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Waren
die Angriffe auf Dresden etwa
kein Kriegsverbrechen? Wussten
die Alliierten nicht genau,
dass in der Stadt Zehntausende
Flüchtlinge Unterschlupf
gesucht hatten? |
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,167115,00.html SCHULEN Dresden
1945: Terrorangriff wie in New
York? Ein
falscher Satz Drei
sächsische Lehrerinnen wurden
bestraft, weil sie sich nach den
Terroranschlägen antiamerikanisch
geäußert haben sollen. Doch
nun regt sich Protest, und die
Pädagoginnen fühlen sich in
DDR-Zeiten zurückversetzt. Von Bruno Schrep SIE ist eine Lehrerin vom alten Schlag.
Sie fordert Leistung vom ersten Schultag
an, achtet streng auf Disziplin, duldet
keine Faxen, scheut auch keine Konflikte
mit Eltern. Generationen von
Schulanfängern hat Christa B.
mit ihren Methoden Lesen, Schreiben und
Rechnen beigebracht. Seit 34 Jahren unterrichtete sie an der
kleinen Grundschule Oberlößnitz
im sächsischen Radebeul. Jetzt ist
die 56-jährige Lehrerin
plötzlich weg: gerüffelt und
zwangsversetzt an eine andere Schule. Ruck, zuck versetzt worden ist auch
eine weitere Pädagogin: Petra
S., 33, bis vor kurzem
Geschichtslehrerin am Lessing-Gymnasium in
Hohenstein-Ernstthal. Abgemahnt und zum
Besuch politischer Fortbildungskurse
verdonnert wurde eine dritte Lehrkraft:
Ursula S., 41-jährige
Deutschlehrerin an einem Dresdner
Gymnasium. Die sächsischen Lehrerinnen, die
vieles trennt, haben eines gemeinsam: Alle
drei verletzten ein Tabu. Ein Tabu, das
auch schon Fernsehmoderatoren,
Schriftsteller und Musiker gebrochen
haben. Nach den Anschlägen in New
York und Washington sind die Lehrerinnen
durch umstrittene Äußerungen zu
den USA und durch heikle Vergleiche
aufgefallen. "Jetzt spüren die Amerikaner mal
selbst, wie das ist", äußert
Grundschullehrerin Christa B. nach den
Terrorangriffen im Unterricht.
"Schließlich bombardierten
sie auch unser Dresden." Die Schüler der Klasse 3b, acht-
und neunjährige Jungen und
Mädchen, die noch die Fernsehbilder
von den einstürzenden
Hochhäusern vor Augen haben,
reagieren irritiert. "Unsere Lehrerin
findet, dass den Amis das recht
geschieht", erzählt ein Mädchen
aufgeregt zu Hause. "Stimmt das denn?" Die
Mutter alarmiert die
Schulbehörde. Funeral
pyre in Dresden: thousands of air
raid victims are cremated on Feb 25
1945, days after the Anglo-American
air raid. (Copyright Photo from
David Irving, Apocalypse 1945: the
Destruction of
Dresden)
"Wie kannst du bloß so etwas vor
der Klasse sagen?", fragt Schuldirektorin
Christine Mösch ihre
langjährige Kollegin und
Stellvertreterin. Antwort: "Denk an 1945.
Mein Mann, damals noch Kleinkind, ist fast
im Phosphorqualm erstickt. Selbst das
Wasser in der Elbe brannte." - "Aber das
kannst du nicht vergleichen." Doch Lehrerin B., erst geboren im
März 1945, fühlt sich im Recht.
Furcht erregende Erzählungen
über die Bombenangriffe im Februar
1945 erschütterten sie schon als
Kind. Später hat sie die Trümmer
gesehen, unzählige Berichte über
das Inferno gelesen. Bis heute besucht
sie, jeweils am Jahrestag des
Bombardements, die Gedenkstätte
für die Opfer. "Ich weiß, ich hätte mich so
nicht äußern dürfen",
räumt sie inzwischen ein, "die
Offenheit vor den Schülern war ein
Fehler." Sie habe aber geglaubt,
zwölf Jahre nach der Wende könne
man auch in der Schule aussprechen, was
man denke. Irrtum, belehrt das Schulamt: "Der
Versuch der Rechtfertigung eines
Terrorangriffs ist in einer freiheitlich
verfassten Schule nicht durch die
Meinungsfreiheit gedeckt." Ihr Angebot, sich bei den Eltern der
Schüler zu entschuldigen, wird von
der Schulrätin abgelehnt: "Da gibt es
nichts zu entschuldigen." Das wird in Radebeul von vielen anders
gesehen. In der Kleinstadt bei Dresden, wo
im Lauf der Jahre Tausende Schüler
von Christa B. unterrichtet wurden, wo
manche unter ihrer Strenge gelitten haben,
stößt ihre Disziplinierung auf
wenig Zustimmung. Empört reagieren
vor allem Ältere, die sich noch an
den Krieg erinnern. Waren die
Angriffe auf Dresden etwa kein
Kriegsverbrechen? Wussten die
Alliierten nicht genau, dass in der
Stadt Zehntausende Flüchtlinge
Unterschlupf gesucht hatten? Und überhaupt: Was wollen die
eigentlich von unserer alten Lehrerin? Die
hat sich doch nie politisch engagiert, war
noch nicht einmal in der Partei. Opferte
sich immer nur für die Kinder auf.
