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Die Serie entfernt sich weit von der These, wonach der Holocaust rein systematisch auf Befehl von oben betrieben worden sei. . . |
Berlin, 15. Mai 2000 Wie kann man dem Holocaust gerecht werden? ZDF-Historiker Knopp will die "Endlösung der Judenfrage" einem großen Publikum vermitteln Von Siegfried Helm
London - Es ist wohl das größte und schwierigste Unterfangen, was sich Guido Knopp, der bekannteste Fernseh-Historiker Deutschlands, vorgenommen hat. Nach den bei den Zuschauern meist überaus erfolgreichen, aber in der Fachwelt auch umstrittenen Dokumentarfilmen über den Nationalsozialismus ("Hitler", "Hitlers Helfer", "Hitlers Kinder") geht der Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte nun das fürchterlichste und sensibelste Thema der deutschen Geschichte an: den Holocaust. Zum ersten Mal wird die Judenvernichtung im Mittelpunkt einer deutschen Dokumentarreihe sein, die für das Massenpublikum angelegt ist. Das ZDF will den groß angelegten Sechsteiler, dessen Produktion so gut wie abgeschlossen ist, ab November zur Hauptsendezeit zeigen. In den USA soll er Anfang kommenden Jahres ausgestrahlt werden soll. Die Serie von sechs 45-minütigen Folgen konzentriert sich auf die Jahre 1941 bis 45. Ein Riesenprojekt dieser Art ist nicht im Alleingang zu stemmen. Ko-Produzenten sind der US-History Channel, das niederländische Fernsehen, Arte, Österreichs ORF und der australische Kanal SBS. Wie kann man dem Phänomen des Holocaust für ein großes Publikum gerecht werden? Den noch heute umstrittenen Auftakt zu einer solchen massentauglichen Bearbeitung des Massenmords hatte Hollywood mit der Fernsehserie "Holocaust" 1978 geliefert, die das Thema als tränenreiche Seifenoper aufbereitete. 1985 folgte der Franzose Claude Lanzmann mit seinem eigenwilligen, den Zuschauer in den Prozess der Wahrheitsfindung einbindenden neunstündigen Fernsehfilm "Shoah", der Interviews mit Zeitzeugen in den Mittelpunkt stellte. 1993 landete Steven Spielberg einen Blockbuster mit seinem Film "Schindlers Liste". Der Anspruch der ZDF-Reihe "Holocaust" zielt ebenfalls hoch. Man will nicht weniger, als einem breiten Publikum einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand der Holocaust-Forschung vermitteln. Haben die Amerikaner den Holocaust für die illusionistische Dramatik des Spielfilms vermarktet, waren Franzosen um eine dem Thema angemessene Ästhetik bemüht, so bleibt es den Deutschen vorbehalten, nun mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an dieses vor allem deutsche Thema heranzugehen. Dabei wollen die Macher nicht eine Botschaft predigen, nicht moralisieren, sondern vor allem informieren, belehren. Nicht erst seit dem erhitzten Streit um den Vorwurf der "Moralkeule Auschwitz", den Martin Walser an Medien und Intellektuelle richtete, ist klar, welch ungeheures Diskussionspotenzial es weiterhin in Deutschland zu dem Thema gibt. Die Diskussion um Daniel Goldhagens "Hitlers willige Helfer" und der Historikerstreit sind nur zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit - auch wenn manch einer glaubt, dass die Deutschen "übersättigt" von diesen Debatten seien. Guido Knopp, der die Gesamtleitung des Projekts inne hat, glaubt nicht, dass das ZDF seine Zuschauer vergraulen wird: "Wir halten es für wichtig, alles noch einmal zusammenzufassen, was man über das Verbrechen weiß. Die letzten zehn Jahre haben sehr viele neue Erkenntnisse gebracht, besonders da nach der Wende osteuropäische Archive erstmals zugänglich wurden." Bei der Vorstellung des Projekts in London fügt er hinzu: "Das wichtigste ist, dass noch Zeitzeugen leben -nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter und