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Posted Monday, December 10, 2001


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Waren die Angriffe auf Dresden etwa kein Kriegsverbrechen? Wussten die Alliierten nicht genau, dass in der Stadt Zehntausende Flüchtlinge Unterschlupf gesucht hatten?

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SCHULEN

Dresden 1945: Terrorangriff wie in New York?

Ein falscher Satz

Drei sächsische Lehrerinnen wurden bestraft, weil sie sich nach den Terroranschlägen antiamerikanisch geäußert haben sollen. Doch nun regt sich Protest, und die Pädagoginnen fühlen sich in DDR-Zeiten zurückversetzt.

Von Bruno Schrep

SIE ist eine Lehrerin vom alten Schlag. Sie fordert Leistung vom ersten Schultag an, achtet streng auf Disziplin, duldet keine Faxen, scheut auch keine Konflikte mit Eltern. Generationen von Schulanfängern hat Christa B. mit ihren Methoden Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht.

Seit 34 Jahren unterrichtete sie an der kleinen Grundschule Oberlößnitz im sächsischen Radebeul. Jetzt ist die 56-jährige Lehrerin plötzlich weg: gerüffelt und zwangsversetzt an eine andere Schule.

Ruck, zuck versetzt worden ist auch eine weitere Pädagogin: Petra S., 33, bis vor kurzem Geschichtslehrerin am Lessing-Gymnasium in Hohenstein-Ernstthal. Abgemahnt und zum Besuch politischer Fortbildungskurse verdonnert wurde eine dritte Lehrkraft: Ursula S., 41-jährige Deutschlehrerin an einem Dresdner Gymnasium.

Die sächsischen Lehrerinnen, die vieles trennt, haben eines gemeinsam: Alle drei verletzten ein Tabu. Ein Tabu, das auch schon Fernsehmoderatoren, Schriftsteller und Musiker gebrochen haben. Nach den Anschlägen in New York und Washington sind die Lehrerinnen durch umstrittene Äußerungen zu den USA und durch heikle Vergleiche aufgefallen.

"Jetzt spüren die Amerikaner mal selbst, wie das ist", äußert Grundschullehrerin Christa B. nach den Terrorangriffen im Unterricht. "Schließlich bombardierten sie auch unser Dresden."

Die Schüler der Klasse 3b, acht- und neunjährige Jungen und Mädchen, die noch die Fernsehbilder von den einstürzenden Hochhäusern vor Augen haben, reagieren irritiert. "Unsere Lehrerin findet, dass den Amis das recht geschieht", erzählt ein Mädchen aufgeregt zu Hause. "Stimmt das denn?" Die Mutter alarmiert die Schulbehörde.

 

Funeral pyre in Dresden: thousands of air raid victims are cremated on Feb 25 1945, days after the Anglo-American air raid. (Copyright Photo from David Irving, Apocalypse 1945: the Destruction of Dresden)

"Wie kannst du bloß so etwas vor der Klasse sagen?", fragt Schuldirektorin Christine Mösch ihre langjährige Kollegin und Stellvertreterin. Antwort: "Denk an 1945. Mein Mann, damals noch Kleinkind, ist fast im Phosphorqualm erstickt. Selbst das Wasser in der Elbe brannte." - "Aber das kannst du nicht vergleichen."

Doch Lehrerin B., erst geboren im März 1945, fühlt sich im Recht. Furcht erregende Erzählungen über die Bombenangriffe im Februar 1945 erschütterten sie schon als Kind. Später hat sie die Trümmer gesehen, unzählige Berichte über das Inferno gelesen. Bis heute besucht sie, jeweils am Jahrestag des Bombardements, die Gedenkstätte für die Opfer.

"Ich weiß, ich hätte mich so nicht äußern dürfen", räumt sie inzwischen ein, "die Offenheit vor den Schülern war ein Fehler." Sie habe aber geglaubt, zwölf Jahre nach der Wende könne man auch in der Schule aussprechen, was man denke.

Irrtum, belehrt das Schulamt: "Der Versuch der Rechtfertigung eines Terrorangriffs ist in einer freiheitlich verfassten Schule nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt."

Ihr Angebot, sich bei den Eltern der Schüler zu entschuldigen, wird von der Schulrätin abgelehnt: "Da gibt es nichts zu entschuldigen."

Das wird in Radebeul von vielen anders gesehen. In der Kleinstadt bei Dresden, wo im Lauf der Jahre Tausende Schüler von Christa B. unterrichtet wurden, wo manche unter ihrer Strenge gelitten haben, stößt ihre Disziplinierung auf wenig Zustimmung. Empört reagieren vor allem Ältere, die sich noch an den Krieg erinnern.

