Hamburg, 41/2002, October 4,
2002
A N T I -T E R R O R
Tür an
Tür mit Mohammed Atta
Von Oliver Schröm
Tödliche
Fehler US-Ermittler wussten von geplanten
Terroranschlägen, ließen die
Verdächtigen aber gewähren. Es
mehren sich die Hinweise, dass CIA und FBI
den Angriff auf Amerika hätten
verhindern können
Washington, D. C., 11. September 2001.
Vor wenigen Stunden haben 19 Terroristen vier
Passagierflugzeuge entführt und zwei davon
in die Türme des World Trade Center
gesteuert, das dritte stürzte ins Pentagon,
und das vierte zerschellte auf einem Acker im
Bundesstaat Pennsylvania.
An den Unglücksorten suchen
Feuerwehrleute nach Überlebenden, als
Präsident George W. Bush bereits
verkündet, wer hinter den Anschlägen
steckt: Osama bin Laden.
Tatsächlich? Stimmen werden laut, die
Beweise fordern. Außenminister Colin
Powell kündigt an, sehr bald Dokumente
vorzulegen. Am Ende überlässt es
Powell dem britischen Premierminister Tony
Blair, der Weltöffentlichkeit Beweise
zu präsentieren.
Das 20-seitige Dokument, das Blair
veröffentlicht, gleicht einer
Anhäufung von Indizien und
Mutmaßungen, die belegen sollen, dass
allein die Terrororganisation von Osama bin
Laden in der Lage ist, solch eine Terroraktion
zu planen und durchzuführen. In dem
Dokument heißt es:
"Es gibt Beweise sehr spezifischer
Natur hinsichtlich der Schuld bin Ladens und
seiner Gefolgsleute, die für eine
Veröffentlichung zu heikel sind."
Das stimmt. Die Unterlagen belegen
nämlich nicht nur, dass tatsächlich
zwei der Entführer engen Kontakt zur
Terrororganisation al-Qaida hatten. Vielmehr
zeugen sie auch vom Versagen des amerikanischen
Geheimdienstes CIA, der 18 Monate vor dem 11.
September von geplanten Attentaten erfährt
- und nichts gegen die Terroristen
unternimmt.
Mittlerweile untersucht ein
Geheimdienstausschuss in Washington, bestehend
aus Senatoren und Abgeordneten, den Vorfall.
Zeugenaussagen und Berichte des Ausschusses
liegen der ZEIT vor.
Fast täglich bringt die Kommission neue
Details zum Vorschein, die eine böse Ahnung
langsam zur Gewissheit werden lassen: Die CIA
hätte die Anschläge vom 11. September
verhindern können, wenn ihr nicht
systematisch Fehler unterlaufen wären.
Kuala Lumpur, 5. Januar 2000. Der
Terrorist Taufig bin Atesch hat einige
treue Gefolgsleute zur Besprechung in die
Hauptstadt Malaysias bestellt. Bin Atesch,
Kampfname "Chalid", ist ein enger Vertrauter von
Osama bin Laden. Gemeinsam mit bin Laden
kämpfte er in Afghanistan gegen die Rote
Armee und verlor dabei ein Bein.
Der Einbeinige hat Kuala Lumpur mit Bedacht
als Treffpunkt ausgewählt. Malaysia hat
schon vor Jahren den Islam zur Staatsreligion
erkoren. Muslime können ohne Visum
einreisen. Zudem besitzt ein malaysisches
Mitglied der al-Qaida am Stadtrand von Kuala
Lumpur ein achtstöckiges Mietshaus.
Eines der Apartments wird
regelmäßig von der Terrororganisation
als konspirative Wohnung genutzt. Der Einbeinige
erwartet dort die Komplizen, um Terroraktionen
zu planen. Der amerikanische Geheimdienst CIA
hat rechtzeitig Ort und Zeitpunkt dieses
Treffens erfahren und den malaysischen Secret
Service gebeten, es zu überwachen. Wenn die
Terroristen das Apartment verlassen, klicken die
Fotoapparate der malaysischen Polizei.
Möglichkeiten für ganze Fotoserien
gibt es reichlich. Wie gewöhnliche
Touristen bummeln die Terroristen durch die
Stadt. Gelegentlich suchen sie ein
Internet-Café auf und verbringen mehrere
Stunden vor Computern, immer unauffällig
beobachtet von einem Oberservationsteam.
Neben dem Einbeinigen fotografiert die
malaysische Polizei auch Ramsi Mohammed
Binalschibh. Der damals 27-jährige
Jemenit lebt seit 1995 in Deutschland. Er ist
der Logistiker der Hamburger Al-Qaida-Zelle,
deren Mitglieder 18 Monate später 3000
Menschen ermorden.
Für das Treffen ist Binalschibh eigens
aus Deutschland angereist. Aus noch immer
unerklärten Gründen verschweigt die
CIA ihren deutschen Partnerdiensten, dass sich
der Logistiker in Malaysia aufhält. Er kann
danach unbehelligt in die Bundesrepublik
zurückkehren und mit den anderen
Mitgliedern seiner Hamburger Zelle damit
beginnen, die Anschläge zu
organisieren.
Viel spricht dafür, dass in Malaysia
entscheidende Planungen für die
Anschläge in den USA anfangen. An dem
Treffen nehmen auch Nawaf al-Hasmi und
Chalid al-Midhar teil. Sie werden
später zu den 19 Attentätern
gehören.
