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Posted Friday, August 27, 1999


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In August 1999 Die Welt (Hamburg, Germany) serialised extracts from a 1962 Eichmann manuscript. ACTION REPORT reproduces those excerpts here as a service to historians

Auf Befehl des "Führers"

Historiker Peter Witte kommentiert den Beginn des Judenmords in Polen

Von Peter Witte

eichmann1940EICHMANN machte zahlreiche Aussagen über Heydrichs Weitergabe des „Führerbefehls" zur „physischen Vernichtung der Juden". Sie standen immer im Zusammenhang mit Eichmanns Inspektionsfahrt nach Belzec, dem ersten im Generalgouvernement errichteten Vernichtungslager. Einerseits stimmen die überlieferten Aussagen in den meisten Details überein. Andererseits ist Eichmann unsicher in der Bezeichnung des Ortes (alle Hinweise passen nur auf Belzec), und er weicht stark in seinen Zeitangaben ab. Die historische Analyse ermöglicht eine genauere Datierung.

Von historischer Bedeutung sind Eichmanns Ausführungen über zwei getrennt verlaufene Befehlswege des „Führerbefehls". Vorausgeschickt sei, dass Eichmann nur von dem Befehl spricht, den er persönlich erhalten haben will. Es gab jedoch eine ganze Kette von Entscheidungen und Befehlen zur Judenvernichtung. Noch in den Sassen-Interviews gab Eichmann Heydrichs Worte so wieder: „Ich komme vom Reichsführer, der Führer hat nunmehr die physische Vernichtung der Juden angeordnet." Die eine Befehlskette dürfte also von Hitler über Himmler und Heydrich zu Eichmann verlaufen sein, da verschiedene Vernichtungsmaßnahmen von Himmler in den „Führervorträgen" angesprochen und von Hitler genehmigt wurden, wie neuere Forschungen nachgewiesen haben. Demnach hätte Eichmann vom „Führerbefehl" über den regulären „Dienstweg" erfahren.

Weiter teilte Heydrich Eichmann mit, Himmler habe dem SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin, Odilo Globocnik, den Befehl gegeben, die Juden in einem neuen Lager zu vernichten. Dieser Sonderbefehl Himmlers ist durch Quellen gesichert: Die Ermordung der Juden des Generalgouvernements erscheint unter dem Codenamen „Sonderauftrag Reinhardt" in Globocniks Personalunterlagen. Danach erteilte Himmler Globocnik am 13. Oktober 1941 den Auftrag zum Aufbau von Belzec. Himmler hatte mit Sicherheit zuvor die Genehmigung Hitlers eingeholt. So ergibt sich eine zweite Befehlskette von Hitler über Himmler zu Globocnik (offensichtlich an Heydrich vorbei) und dessen „Leiter der Hauptabteilung Einsatz Reinhardt", dem von Eichmann stets namentlich genannten, aber fast unbekannten Hermann Höfle.

Nach Zeugenaussagen begannen polnische Arbeiter am 1. November 1941 mit dem Bau des Lagers Belzec. Kurz vor Weihnachten standen die Lagerbaracken und, fast vollendet, die Vergasungsbaracke. Das erste Massengrab war ausgehoben, die Arbeiter wurden entlassen. Hierauf übergab Globocniks Bauführer Thomalla das fast fertige Vernichtungslager Belzec an den ersten Kommandanten, den von Eichmann stets richtig als Hauptmann der Ordnungspolizei beschriebenen Christian Wirth. Wirth wurde eindeutig von ehemaligem Lagerpersonal und polnischen Anwohnern identifiziert.

Eichmann erinnerte sich nicht (siehe Dokumentation in der WELT am Samstag), in Belzec außer Wirth weitere Personen beziehungsweise den Vergasungsmotor gesehen zu haben. So erhalten wir einen weiteren Datierungshinweis: Das von der „Kanzlei des Führers" nach Belzec abgeordnete Stammpersonal, wie die 80 ukrainischen Wachmänner trafen erst ab Mitte Februar dort ein. Sie nahmen den Einbau des gewaltigen Benzinmotors und die Tarnung der Mordanlage durch „Brauseköpfe" vor.