Waren die Angriffe auf Dresden etwa kein Kriegsverbrechen? Wussten die Alliierten nicht genau, dass in der Stadt Zehntausende Flüchtlinge Unterschlupf gesucht hatten?

Und überhaupt: Was wollen die eigentlich von unserer alten Lehrerin? Die hat sich doch nie politisch engagiert, war noch nicht einmal in der Partei. Opferte sich immer nur für die Kinder auf. Muss jetzt mit 56 in eine andere Schule. Was soll das?

Die Sanktionen gegen die Frau haben die Stimmung gegenüber den USA, ohnehin völlig anders als im Westen, weiter kippen lassen. "Überall mischen sie sich ein", schimpft ein junger Mann auf der Straße. "Die haben immer nur ausgeteilt und ausgeteilt", empört sich eine Hausfrau, "aber wer das sagt, wird bestraft."

Einige Eltern der Grundschüler dagegen empfinden die Versetzung von Christa B. als viel zu milde. "Eigentlich gehört sie gefeuert", sagt ein Vater. Die Formulierungen von Frau B. erinnerten an die antiamerikanische Hetze in der DDR. "Achtjährige orientieren sich doch am Lehrer. Da kommt es auf jedes Wort an."

"Ein einziger Satz hätte mich fast die Existenz gekostet", sagt Gymnasiallehrerin Petra S., "ein einziger Satz." Die rothaarige junge Frau, allein erziehende Mutter eines elfjährigen Sohnes, geht unruhig in ihrer Wohnung im siebten Stock eines Hochhauses hin und her, kramt in Papieren, sucht etwas im Computer, kann vor Aufregung kaum sprechen.

"Der Satz hat mein Leben verändert", stößt sie hervor. "Er wird an mir kleben bleiben wie ein alter Kaugummi."

Ein Satz, der es in sich hat. "Endlich haben die USA einen Denkzettel bekommen", soll sie in der ersten Geschichtsstunde nach dem 11. September frohlockt haben. So oder ähnlich wollen es jedenfalls 15-jährige Schüler der Klasse 10c gehört haben, an den genauen Wortlaut kann sich niemand erinnern.

Ein Satz, der am Gymnasium in Hohenstein-Ernstthal, benannt nach dem Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, Hektik auslöst. Schüler werden verhört, Eltern schicken Faxe, Lehrer distanzieren sich. Rektor Klaus Hoppe, ein korrekter Mann, informiert das Regionalschulamt. Frau S. wird einbestellt.

"Man hat mir gleich gesagt, dass es nur um ordentliche oder außerordentliche Kündigung geht", erinnert sich die Lehrerin. "Keiner gab mir die Hand, die Atmosphäre war eisig." Die Nacht darauf habe sie keine Sekunde geschlafen.

Dass es dann doch nur bei einem Wechsel an ein anderes Gymnasium blieb, hängt mit der unsicheren Beweislage zusammen. Petra S. bestreitet, den fatalen Satz je gesagt zu haben. Aber was hat sie gesagt?

"Ich saß beim Arzt, als ich die Nachricht hörte", erzählt die Lehrerin. "Und ich dachte spontan: 'Erstmals hat es die USA in ihrem eigenen Land erwischt.'"

Diesen Gedanken habe sie am nächsten Tag der Klasse geschildert, in einer turbulenten, von heftigen Gefühlen geprägten Geschichtsstunde, in der alle durcheinander geredet hätten, kaum Zeit für abgewogene Argumente gewesen sei: "Das war sicher falsch."

Doch dann habe sie der Klasse auch berichtet, wie entsetzt sie bis spät nachts vorm Fernseher gesessen habe, wie erschüttert sie über die vielen Toten sei.

Die Botschaft sei angekommen, glaubt Petra S.: "Kein Schüler fiel vom Stuhl, keiner schrie auf, nichts zeigte mir, dass ich die Klasse mit ungeheuren Äußerungen geschockt hätte."

Was immer in dieser Geschichtsstunde im Detail gesagt worden ist - ins Schema einer typischen Ostalgikerin mit eingebauten Feindbildern und Denkschablonen passt Petra S. nicht. Zwar studierte sie noch in der alten DDR, doch angeeckt ist sie auch schon dort.

Noch während ihrer Lehrerausbildung schrieb sie nebenbei Jugendliteratur, unter anderem ein Hörspiel über einen Schüler, der wegen kritischer Äußerungen über die DDR von der Schule fliegen soll.