Al-Midhar ist der CIA wohl bekannt. Lange vor
seinem Auftritt in Malaysia weiß der
US-Geheimdienst seinen Namen, seine Passnummer
und weitere Personalien. Die CIA weiß
auch, dass al-Midhar seit längerem ein
"Multiple Entry Visa" hat, mit dem er jederzeit
in die USA einreisen kann. Erhalten hat er das
Visum auf dem US-Konsulat in Dschiddah in
Saudi-Arabien. Es ist gültig bis zum 6.
April 2000. Unwissentlich hat al-Midhar die CIA
auf das Treffen in Malaysia gebracht.
Seit längerem schon hat der Geheimdienst
den saudi-arabischen Staatsbürger und
dessen Familienclan im Visier. Al-Midhars
Schwiegervater besitzt nämlich im
jemenitischen Sanaa eine "konspirative Wohnung",
die den Terroristen der al-Qaida vorbehalten
ist. Das Apartment bildet einen wichtigen
Knotenpunkt im Netzwerk der
Terrororganisation.
Dort laufen Informationen über
Operationen in der ganzen Welt zusammen.
Darüber sind die Ermittler im Bilde.
Bereits Ende August 1998 war das FBI auf diese
Wohnung gestoßen. Damals fahndete die
amerikanische Bundespolizei nach den
Hintermännern und Drahtziehern der
Bombenanschläge auf die US-Botschaften in
Kenia und Tansania.
Fast zeitgleich zündeten damals
Selbstmordkommandos Bomben vor den Gebäuden
der US-Regierung. 223 Menschen starben, knapp
5000 wurden verletzt. Kurz nach den
Anschlägen ging in London per Fax ein
Bekennerschreiben ein. Dem FBI gelang es, den
Absender in Baku in Aserbajdschan zu
ermitteln.
Von dort führte wiederum eine direkte
Spur zu jener Wohnung von al-Midhars
Schwiegervater im Jemen. Das FBI ließ Haus
und Telefon überwachen. Mit Erfolg. Am
Telefon meldete sich ein Mitglied des
Selbstmordkommandos aus Kenia bei al-Midhars
Schwiegervater und erklärte: "Sag ihnen,
dass ich die Reise nicht angetreten habe."
Den Attentäter hatte Sekunden vor dem
Anschlag der Mut verlassen, er war aus dem Auto
gesprungen, in dem die Bombe deponiert war. Kurz
darauf registrierten die FBI-Beamten einen
weiteren Anruf. Diesmal von einem
Satellitentelefon, dessen Nummer Osama bin Laden
zugerechnet wurde. Seit dieser Zeit wird das
Telefon von al-Midhars Schwager auch vom CIA
überwacht.
So erfuhr der Geheimdienst schon einen Monat
vorher von dem geplanten Treffen in Malaysia.
Los Angeles, 15. Januar 2000. Nach der
Unterredung mit dem Einbeinigen reisen al-Midhar
und al-Hasmi zunächst getrennt weiter. Nach
einer Zwischenlandung in Bangkok trifft
al-Midhar schließlich in Los Angeles ein.
Sein Komplize reist via Hongkong dorthin.
Die Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen
sind zu diesem Zeitpunkt auf dem Internationalen
Flughafen von Los Angeles so streng wie noch
nie. Einen Monat zuvor wurde ein algerisches
Al-Qaida-Mitglied an der
kanadisch-amerikanischen Grenze verhaftet.
Im Kofferraum seines Wagens lagen 50 Kilo
Sprengstoff. Der Algerier war auf dem Weg nach
Los Angeles gewesen, wo er in der Silvesternacht
auf dem Flughafen eine Bombe zünden wollte.
Von alldem wissen al-Midhar und al-Hasmi
vermutlich nichts, als sie nach ihrer Ankunft
auf die Passkontrolle zusteuern. Beide besitzen
US-Visa, ausgestellt auf ihre Namen, die der CIA
mittlerweile hinlänglich bekannt sind.
Obwohl sie unter ihren richtigen Namen
einreisen, machen ihnen die Passkontrolleure
keinerlei Probleme. Auf den Computerschirmen der
Zollbeamten ist nicht zu erkennen, dass es sich
bei den beiden saudi-arabischen
Staatsangehörigen um Terroristen handelt.
Denn aus bis heute unerfindlichen Gründen
hat die CIA weder das FBI noch die
Einwanderungsbehörde INS oder das State
Department darüber informiert, dass die
beiden keineswegs unbescholtene Studenten
sind.
Dies ist wohl der verhängnisvollste
Fehler in einer ganzen Kette von
Versäumnissen und Pannen, die letztlich
dazu führen, dass die amerikanischen
Dienste die späteren Attentäter des
11. September gewähren lassen. Al-Midhar
und al-Hasmi haben vermutlich schon einen klaren
Auftrag, als sie in Los Angeles ankommen.
Lediglich Ort, Zeitpunkt und der genaue
Ablauf des Anschlages dürften noch nicht
geklärt sein. Die beiden halten sich
jedenfalls nicht lange in Los Angeles auf und
reisen weiter nach San Diego, um dort eine
Wohnung zu mieten. Bei Parkwood Apartments
kommen sie unter, einem Komplex mit 175 Zimmern,
sie beziehen die Wohnung Nummer 127.
Den Mietvertrag unterschreibt al-Hasmi.
