Munich, Wednesday, October 18, 2000
Die unbegrenzten
Möglichkeiten der Geschichte
Eine
Versammlung von Holocaust-Leugnern in
Cincinnati -- und wie der
Pseudo-Historiker David Irving dort zum
Helden wurde DIE Nacht ist
sommerwarm und schwül, und das hell
erleuchtete Boot tuckert den Ohio hinauf,
während am Ufer die Zikaden bereits
den Beginn des Herbstes
begrüßen. Überhaupt
scheint sich das Herzland Amerikas seit
Huckleberry Finn nicht sehr geändert
zu haben; Leben scheint hier friedlich und
wohlhabend; die Welt ist weit weg. Nur
dass der Flussdampfer diesmal eine
besondere Gesellschaft mit sich
führt, die sich, mitten im seit
langem friedlichen Idyll, in den
nächsten Tagen hineinsteigern wird in
Wut, Empörung und Paranoia gegen
jene, die dieses Idyll in ihren Augen
gefährden: die amerikanische
Bundesregierung, die Medien, die Linken,
die Juden, die Weltverschwörer.
Die
ganze offizielle Geschichtsschreibung --
eine Lüge der Mächtigen,
natürlich. Doch sie, die sich
für die rechten Wahrheitssucher
halten, sie entdecken hier am Ohio wieder
einmal die Chance, sich gegenseitig ihre
vermeintlichen Wahrheiten mitzuteilen und
endlich offen auszusprechen: beim Dinner
mit David Irving. Und vielleicht ist es ja gerade diese
schwüle ländliche Sicherheit,
die eine ideale Kulisse abgibt für
jene dreitägige Convention in
Cincinnati, die sich den vollmundigen
Titel Real History 2000" gegeben hat
-- Hauptredner und Veranstalter Irving.
Jener David Irving, der vor einem guten
halben Jahr vor einem Londoner Gericht
eine viel publizierte Verleumdungsklage
gegen die amerikanische Wissenschaftlerin
Deborah Lipstadt geführt
hatte. Als einen der
gefährlichsten Vertreter der
Holocaust-Leugnung" hatte sie ihn
bezeichnet. David Irving verlor den
Prozess, über den einmal geschrieben
wurde, dort werde der Holocaust selbst vor
Gericht gestellt. Doch dieser Ausgang stört jene
Versammlung nicht allzu sehr, die sich
drei Tage lang in einem Flughafenhotel an
der Grenze zwischen Kentucky und Ohio
versammelt hat; sie wissen natürlich,
dass die offizielle Welt gegen sie steht,
wie immer. Misstrauisch sind sie also,
vorgewarnt wohl auch, dass jemand
auftaucht, den sie nicht genau kennen. Die
Presse ist nicht eingeladen, und die erste
Frage lautet: Sind Sie auch eine von
diesen sich selbst hassenden Deutschen?"
Der Veranstaltungsort wird bis zur letzten
Minute geheim gehalten; es könnte
Demonstrationen geben -- wie etwa in
Chicago, ein paar Tage vorher, als David
Irving mit ein paar Getreuen beim Essen
war. Das Restaurant wurde gestürmt,
wie er später auf der Konferenz
erzählen wird, voll Empörung
über diese faschistischen"
Aufrührer. Er, wie alle, sieht sich
als Verfolgter, ja als Märtyrer --
was alle noch mehr bestärkt in ihrer
Haltung. David
Irvings mächtige Gestalt dominiert
die Veranstaltung, während sie an
seinen Lippen hängen, wenn er
spricht, kleine Witzchen macht über
jene, die es auf ihn abgesehen haben,
jene, die Juden sind gemeint, jeder
weiß das. Und sie sind stolz auf
ihren Gastgeber, denn so nahe an das, was
man legitime Wissenschaft nennt, kommen
sie bisher nur durch David Irving --
selbst wenn er schon seit Jahren
diskreditiert ist. Revisionisten nennen sie sich selbst,
diese zumeist aus verschiedenen Teilen
Amerikas angereisten Menschen -- was den
wissenschaftlichen Anspruch ihrer Thesen
bekräftigen soll. Dass es den
Holocaust so nicht gegeben habe. Dass
Menschen zwar starben, aber so sei das nun
mal im Krieg. Dass es die Gaskammern nicht
gegeben habe. Dass Hitler nichts
davon gewusst habe. Holocaust-Leugner
werden sie von denen genannt, die sich
immer mehr Sorgen machen um den
zunehmenden Einfluss, den sie haben. Ein
Einfluss, der sich, befürchten
manche, schon subtil in den amerikanischen
Universitäten breit macht, der durch
rechtsradikale Publikationen wie den
Journal of Historical Review oder den
Barnes Report in pseudowissenschaftlicher
Verkleidung in die Welt getragen wird. Dies sind keine grölenden, dumpfen
Neonazis oder Skinheads. Ihre extremen
Ansichten verbergen sich hinter
gutbürgerlichen Gebahren,
Geschäftsleute sind darunter,
