochten hier keine Lösung zu finden.

Dabei wäre eine solche Erkenntnis wichtig gewesen. Hätte ich etwa zu erkennen vermocht, hätte ich mich sofort verpflichtend unter die Führung dieses höheren Sinnes gestellt, und meine innere und äußere Ausrichtung hätten ruckartig wieder Bahnen erhalten, deren Führung man sich anvertrauen hätte können.

Endlich glaubte ich in der kosmischen Bewegung, in der Begegnung des Alls, den einzigen und ursprünglichsten höheren Sinn allen Lebens überhaupt erkannt zu haben. Und tatsächlich, sosehr ich auch grübelte, diese Bewegung war für mich die Schöpferin und Erhalterin allen Lebens, auch meines kleinen, menschlichen Eigenlebens. Das menschliche Leben, immer im Verhältnis zu mir, zu meiner eigenen Persönlichkeit, hatte also keinen höheren Sinn, sondern war dem, nach meiner nunmehrigen Erkenntnis, einzigen „Höheren Sinnesträger" unterstellt; er führte, lenkte und leitete mich und gab mir auch für eine gewisse Zeit einen gewissen Sinn, eine gewisse Zweckbestimmung.

„Ich ließ ein selbständiges Denken verkümmern"

Adolf Eichmann über seine Ideologie und seinen verlorenen Glauben -- Fortsetzung der Dokumentation

Nun war ja wieder alles in Ordnung. Mein Wesen konnte sich wieder beruhigen, denn ich war ja nicht bar jeglicher Führung, sondern ich wurde ja wie eh' und je, weitergeführt. Zu der Überlegung nun, daß dies der Allmächtige, daß dies die göttliche Kraft und Macht in Wahrheit sei, war es nur ein kleiner Schritt eben und ich frug mich, warum ich nicht schon längst seit 1937, denn da trat ich -- wie ich damals glaubte aus Überzeugung -- aus dem evangelischen Kirchenverband aus, solche Überlegungen angestellt habe, denn sicherlich wäre mein ganzes weiteres Leben anders verlaufen.

Denn nun offenbarten sich während der weiteren Gefangenschaft mir kosmopolitische Gedankengänge und ich fand sie klar, einfach, überzeugend und beglückend. Gleichzeitig aber stürzte all das wie ein Kartenhaus nun auch innerlich in mir zusammen, was ich gestern noch anbetete, das Staats- und Gegenwartsbejahende, als das größte, höchste, anbetungswürdigste Idol schlechtweg. -- Ich verglich --

Und je mehr Vergleiche zwischen meiner neuen Erkenntnis und der von gestern ich zog, um so elender wurde mir innerlich zu Mute, denn ich hatte in Wahrheit einem kleinen, einem sehr kleinen egoistischen Sinn gedient und vor lauter Dienen ein selbständiges Denken, das mich auf einen hohen Berg geführt hätte, von wo aus ich einen großen Horizont sehend besser hätte erkennen können, verkümmern lassen. -- Der Befehl war für mich das Höchste, und dieser war gehorchend zu befolgen. -- Mag sein, daß diese Einstellung vielen Deutschen gegeben ist. Vielleicht ist's mit ein Schlüssel dafür, daß der Deutsche im Angriff unüberwindlich ist, aber in der Verteidigung geschlagen wird.

Aber ich wollte nicht von anderen, sondern von mir schreiben.

Ich habe, glaube ich, zuwenig zeitgerecht über alles nachgedacht. Ich konnte die Zeit, die notwendig zu jener Bergwanderung gewesen wäre, vor lauter Befehleausführen einfach nicht finden, es kam mir überhaupt nicht in meinen Sinn. Erst im Zwinger fand ich die Zeit. Und es stürzten mir Reichsgesetze, Durchführungsbestimmungen, Verordnungen, Erlasse, Befehle, Weisungen, Vorgesetzte, hohe und niedrige Götter, an die ich gestern noch glaubte. Unfehlbar, was ihre Entscheidungen für den Bestand des Reiches, dem auch ich diente, betraf. So glaubte ich. Und das Reich selbst, es stürzte auch.

Es stürzte ein Krieg in den anderen; kilometer großes, schwarzes Etwas, wälzte sich in ein anderes und schien mir meinen Kopf zum Platzen, zum Bersten zu bringen; es pochte an den Schläfen, wie mit schweren Vorschlaghämmern, von innen nach außen, und ich sah all das Furchtbare, das meine Augen schauen mußten, aus der Zeit, da für mich das Höchste der Befehl war.

Und als ich über mir selbst bescheid wußte, lag ich im hohen Fieber und der Lagerarzt mühte sich um mich.