Offenbar haben sie nicht die geringste Sorge,
entdeckt zu werden. Von Tarnung keine Spur.
Al-Hasmi beantragt sogar einen Telefonanschluss
und lässt sich mit Rufnummer und Adresse in
das örtliche Telefonregister eintragen.
Er kauft für 3000 Dollar einen blauen
Toyota Corolla, Baujahr 1988, und meldet den
Wagen auf seinen richtigen Namen an. Vier Monate
nach ihrer Ankunft in den USA, im Mai 2000,
suchen al-Hasmi und al-Midhar in San Diego eine
Flugschule auf. Im Sorbi Flying Club nehmen die
beiden an einem sechsstündigen
Theoriekursus teil.
Sie machen kein Geheimnis daraus, dass sie so
bald wie möglich lernen wollen, wie man
eine Boeing fliegt. Vorerst jedoch müssen
sie sich mit einer kleinen Cessna begnügen.
Schon die ersten Flugstunden geraten zum
Desaster. Die Terroristen stellen sich
äußerst ungeschickt an, ihnen fehlt
das Talent zum Steuern eines Flugzeugs.
Als al-Hasmi unter Anleitung des Fluglehrers
zur Landung ansetzt, gerät al-Midhar in
Panik und fängt laut an zu beten. "Das wird
nichts", sagt der Fluglehrer. Er weigert sich,
die beiden zu Piloten auszubilden.
Frankfurt a.M., Juni 2000. Die Mission
der beiden Terroristen scheint damit beendet zu
sein, bevor sie richtig begonnen hat. Im Juni
2000 reist al-Midhar nach Frankfurt. Was er in
der Bundesrepublik tut, ist unklar.
Wahrscheinlich trifft er sich mit Binalschibh,
dem Logistiker der Hamburger Zelle.
Weil die CIA auch seine deutschen
Partnerdienste nicht über den Terroristen
informiert, kann al-Midhar unbeobachtet
einreisen. Zuletzt haben sich die beiden in
Malaysia gesehen. Aber der Logistiker und
al-Midhar kennen sich schon lange vor dem
Treffen in Asien. Sie sind verwandt.
Der Logistiker ist der Cousin von al-Midhars
Frau. Vermutlich unterrichtet al-Midhar seinen
Verwandten darüber, dass es mit der
Pilotenausbildung nichts wird, deshalb für
Ersatz gesorgt werden muss. Dies stellt wohl den
Logistiker, zumindest kurzfristig, vor
erhebliche Probleme. Telefonisch hat er sich
zwar bei einer Flugschule in den USA angemeldet,
wird aber als Pilot ebenfalls nicht infrage
kommen.
Am 17. Mai, zwei Wochen vor dem Eintreffen
von al-Midhar in Deutschland, hat die
USBotschaft ihm mitgeteilt, dass er kein Visum
erhält. Mehr Glück haben die anderen
Mitglieder der Hamburger Zelle. Wie der
Logistiker haben sie unmittelbar nach dessen
Rückkehr aus Malaysia ihre Visa beantragt
und sich per Telefon oder EMail bei 31
Flugschulen in den USA über das
Ausbildungsprogramm informiert.
Kurz nach dem Eintreffen von al-Midhar in
Deutschland reisen Mohammed Atta und zwei andere
Mitglieder der Hamburger Al-Qaida-Zelle in die
USA und beginnen in Florida mit ihrer
Pilotenausbildung. Atta wird am 11. September
2001 jenes Flugzeug steuern, das in den Nordturm
des World Trade Center rast. Al-Midhar reist
ebenfalls zurück in die USA. Nachdem er und
al-Hasmi als Piloten nicht mehr infrage kommen,
wird es nun ihre Aufgabe sein, die Planungen
für die Anschläge zu koordinieren.
Zuerst jedoch muss sich al-Hasmi um seine
Aufenthaltserlaubnis kümmern.
Sein Visum läuft ab. Am 7. Juli 2000
wendet er sich an die Einwanderungsbehörde
INS. Kurz zuvor ist das Hauptquartier der CIA in
Langely noch einmal von ihrer Außenstation
in Malaysia ausdrücklich darauf hingewiesen
worden, dass nach vorliegenden Unterlagen der
Al-Qaida-Terrorist al-Hasmi bereits im Januar in
die USA eingereist war. Aber in Langely bleibt
man gelassen. Al-Hasmi wird nicht zur Fahndung
ausgeschrieben, auch werden weder FBI noch State
Department informiert, auch nicht die
Einwanderungsbehörde.
Dort hat man folglich keinen Grund, Verdacht
zu schöpfen, als al-Hasmi unter Angabe
seiner Adresse in San Diego um Verlängerung
seines Visums bittet. Seinem Wunsch wird
entsprochen.
San Diego, September 2000. In San Diego
werden Nachbarn misstrauisch. Al-Hasmi und
al-Midhar leben nun schon seit acht Monaten in
dem Apartmentkomplex und haben noch immer keine
Möbel, schlafen auf dem Fußboden und
gehen ständig zum Telefonieren in eine
Telefonzelle, obwohl sich ein Telefon in der
Wohnung befindet.
Die beiden Saudis bemerken offensichtlich die
skeptischen Blicke ihrer Nachbarn. Sie
kündigen ihren Mietvertrag fristlos und
ziehen zu Abduss Attar Scheich, einem Muslim,
den sie in der Moschee von San Diego kennen
gelernt haben. Der Freund, ein pensionierter
Englischlehrer, vermietet den beiden ein Zimmer
und hilft ihnen, ein Bankkonto einzurichten und
einen Internet-Zugang zu bekommen.
