Literatur
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Berlin |
Rolf
Hochhuth: Wellen (Rowohlt
Verlag, Hamburg, 14,90 DM)Von
Florian Felix Weyh DER JUBILAR
erreicht das Pensionsalter. Was
möchte er für sein
verdienstvolles Wirken um die deutsche
Literatur denn gerne haben? Ach",
sagt er. Vielleicht ein kleines
Jubelbändchen? Keine Hymnen von
Kollegen, die klängen nur verlogen.
Lieber eine Sammlung von Erbaulichkeiten
aus dreißig Jahren Schreibkampf.
Nennen wir es ... Artgenossen.
Zeitgenossen, Hausgenossen. -
Einverstanden", sagt der Verleger,"
aber bitte nichts Genossenschaftliches!
Fällt Ihnen nichts besseres ein?" -
Doch!" sagt der Jubilar. Als ich in
meiner Jugend über den Atlantik fuhr,
erzählte mir ein alter Kapitän,
daß Wellen grundsätzlich nur
auf der Stelle treten, sich zwar turmhoch
aufschrauben, in Wirklichkeit aber gar
nicht vorankommen. Ist so nicht alle
Geschichte und alles Wirken? Richtungslose
Eruption? Konvulsisches Orgasmuszucken?" -
Einverstanden", sagt der Verleger
resigniert. nennen wir das Buch
Wellen". Paßt auch gut zum
Intemet-Surfing. Aber eines, lieber
Hochhuth, eines bitte, bitte nicht: keine
Lyrik! Um Gotteswillen keine Lyrik." Der
Jubilar macht eine unbestimmte
Kopfbewegung, Als der Verleger das Buch am
Geburtstagsmorgen öffnet.
entfährt ihm ein lautes Schluchzen.
Lyrik! Aber wie! Soll man
noch weiterreden? Rolf Hochhuth ist am
ersten April 1997 fünfundsechzig
geworden. Kein Spott übers Datum,
damit kokettiert er selbst genug. Ein
Arbeitnehmer ginge nun in Rente. ein
Dichterfürst widmete sich der ersten
- unvollständigen - Gesamtausgabe und
strebte dem Spätwerk zu. Hochhuth,
immer ein bißchen anders, wählt
den Holzweg. Statt auf Gesamtausgabe setzt
er auf komprimierte Verdichtung, und statt
dem Spätwerk neigt er sich den Frauen
zu. Im Grunde ist beides eins:
verdichtetes Frauenspätwerk. Denn
Hochhuth ist ein Kenner. Ein Frauenkenner.
Ein Geschichtskenner. Ein Literaturkenner.
Ein Theaterkenner. Und natürlich ein
Frauenkenner. Mit lockerer Hand skizziert
er den Weg, den die emanzipierte Frau
heutzutage zu beschreiten habe. und
zufälligerweise wird sie auf diesem
Weg Rolf Hochhuth begegnen, der ihr in
flüssigem Parlando erzählt, wie
er sich mit Ernst Jünger einig war,
daß Polygamie Naturgeschichte sei.
Alle Geschichte ist Polygamiegeschichte.
Pardon: Naturgeschichte. Oder sollte der
Rezensent das falsch verstanden
haben? |
2.
So gockelt sich der Rentner
durch den Ruhestand, und unverhohlen
zelebriert er seine Bewunderung für
den alten Goethe, der siebzigjährig
noch einer Sechzehnjährigen
hinterherstieg. Denn wenn
man sich Goethe nicht biographisch
nähert, wie soll man ihm sonst
nachfolgen? Doch da, da! dräut sie
wieder: Lyrik. Und zwar auf den alten
Geheimrat selbst gemünzt: Weg
zwar sein Frust, wenn sie's Lager teilt: Leckt er die Twenbrust - ist er geheilt. Hochhuth",
schreit der Verleger! Hochhuth!"
Aber der Jubilar bleibt ungerührt. Es
ist schließlich sein
Fünfundsechzigster, und einmal darf
er machen, was er schon immer wollte. Zum
Beispiel beweisen, daß man ohne
Abitur Weltmeister in Bildungshuberei
werden kann. Alles gelesen!"
triumphiert Hochhuth. Und sogar
verstanden! Alles verstanden. Ohne
Abitur!" Wie schon fügt sich darein,
daß die deutschen
Literaturnobelpreisträger fast alle
die Reifeprüfung nicht erreichten.
Kein Wink mit dem Zaunpfahl, iwo, eine
zart-ironische Anspielung.
Schließlich: Wie-viele Autoren mit
Weltgeltung hat Deutschland außer
Hochhuth hervorgebracht? Und wieviele
Lyriker von Weltrang - außer
Hochhuth? Eine Kostprobe? Das
höchste Ruhmesblatt der Frauen wie in der Bibel - in der Dichtung: Konnte ein Mann auf eine bauen, stürzte er nie in seine
Vernichtung. Wo ist die
Frau hinter Hochhuth? Wer bewahrt ihn vor
seinen Veröffentlichungen? Warum hat
man ihm keine Lektorin gegeben, mit der er
Polygamie betreiben kann?
Das
Buch läßt Fragen offen. Zum
Beispiel auch, daß man 1996 noch den
rechtsradikalen David Irving ohne
Fußnote lobend erwähnen kann.
Weil ich Hochhuth bin", sagt
Hochhuth trotzig. Ich
habe Filbinger gestürzt, ich war das!
Jawoll!" In Wahrheit ist ihm bis zum
fünfundsechzigsten Geburtstag ein
Kabinettstückchen gelungen: Der Welt
vorzumachen, er sei ein linker Anarchist,
obgleich er ein rechtskonservativer
Renegat ist. Aber das macht alles seine
Lyrik wett: Denk'
an Effie Briest; keine Katastrophen: Was Du hier liest, sofort in den Ofen!
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