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DIE britischen Zeitungen dagegen waren sich keineswegs einig über ihre Reaktion auf Finkelsteins provokante Thesen und widersprachen sich sogar selbst. Am heftigsten war die Debatte im linksliberalen Guardian, der zuerst zwei gekürzte Kapitel des Buches an zwei aufeinander folgenden Tagen abdruckte, danach Finkelstein als einen 'Juden, der keine Juden mag' bezeichnete und ihn mit dem revisionistischen Publizisten David Irving verglich.

 

Berliner Zeitung

Berlin, Friday, August 11, 2000


http://www.berlinonline.de/aktuelles/berliner_zeitung/.html/11artik70.html

 

Dachau meets Disneyland

Das für ein amerikanisches Publikum geschriebene Buch von Norman Finkelstein über die "Holocaust-Industrie" provoziert in Deutschland große Missverständnisse

von Philipp Blom

MIT einem kleinen Buch hat der Historiker und Rechtstheoretiker Norman Finkelstein einen großen Sturm entfacht. Bei seiner Veröffentlichung in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten Ende Juli trieb dieser Sturm alle großen Blätter vor sich her. Die Medien in Großbritannien konnten von "The Holocaust Industry - Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering" kaum genug bekommen. Und nachdem die amerikanischen Zeitungen, zuerst, wie der Londoner Verlegers Colin Robinson vom Verso-Verlag formulierte, mit "ohrenbetäubendem Schweigen", reagierten, veröffentlichte die "New York Times" am vergangenen Wochenende einen scharfen Verriß des Historikers Omer Bartov.

IrvingDie britischen Zeitungen dagegen waren sich keineswegs einig über ihre Reaktion auf Finkelsteins provokante Thesen und widersprachen sich sogar selbst. Am heftigsten war die Debatte im linksliberalen Guardian, der zuerst zwei gekürzte Kapitel des Buches an zwei aufeinander folgenden Tagen abdruckte, danach Finkelstein als einen "Juden, der keine Juden mag" bezeichnete und ihn mit dem revisionistischen Publizisten David Irving (rechts) verglich.

Missbrauchtes Andenken

In seiner nur 150 umfassenden Publikation vertritt Finkelstein die These, das Legat des jüdischen Leidens und das historische Ereignis des nationalsozialistischen Völkermordes an den Juden werde von einer amerikanisch-jüdischen Elite zur Förderung ihrer eigenen Zwecke missbraucht. Eine "Holocaust-Industrie" vermarkte und missbrauche das Andenken der Opfer. Diese Elite, zu der der Autor den World Jewish Congress, das Simon Wiesental Center und andere Körperschaften zählt, missbrauche das Leiden der Opfer des Holocaust, um sich zu bereichern, indem sie Geld von Schweizer Banken und der deutschen Industrie "erpresse" und mache sich und den Staat Israel durch Erhaltung des jüdischen Opferstatus und des "Dogmas" der Einzigartigkeit des Holocaust gegen alle Kritik moralisch immun. Finkelstein polemisiert gegen die angeblich überhöhten Opferzahlen, spricht von Reparationsmissbrauch und hält die Schätzung des jüdischen Vermögens bei Schweizer Banken für übertrieben.

Keine dieser Ideen ist neu, nur stammen sie normalerweise von denjenigen, die ihre antisemitischen Vorurteile hinter sachlichen Bedenken verstecken wollen. Deshalb ist es der bedenklichste Aspekt dieses Buches, dass er diesen unbelehrbaren Kreisen ein gefundenes Fressen bietet. Finkelstein ist sich dieser Tatsache bewusst, wenn auch niemand ihn der Riege der Holocaust-Leugner oder Antisemiten zurechnen kann. Seine Eltern waren im Warschauer Getto und in Vernichtungslagern, und seine gesamte restliche Familie wurde von den Nazis ermordet.

Auf die Frage nach der Motivation, die dieser Polemik unterliegt, antwortet Finkelstein:

"Meine Kritik erstreckt sich auf drei Ebenen: persönlich an einer Industrie, die das Leiden meiner Eltern ausgebeutet und entwertet hat, politisch an einer Industrie, die dieses Leiden für niedere Zwecke missbraucht, und historisch, weil ich nicht glaube, dass man von dieser Erfahrung lernen kann, solange man innerhalb der Dogmen der Holocaust-Industrie operiert - Dogmen, die nach politischen Zielen errichtet worden sind und die verhindern, dass man historische oder moralische Lehren ziehen kann."