Die Staatssicherheit wurde aufmerksam, ein Spitzel mit dem Decknamen "Heine", der Petra S. bei Seminaren beobachtete, registrierte nicht nur ihre losen Reden, sondern meldete auch, dass sie offenbar "sehr modebewusst" sei und "manchmal keinen BH" trage. Rüffel folgten.

Nach Studium ihrer Akte, sagt die Lehrerin, habe sie sich fest vorgenommen, gegen Duckmäuserei und Anpasserei zu kämpfen, die neuen Verhältnisse zu nutzen, um ihre Schüler zu Zivilcourage zu erziehen, ihnen kritisches Handeln beizubringen. "Die sollen nicht alles glauben, was ihnen vorgesetzt wird. Auch nicht über die USA."

Ihr deshalb Antiamerikanismus vorzuwerfen sei absurd. "Ist es antiamerikanisch, wenn ich im Zusammenhang mit den USA nicht nur an die Unabhängigkeitserklärung und George Washington denke, sondern auch an McCarthy und den elektrischen Stuhl?" "Ist es antiamerikanisch, wenn ich einen Film wie 'Independence Day' als unerträglich empfinde, als technisch perfekten Riesenwerbespot für die Air Force?" Und schließlich: "Ist es antiamerikanisch, wenn ich die Außenpolitik der USA kritisiere?"

Warum sie aber ausgerechnet in der turbulenten Geschichtsstunde nach den Anschlägen auch die Bremserrolle der USA bei der Klimakonferenz hervorgehoben hat, einen diffusen Zusammenhang herstellte, kann sie nicht schlüssig erklären. Und dass sie sich damit zumindest dem Verdacht aussetzte, das Verbrechen irgendwie rechtfertigen zu wollen, ist ihr viel zu spät klar geworden.

Missverstanden fühlt sie sich, ungerecht behandelt, an früher erinnert. "Wenn man in der DDR Kritik übte, hieß es gleich: 'Du bist gegen uns.'"

"Kriegen hier Lehrer wieder einen Maulkorb wie früher?", fragt auch Ursula S. Die 41-Jährige, die an einem Dresdner Gymnasium Deutsch und Geschichte unterrichtet, fühlt sich ebenfalls zu Unrecht angeprangert. Vor der Wende wurde sie wegen ihrer christlichen und politischen Überzeugungen beargwöhnt, wegen ihrer Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche. Heute weckt sie Misstrauen, weil sie mit einem Araber verheiratet ist.

Der Vater eines Schülers habe sie beim Kultusministerium verpfiffen, empört sie sich. "Er hätte direkt zu mir kommen, offen mit mir reden können. Aber nein, hintenrum, wie früher."

Hintergrund: Am Tag nach dem Terror wird der Lehrerin eine brisante Frage gestellt. "Warum gibt es solchen Hass auf die USA?", will eine Schülerin wissen.

Dazu fällt Ursula S. mehr ein, als ihren Vorgesetzten passt. Sie beschreibt unter anderem den Vietnamkrieg, dessen Schreckensbilder sie noch aus dem DDR- Fernsehen kennt, schildert die Atombombenabwürfe über Hiroschima und Nagasaki, nennt auch den Golfkrieg. Vergisst allerdings, dass ihre elfjährigen Schüler von alledem bisher wenig oder nichts gehört haben, heillos überfordert sind.

"Warum haben Sie denn nicht versucht, die Kinder selbst eine Antwort finden zu lassen?", fragt ein Mitglied der Untersuchungskommission, vor die Ursula S. geladen wird. Sie sei doch, bitte schön, zur politischen Neutralität verpflichtet.

Eine Verständigung scheint nicht möglich."Ich bin Pazifistin, lehne jeden Krieg ab", erklärt die Lehrerin. "Wir sind eine wehrhafte Demokratie", belehrt sie eine Vorgesetzte.

Obwohl sie durch die Aufregung krank geworden ist, hat sie sich vorgenommen, ihre Auffassungen weiterhin offen zu vertreten. Zum Beispiel zu sagen, dass sie die Angriffe auf Afghanistan ebenso schlimm findet wie den Terror.

Andere Lehrer am Gymnasium, durch die Abmahnung der Kollegin eingeschüchtert, sollen dagegen äußerst vorsichtig geworden sein. German version"Viele denken wie ich", glaubt Ursula S. "Sie trauen sich nur nicht mehr, es offen auszusprechen."

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