Saturday, September 13, 2003 Zum
Tode Leni Riefenstahls Eine
Shakespeare-Gestalt im Mythos des
zwanzigsten Jahrhunderts" von Werner
Bräuninger WENN
Hans Jürgen Syberberg
anläßlich des Todes von
Winifred Wagner mutmaßte,
diese sei eine Shakespeare-Gestalt
im Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts"
gewesen, so trifft dies in weitaus
höherem Maße noch auf Leni
Riefenstahl zu. Doch der Vergleich mit
Winifred Wagner geht trotzdem ins Leere,
eher schon lassen sich Parallelen zum
Schicksal des Bildhauers Arno
Breker erkennen, dessen Werke nach
1945 von den Alliierten zu neunzig Prozent
zerstört wurden und dessen Person und
Werk seither einer ungeheuren Verfemung
unterworfen waren. So auch bei der
Filmkünstlerin Leni Riefenstahl, die
gleichfalls über Jahrzehnte die
subtilen Mechanismen moderner Hexenjagden
erfahren musste. Helene (Leni") Riefenstahl wurde
1902 in Berlin geboren und machte sich als
Schülerin von Mary Wigman
bereits früh einen Namen als
Solotänzerin, bis eine Verletzung
diese Karriere jäh beendete. Als
Hauptdarstellerin in Arnold Fancks
Bergfilmen wurde sie einem
größeren Kinopublikum bekannt,
bis sie mit dem Film Das blaue
Licht" ihr eigenes Debüt als
Regisseurin gab. Die Handlung legte ihre
starke Affinität zu allem
Märchenhaften und Mythischen offen,
aber auch zu Schönheit, Harmonie und
Kraft. Zu ihrem lebensbestimmenden
Schicksal wurde aber ihre Begegnung mit
Adolf Hitler und ihrer
Dokumentation Triumph des Willens",
jenem Film über den Reichsparteitag
der NSDAP in Nürnberg 1934, welcher
bis heute immer wieder herangezogen wird,
um den schönen Schein" des
Dritten Reiches und dessen angebliche
Realität darzustellen, doch wird in
dem Film nicht ein einziger Satz
gesprochen, die Riefenstahl zeigte
lediglich, wie es eigentlich
gewesen", ließ nichts weg - und
fügte nichts hinzu. Ihre Gegner erklärten bis in
unsere Zeit immer wieder, es sei ihr immer
nur um den Sinn der Tage", um
heroischen Stil" und inneren
Rhythmus" gegangen. Triumph des
Willens", das Motto stammt von Hitler, ist
ein Meisterwerk der Filmkunst und in
Technik, Modernität und Ästhetik
bis heute unübertroffen. Es gelang
Leni Riefenstahl einen unmittelbaren Bezug
herzustellen zwischen dem alten,
romantischen Nürnberg und der neuen
Zeit, in die Adolf Hitler die Deutschen
gerade zu führen sich anschickte. So
schwebt dieser denn auch zu Beginn des
Films in seinem Flugzeug wie ein
Erlöser zu seinem Volke auf die Erde
nieder. Leni Riefenstahl fungierte
gleichsam als magisches Auge" des
Geschehens, welches sie zu gültigen
Bildern komponierte. Der Reichsparteitag
selbst, mit seiner pontifikalen
Prachtentfaltung und all den
Fahnenwäldern, Marschkolonnen und
Fanfaren wurde nicht von Leni Riefenstahl
inszeniert; sie fand ihn vor &endash; und
filmte ihn mit ihrem Genie als ein
Ereignis aus Masse, Licht, Symmetrie und
tragischem &endash; deutschen &endash;
Lebensgefühl. Ohne diesen Film wüssten wir
weitaus weniger über die Begeisterung
und die Erwartungshaltungen, welche der
Nationalsozialismus zu entfachen imstande
war und die die Menschen auf den
Führer" richteten . In den
Reichsparteitagen als
Hochämtern der Bewegung"
feierte die Partei die Versöhnung von
Kunst und Politik. Betrachtet man die
Bilder vom Amtsantritt Francois
Mitterands 1981, so steht
unzweifelhaft fest: Sie haben gelernt bei
Leni Riefenstahl. Kaum war der Rausch von Nürnberg
verflogen, schuf sie ihre Filme über
die Olympiade in Berlin 1936, abermals mit
einem nie gesehenen technischen Aufwand.
