Berlin, Tuesday, January 23, 2001
Politisches Buch
Ein Sieg für die
freie Rede
Eva
Menasse war die Starreporterin beim
David-Irving-Prozess in London. Ihr Buch darüber
lohnt, trotz einiger Schwächen, der Lektüre
-- meint der Prozessgutachter und Irving-Gegner
Richard J. Evans
von RICHARD J. EVANS
VERMUTLICH
sollte ich mir nichts daraus machen, wenn Eva
Menasse mich als "kleinen, ganz und gar
unauffälligen Mann" beschreibt. Schließlich
ist das bei weitem nicht so unhöflich wie die
Adjektive, mit denen mich David Irving auf seiner
Website bedenkt -- dort führt er mich mit dem Logo
eines Stinktiers ein. "Ekelhafter kleiner Waliser" ist
noch die harmloseste Bezeichnung. Was haben all diese
Leute nur mit der Größe? Wenn ich nach Wales
komme, rage ich unter den Einheimischen immer noch
hervor. Ich bin Eva Menasse nie begegnet, aber ich stelle
sie mir jetzt als eine Art Riesin vor, auch wenn mir auf
den Pressebänken beim Prozess niemals
ungewöhnlich große deutsche Frauen aufgefallen
sind.
Eva Menasse war die Starreporterin im Irving-Prozess.
Als im letzten Jahr der britische Schriftsteller gegen
die amerikanische Wissenschaftlerin Deboarah Lipstadt
Klage erhob, weil sie ihn als Holocaust-Leugner und
Verfälscher der historischen Quellen bezeichnet
hatte, war Menasse die gesamten drei Monate des
Verfahrens im Gerichtssaal anwesend. Ihre Berichte
für die Frankfurter Allgemeine waren damals die
einzigen, die eine Lektüre lohnten, und sie bilden
-- mehr oder weniger unverändert -- den Kern ihres
Buches. Sie vermitteln auf glänzende Weise die
Atmosphäre des Gerichtssaals und die seltsame
Mischung aus Absurdität und Ernst, von der das
Verfahren geprägt war.
Die britischen Reporter kamen nicht damit zurecht,
dass das Verfahren in erster Linie von historischen
Dokumenten in deutscher Sprache bestimmt war. Sobald ich
den Zeugenstand betrat, verloren sie das Interesse.
Irving, der sich ohne anwaltliche Hilfe selbst vertrat,
versuchte nach Kräften, mein
Gutachten zu diskreditieren, in dem ich mich damit
auseinander gesetzt hatte, wie manipulativ er historische
Dokumente in seinen Büchern und Reden verwendet.
Hatte er zum Beispiel behauptet, Hitler habe am 30.
November 1941 befohlen, "die Juden nicht zu vernichten",
fand ich heraus, dass er sich dabei auf
einen Eintrag in Himmlers Telefonprotokoll bezogen
hatte, bei der es lediglich um eine einzelne Zugladung
mit Juden "aus Berlin" ging; Himmler hatte -- eine halbe
Stunde vor einer Begegnung mit Hitler -- Heydrich
angerufen, um das Massaker an ihnen in Riga aufzuhalten.
Die Behauptung, der Befehl sei vom "Führer"
gekommen, war also eine reine Erfindung Irvings.
Bei meinen Untersuchungen entdeckte ich in Irvings
Werk zahlreiche derartige
Verzerrungen. Am Ende des Verfahrens akzeptierte der
Richter meinen Befund: David Irving hat
all die Dokumente
manipuliert und verfälscht, mit denen er seine
bizarre Ansicht begründet, Hitler sei "der beste
Freund gewesen, den die Juden im Dritten Reich hatten",
und in Auschwitz
habe es keinerlei Gaskammern gegeben. Der Richter kam zu
dem Ergebnis, dass Deborah Lipstadt im Recht sei.
Was hatte das alles zu bedeuten? Hier ist Menasses
Buch nicht ganz so zufrieden stellend. Sie beschreibt
Irving und Lipstadt in fast gleichwertigen Begriffen --
der eine voll leidenschaftlicher Feindschaft
gegenüber Israel und den Juden, die andere eine
politisch engagierte "jüdische Aktivistin vom
amerikanischen Schlag". Tatsache bleibt jedoch, dass
Lipstadt dieses Verfahren in erster Linie nicht als Teil
eines politischen Kreuzzugs führte. Sie hatte keine
andere Wahl. Hätte sie zugegeben, im Unrecht zu
sein, hätte sie damit ihre wissenschaftliche
Karriere zugrunde gerichtet und der Kritik an den
anstößigen Fantasien der Holocaust-Leugner in
Großbritannien ein Ende gemacht. Ihr Buch wäre
aus dem Verkehr gezogen und eingestampft worden, und sie
wie ihre Verleger hätten versprechen müssen,
niemals wieder ähnliche Anschuldigungen zu erheben.
Man hätte nicht mehr argumentieren können, dass
die Leugnung des Holocaust sich auf die Verfälschung
der Belege gründet. Somit endete das Verfahren nicht
mit einem Sieg für jüdische Aktivisten, die die
Kontrolle über die Diskussion des Holocaust bewahren
wollen -- es war vielmehr ein Sieg für die freie
Rede und eine Rechtfertigung der Geschichtswissenschaft,
ein Sieg für die offene und kritische Diskussion
historischer Themen.
Eva Menasses Buch wird vermutlich als minuziöser
Bericht über den Ablauf des Verfahrens nicht
seinesgleichen finden. Es ist immer fesselnd und
häufig hochunterhaltsam. Aber Menasse hat auch ein
falsches Gleichgewicht zwischen den beiden Hauptfiguren
hergestellt. Denn Deborah Lipstadts Buch, gegen das
Irving klagte, ist, bei allem Engagement, ein sauberes
wissenschaftliches Werk. David Irvings Werk dagegen ist,
wie das Verfahren nachwies, ein Gewebe aus
Fälschungen und Manipulationen, das mit der wahren
Geschichtswissenschaft nicht das Geringste zu tun
hat.
Eva
Menasse: "Der Holocaust vor Gericht. Der Prozess um
David Irving." Siedler Verlag, 2000, 192 S., 29,90
DM
taz Nr. 6353 vom 23.1.2001,
Seite 16, 163 Zeilen Kommentar RICHARD J. EVANS ,
Rezension
Richard J.
Evans lehrt Geschichte in Cambridge.
Er
war der wichtigste Gutachter der Verteidigung
beim Verleumdungsprozess, den David Irving vor
dem High Court in London gegen Deborah Lipstadt
angestrengt hatte. Irving verlor, seine Berufung
im Dezember [2001] wurde abgelehnt. Von
Evans erschien zuletzt auf Deutsch "Fakten und
Fiktionen. Über die Grundlagen historischer
Erkenntnis", sein Buch zum Irving-Verfahren
kommt im August bei Campus heraus.
taz Nr. 6353 vom
23.1.2001, Seite 16, TAZ-Bericht |