Gelegentlich ist der Pensionär auch dem
örtlichen FBI-Büro behilflich. Er
versorgt die Polizei mit Informationen über
militante Muslime in San Diego.
Regelmäßig besucht ihn sein
Führungsoffizier zu Hause. Manchmal sind
während dieser Gespräche auch
al-Midhar und al-Hasmi im Haus.
Schnell schließt der Pensionär in
solchen Momenten die Wohnzimmertür, damit
seine Mieter nichts von seiner
Spitzeltätigkeit mitbekommen. Weder der
Spitzel noch sein Führungsoffizier ahnen,
dass es sich bei den beiden jungen Männern
um Terroristen der al-Qaida handelt. Nach sechs
Wochen zieht al-Midhar aus. Seinem Gastgeber
erzählt er, er kehre zu Frau und Kindern in
Saudi-Arabien zurück.
Tatsächlich ist al-Midhar in Sachen
Terror unterwegs. Ein Selbstmordkommando
verübt am 12. Oktober 2000 im Hafen von
Aden einen Anschlag auf das Kriegsschiff USS
Cole. Ein mit Sprengstoff bepacktes Schlauchboot
fährt in die Backbordseite des Schiffes. 17
US-Soldaten sterben, 38 werden verletzt.
Die CIA vermutet, dass al-Midhar daran
beteiligt ist. Alhamzi bleibt vorerst in San
Diego, wohnt weiterhin bei dem FBI-Spitzel. Der
ahnt noch immer nichts, während in seinem
Haus der schlimmste Terroranschlag der
amerikanischen Geschichte mit vorbereitet wird.
Stundenlang sitzt al-Hasmi vor dem Computer und
surft im Internet.
Seinem Vermieter erzählt er, er suche
eine Ehefrau, am liebsten eine Mexikanerin. Der
Spitzel versucht daraufhin, al-Hasmi ein paar
spanische Floskeln wie "Qué pasa?", "Was
ist los?", beizubringen. Ende Dezember 2000
verlässt auch al-Hasmi das Haus in San
Diego. Er zieht nach Mesa im Bundesstaat Arizona
zu einem Landsmann namens Hani Handschur, der
schon seit 1996 in den USA lebt und auf einer
Flugschule in Scottsdale in Arizona seinen
Pilotenschein gemacht hat.
Nachdem es bei al-Hasmi und al-Midhar mit der
Flugausbildung nicht geklappt hat, soll nun der
ausgebildete Pilot diesen Part übernehmen.
Doch dem Piloten fehlt es an Flugpraxis. In
Phoenix, Arizona, will er deshalb in einer
Flugschule ein paar Unterrichtsstunden
nehmen.
Aber trotz seines mehrjährigen
Aufenthalts in den USA ist sein Englisch noch so
schlecht, dass der Betreiber einer Flugschule
annimmt, er habe gar keinen gültigen
Pilotenschein. Der Fluglehrer hält den
vorgezeigten Pilotenschein für eine
Fälschung und benachrichtigt die
Flugaufsichtsbehörde FAA. Aber der
angezweifelte Pilotenschein erweist sich als
echt.
Washington, D. C., Januar 2001. Sowohl
FBI als auch CIA fahnden nach den
Hintermännern des Anschlages auf den
Zerstörer USS Cole im Jemen. Die CIA findet
schließlich heraus, der Einbeinige sei
Drahtzieher des Attentates gewesen. Die
Observationsberichte des Treffens in Malaysia
werden herangezogen.
Bei der CIA liest man die Berichte nun mit
anderen Augen. Es wird davon ausgegangen, dass
in Kuala Lumpur der Anschlag auf die USS Cole
beschlossen und geplant wurde. Die anderen
Teilnehmer des Treffens, darunter auch al-Hasmi
und al-Midhar, werden nun verdächtigt,
zumindest in die Planung des Anschlages
verwickelt gewesen zu sein.
Obwohl die CIA ihren eigenen Unterlagen
entnehmen kann, dass al-Midhar über ein
gültiges US-Visum verfügt und Alhazmi
sich sogar noch immer in den USA aufhalten muss,
schlagen die Ermittler nicht Alarm, lassen die
beiden nicht vom FBI zur Fahndung
ausschreiben.
Laut Gesetz ist es der CIA als
Auslandsnachrichtendienst verboten, innerhalb
der USA selbst aktiv zu werden. Die Jagd nach
der Terroristen aus dem Netzwerk bin Ladens hat
bei der CIA oberste Priorität. "Wir
führen Krieg gegen die al-Qaida", schreibt
CIA-Direktor George Tenet in einem internen
Rundbrief. "Ich möchte weder an Ressourcen
noch an Personal sparen."
Im Februar 2001, kurz nach dem Amtsantritt
von George W. Bush, warnt der CIA-Direktor in
einer Rede vor dem Kongress ausdrücklich
vor weiteren Anschlägen durch die
Terrororganisation:
"Osama bin Laden und sein globales
Netzwerk von Mitgliedern und Anhängern
bleiben die unmittelbarste Bedrohung für
die Sicherheit der USA."
Und: "Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen
rund um Regierungs- und
Militäreinrichtungen verstärkt. Die
Terroristen suchen sich weiche Ziele' aus,
weil dies größere Verluste
garantiert."