Muss jetzt mit 56 in eine andere Schule.
Was soll das? Die Sanktionen gegen die Frau haben die
Stimmung gegenüber den USA, ohnehin
völlig anders als im Westen, weiter
kippen lassen. "Überall mischen sie
sich ein", schimpft ein junger Mann auf
der Straße. "Die haben immer nur
ausgeteilt und ausgeteilt", empört
sich eine Hausfrau, "aber wer das sagt,
wird bestraft." Einige Eltern der Grundschüler
dagegen empfinden die Versetzung von
Christa B. als viel zu milde. "Eigentlich
gehört sie gefeuert", sagt ein Vater.
Die Formulierungen von Frau B. erinnerten
an die antiamerikanische Hetze in der DDR.
"Achtjährige orientieren sich doch am
Lehrer. Da kommt es auf jedes Wort
an." "Ein einziger Satz hätte mich fast
die Existenz gekostet", sagt
Gymnasiallehrerin Petra S., "ein einziger
Satz." Die rothaarige junge Frau, allein
erziehende Mutter eines elfjährigen
Sohnes, geht unruhig in ihrer Wohnung im
siebten Stock eines Hochhauses hin und
her, kramt in Papieren, sucht etwas im
Computer, kann vor Aufregung kaum
sprechen. "Der Satz hat mein Leben
verändert", stößt sie
hervor. "Er wird an mir kleben bleiben wie
ein alter Kaugummi." Ein Satz, der es in sich hat. "Endlich
haben die USA einen Denkzettel bekommen",
soll sie in der ersten Geschichtsstunde
nach dem 11. September frohlockt haben. So
oder ähnlich wollen es jedenfalls
15-jährige Schüler der Klasse
10c gehört haben, an den genauen
Wortlaut kann sich niemand erinnern. Ein Satz, der am Gymnasium in
Hohenstein-Ernstthal, benannt nach dem
Aufklärer Gotthold Ephraim
Lessing, Hektik auslöst.
Schüler werden verhört, Eltern
schicken Faxe, Lehrer distanzieren sich.
Rektor Klaus Hoppe, ein korrekter
Mann,
informiert
das Regionalschulamt. Frau S. wird
einbestellt. "Man hat mir gleich gesagt, dass es nur
um ordentliche oder außerordentliche
Kündigung geht", erinnert sich die
Lehrerin. "Keiner gab mir die Hand, die
Atmosphäre war eisig." Die Nacht
darauf habe sie keine Sekunde
geschlafen. Dass es dann doch nur bei einem Wechsel
an ein anderes Gymnasium blieb, hängt
mit der unsicheren Beweislage zusammen.
Petra S. bestreitet, den fatalen Satz je
gesagt zu haben. Aber was hat sie
gesagt? "Ich saß beim Arzt, als ich die
Nachricht hörte", erzählt die
Lehrerin. "Und ich dachte spontan:
'Erstmals hat es die USA in ihrem eigenen
Land erwischt.'" Diesen Gedanken habe sie am
nächsten Tag der Klasse geschildert,
in einer turbulenten, von heftigen
Gefühlen geprägten
Geschichtsstunde, in der alle
durcheinander geredet hätten, kaum
Zeit für abgewogene Argumente gewesen
sei: "Das war sicher falsch." Doch dann habe sie der Klasse auch
berichtet, wie entsetzt sie bis spät
nachts vorm Fernseher gesessen habe, wie
erschüttert sie über die vielen
Toten sei. Die Botschaft sei angekommen, glaubt
Petra S.: "Kein Schüler fiel vom
Stuhl, keiner schrie auf, nichts zeigte
mir, dass ich die Klasse mit ungeheuren
Äußerungen geschockt
hätte." Was immer in dieser Geschichtsstunde im
Detail gesagt worden ist - ins Schema
einer typischen Ostalgikerin mit
eingebauten Feindbildern und
Denkschablonen passt Petra S. nicht. Zwar
studierte sie noch in der alten DDR, doch
angeeckt ist sie auch schon dort. Noch während ihrer
Lehrerausbildung schrieb sie nebenbei
Jugendliteratur, unter anderem ein
Hörspiel über einen
Schüler, der wegen kritischer
Äußerungen über die DDR
von der Schule fliegen soll. Die
Staatssicherheit
wurde aufmerksam, ein Spitzel mit dem
Decknamen "Heine", der Petra S. bei
Seminaren beobachtete, registrierte nicht
nur ihre losen Reden, sondern meldete
auch, dass sie offenbar "sehr modebewusst"
sei und "manchmal keinen BH" trage.