Und wiederum suchte sie die Verbindung von
Tradition und Gegenwart; jene Sequenz, in
welcher der deutsche Zehnkämpfer
Erwin Huber sich herauslöst
aus der statischen Figur des Diskuswerfers
von Myron und Bewegung wird",
gehört wohl zu den eindrucksvollsten
Szenen der Dokumentarfilmgeschichte und
ist einer der großartigsten Beweise
für das Genie der damals
34-jährigen Regisseurin. Sowohl
für den Parteitagsfilm, als auch
für Olympia" wurde sie mit
Preisen aus dem Ausland
überhäuft. Es kann mit großer
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass
Leni Riefenstahl nur sehr wenige
Kenntnisse von der nationalsozialistischen
Weltanschauung gehabt hat oder die
Absichten der NS-Führung in ihrer
ganzen Vehemenz erkannte; vielmehr war sie
als Künstlerin fixiert auf die Person
Adolf Hitlers und der sinnlichen
Komponente seiner Politik, von der sie
fasziniert war, wie besonders ihr
enthusiastisches Telegramm nach dem Sieg
über Frankreich verdeutlicht. Soll
man dies in der Retrospektive naiv nennen
in einer Zeit, in der sich die
Geschichte in einem Menschen zu
verdichten" schien und in dem die
Staatsmänner des Auslandes dem
Führer Deutschlands ihre Referenz
erwiesen, mehr, als dies von ihnen
hätte erwartet werden
können? Im Moment der Niederlage ihres Idols
schwand aber auch der Nimbus der
Riefenstahl. Hier bestätigte sich die
Theorie des Psychologen Gustave Le
Bon, aber auch die Voraussagen vom
Ende charismatischer Herrschaft",
wie sie Max Weber konstatierte:
Der Held, dem die Masse gestern
zujubelte, wird morgen von ihr angespieen,
wenn das Schicksal ihn schlug". Alle
Projekte Riefenstahls mussten vorerst auf
Eis gelegt werden, so auch ihr Film
Tiefland" und ein Vorhaben einen
Film über die Beziehung Friedrichs
des Großen zu Voltaire zu
machen. Filmsujets von ihr nahm nach 1945
keiner mehr an, sie unterlag einer
vollkommenen und perfekten Ausgrenzung und
Isolierung, was de facto einer moralischen
Hinrichtung gleichkam. Für sie selbst
waren ihre Werke Zeugnisse autonomer
Kunst, jenseits von Kunst und Macht. Also
verlegte sie sich auf eine Laufbahn als
Fotografin. Als sie in den 70er Jahren
ihre Fotos der im Süd-Sudan lebenden
Nuba von Kau veröffentlichte, wurde
sie von Susan Sontag eines
unbelehrbaren Körperkults"
geziehen, sie sei faschistischer als
faschistisch". In immer wieder gleichen
Ritualen der Anklage um die Frage ihrer
vermeintlichen Schuld" betonte sie
stets keine Propaganda-, sondern
Dokumentarfilme im Dritten Reich gedreht
zu haben. Auch warf man ihr die
Bevorzugung des Primats der Form vor den
Inhalten vor. Da halfen ihr denn auch so
prominente Fürsprecher, wie Mick
Jagger, Francis Ford Coppola, Helmut
Newton, Andy Warhol, Siegfried &
Roy oder Reinhold Messner nur
wenig. Die bis zum Überdruß
beklagte Unfähigkeit zu
trauern" wurde bevorzugt an Leni
Riefenstahl abgearbeitet", da diese
sich mangels einer einflussreichen Lobby
kaum dazu in der Lage sah, sich derartiger
Angriffe zu erwehren. Sie, der man
permanent vorwarf, sie habe durch ihre
berauschten Bilder die Menschen
verführt, beteuerte in letzter Zeit
allerdings nun ihrerseits, sie sei selber
Opfer des Verführers"
geworden. Das von ihr erwartete eindeutige
Schuldbekenntnis" verweigerte sie
jedoch zeitlebens, ähnlich wie
Ernst Jünger es tat.