Es gibt noch viel zu organisieren. Al-Hasmi
ist deshalb ständig in seinem alten Toyota
unterwegs. Dabei achtet er nicht immer auf
Geschwindigkeitsbegrenzungen. Am 1. April 2001
rast al-Hasmi auf der Interstate 40 im Westen
Oklahomas in eine Radarfalle. Er wird von der
Polizei gestoppt, muss Ausweis,
Führerschein und Zulassung des Wagens
zeigen.
Über Funk fragt der Streifenpolizist
nach, ob gegen den Fahrer etwas vorliege. In der
Datenbank der Polizei ist kein Eintrag zu
finden. Al-Hasmi bekommt einen Strafzettel und
fährt weiter. Die Strafe für zu
schnelles Fahren beträgt 138 Dollar.
Al-Hasmi begleicht sie mit einer
Postüberweisung.
New York, 11. Juni 2001. FBI-Agenten aus
dem New Yorker Büro und aus dem
Hauptquartier in Washington treffen sich mit
Vertretern der CIA zum Informationsaustausch, um
die Ermittlungen wegen des Anschlags auf die USS
Cole voranzubringen.
Die CIA-Agenten zeigen ihren Kollegen vom FBI
die Fotos aus Malaysia und benennen den
Einbeinigen als Drahtzieher des Anschlages.
Beiläufig lassen die CIA-Agenten auch den
Namen al-Midhar fallen, der auf einem der Fotos
zusammen mit dem Einbeinigen zu sehen ist.
Als die FBI-Agenten genauere Informationen
verlangen, schweigen die Vertreter der CIA. Sie
verlieren gegenüber ihren FBI-Kollegen kein
Wort darüber, dass al-Midhar ein
gültiges US-Visum besitzt und in diesem
Moment vermutlich in den Vereinigten Staaten
ist. Ein Jahr später wird einer der
CIA-Agenten mit tränenreicher Stimme vor
einem Untersuchungsausschuss aussagen, dass sie
damals nicht autorisiert waren, das FBI zu
unterrichten. Intern befürchtet man bei der
CIA das Schlimmste.
Gegenüber führenden
Regierungsmitgliedern geben CIA-Ermittler ihre
Einschätzung preis: "Basierend auf der
Durchsicht sämtlicher
nachrichtendienstlicher Quellen und Berichte der
vergangenen fünf Monate, glauben wir, dass
UBL [Osama bin Laden] einen bedeutenden
Terroranschlag gegen US- und/oder israelische
Interessen in den kommenden Wochen begehen wird.
Der Anschlag wird spektakulär sein,
vorsätzlich eine große Anzahl von
Opfern fordern und gegen US-Einrichtungen oder
Interessen gerichtet sein."
Als voraussichtliches Datum wird der 4. Juli
2001 genannt. Am 4. Juli kehrt al-Midhar mit
Saudi-Arabian Airlines, Flug 53, nach
mehrmonatiger Abwesenheit in die USA
zurück. Kurz zuvor hat er sich noch von
Saudi-Arabien aus sein US-Visum verlängern
lassen, bis zum 3. Oktober 2001.
Obwohl ihn die CIA zwischenzeitlich
verdächtigt, an dem Anschlag auf die USS
Cole beteiligt gewesen zu sein, hat al-Midhar
keinerlei Probleme bei der Einreise. Er legt
seinen saudischen Pass, ausgestellt auf seinen
tatsächlichen Namen, vor und gibt auf dem
Einreiseformular das Marriott Hotel in New York
als Adresse an.
Anschließend macht er sich auf den Weg
nach Arizona zu al-Hasmi und den anderen.
Phoenix, 10. Juli 2001. Kenneth
Williams ist ein erfahrener Polizist. Seit
elf Jahren arbeitet er in der Abteilung für
Terrorabwehr des FBI in Phoenix, Arizona. Heute
schickt Williams einen mehrseitigen Bericht an
seinen Vorgesetzten im FBI-Hauptquartier in
Washington und an seine Kollegen von der
Terrorabwehr in New York, die seit dem Anschlag
auf das World Trade Center im Jahr 1993 als
Experten auf dem Gebiet des islamischen
Extremismus gelten.
Williams hat in den vergangenen Monaten mit
Sorge beobachtet, dass sich in Arizona
verstärkt junge Muslime aus dem Mittleren
Osten zu Piloten ausbilden lassen. Insgesamt
überprüft Williams zehn Leute aus
Pakistan, Indien, Kenia, Algerien, den
Vereinigten Arabischen Emiraten und
Saudi-Arabien.
Einige von ihnen nehmen Flugstunden, andere
studieren Flugzeugbau oder internationale
Flugsicherheit. Mehrere dieser Flugschüler
hat der FBI-Agent vernommen und dabei auch
feindselige Äußerungen über die
Vereinigten Staaten zu hören bekommen.
Zudem ist dem Polizisten aufgefallen, dass sich
diese Studenten verdächtig präzise
über Sicherheitsvorkehrungen auf
amerikanischen Flughäfen informiert
hatten.
In seinem Bericht folgert Williams deshalb,
dass es sich bei den Flugschülern um
Anhänger von Osama bin Laden handeln
könnte. Williams hält es für
denkbar, dass sich Terroristen zu Piloten
ausbilden lassen, um anschließend ein
Passagierflugzeug zu entführen.