Noch in Freiheit nannte Eichmann einmal die „Jahreswende 1941/42" als Zeitpunkt für den „Führerbefehl". Eichmann spricht wiederholt von einem um diese Zeit erlassenen Auswanderungsverbot für Juden: das Referat IV B 4 gab am 3. Januar 1942 einen entsprechenden Runderlass heraus.

Zusammengefasst: Eichmann konnte den „Führerbefehl" frühestens kurz vor Weihnachten erhalten haben, etwa zeitgleich mit dem Eintreffen Wirths. Damit rückt der Zeitpunkt der Bekanntgabe des „Vernichtungsbefehls" Hitlers an alle Reichs- und Gauleiter auf den Zeitpunkt der Tagung am 12. Dezember 1941, wie von Christian Gerlach dokumentiert. Am 16. Dezember informierte Generalgouverneur Frank entsprechend die gesamte Verwaltungsspitze.

Heydrich wusste bei der Befehlsausgabe an Eichmann über die in Belzec angewandte Mordmethode noch nicht Bescheid. Er ging davon aus, dass die Juden in dem heute noch sichtbaren Panzergraben direkt am Lager erschossen werden sollten (so Eichmann in mehreren Aussagen). Umso größer war Eichmanns Verblüffung, dass Christian Wirth von den mitgegebenen Plänen Heydrichs erheblich abwich. Wirth sah den Gebrauch von Kohlenmonoxyd (das Tötungsmittel der „Kanzlei des Führers" in der „Euthanasie-Aktion", die Wirth zuvor als Inspekteur geleitet hatte) zur Ermordung der Juden vor. Eichmann muss Heydrich über diese einschneidende Planungsänderung Bericht erstattet haben. Denn zum Zeitpunkt der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 war Heydrich informiert: Laut Konferenzprotokoll und Eichmanns eigener Aussage wurden zum Abschluss der Konferenz die „verschiedenen Arten der Lösungsmöglichkeiten", das heißt die verschiedenen Mordmethoden, besprochen.

Auf einen Zeitpunkt der Belzec-Inspektion unmittelbar vor der Wannsee-Konferenz verweist auch ein Indiz aus Eichmanns „Aufzeichnungen". Beiläufig erwähnte er, er habe die Rückfahrt von Belzec nach Berlin über Prag geführt. Quellenmäßig ist belegt: Am 19. Januar 1942, einen Tag vor der Wannsee-Konferenz, an der Eichmann bekanntlich teilnahm, inspizierte er das Ghetto Theresienstadt. Theresienstadt liegt an der ehemaligen Hauptstraße Prag--Dresden--Berlin.

In den „Aufzeichnungen" erwähnt Eichmann nicht die ihn stark belastende Tatsache, Globocnik in Lublin einen von ihm oder Heydrich unterzeichneten Befehl überbracht zu haben, vorerst 250 000 Juden „der Endlösung zuzuführen". In der Regel trennte Eichmann diesen Befehl zum Massenmord von seiner Inspektion in Belzec und erklärte ihn zu einer „rückwirkenden Ermächtigung" Globocniks. Einmal aber scheint er sich verplappert zu haben und nennt die Inspektion und die Überbringung des Befehls an Globocnik in einem Atemzug. Im Übrigen sind starke Zweifel an dem Sinn einer angeblich „rückwirkenden Ermächtigung" angebracht. Wahrscheinlicher ist also, dass Eichmann den Vernichtungsbefehl für 250 000 Juden unmittelbar vor der Wannsee-Konferenz zum Zeitpunkt der Fertigstellung von Belzec Globocnik überbracht hat. Jedenfalls gab Eichmann am 31. Januar 1942 den grundlegenden Runderlass an alle Gestapostellen für die nächste Deportationswelle im Distrikt Lublin heraus. Am 17. März 1942 nahm die Mordfabrik Belzec ihren „Betrieb" mit der Vergasung von rund 2500 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Lublin und Lemberg auf.

Der Historiker Peter Witte ist Mitherausgeber des „Dienstkalenders Heinrich Himmlers 1941/1942" (Christians, 1999)
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