Und mit der Wiedergesundung, fiel für mich die Türe des finsteren Mittelalters ins Schloß. Vierhundert Jahre später, als ich das Leben annahm. (. . .) Ich war nicht der Einzige, dem die apokalyptischen Reiter durch's Gehirn jagten. Auf beiden Seiten der damaligen Gegner (. . .) muß es noch manchen gegeben haben, dem es in diesen Zeiten gleich erging.

Ich sagte, daß es so sein muß. Denn wäre dem nicht so, dann kämen mir wieder Zweifel an der Richtigkeit meiner Gedankengänge.

Ich will aber keinen Zweifel mehr.

Ich glaube es also.

Der erste Teil

Mit dem Überschreiten der österreichischen Grenze im Sommer 1932 ließ ich frohe Kindheits- und frühe Jünglingsjahre und meine Männerzeit bis zum 27. Lebensjahr in dem schönen Österreich, das mir zur zweiten Heimat wurde, zurück. Hatte ich in den ersten Frühsommermonaten desselben Jahres noch gedacht, mich in Österreich einer selbständigen Betätigung im Mineralölgeschäft zu widmen, so änderte ich im Juli mein diesbezügliches Wollen und war nunmehr bestrebt, bei einer der zwei großen deutschen Mineralölfirmen wie (. . .) Shell eine Betätigungsmöglichkeit zu finden. Dies sagte ich dem damaligen SS-Oberscharführer Dr. Ernst Kaltenbrunner in Linz a. d. Donau, der berufsmäßig die Rechtsanwaltskanzlei seines damals schon früh verstorbenen Vaters führte. Beide Väter, seiner und meiner, waren gute Bekannte, die der Beruf zusammenbrachte. Dr. Ernst Kaltenbrunner war SS-mäßig mein Vorgesetzter. Ich gehörte ab April 1932 der österreichischen 37. NS-Standarte, der Edelweiß-Standarte, an.

 

„Es bedurfte keiner großen Überredung"

Adolf Eichmann über seinen Weg zu NSDAP und SS -- Fortsetzung der Dokumentation seiner Aufzeichnungen (Teil 3)

Die WELT setzt heute ihre Dokumentation der Erinnerungen Adolf Eichmanns fort. Nachdem er auf den ersten Seiten seine ideologische Disposition zu Befehl und Gehorsam schilderte, beschreibt Eichmann jetzt seinen Weg in die NSDAP und in die SS. Der Text wird mit minimalen Kürzungen (etwa bei unleserlichen Worten) und ohne orthografische, syntaktische oder stilistische Korrekturen abgedruckt.

Die SA und SS waren inzwischen in Österreich längst verboten und ebenso die Partei, die NSDAP. Der Gauleiter von Oberösterreich Oberscharführer Andreas Boleck und sein Gauleitungsstab, arbeiteten in ihrem Exilsitz in Passau, irgendwo in der Bahnhofstraße.

Die günstige Gelegenheit der Reise eines Angehörigen der 37. SS-Standarte ließ sich Dr. Kaltenbrunner nicht entgehen und gab mir einige Briefe für die Gauleitung mit, die ich unter mein Gepäck mit unterbrachte. --

Das damalige Linz a.d. Donau war ein verträumtes, kleines, liebliches und sauberes Provinzhauptstädtchen, das von dem großen „Hinterland" lebte, besser noch, es lag im Zentrum des damals überwiegend bäuerlichen Oberösterreich.

Da war das weizenschwere Innviertel, das braunkohlereiche Hausruckviertel, das schon dem Fremdenverkehr sehr erschlossene Traunviertel mit seiner Perle Gmunden am Traunsee und dem oberösterreichischen Hausberg, dem Traunstein, als großer Wächter der beginnenden Alpenwelt. Ganz besonders reizvoll aber für stille Naturfreunde, und jedenfalls für mich -- es ist es bis zum heutigen Tage geblieben -- das obere Mühlviertel, mit einem Teil des unteren Mühlviertels. Die Heimat eines Adalbert Stifter, der urige Böhmerwald, dessen Ausläufer tief in das obere Mühlviertel hineinlaufen. Die romantischen, braunwässrigen, kleinen, lebendigen Flüßchen, die sich da durch das gegen die Donau abfallende böhmisch-mährische Granitplateau, hurtigen Laufes ihren Weg zur Donau seit undenklichen Zeiten bahnen. Diesen herrlichsten Fleck der Erde durfte ich meine zweite Heimat nennen; und in dem damals so herrlich gemütlichen Städtchen Linz, war es bald so, wenn auch etwas übertrieben, daß jeder, jeden kannte. Diese Heimat Oberösterreich verlassend, meldete ich mich bei dem damaligen Gauleiter in Passau.