Der FBI-Agent empfiehlt, sämtliche
Flugschulen zu überprüfen. Die New
Yorker Kollegen halten Williams'
Ausführungen für "spekulativ und nicht
besonders bedeutsam". Wie sich in einigen
Monaten herausstellen wird, ist einer der von
Williams überprüften Flugschüler
ein Bekannter jenes Todespiloten, der eine
entführte Maschine ins Pentagon
steuerte.
Crawford, 6. August 2001.
US-Präsident George W. Bush macht Urlaub.
Den ganzen Monat will er auf seiner Ranch in
Texas verbringen. Jeden Morgen steht aber
weiterhin das "Presidential Daily Brief" auf dem
Programm.
Im "PDB", wie es im CIA-Jargon heißt,
wird dem Präsidenten von hochrangigen
CIA-Mitarbeitern die Sicherheitslage dargelegt.
An diesem Morgen unterrichtet der CIA-Direktor
persönlich den Präsidenten. Sein
PDB-Papier hat statt der sonst üblichen
zwei bis drei diesmal elfeinhalb bedruckte
Seiten und trägt die Überschrift
Bin Laden Determined to Strike in U.
S.
Der CIA-Chef führt darin aus, dass
al-Qaida dazu übergegangen sei, auch
innerhalb der USA Anschläge
durchführen zu wollen, und sich vermutlich
längst Mitglieder der Terrororganisation in
den Vereinigten Staaten befänden. Es ist
nicht sicher, ob der CIA-Direktor den
US-Präsidenten über die Aussagen von
verhafteten Al-Qaida-Mitgliedern informiert.
Nach ihren Darstellungen denke die
Terrororganisation schon seit längerem
darüber nach, Flugzeuge zu entführen,
um sie als Raketen zu benutzen.
Minneapolis, 15. August 2001. Eine
Flugschule in Minneapolis meldet dem FBI, dass
sich einer ihrer Schüler für das
Fliegen von Boeings interessiere, obwohl er noch
nicht einmal einen Flugschein für kleine
Cessnas besitze. Am nächsten Tag wird der
Flugschüler festgenommen, offiziell wegen
Verstoßes gegen die
Einwanderungbestimmungen. Der Flugschüler
ist Franzose marokkanischer Abstammung und
heißt Zaccarias Moussaoui.
Die bei ihm beschlagnahmten Briefe und sein
Laptop werden sofort nach Washington zum
FBI-Hauptquartier geschickt, wo sie allerdings
lange unbeachtet herumliegen. An der Flugschule
in Minneapolis nimmt sich eine FBI-Agentin des
Falles an.
Die 47jährige Coleen Rowley, die
seit 21 Jahren beim FBI ist, nimmt Kontakt zu
französischen Behörden auf und
erfährt, dass der Festgenommene in
Frankreich verdächtigt wird, mit
islamischen Extremisten in Kontakt zu
stehen.
Die FBI-Agentin informiert die Zentrale in
Washington und bittet darum, den Laptop von
Moussaoui unter die Lupe zu nehmen. Die Bitte
wird abgelehnt.
"Wir wissen nicht, ob er ein
Terrorist ist. Sie haben nicht genügend
Belege dafür, dass er ein Terrorist
ist."
Die Fahnderin hakt nach, will selber den
Laptop anschauen dürfen. Im Hauptquartier
ist man genervt und teilt Rowling mit: Sie
möge in dieser Sache nicht noch einmal
anrufen.
Tatsächlich steht der Franzose im engen
Kontakt mit den Attentätern vom 11.
September. Belege dafür finden sich auch in
seinem Laptop, den man jedoch erst nach dem 11.
September genau untersucht. Eine Spur führt
nach Deutschland.
Der Franzose hat vom Logistiker der Hamburger
Zelle viel Geld überwiesen bekommen. Von
alldem weiß die FBI-Agentin nichts, als
sie Ende August 2001 eine Aktennotiz für
ihren Vorgesetzten verfasst.
Unter Umständen, schreibt sie, habe der
Franzose allein deshalb Flugunterricht genommen,
weil er ein Flugzeug in ein Gebäude steuern
wolle:
"Vermutlich plante er, ein Flugzeug
in das World Trade Center zu fliegen."
Langely, 23. August 2001. Der israelische
Geheimdienst Mossad
übergibt seinem amerikanischen
Partnerdienst eine Liste mit Namen von
Terroristen, die sich in den USA aufhalten und
voraussichtlich in absehbarer Zeit einen
Anschlag verüben werden.
Nach Dokumenten, die der ZEIT vorliegen,
haben Mossad-Agenten in den USA zumindest vier
der 19 Attentäter aller Wahrscheinlichkeit
nach überwacht, darunter auch
al-Midhar.
Die CIA tut nun das, was sie bereits vor 18
Monaten hätte tun sollen. Sie informiert
das State Department, das FBI und die
Einwanderungsbehörde. Die Namen al-Midhar
und al-Hasmi kommen umgehend auf die
Fahndungsliste: als mutmaßliche Mitglieder
der al-Qaida. Bei al-Midhar ist außerdem
vermerkt, dass er wahrscheinlich am Anschlag auf
die USS Cole beteiligt war.
Die erste Rückmeldung ist schnell da:
Die Einwanderungsbehörde schreibt, dass
sich nach ihren Unterlagen beide Gesuchten
derzeit in den USA aufhalten.
