Süddeutsche
Zeitung,
4.9.1998,
S. 13: Ein
Trauerarbeitsunfall Seit
nicht mehr von Auschwitz die Rede ist und
von der Vernichtung der Juden, sondern vom
zugegeben viel eleganteren 'Holocaust',
vergeht keine Saison mehr ohne neue
Memoiren aus der Hölle. Sie folgen
dem Bedürfnis nach einer runden
Geschichte, und wenn einer wenigsten davon
gekommen ist (dieses Kind, diese Frau, die
Männer und Frauen und Kinder auf
jener notorischen Liste), dann kann es
doch nicht ganz so schlimm gewesen sein
mit dem Völkermord, nicht wahr?
... Bei
soviel Schuld und Schuldgefühl
blüht der Ablaßhandel, und wo
Bedarf besteht, gibt es auch die
notwendigen moralischen Geschichten. Der
Schriftsteller Daniel Ganzfried hat jetzt
in der Zürcher Weltwoche
nachgewiesen, daß die
'Bruchstücke', die Binjamin
Wilkomirski aus seiner frühesten
Kindheit im KZ erzählt hat,
sämtlich Erfindungen sind,
Phantasien, im besten Fall eine grausame
Wunschbiographie. Als das Buch vor drei
Jahren im Jüdischen Verlag bei
Suhrkamp erschien, waren die Kritiker
entsetzt über diese überdeutlich
ausgemalten Tag- und Nachtreste eines
exemplarischen Todeslaufs: In Riga
geboren, Majdanek und Auschwitz
überlebt, in der Schweiz zur Schule
gegangen, alles knapp und unter
unvorstellbaren Qualen überstanden,
aber lebenslang traumatisiert. So
eindrücklich war diese
Höllenfahrt, daß die
'Bruchstücke' in zwölf Sprachen
übersetzt wurden. Es ist nur nichts
daran wahr, Binjamin Wilkormirski eine
Erfindung. Der angebliche
Auschwitz-Überlebende ist weder Jude
noch war er als Kind in einem
Konzentrationslager. Er wurde als Bruno
Grosjean 1941 in der Schweiz geboren, war
im Pflegeheim, wurde adoptiert und
schmiegte sich später mühelos in
die Schweizer Nachkriegszeit. Allerdings
habe er schon immer zu phantastischen
Geschichten geneigt, erinnern sich
Mitschüler. Seine beste hat er in
diesem viele erschütternden Buch
niedergelegt. Die
Wahrheit des Überlebenden, sollte man
meinen, ist unhintergehbar, aber wer
interessiert sich schon für die
Wahrheit? ... Aber solange dem Menschen
die Wahrheit noch nicht zumutbar ist,
braucht er offenbar solche unwirklichen
Geschichten wie die des gepeinigten Kindes
Binjamin Wilkomirski.
(wink)« | [translation]
Mournful
Work Accident NOW
THAT nobody speaks of Auschwitz any more
or of the destruction of the Jews, but
just of the (admittedly far more elegant)
"Holocaust", no season passes without yet
more Memoirs from Hell. Each
meets the need for a well-rounded story,
and if they at least got out (this child,
that woman, the men and women and children
on the notorious List), then things can't
have been all that bad with the genocide,
huh? Given
so much guilt and feelings of guilt,
business is blooming and where there's a
need there are the necessary moral stories
too. The
writer Daniel Ganzfried has now
proven in the Zurich Weltwoche that
the "Fragments:" that Binjamin
Wilkomirsky related from his earliest
childhood in concentration camp are total
inventions, fantasies, or at very least a
cruel wishful-biography. When
the book appeared three years ago in the
Jewish Publishing House at Suhrkamp,
critics were shocked at its over the top
portrayal of day and night in an exemplary
death-rush: born in Riga, survivor of
Majdanek and Auschwitz, schooled in
Switzerland, everything only just
survived and under unimaginable torments,
and traumatised for life in
consequence. So
impressive was this Passage through Hell
that "Fragments" was translated into
twelve languages - trouble was, nothing
about it was true. Binjamin Wilkormiski is
a figment of imagination. The supposed
Auschwitz-survivor was neither a Jew nor
ever in a concentration camp. He was born
Burno Grosjean in Swizterland, grew up in
an orphanage, was adopted and settled
effortlessly into post-war
Switzerland. He
always was a one for telling tall stories,
his fellow pupils recall. He told some
pretty tall ones in this book. True
survival, one might think, is beyond
investigation, but who's interested in the
truth any longer?... But so long as Man
can't be yet trusted with the truth, he
evidently needs improbable stories like
that of the wretched child Binjamin
Wilkomirski.
(wink). |