Nach dem ersten Weltkrieg kam Andreas Boleck, als gutdekorierter, tapferer Offizier, er war Oberleutnant gewesen, nach Linz und suchte Arbeit. Mein Vater, in jener Zeit in einflußreicher Stellung der Linzer Tramweg- und Elektrizitätsgesellschaft tätig, nahm den arbeitssuchenden zurückgekehrten Offizier in den Betrieb als Beamten auf. Er heiratete bald darauf eine Tochter des bürgerlichen Fleischhausermeisters Dietscher, in Linz a.d. Donau und sicherlich wurde ich als kleiner Bengel in jener Zeit, einer Zeit der Lebensmittelknappheit, ab und an zwecks Fleischkauf in diese Fleischhauerei geschickt, wiesonst hätte ich mir bis heute den Namen dieses biederen Fleischhauermeisters Dietscher behalten.

Es wäre nun an sich nichts außergewöhnliches an allem bisher Geschilderten wenn besagter Andreas Boleck nicht in den späteren Jahren zum Gauleiter der NSDAP bestallt worden wäre. Ja selbst diese Tatsache würde heute kaum noch erwähnenswert sein, wenn ich nicht just im März oder April des Jahres 1932, eine Versammlung der NSDAP, im Märzenkeller in Linz a.d. Donau, in der der damalige Gauleiter Boleck sprach, besucht hätte. Es war mein erster Besuch einer Versammlung der damals ziemlich neuen Partei. Mag sein, daß die Partei schon etliche Jahre in Linz a.d. Donau rührig war, aber es wurde von mir kaum bemerkt, weil ich damals der Jugendgruppe der Deutsch-Österr. Frontkämpfervereinigung angehörte, der in Linz ein tapferer Kämpfer aus 11 Panzerschlachten (. . .) repräsentativ vorstand. Um jene Zeit etwa starb der (. . .) Führer der D.Ö.F.K.V. in Wien Oberst Hiltl. Die Frage seines Todes war eine Diskussion unter gar manchen der damaligen Angehörigen der D.Ö.F.K.V., deren Wahlspruch „Allgemeines Volkswohl geht vor kleinlicher Parteipolitik" hieß. Hie monarchistisch alle rege, hie nationalistisch.

Ich wurde in jener Versammlung auf den nationalistischen Weg geleitet, wenngleich eine gewisse innere Bereitschaft bei mir dafür schon durch das Lesen des „Völkischen Beobachters", der in vielen Kaffeehäusern auslag, lange vorher gegeben war. Die „Schmach von Versailles", der Straßen-Tod der SA und SS Männer, den die Parteipresse der NSDAP in meisterhafter Form, packend an die Gefühle vieler, bis ins Einzelste und Kleinste beleuchtete und die „Märtyrer" als „Heroen und unsterbliche Helden im Kampf um die Freiheit", herausstellte, all dies wurde in jener Zeit auch von mir „andächtig verschlungen".

Große Gedanken und Probleme freilich machte ich mir nicht, denn während der ganzen Woche war ich entweder im Mühlviertel oder sonst eines der oberösterreichischen Viertel als Reisebeamter der Österr. Vacuum Oil Company tätig. Und was mir der Tag neben meiner beruflichen Arbeit so frei ließ -- und es war ein beträchtliches -- ging im bewußten Aufnehmen meines so sehr geliebten oberösterreichischen Landels, samt seines so herrlichen Menschenschlages, auf. Am Wochen- ende, in der Landeshauptstadt, da las ich dann die Zeitungen und da begann dann so etwas wie Politik (. . .) in meinem Kopf.

Es bedurfte daher nach allem, was ich schildere auch jetzt, nach der ersten, von mir besuchten Versammlung keiner großen Überredung, als Boleck mich kurz aufforderte, der NSDAP, beizutreten. Es bedurfte auch keiner längeren Worte, als der gleichfalls damals anwesende SS-Oberscharführer Dr. Ernst Kaltenbrunner, mich für die SS „vereinnahmte". --

Die Weisung Bolecks nach meiner Meldung in Passau war in wenigen Worten zusammengefaßt. Von einer berufsmäßigen Beschäftigung in der Mineralölwirtschaft wollte er nichts wissen, da ich erst einmal „gehen lassen müsste" und mir eine militärische Ausbildung nicht schaden könne. Der Meinung eines solch „alten Bekannten" verschloß ich mich auch gar nicht und so fuhr ich weisungsgemäß nach dem „Kloster Lechfeld", wo auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz „Kloster Lechfeld" eine sogenannte österreichische Legion in Aufstellung begriffen war.

Dies war aber im Sommer 1933 und so ging es dann bis zum September 1934 dahin, unterbrochen von einer kurzen Zeit als Kommandeur zum Verbindungsstab des Reichsführers SS in Passau unter der Führung des ehemaligen österr. ungar. Majors, jetzt SS-Sturmbannführer von Thiel. Es folgte eine weitere Kommandierung bzw. Versetzung nach Auflösung dieses Verbindungsstabes in Passau, nach Dachau, wo unter der Führung von dem Polizeimajor der preußischen Landespolizei Rampf ein Bataillon des SS-Regiments Deutschland lag. Hier musste ich meinen bisherigen Kragenspiegel, der das Edelweiss als Standartenzeichen trug vertauschen mit einem solchen, auf dem SS, eingestickt war.