Finkelstein ist weit davon entfernt, sich rechten Kreisen in den Vereinigten Staaten und in Europa als Vorzeigejude anzubiedern. Es geht ihm um die Gedenkkultur des (amerikanischen) Judentums selbst. Die Argumente seines Buches artikulierte Finkelstein zuerst in einer Rezension über Peter Novicks "The Holocaust and Modern Memory" in der London Review of Books am 6. Januar 2000. Novicks fundiertes und sorgfältig argumentierendes Buch artikuliert ein Unbehagen angesichts der politischen Instrumentalisierung des Holocaust in den Vereinigten Staaten. Obwohl fern von den USA und ohne amerikanische Beteiligung geschehen, sei der Holocaust doch im Bewusstsein Amerikas zum definierenden Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts aufgestiegen und werde durch universitäre Lehrstellen, Museen und Erziehungsprogramme weiter verstärkt. Der Ursprung dieser politisierten Erinnerungskultur liegt nach Novick im Jahr 1967, als die Juden Amerikas während des Sechstagekrieges begriffen, wie unsicher die Existenz des Staates Israel war und dass seine Position durch ein bewusstes Verankern des Holocaust in der amerikanischen Kultur gestärkt werden könne.

Amerikas Außenpolitik

Finkelstein stimmt dem nicht zu. Zwar sei das Datum richtig, der Grund aber sei nicht bei den amerikanischen Juden zu suchen, sondern in der amerikanischen Außenpolitik, die Israel auf Grund des schnellen und erfolgreichen Krieges gerade als starken Bündnispartner sah und sich entschloss, den jungen Staat zu unterstützen. Diese politische Neuorientierung wurde durch die Ereignisse des Holocaust gerechtfertigt und gab jüdischen Organisationen in den Vereinigten Staaten bislang ungekannten Einfluss in Washington, argumentiert er. Diese Rechtfertigung aber stütze sich auf eine Opferidentität aller Juden und auf eine Konzeption des Holocaust als singuläres historisches Ereignis.

Die historische Einzigartigkeit des Holocaust zu bezweifeln ist ein Sakrileg nicht nur im jüdischen Kontext. Auch in Deutschland rührt dies an den Gründungsmythos des deutschen liberalen Nachkriegsgewissens. Finkelstein geht es nach eigenem Bekunden darum, dem Leiden seiner Eltern und seiner Familie einen Sinn abzugewinnen. Aber Finkelstein ignoriert, dass die Unmöglichkeit dieser Sinnfindung, ja die Unmöglichkeit jedes Verstehens und konstruktiven Umgehens mit

Ausbeutung jüdischen Leidens?

  • Der Konflikt: Der amerikanische Politologe Norman Finkelstein hatte in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung" vom 29. Januar 2000 behauptet, die Jewish Claims Conference argumentiere bei den Entschädigungsverhandlungen für NS-Zwangsarbeiter mit falschen Zahlen und Ansprüchen. Die Jewish Claims Conference hatte sämtlichen Äußerungen Finkelsteins widersprochen.
  • Das Buch: Jetzt hat Norman Finkelstein seine Thesen in dem Buch "The Holocaust Industry - Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering" ausgeführt. Es ist im Verso-Verlag (London/New York) erschienen und kostet 16 Pfund.
  • Der Autor: Finkelstein wurde 1953 in New York als Sohn jüdischer Eltern geboren. Seine Eltern waren in KZ-Haft, seine übrige Familie wurde von den Nazis fast vollständig ausgerottet. Finkelstein, der in New York Politische Wissenschaften lehrt, hatte sich bereits als vehementer Kritiker von Daniel Goldhagen hervorgetan.

dem Holocaust ein zentrales Moment in einer historiografischen Tradition ist, die sich auf deutscher Seite von Adorno bis zu Henryk Broder und Dan Diner zieht. Finkelstein geht nicht auf diese deutsche und nicht politisch motivierte Tradition ein, da er sein Buch für eine amerikanische Leserschaft geschrieben hat. "Ich habe mein ganzes Leben hindurch versucht," sagt er im Gespräch, " dem Leiden meiner Eltern einen Sinn zu geben. Nicht, dass sie für irgendeinen Sinn gelitten hätten, sondern dass es möglich ist, historische Lehren zu ziehen, allerdings nur, wenn man den Holocaust nicht mystifiziert und zu einem außerhistorischen Ereignis macht, sondern wenn man ihn historisch kontextualisiert."

Aus deutscher Perspektive ist es bedauerlich, dass Finkelstein nicht weiter auf Konzepte wie Diners "Zivilisationsbruch" eingeht. Hier wäre beispielsweise zu überlegen, ob nicht die tiefe Verankerung der Unvergleichbarkeit und Unverstehbarkeit von Auschwitz, der "Black Box" in der deutschen Geschichte, wie Diner es nennt, auch aus einem pervertierten deutschen Erwähltheitsbewusstsein in der Tradition von Hegel und Fichte (und später wohl auch Adorno) stammt: Wenn ein solches Verbrechen im Land der Dichter und Denker geschehen konnte, in einer Kultur, in der der Humanismus seinen philosophischen Höhepunkt erfuhr, dann ist es ein monströseres Verbrechen, als wenn andere, weniger zivilisierte Kulturen Völkermord begehen.