Jetzt wird nach den beiden mit aller Kraft
gefahndet. Weil al-Midhar bei seiner Einreise
das Marriott Hotel in New York als Adresse
angegeben hat, klappern FBI-Agenten
sämtliche Hotels dieser Kette in der
Metropole ab, erfolglos.
Einer der eingeschalteten New Yorker
FBI-Agenten ruft das Hauptquartier in Washington
an und bittet um Verstärkung. Er will die
Fahndung nach al-Midhar weiter ausdehnen. Der
FBI-Agent weiß die Gefährlichkeit von
al-Midhar richtig einzuschätzen. Bereits
seit Monaten ist er mit den Ermittlungen wegen
des Anschlages auf den Zerstörer USS Cole
betraut.
In diesem Zusammenhang hat er sich einmal mit
Kollegen vom CIA getroffen, die den Namen
al-Midhar fallen ließen. Als er diesen
Namen nun auf dem Fahndungsschreiben liest, mit
dem Vermerk, dass al-Midhar in den Anschlag auf
die USS Cole verwickelt sein soll, ärgert
sich der FBI-Beamte über seine
CIA-Kollegen.
Diese Details enthielten sie ihm damals vor.
Aber der Ärger nimmt noch zu, als ihm das
eigene Hauptquartier weitere Unterstützung
verwehrt: Die Juristen der National Security Law
Unit des FBI machen darauf aufmerksam, dass eine
strikte Trennung zwischen geheimdienstlichen und
polizeilichen Ermittlungen gesetzlich
vorgeschrieben ist.
Und die Fahndung nach al-Midhar gehe nun
einmal allein auf Geheimdienst- informationen
zurück.
"Eines Tages wird
jemand sterben - gesetzliche Grenzen hin oder
her -, und die Öffentlichkeit wird dann
nicht verstehen, warum wir nicht effektiver
waren und alle uns verfügbaren Mittel
zur Lösung bestimmter Probleme
eingesetzt haben", schreibt ein frustrierter
FBI-Agent am 29. August 2001 in einer E-Mail
an sein Hauptquartier. "Lassen Sie uns
hoffen, dass die National Security Law Unit
dann hinter ihren Entscheidungen stehen wird,
insbesondere da jetzt die größte
Bedrohung für uns, UBL [Osama bin
Laden], letztlich dadurch den meisten
'Schutz' erhält!"
Laurel, Maryland, 25. August 2001.
Al-Midhar bewohnt das Zimmer 343 des Valencia
Motel in Laurel. Er ist nicht allein. Bei ihm
sind al-Hasmi, dessen Bruder, der Pilot und ein
weiterer Terrorist. Die fünf verlassen sehr
selten das Zimmer.
Wenn das Zimmermädchen anklopft und die
Betten machen will, öffnen die Terroristen
die Tür nur einen Spalt breit und nehmen
frische Handtücher entgegen. "Wir dachten,
die sind schwul, fünf Mann in einem Raum",
wird später ein Zimmernachbar sagen. Ablauf
und Zeitpunkt des Anschlages stehen fest.
Nacheinander kaufen sie ihre Tickets. Noch
zwölf Tage. Alles läuft nach Plan.
Washington, D.C., 11. September 2001. Am
frühen Morgen fahren die fünf
Terroristen zum Dulles-Airport. In dem Toyota,
den die Polizei später sicherstellen wird,
liegen eine Quittung über den Preis des
Flugunterrichts in Phoenix, vier Zeichnungen von
einem Boeing-757-Cockpit, ein Teppichmesser,
eine Karte von Washington sowie Zettel mit
Notizen und Telefonnummern.
Gegen 7.30 Uhr checken die Terroristen ein.
Seit mittlerweile 20 Tagen wird überall
nach al-Hasmi und al-Midhar gefahndet. Trotzdem
kommen die beiden gemeinsam mit ihren Komplizen
unbehelligt durch die Kontrollen. Sowohl Tickets
als auch Pässe, die sie vorlegen
müssen, sind auf ihre tatsächlichen
Namen ausgestellt. Wenige Stunden später
richten vier entführte Flugzeuge in New
York und Washington ein Inferno an.
Der CIA-Direktor erfährt davon beim
Frühstück im St. Regis Hotel in
Washington, ein paar Meter vom Weißen Haus
entfernt. "Das deutet alles auf Osama bin Laden
hin", sagt er. Den Präsidenten muss er
jetzt darüber informieren, wer aller
Wahrscheinlichkeit nach hinter den
Anschlägen steckt.
Er erhebt sich vom Frühstückstisch
und verabschiedet sich hastig.
Washington, D. C., 12. September 2001.
Die größte Polizeifahndung in der
amerikanischen Geschichte läuft an.
Tausende von FBI-Beamten sind quer durch das
ganze Land unterwegs und rekonstruieren binnen
Tagen das Leben der Attentäter in den
USA.
Was nicht sonderlich schwierig ist:
Schließlich haben sich die Terroristen in
den USA alles andere als konspirativ verhalten.
Al-Hasmi hat sogar mal die Polizei gerufen,
nachdem er überfallen worden war.
FBI-Direktor Robert Mueller, der erst in
der Woche vor den Anschlägen sein Amt
übernommen hat, formuliert es so: "Ich kann
nicht mit Sicherheit sagen, dass es keine
Möglichkeiten gegeben hat, Hinweisen
nachzugehen, die uns vielleicht frühzeitig
zu den Entführer geführt
hätten."