Es war stets ein schönes Schauspiel für mich in jener Zeit, wenn das Bataillon mit dem Kommandeur, beritten an der Spitze, ihm die von den berittenen drei Kompaniechefs geführten Kompanien folgten. Der höchste unmittelbare Vorgesetzte von Klosterlechfelds Zeiten angefangen bis zu den Zeiten bei SS, war der selten zur Inspektion kommende, in München sitzende, SS Brigadeführer Rodenbücher. Ein unverfälschter Hamburger, wie es hieß.

In dem ewigen Einerlei des Dienstes, hörte ich eines Tages, daß der „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS" Männer suche. Ausgezeichnete Sache, sagte ich mir; und schon stellte ich mir vor, in Bälde zum Begleitkommandeur des Chefs der SS, zu gehören.

Denn nichts anderes konnte ich mir unter dem Namen „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS" vorstellen, als ein Kommando zu dessen Schutz. Ich meldete mich also dazu und hörte dann lange Zeit nichts mehr und glaubte die Sache schon unter den Tisch gefallen, als ich Ende September 1934, wie der Blitz aus heiterem Himmel den Befehl zur Meldung beim Bataillons-Kommandeur erhielt.

Nach schneller Rekapitulation des Sündenregisters, das wohl jeder Landser besaß, hörte ich dann, daß ich meine Versetzung von SS zum Sicherheitsdienst des RFSS, in Berlin, entgegen zu nehmen hätte.

Mein fälliger Sold wurde mir ausbezahlt, Fahrkarte und Zehrgeld übergeben. Die Uniform behielt ich, nur zwecks Abschreibung mußte ich noch zum Kammerunteroffizier.

An einem Morgen des späten September 1934 kam ich am Anhalter Bahnhof in Berlin an.

Ein kurzer Weg war es nur von hier, zur Wilhelmstraße 102, wohin ich mich laut Marschbefehl zu begeben hatte.

Ich meldete mich bei dem Unteroffizier vom Dienst, eine sehr kordiale Meldung in diesem Falle, denn wir waren gleichrangig, weil ich inzwischen ebenfalls bereits einen Stern auf einem der Kragenspiegel trug, also Unteroffizier war.

In einem Zimmer mit 12 Mann, wurde mir meine Schlafstelle und mein Spind zugewiesen. Meine damaligen Zimmerkameraden waren alle erst wenige Tage im Sicherheitsdienst, kurz SD genannt, tätig. Genauer gesagt, war es das SD-Hauptamt, zu welchem ich also jetzt versetzt war. Mein Bettnachbar war ein äußerst gutmütiger SS-Rottenführer aus Hameln, der alten Rattenfängerstadt an der Weser. Sohn bürgerlicher und geachteter Eltern, welche daselbst ein gedigenes, gutgehendes Lederwarengeschäft betrieben. Ein SS-Scharführer der SS, ein Franke, der glaublich in Erlangen in Garnison lag, war außer mir der einzige „Seitengewehrträger", das äußere Zeichen des Angehörigen eines SS-Infanterieregiments. Die übrigen 10 Mann kamen aus der allgemeinen SS, der sogenannten zivilen SS. Tags über Bürodienst; Samstag nachmittags Ausgang erst nach Revierreinigen unter der Aufsicht eines Oberfeldwebels, dem es an Energie nicht mangeln durfte, da ja immerhin zu der Zimmerbelegschaft einige ausgewachsene, gediente Unteroffiziere gehörten; aber offensichtlich lag irgendein höherer Befehl vor, daß die genannte Zimmerbesatzung ohne Rücksicht auf Dienstgrad auch beim Revierreinigen über einen Kamm zu scheren sei und wir Unteroffiziere also in der Folgezeit genau so schruppten und fegten, wie der letzte SS-Mann.

Es war zwar damals eine saure und völlig unmögliche Tätigkeit, weil in ihr für einen Unteroffizier etwas Herabsetzendes, von uns aus gesehen, lag und nur die klare Befehlsgebung des Oberfeldwebels, welche keinerlei Zweifel aufkommen ließ, verwandelte uns in zwar innerlich knurrende und kochende, sonst aber getreue, befehlsausführende Zimmersäuberer, eine Arbeit, welche -- wie schon gesagt -- uns beiden gedienten Unteroffizieren in keiner Weise mehr zukam. Aber man gewöhnte sich auch daran.

[Eichmann dossier index] [Index to this serial]
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