Sakralisierte Erinnerungskultur

Es ist verständlich, dass Finkelsteins besondere Verachtung denen gilt, die das, was er die "Mythologisierung des Holocaust" nennt, weiter verbreiten, allen voran Elie Wiesel, dem "Hohepriester der Sakralisierung des Holocaust". Wiesel, so Finkelstein, sei ein betrügerischer Phantast, dessen Autobiografie teilweise rein fiktiv sei und der sehr bequem davon lebe, das Mysterium des Holocaust in aller Welt zu verkünden - "für eine Standard-Gebühr von 25 000 Dollar plus Wagen und Chauffeur".

"Die ergreifendsten Holocaust-Memoiren", sagt Finkelstein, "sind direkt nach dem Krieg geschrieben worden, von Menschen wie Viktor Frankl und Primo Levi. Vieles von dem, was nach 1967 kam, war von der Ideologie der Unvergleichbarkeit beeinflusst, die begann, die Debatte zu dominieren."

Es fällt Finkelstein leicht, die Absurditäten dieser "sakralisierten Erinnerungskultur" aufzuzeigen, so etwa die Affäre um Binjamin Wilkomirskis biografische Bruchstücke oder um Daniel Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker", zu dessen wichtigsten Kritikern Finkelstein gehörte. Die Tatsache, dass solche Publikationen ernst genommen werden, sieht Finkelstein als Indiz für das fehlende kritische Denken in einer Kultur, die er als "Dachau meets Disneyland" bezeichnet und die einen ihrer prominentesten Interpretationsträger in Steven Spielberg gefunden habe.

In der Tat ist Auschwitz längst nicht nur zu einer kulturellen Chiffre für das ultimativ Böse geworden, sondern auch zu einer Touristenattraktion mit Souvenirs und Reisebroschüren, bei der Brillenberge von Museen so rekonstruiert werden wie sonst nur Barock-Interieurs: Der Holocaust ist Handelsware und Machtbasis, und die Industrie der Kuratoren, Gelehrten und Interpretatoren hat sich stark etabliert. Angesichts des internationalen Konferenzbetriebes stellte ein deutscher Journalist einmal die ironische Frage: "Sagen Sie, gibt es bei Auschwitz eigentlich schon ein Hilton?"

Vieles von dem, was Finkelstein hier vorbringt, ist nicht neu und war von anderen Autoren, unter ihnen Peter Novick, Raul Hilberg und Tim Cole, in einem ausgewogeneren Ton vorgebracht worden. Dies ist auch der zentrale Kritikpunkt an diesem Buch: Der persönliche Zorn des Autors verzerrt seine Argumente.

Was im englisch-amerikanischen Kontext ein überzeichneter Beitrag zu einer längst stattfindenden Diskussion ist, liest sich im deutschen Kontext wie ein verbaler Anschlag auf die Ultima Ratio der Bundesrepublik. Wenn Finkelstein etwa über den Umgang mit Erinnerung schreibt: "Der Holocaust war eine Strategie, jede Kritik an Juden zu entlegitimieren: So eine Kritik konnte nur antisemitisch motiviert sein", und wenn er dann verlangt, diese "Immunität von aller Kritik" aufzuheben, dann klingt das in Amerika völlig anders als in Deutschland. In den Vereinigten Staaten gilt diese Kritik einer politisch wichtigen Elite und einem tragenden Moment von Washingtons Nahostpolitik. In Deutschland, wo der Satz nur vor dem Hintergrund gelesen werden kann, dass eben diese Bevölkerungsschicht weitgehend ermordet oder vertrieben worden ist, klingt diese Äußerung wie ein Angriff auf eine Minderheit von Überlebenden.

Leiden der Menschheit

Finkelsteins Buch hat einen sehr persönlichen Hintergrund. Wer mit dem Autor spricht, bemerkt bald, wie viele Sätze er mit Formulierungen wie "Meine Mutter sagte immer ..." beginnt. Diese Mutter konnte sich geistig nie aus ihrer Lagerhaft befreien, und der Sohn zog daraus eine Lehre: "Die Zeit ist längst gekommen, unsere Herzen dem Leiden der gesamten Menschheit zu öffnen. Das ist das, was ich von meiner Mutter gelernt habe. Ich habe sie nie sagen gehört: Du sollst nicht vergleichen. Meine Mutter verglich immer. Historische Unterschiede müssen ohne Zweifel gemacht werden, aber die moralische Unterscheidung zwischen ,ihrem" Leiden und ,unserem" ist selbst eine moralische Perversion."


Norman Finkelstein's website: www.normanfinkelstein.com
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