CIA-Direktor George Tenet, der sein
Amt schon unter der Clinton-Regierung innehatte,
erklärt hingegen vor dem
Geheimdienstausschuss des Senats, er sei stolz
darauf, für die CIA sagen zu können:
Der Geheimdienst hat sich nichts vorzuwerfen. In
der Zeit vor den Anschlägen habe es weder
"Flüchtigkeits- oder Konzentrationsfehler"
noch "Disziplinlosigkeiten" gegeben.
New York, 23. Oktober 2001. "Es ist klar,
dass Hamburg die zentrale Operationsbasis
für die Planung der Anschläge vom 11.
September war", sagt US-Justizminister John
Ashcroft in Anwesenheit des deutschen
Innenministers Otto Schily während
einer Pressekonferenz in New York. Die
Untersuchungen müssten deshalb stärker
von den USA nach Europa verlagert werden.
Minneapolis, 21. Mai 2002. Als die
FBI-Agentin Coleen Rowley nicht mehr ertragen
kann, wie US-Behörden ihr Versagen
vertuschen, setzt sie sich an ihren Computer und
listet in einem 13-seitigen Brief an den
FBI-Direktor noch einmal alle Fehler und
Versäumnisse auf, von denen sie
weiß.
Die Agentin hatte im August 2001 eindringlich
vor möglichen Terroranschlägen durch
militante Islamisten gewarnt. "Ich bin tief
betroffen darüber", schreibt sie, "dass Sie
und andere auf der höchsten Ebene des
FBI-Managements auf heikle und filigrane Weise
die Fakten verdunkelt und falsch dargestellt
haben und damit fortfahren."
Die Agentin bringt ihr Dossier
persönlich nach Washington und
übergibt zwei Kopien dem
Geheimdienstausschuss des Senats. Zwei Wochen
später ziert ein Faksimilie ihres Briefes
die Titelseite von Time, unter der Schlagzeile
Das Bomben-Memo. Das FBI steht am Pranger.
Washington D.C., 4. Juni 2002. Die
Bundespolizei FBI will nicht allein dafür
geradestehen, was ihr die CIA eingebrockt hat.
Schließlich war dem USGeheimdienst wohl
der entscheidende Fehler unterlaufen, indem die
CIA 18 Monate lang ihre Erkenntnisse über
al-Hasmi und al-Midhar nicht weitergegeben
hat.
Diese Information wird dem Nachrichtenmagazin
Newsweek zugespielt, das einen FBI-Mann
anonym zitiert:
"Keine Frage, hätten wir die
Informationen rechtzeitig bekommen,
hätten wir bald alle 19
Flugzeugentführer im Sack gehabt."
Die Schlammschlacht der Spione ist damit
eröffnet. Haben CIA und FBI katastrophal
versagt? Ein Ausschuss aus Mitgliedern des
Senats und des Abgeordnetenhauses soll diesen
Fragen auf den Grund gehen.
Washington D.C., 11. September 2002. Der
Ausschuss hat vor drei Monaten seine Arbeit
aufgenommen, wird von der Bush-Administration
aber torpediert, wie der republikanische Senator
Richard C. Shelby, Vizevorsitzender des
Ausschusses, nun der New York Times sagt.
Die Regierung weigere sich, darüber zu
informieren, welche Erkenntnisse die
Geheimdienste vor den Terroranschlägen an
US-Präsident Bush weitergaben. "Ich bin mir
sicher, wir haben bei unseren Befragungen
bislang nur an der Oberfläche gekratzt",
sagt Shelby. "Und ich bin mir sicher, dass da
noch die eine oder andere Bombe hochgehen wird."
Als weitere Informationen über Fehler und
Versäumnisse der CIA und des FBI an die
Medien gelangen, wird gegen Ausschussmitglieder
vorgegangen. Das FBI leitet Ermittlungen ein und
fragt die Senatoren und Abgeordneten, ob sie
bereit wären, sich einem
Lügendetektortest zu unterziehen.
Washington D.C., 18. September 2002. Die
öffentlichen Anhörungen vor dem
Ausschuss beginnen. Zu Wort kommen auch
Angehörige der Opfer vom 11. September.
1300 von ihnen haben sich zu einer
Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Ihr
Sprecher ist Stephen Push, der seine Frau
verloren hat. Sie saß in dem Flugzeug, das
die Terrorgruppe von al-Midhar ins Pentagon
steuerte.
"Wenn die Geheimdienste ihren Job getan
hätten", sagt Push vor dem Ausschuss,
"würde meine Frau heute noch leben."
Danach treten FBI- und CIA-Agenten vor den
Ausschuss. Ihnen wurde Anonymität zugesagt.
Eine spanische Wand schützt deshalb die
Agenten vor den Augen des Publikums. Dort sitzen
viele Angehörige von Opfern und halten
stumm Erinnerungsfotos hoch.
Als einige Agenten mit tränenreicher
Stimme gestehen, wie sie von ihren Vorgesetzten
davon abgehalten wurden zu ermitteln, wird es
der Witwe eines Feuerwehrmannes, der im World
Trade Center umkam, zu viel.
"Diese Leute haben sich eines Dienstvergehens
schuldig gemacht", klagt sie. "Sie sollen vor
Gericht gestellt werden. Sie sind zumindest
teilweise verantwortlich für den Tod von
3000 Menschen."
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