Allenfalls gestand sie ein, das
Dämonische" in Hitler zu
spät erkannt zu haben. Sie wisse
nicht, wofür sie sich entschuldigen
solle, betonte sie gegenüber einem
Heer aufdringlicher Talker" mit
aufgebrachter Gestik, von denen nur die
Namen Willemsen und Maischberger genannt
sein sollen. Man darf gespannt sein, wie
nach einer etwaigen Implosion der
Bundesrepublik die Verlautbarungen ihrer
unerbittlichsten Kritiker aussehen werden,
wenn sie nach ihrem Engagement befragt
werden sollten. Vielleicht werden sie sich
dann an die Penetranz erinnern, mit der
sie, versehen mit der Gnade der
späten Geburt", Leni Riefenstahl
wieder und wieder auf den Triumph
des Willens" angesprochen haben. Denn es
ist verhältnismäßig leicht
kein Nationalsozialist zu sein, wenn es
keinen Hitler gibt. Mit 72 Jahren erlernte Riefenstahl das
Tauchen und fotografierte fortan die
Unterwasserwelt. Selbst einen
Hubschrauberunfall 1997 im Sudan
überlebte sie nur leicht verletzt.
Ihr letzter Film Impressionen unter
Wasser", erwarb sich selbst in Deutschland
große Anerkennung; leider wurde er
mit den seichten Rhythmen von Giorgio
Moroder unterlegt, wo sich etwa
Rauschfaktor" oder Trance besser
geeignet hätten. In den letzten
Jahren erschienen zahlreiche
Riefenstahl-Monographien, von denen die
Rainer Rothers oder Jürgen Trimborns
nur die bekanntesten sind. Die Verwendung
Riefenstahlscher Filmästhetik und
ihrer Kameraeinstellungen in den
Werbestrategien großer Konzerne oder
Musikvideos machte sie zu einem Teil
moderner Pop-Kultur. So wurde die
Riefenstahl auch zu einer Ikone des
ästhetisch orientierten Teiles der
Neuen Rechten. Man betreibt also
keinesfalls Understatement wenn man
behauptet, dass seit Mitte der 90er Jahre
eine regelrechte
Riefenstahl-Renaissance" ihren
Einzug gehalten hat. Erst mit dem Nimbus
der 100-jährigen wuchs das Interesse
an ihren Arbeiten, ohne dass stets an ihre
Rolle im Staate Adolf Hitlers erinnert
wird. Dies zeigen die Fotoausstellungen
der letzten Zeit, die auch ohne
hämische Untertitelungen und
Kommentare auskamen. Zunehmend wird ihr
Werk historisiert und ihre exzeptionelle
Rolle, auch als Frau in einer von
Männern dominierten Welt,
gewürdigt. Geplagt von unerträglichen
Rückenschmerzen und den Folgen einer
Krebsoperation verstarb Leni Riefenstahl,
kurz nach ihrem 101. Geburtstag, am 08.
September 2003 in ihrem Haus in
Pöcking am Starnberger See. Es bleiben Leni Riefenstahls
unstrittige Meisterschaft, ihre
fließenden Bilderfolgen , ihre
Dynamisierung des Raumes und eleganten
Montagen. Der Platz im Pantheón der
Filmgeschichte ist ihr gewiss. www.geheimes-deutschland.de Related items on this website -
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