Rüffel folgten. Nach Studium ihrer Akte, sagt die
Lehrerin, habe sie sich fest vorgenommen,
gegen Duckmäuserei und Anpasserei zu
kämpfen, die neuen Verhältnisse
zu nutzen, um ihre Schüler zu
Zivilcourage zu erziehen, ihnen kritisches
Handeln beizubringen. "Die sollen nicht
alles glauben, was ihnen vorgesetzt wird.
Auch nicht über die USA." Ihr deshalb Antiamerikanismus
vorzuwerfen sei absurd. "Ist es
antiamerikanisch, wenn ich im Zusammenhang
mit den USA nicht nur an die
Unabhängigkeitserklärung und
George Washington denke, sondern
auch an McCarthy und den
elektrischen Stuhl?" "Ist es
antiamerikanisch, wenn ich einen Film wie
'Independence Day' als unerträglich
empfinde, als technisch perfekten
Riesenwerbespot für die Air Force?"
Und schließlich: "Ist es
antiamerikanisch, wenn ich die
Außenpolitik der USA
kritisiere?" Warum sie aber ausgerechnet in der
turbulenten Geschichtsstunde nach den
Anschlägen auch die Bremserrolle der
USA bei der Klimakonferenz hervorgehoben
hat, einen diffusen Zusammenhang
herstellte, kann sie nicht schlüssig
erklären. Und dass sie sich damit
zumindest dem Verdacht aussetzte, das
Verbrechen irgendwie rechtfertigen zu
wollen, ist ihr viel zu spät klar
geworden. Missverstanden fühlt sie sich,
ungerecht behandelt, an früher
erinnert. "Wenn man in der DDR Kritik
übte, hieß es gleich: 'Du bist
gegen uns.'" "Kriegen hier Lehrer wieder einen
Maulkorb wie früher?", fragt auch
Ursula S. Die 41-Jährige, die an
einem Dresdner Gymnasium Deutsch und
Geschichte unterrichtet, fühlt sich
ebenfalls zu Unrecht angeprangert. Vor der
Wende wurde sie wegen ihrer christlichen
und politischen Überzeugungen
beargwöhnt, wegen ihrer
Zugehörigkeit zur evangelischen
Kirche. Heute weckt sie Misstrauen, weil
sie mit einem Araber verheiratet ist. Der Vater eines Schülers habe sie
beim Kultusministerium verpfiffen,
empört sie sich. "Er hätte
direkt zu mir kommen, offen mit mir reden
können. Aber nein, hintenrum, wie
früher." Hintergrund: Am Tag nach dem Terror
wird der Lehrerin eine brisante Frage
gestellt. "Warum gibt es solchen Hass auf
die USA?", will eine Schülerin
wissen. Dazu
fällt Ursula S. mehr ein, als
ihren Vorgesetzten passt. Sie
beschreibt unter anderem den
Vietnamkrieg, dessen Schreckensbilder
sie noch aus dem DDR- Fernsehen kennt,
schildert die Atombombenabwürfe
über Hiroschima und Nagasaki,
nennt auch den Golfkrieg. Vergisst
allerdings, dass ihre elfjährigen
Schüler von alledem bisher wenig
oder nichts gehört haben, heillos
überfordert sind. "Warum haben Sie denn nicht versucht,
die Kinder selbst eine Antwort finden zu
lassen?", fragt ein Mitglied der
Untersuchungskommission,
vor die Ursula S. geladen wird. Sie sei
doch, bitte schön, zur politischen
Neutralität verpflichtet. Eine Verständigung scheint nicht
möglich."Ich bin Pazifistin, lehne
jeden Krieg ab", erklärt die
Lehrerin. "Wir sind eine wehrhafte
Demokratie", belehrt sie eine
Vorgesetzte. Obwohl sie durch die Aufregung krank
geworden ist, hat sie sich vorgenommen,
ihre Auffassungen weiterhin offen zu
vertreten. Zum Beispiel zu sagen, dass sie
die Angriffe auf Afghanistan ebenso
schlimm findet wie den Terror. Andere Lehrer am Gymnasium, durch die
Abmahnung der Kollegin
eingeschüchtert, sollen dagegen
äußerst vorsichtig geworden
sein. "Viele
denken wie ich", glaubt Ursula S. "Sie
trauen sich nur nicht mehr, es offen
auszusprechen." Related
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