die vielen, die zugesehen aber weggesehen haben." Der Münchner Autor und Produzent Maurice Philip Remy, der mit der Münchner Produktionsgesellschaft MPR mit dem Projekt betraut wurde, hält es denn auch für wichtig, dass Täter wie Opfer zu Wort kommen werden: "Wir lassen uns keineswegs von Sympathie, aber doch von Einfühlung leiten." Knopp räumte aber schon jetzt ein: "Die Tiefe von Lanzmanns ,Shoah' bleibt unerreicht. Wir gehen anders heran, wir benutzen Filmmaterial und versuchen eine Rekonstruktion der Zeit." Dieser Rahmen wird gelegentlich gesprengt, wenn man KZs aufsucht und in etwa sieben Filmreportagen von je zehn Minuten mit Zeitzeugen an historische Schauplätze zurückkehrt. Dem Projekt wurde ein internationales, wissenschaftliches Berater-Gremium zur Seite gestellt. "Wir verstehen uns als Anreger und Kontrolleure", sagt der englische Historiker und angesehene Hitler-Biograph Professor Ian Kershaw. Neben Kershaw wurden die Professoren Christopher Browning (USA), Eberhard Jäckel (Stuttgart) und Yehuda Bauer (Israel) für die Mitarbeit gewonnen. Die Rechercheure um den Historiker Peter Witte haben eine Menge neues Film- und Fotomaterial aufgespürt. In London wurden einige Szenen vorgeführt, etwa ein bisher nie gezeigter kurzer Film über die Todesmärsche bei der überstürzten Räumung von Auschwitz, im Januar 1945 mit versteckter Kamera gedreht. In dem einzigen Film dieser Art sieht man, wie Juden in offene Waggons zur Flucht vor der roten Armee verfrachtet wurden. Die Hälfte von ihnen starb entkräftet, ihre Leichen wurden sofort aus den Waggons geworfen. Auch ein Foto von Heinrich Himmler mit einem hämischen Gesichtsausdruck ist dabei. Es habe größten Seltenheitswert, so Witte. Eine genaue Auswertung erbrachte den Nachweis, dass es (wegen der langen Schatten) abends um neun Uhr nach der Besichtigung einer Vergasung entstand. Das Foto ist ein Zeichen dafür, dass Knopp natürlich nicht gänzlich auf eine entsprechende Emotionalisierung verzichten wird, doch er betont das hohe Verantwortungsbewusstsein vor der Ausstrahlung: "Nach dem Skandal der Wehrmachtsausstellung mit nicht überprüften Fotos müssen wir absolut authentisch sein." Die Serie entfernt sich weit von der These, wonach der Holocaust rein systematisch auf Befehl von oben betrieben worden sei. Der Film wird vielmehr die aktuell überwiegende Meinung der Wissenschaft darstellen, dass die vor Ort Verantwortlichen die Endlösung der Judenfrage auch in eigener Regie, mit eigenen, aus der Situation geborenen Ideen, umsetzten, und nicht nur lammfromm Befehle von oben ausführten. Mit neuem Material wartet die Dokumentation zum Thema Widerstand auf: So hat es, entgegen der weit verbreiteten Meinung, einen teilweise erfolgreichen jüdischen Widerstand in den KZs gegeben. In Sobibor wurden beispielsweise 12 Wärter ermordet. Ein weißer Fleck bei dem Szenarium der "zentralen Tragödie des 20. Jahrhunderts" (Knopp) werde bis auf weiteres der von Goldhagen erhobene Vorwurf der Mitwisserschaft der meisten Deutschen bleiben. "Hier stochern wir noch mit der Stange im Nebel." Knopp verwies auf die im Entstehen begriffene großangelegte Untersuchung der Universitäten Stuttgart und Jerusalem über die Auswertung deutscher Polizeiberichte. Berater Yehuda Bauer erinnerte in London daran, dass die US-Serie "Holocaust" 1979 19 Millionen Deutsche sahen. Bauer "Zur Hauptsendezeit erreichen wir mindestens vier Millionen. Mit 10 Millionen wären wir richtig erfolgreich." Und das ohne den "saloppen" Umgang mit der historischen Wahrheit, den er in "Schindlers Liste" gesehen haben will: "Jedes einzelne historische Faktum sagt uns mehr als die schönsten Spielsituationen."
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