Computeringenieure, brave Angestellte,
Militärs a.D; viele
Deutschstämmige, man hört es am
Akzent, auch Germanophile; und nicht alle,
meint ein langjähriger Beobachter des
Simon-Wiesenthal
Centers, sind unbedingt bewusste
Antisemiten. Mancher
Teilnehmer hat sich von diesem
seriösen Auftreten täuschen
lassen, wie jener Anwalt und
Hobbyhistoriker aus dem Midwest,
[Mark
Antonacci, links] der
über seine Theorien über das
Turiner Grabtuch reden soll und entsetzt
ist, als er erkennt, wo er da
hineingeraten ist. Wie jener junge Mann,
der zunächst wieder abreisen will und
dann doch über britische Diplomatie
am Vorabend des Weltkrieges spricht -- und
seinen Vortrag in einer Eloge auf
Winston Churchill beendet, bewusst
und zornig, denn Churchill gilt jenen wie
Irving als kriegstreiberischer
Bösewicht. Und damit haben er wie andere genau das
getan, wonach sich die
Revisionisten" so sehnen: zu
diskutieren. Die Thesen gleichwertig
nebeneinander zu stellen. Die
Revisionisten wollen ernstgenommen werden
im wissenschaftlichen Diskurs, ihre
Version der Geschichte als
Gegen-Erzählung" publik zu
machen. Den echten Historikern haben sie
einen Namen gegeben, so, als ob es sich
einfach um Vertreter einer anderen
Denkschule handeln würde:
Exterminationisten. Den
Holocaust-Leugnern geht es nicht um heute
oder morgen", sagt der Mann vom
Wiesenthal-Center, denen geht es
darum, wie Geschichte in hundert Jahren
erzählt wird. Wenn keine Zeitzeugen
mehr da sind, wenn keiner mehr dabei war,
um zu berichten, wie es wirklich war."
Wenn also ihre Variante zumindest als
Möglichkeit akzeptiert wird. Und
genau das sei es, was Holocaust-Leugner
langfristig so gefährlich macht. Holocaust-Leugner gibt es in Europa
zuhauf, doch in den meisten Ländern
macht sich strafbar, wer zum Rassenhass
aufruft. In Deutschland ist, aus gutem
Grund, auch die Auschwitz-Lüge
verboten. In Amerika, land of the free,
darf nach dem First Amendment, dem ersten
Verfassungszusatz, auch solches
ausgesprochen werden. Man ist stolz auf
diese Freiheit. So stolz, dass man selbst
solche für Europäer
erschreckende Sätze und Meinungen
hinzunehmen bereit ist wie jene bei
Real History". Und
so überzeugt von der Richtigkeit,
dass der Autor und Journalist John
Sack zum gemeinsamen Abendessen eine
ironische Ansprache hält über
die Wissenschaft der Ignoranz". John
Sack sagt selbst, dass er als token Jew,
als Vorzeigejude", geladen ist, und
er hört sich die Redner an, die
mittels wirrer chemischer Befunde
nachzuweisen versuchen, dass es in
Auschwitz
keine Gaskammern gab. Er tut das, weil er
an die unbedingte Freiheit des Wortes
glaubt, auch wenn er die Meinung
dieser Leute nicht teilt". Noam
Chomsky hat vor vielen Jahren einmal
etwas Ähnliches getan, getrieben
durch denselben uramerikanischen Glauben,
als er ein Vorwort für den
rechtsradikalen französischen
Holocaust-Leugner Robert Faurisson
schrieb. Und so sagt nun John Sack, man
solle doch anhören, wie es Germar
Rudolf ergangen sei, dort, in
Europa. Germar Rudolf jagen" heißt
dessen Vortrag, angekündigt als
die Angst einflößende
Erfahrung, sich als Ziel einer
orchestrierten europäischen
Menschenjagd wiederzufinden". Germar
Rudolf ist in Deutschland verurteilt
worden, als ein unverbesserlicher Neonazi
und Auschwitz-Lügner; er hat, in der
Tradition eines Fred Leuchter,
wissenschaftlich" die Gaskammern
geleugnet. In Cincinnati stilisiert er
sich zum Unschuldigen, dem ein
Unterdrückerregime alles genommen
hat, Arbeit, Familie, Leben. Ein
Märtyrer ist er hier, wie David
Irving, wie sich alle hier ein wenig
fühlen, und nach gut amerikanischer
Sitte wird spontan eine Spendenaktion ins
Leben gerufen für diesen Mann, den
verfolgten Wissenschaftler. Nach
Wissenschaft lechzen sie alle hier, jeder
noch so absurde Beweis genügt ihnen
für das, woran sie unbedingt glauben
wollen. Eine Minderheit sind solche wie diese
auch in Amerika; sie werden beobachtet,
nicht aber verfolgt. Glücklich, aber
vielleicht nicht zufälligerweise, ist
dieses Land, das sich eine solche Freiheit
tatsächlich leisten kann. PETRA
STEINBERGER If
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